Öffentlichkeit verschwindet durch #Bildschirmfesselung
von Kusanowsky
Die Bildschirmfesselung leistet die Konstruktion von individuellen und ubiquitären Realitätstunneln, die eine enorme Spannbreite an Inklusionsleistungen zulassen. Ausgeschlossen wird aber mindestens, dass man noch erwarten könnte, mit anderen irgendetwas gemeinsam zu haben. Keine gemeinsamen Räume, Meinungen, kein gemeinsames Erleben. Die Kommunikation über Öffentlichkeit mag dann immer noch gelingen, aber nicht mehr in einer Öffentlichkeit. Öffentlichkeit wird dann zu einem erratisch-paranoischen Reflexionsmedium. Und vielleicht kann man erst dann verstehen lernen, worin der Gewinn der Bildschirmfesselung besteht.
Der Gedanke, meine ich, zieht durchaus einen wunden Punkt der Netzkommunikation in die Betrachtung.
Ich frage mich nur a) ob die „Realitätstunnel“ wirklich ubiquitär sind? Dafür sind die Indizien zum einen zu anekdotisch, zum zweiten zu ironisch. „Öffentlichkeit“ wird ja noch nicht dadurch zerstört, dass einige Leute sie für sich verschmähen und schon gar nicht, wenn sie sie zeitweise verschmähen.
Die Frage, die sich b) bei mir meldet, ist die nach dem Unterschied zur „Papierfesselung“. Die berühmten „einsamen Gelehrten in ihren Stuben“ waren – zumindest in Deutschland – immer schon sprichwörtlich und damit auch Beispiele dafür, dass auch Papier ein „erratisch-paranoisches Reflexionsmedium“ ist.
(HInweis zur Dialektik: In D wurden die Denker und Dichter immer lieber als einsam geduldet denn als öffentliche Menschen; geradezu zum Verdikt wurden die „Asphaltliteraten“ in den 20er Jahren, als sich erstmal in D so etwas wie eine intellektuelle Öffentlichkeit in einer Hauptstadt konzentrierte. Das liegt evtll daran, dass Konservative per se ein problematisches Verhältnis zur öffentlichen Gesellschaftskritik haben. Die Tradition dieser öffentlich wirksamen Dichter und Denker zeichnet sich heute eher im Netz weiter, während die Tradition der weltabgewandten Stubengelehrten eher unter den „Netzfeinden“ weiterlebt, die an den Strukturen der bisherigen Öffentlichkeit festhalten möchten. Die „wahren Geister“, „wirklichen Dichter“ und „führenden Wissenschaftler“ bleiben vorzugsweise un-öffentlich in ihrer alten, gut kontrollierbaren Papier-Öffentlichkeit. Weswegen ich gerne mit der These hausieren gehe, dass man das Internet immer für einen Verfall an Öffentlichkeit verantwortlich machen möchte, während es in Wahrheit sein letztes Residuum ist (mit „Wunden“). Jedenfalls würde ich für die Literatur behaupten, dass die sog. literarische Öffentlichkeit ohne Netz sicherlich nicht verschwunden, aber auf alle Fälle bereits weit lebloser wäre.)
(Material: „Seit 20 Jahren lebt und schreibt Botho Strauß in der menschenleeren Uckermark“ http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/zu-besuch-bei-botho-strauss-der-alte-junge-12089395.html)
Die Bildschirmfesslung ist kein Spaß von wenigen, die etwas Abseitiges tun.
Die moderne Gesellschaft hat den privaten Raum erfunden als Imagination der Freiheit, als sei der private Raum nicht selbst gesellschaftlich strukturiert. Daher diese „Privatwirtschaftsideologie“, das Eigentum, die Familienideologie, die Verfügungsgewalt über Menschen im privaten Raum. Diese Privahtheit hat abgewirtschaftet, aber: diese Imagintation der Privatheit verschwindet nicht, sondern wird durch die Imagination von Öffenntlichkeit komplementiert.
Das von mir verwendete Wort „Bildschirmfesselung“ ist kein Begriff im engeren Sinne, sondern lediglich eine Metapher. Sie erfasst die soziale Kenntlichmachung operativ geschlossenen Bewusstseins, das kommunikativ nicht zugänglich ist. Diese Unzugänglichkeit hinterlässt eine proteische Signatur, welche die Abweisung aller Zudringlichkeitversuche dadurch garantiert, dass Wandlung, Entziehung, Maskierung selbst anschlussfähig wird. (trivial beobachtbar, sobald Google Glasses in Gebrauch kommt.)
Bewusstsein ist für Kommunikation nicht erreichbar, Bewusstseinsvorgänge sind kommunikativ nicht anschlussfähig, Wahrnehmung hat außerhalb des Sinnverstehens für Bewusstsein und dieses außerhalb des Sinnverstehens von Kommunikation keine Realität.
Die gegenteilige Behauptung und ihre Anschlussfähigkeit sind das Resultat spezifischer sozialer Funktionen, die sich insbesondere auf einen ontologisch fundierten Vertrauensgewinnungsprozess in Menschenvermögen bezogen haben. Eine Gesellschaft, die in Erfahrung bringen will, dass man Menschenvermögen vertrauen kann, was keineswegs selbstverständlich ist, muss annehmbar machen und es normativ für gültig erachten, dass Menschen Menschen beeindrucken, erreichen, ja sogar manipulieren und beherrschen könnten. Aus diesen Annahmen resultieren entsprechend eine Vielzahl von Irritationen und Verwicklungen, die, solange sie sich entlang der selben Vermeidungsstrukturen entfalten, nichts anderes leisten als diese Vermeidungsstrukturen zu differenzieren.
Wenn der Differenzierungsgrad aber schließlich soweit gestiegen ist, dass diese Vermeidungsstrukturen gesellschaftlich unhaltbar werden, zeigt sich, was auch ohne diese Bildschirmfesselung hätte wahr sein können: dass man es mit operativ geschlossenen Sinnsystemen zu tun hat. Diese Aufdeckungsleistung des Unverborgenen entspricht der apokalyptischen Funktion der Internetkommunikation.
Dem „operativ geschlossenen Bewusstseins, das kommunikativ nicht zugänglich“ sei, möchte ich als Diagnose weder klar widersprechen noch zustimmen. Und zwar deshalb, weil ich zwar das Misslingen und Schwierige von Kommunikation so wie jeder andere wohl auch tagtäglich beobachte, aber in diesem Kommunikationsmodell fehlt etwas, was in aller Kommunikation letztlich darüber entscheidet, ob es zum „Anschluss“ (Verstehen?) kommt oder nicht – und das ist die Pause, die bis in den Traum reichen kann. Bei den Franzosen gibt es den schönen Ausdruck „Gedanken auf der Treppe“, also die Gedanken, die einem kommen, wenn das Gespräch schon beendet ist und man die Treppe heruntergeht. Wenn also scheinbar der Anschluss nirgends mehr zu finden ist, passiert er vermutlich doch immer und tagtäglich millionenfach im Pausenbereich, im Stillen, im Blick aus dem Fenster und im Nachsinnen. Wenn man von einem „fruchtbaren“ Gedankenaustausch spricht, dann ist sogar genau dies involviert – das nämlich noch eine Frucht nach wächst. Ich kenne niemanden, der nicht diese Nachgedanken hätte. Es ist sogar völlig unmöglich, sich dagegen zu wehren, d.h. zu einem guten Teil findet Anschluss statt, selbst wenn wir einer nicht will (z.B. wir haben ein Argument gelesen/gehört, das uns ganz besonders unbequem ist, dann ist fast darauf zu wetten, dass es sich von alleine „anschließt“ und auf Bearbeitung drängt). Was das angeht, ist Netzkommunikation im übrigen erheblich „anschlussfähiger“, weil jedes Wort sich immer gleich zum Dokument verwandelt und so stehen bleibt, wie es abgesandt wurde. Das verbessert ja die Nachhallmöglichkeit. Es wird ausgesetzt. Manchmal kommt dann eine Frucht heraus, meistens nicht. Aber wie auch immer, operativ geschlossen sind diese Bewusstseins-Gefängnisse dann letztlich nicht. Nach dem, was ich zu beobachten glaube.
Ich möchte vermuten, dass die Erwartungen, die an einen Begriff von Öffentlichkeit gerichtet werden, im wesentlichen darin bestehen, dass Öffentlichkeit eine Art Zeugenschaft garantieren würde, durch die sicher gestellt werden könnte, dass unerwünschte und unangenehmen Ergebnisse unvermeidbarer Interaktion nicht zum Nachteil derjenigen ausfallen, die sich dieser Interaktionen nicht entziehen können oder wollen. Man könnte auch sagen, dass die Erwartungen an Öffentlichkeit darin bestehen, eine Art „Opferschutz“ zu garantieren. Gleichzeitig tritt aber auf diese Weise nur eine unvermeidbare Paradoxie auf, nämlich die, dass Öffentlichkeit als Zeugeninstanz zugleich auch als Richterinstanz erwartet und darum gefürchtet werden kann. Das Recht auf Privatheit und das Begehren auf Öffentlichkeit sind deshalb nicht zwei Seiten einer Unterscheidung, sondern sind nur auf einer Seite einer Unterscheidung zu finden. Auf der anderen Seite findet sich die Differenz zwischen Recht und Unrecht. Und wenn man das so formalisiert, kann man feststellen, was durch diese Unterscheidung als ausgeschlossenes Drittes immer eingeschlossen ist, nämlich: soziale Wirklichkeit. Die Unterscheidungsroutine wirft damit eine soziale Struktur aus, die das Zustandekommen derjenigen Struktur verblendet, durch die eine solche Unterscheidungsroutine zustande kommt. Und solange solche Vermeidungsstrukturen auf der Basis derjenigen Anschlussfindungsverfahren wie durch Kritik stabil bleiben, bleiben auch alle dämonischen Unklarheiten stabil, egal wie herum man die Chancen und Risiken von Hoffnungen und Ängsten gewichtet.
Und solange diese Hoffnungen und Ängste für die Wahrnehmung enorm irritabel bleiben, kann nur schwer erkannt werden, dass sich längst eine disruptive Struktur parasitär einnistet, welche in mit als „Realitätstunnelung“ beschreiben will.