Überwindung der Meinungsfreiheit durch Verlust der Beleidigungsfähigkeit?
von Kusanowsky
Es fällt sehr schwer, weil es mit sehr viel Mühe verbunden ist, sich darüber Klarheit zu verschaffen, wie schwierig und anstrengend der Lernprozess der modernen Gesellschaft war, welcher in Erfahrung brachte, dass alle wahrheitsfähigen Aussagen über die Welt durch rationale Beweisverfahren erbracht werden könnten. Dieser Lernprozess musste in Laufe einiger hundert Jahre einige Hürden nehmen:
- die Religionsfreiheit, welche möglich wurde, nachdem die Gesellschaft herausgefunden hatte, dass wenn alle Glaubenswahrheit kontingent ist, man es also dem Schicksal der Menschen überlassen kann, durch einen verfehlten Glauben das eigene Seelenheil zu verderben. Spätenstens die Erfahrungen des 30jährigen mussten dieses Zugeständnis machen.
- die Wissenschaftsfreiheit, die, sobald die Ergebnisse der Forschung nicht nur für Staatszwecke relevant wurden, als Standortfaktor im europäischen Machtkampf um Stabilität unverzichtbar wurde.
- Bürger- und Menschenrechte, die akzeptierbar waren, nachdem eine Geldwirtschaft sich über die Städte hinaus auf das ganze Territorium erstreckte und es erforderlich machte, Wirtschaftssubjekte zu formen, die vertragsfähig sind.
- die Presse- und Meinungsfreiheit, die als Problem durch die Industrialisierung dringlich wurde, weil die globale Vernetzung die Ausgangsbedingungen einer Gesellschaft änderte, Bedingungen, die Information dringlicher schätzen lernten als Wahrheit.
- die Freiheit der Kunst, die nicht mehr eingeschränkt werden konnte, nachdem erkannt wurde, dass ihr Störpotenzial geringer wird, wenn man die Kunst nicht stört.
- die demokratische Freiheit allgemin, die wesentlich durch den Verzicht auf Blockaden herstellbar war, welche vorher den Problemdruck mit unnachgiebiger Gewalt verstärkten.
Den Erben dieser Freiheiten, welche nichts zu ihrer Erarbeitung beigetragen haben, kommen diese schmerzhaften Lernprozesse nur sehr verschwommen zu Bewusstsein; und wenn dies geschieht, dann als Erfahrung eines Defizits für andere, weshalb man sich, belagert von einem schlechten Gewissen, für die gute Sache der Anderen einsetzen möchte, die von diesen Freiheiten ebenfalls Gebrauch machen wollen. Und entsprechend muss, um diesen Lernprozess in Erinnerung zu rufen, auch das eigene Engagement von Schmerz begleitet sein. Damit ist nicht unbedingt die Teilnahme an einer bewaffneten Intervention wie in Libyen gemeint; es reicht schon, die eigene Schmerzhaftigkeit in dem Fall zu inszenieren, in welchem ein raffinierter Internet-Troll Methoden findet, um solche Befreiungsillusionen bloß zu stellen, wie dies im Fall der syrischen Bloggern Amina passierte.
Aber schon die Bomben auf Belgrad im Jahre 1999 machten deutlich, was von der demokratischen Brüderlichkeit noch zu halten ist, wenn sie sich ihrer jakobinischen Herkunft erinnert.
So haben wir es aktuell mit der Gleichzeitigkeit ungleichzeitiger Lernprozesse zu tun: während die einen noch immer das Recht auf demokratische Freiheit einfordern und durchsetzen, müssen die anderen schon anfangen, mit der Ausweglosigkeit zu recht zu kommen, die sich einstellt, wenn dieser Freiheit nichts mehr entgegenstellt ist, sobald sie zweiseitig akzeptiert wird.
Denn das Internet ist die Erfüllung eines großen Versprechens: Freiheit in Wort, Schrift und Bild für alle, und zwar nicht mehr als utopisches Ziel oder unverbindliche Hoffnung, sondern als wirkmächtige Realität. Genau in dieser Situation entstehen Probleme, die zwar vorher schon immer bemerkbar waren, deren Dringlichkeit aber mit dem Hinweis auf noch zu bewältigende Defizite abgefedert werden konnten.
Spätestens, wenn die Form der Meinungsfreiheit ihren Widerstand verliert, dessentwegen sie sich entfalten und als überlegene Form erhärten konnte, wird ihr Problem sichtbar: sie stört. Beobachtbar ist das an der allgemeinen Störkommunikation, wie sie durch Trolle und durch Trollbekämpfung entsteht. Denn der Troll kann nur dadurch auffallen, dass er damit anfängt, zurück zu schlagen, was bedeutet, dass der Eskalationsprozess in dem Augenblick seines ersten Höhepunktes beobachtbar wird und man feststellt, dass man dagegen etwas machen müsse. Und die Lösungsversuche wirken doch eher hilflos. (Aktuelles Beispiel: Umgang mit Leserkommentaren beim Handelsblog.) Aber wie soll man es denn machen, wenn man noch nicht weiß, wie es geht?
Ein erster und bislang nur wenig erprobter Erfahrungsschritt war im Vortrag von Sascha Lobo auf der rp11 enthalten, dessen Leistung wenigstens darin besteht, auf die Störung nicht mit widerwilliger Störkommunikation zu reagieren, sondern mit Neugier und Interesse an ihrer Funktionsweise. Wollten Kommunikationssysteme lernen, sich mit dieser Betrachtungsweise zu beschäftigen, brauchen sie auch eine dafür geeignete Umwelt, die sich u.a. in einem anderen Menschentypus zeigt, der möglicherweise im Habitus von Sascha Lobo einen Prototyp findet. Gemeint wäre ein Mensch, dessen übersteigerter Narzismus so weit geht, dass man ihn nicht mehr beleidigen kann, weil alle Beleidungsfähigkeit in diesem übersteigerten Narzismus schon enthalten ist, welcher schließlich, wenn er sich selbstreflexiv entlädt, sogar auf allen Egoismus verzichten muss, um der Trolligkeit der Internetkommunikation noch gewachsen zu sein.
Wie auch immer, eines scheint klar: schmerzlos wird eine der Meinungssfreiheit überlegene Form vermutlich nicht in Erfahrung gebracht werden können.
Zum viel verwendeten Ausdruck: „Lernprozess der modernen Gesellschaft war“#: Im Philosophischen Quartett mit Sloterdijk merkte Juli Zeh an (auf eine Erläuterung Cohn-Bendits hin, wie Gesellschaften „lernten“) der Ausdruck des Lernens setze immer ein didaktischen Lernziel voraus, in Abgleich mit welchem allein ein Lernerfolg zu messen sei.
Sie schlug demgegenüber vor, von „Entwicklung“ statt von Lernen zu sprechen. Dies erschien mir plausibel…
@rudi – warum „muss“ ein Lernbegriff ein didaktisches Lernziel voraussetzen? Es müsste vielleicht so sein, wenn man nicht lernen will, dass man Lernen aus anders verstehen könnte. Aber soweit man alle Didaktik auf ihre Zielerreichung überprüfen kann, wird man gewiss sehr viel lernen können und nicht nur, ob die Ziele der Didaktik erreicht wurden, sondern vielmehr, dass man beim Suchen und Verfolgen, beim Untersuchen und Erforschen notwendig ein Labyrinth betritt, aus welchem man nur heraus kommt, wenn man erkennt, dass Entwicklung (und übrigens auch: Verwicklung) ohne etwas zu lernen schlechterdings nicht geht. Wer dagegen meint, dass man Lernen nur als zielgerichtetes Operieren auffassen kann, kann auch annehmen, dass Computer lernen könnten. Und nur insofern könne man auch Lernerfolge messen. In dieser Hinsicht könnten Menschen gar nichts lernen, weil alles was als Lernerfolg messbar ist, die Messung einer Maschine ist, die über Möglichkeiten des Maschinenlernens Auskunft gibt. Aber wer sagt denn, dass eine Gesellschaft, die sich im Umgang mit Computern übt, nichts anderes lernen kann als Computern zu gehorchen?
„Es müsste vielleicht so sein, wenn man nicht lernen will, dass man Lernen aus anders verstehen könnte.“
Nun könnte man spitzfindig bemerken: Eben, der Satz beweist, dass Frau Zeh Recht hat.
Dass man „Lernen“ anders verstehen sollte, ist das vorausgesetzte Klassenziel des obigen Textes (und vielleicht auch vieler anderer dieser Seite), und der Autor (Lehrmeister) attestiert dem Schüler „Gesellschaft“, dass er es leider (noch) nicht erreicht hat.
Wenn aber gilt:
„dass Entwicklung (und übrigens auch: Verwicklung) ohne etwas zu lernen schlechterdings nicht geht.“ oder „Man kann nicht nicht üben. Auch ein schlechter Schüler sein, will gelernt sein.“ (Sloterdijk), kann es dann nicht sein, dass die Gesellschaft hervorragend gelernt hat, und immer wieder aufs neue lernt, NICHT lernen zu müssen? Was gäbe es dann aber für den Theorieschulmeister zu beklagen oder beanstanden? Die Gesellschaft wäre kein Musterschüler sondern der beste aller schlechten Schüler. Mehr kann man nicht erreichen.
Zur Meinungsfreiheit bilden sich langsam äußerst interessante neue Forschungsfelder heraus. Denn Viel-Leser können mittlerweile schon mit sehr hoher Treffgenauigkeit vorhersagen, welche Kommentare, welche immergleichen Argumente und Weltsichten sich unter einem Artikel tummeln werden. Oft werden diese Kommentarlisten binnen weniger Stunden mehrere Hundert Einträge lang, so dass jedem der sich dort verewigt eigentlich klar sein dürfte, dass niemand, wenn nicht vielleicht eine Handvoll Menschen überhaupt jemals seine Zeilen lesen wird. Für wen schreiben all die Menschen dann dort? Für sich? Oder für die Kommunkation? Auch hieran wird die Überschätzung des Subjekts erneut sichtbar: Die Subjekte sind nicht Träger der Meinung, sondern die Vielzahl möglicher Meinungen schwebt frei im kommunikativen Raum und jede Meinung wartet beharrlich bis ein Subjekt an sie andockt, sie gewissermaßen „abholt“ und kommunikativ realisiert. Durch die „Freiheit“ der Meinung im massenhaft benutzten Individualmedium Internet bricht sich nun die (ohne Arroganz bezeichenbare) „Dummheit“ der breiten Masse bahn, so dass sich Trampelpfade der immer gleichen faden Geistesergüsse finden. Dies könnte man als Störung wahrnehmen, vielleicht auch als ein „Hintergrundrauschen“ – vielleicht ist es auch so, dass man sich vom Lärm gestört fühlt wenn man an einer Autobahn steht. In der Abgeschiedenheit ausgewählter Blogs oder präzise eingestellter Facebook-Walls findet man dann die Ruhe und des öfteren im Bachlauf auch mal ein Goldnugget.
Zu Sascha Lobo fällt mir nur ein: Sicher hat er einen besonderen „Habitus“, gewiss auch löffelweise Charisma (seine Neuinterpretation des Irokesen-Schnitts inspirierte Gruner&Jahr dazu, gleich ein ganzes Magazin „Business Punk“ zu gründen), aber es ist faktisch unmöglich, einen Habitus oder auch nur: eine bestimmte Art mit der Umwelt umzugehen, zu kopieren. Es wäre Sache der nachwachsenden Generationen sich sanft in diese neuen Erfordernisse einzufügen und „ein dickes Fell“ oder ähnliches zu entwickeln – doch (siehe Thema „lernen“) werden sie gerade dazu seitens der Pädagogik nicht befähigt und sind gerade dabei, gravierende Nachteile durch die neuen Medien zu erleiden. So zumindest mein Eindruck – doch die Jugend ist meist ja stärker als „die Alten“ glauben, Unkraut vergeht nicht 🙂
@ndee Hawkman „es ist faktisch unmöglich, einen Habitus oder auch nur: eine bestimmte Art mit der Umwelt umzugehen, zu kopieren“ Mir scheint, dass die Entfaltung und Stabilisierung von Kommuniktionsstrukturen genau das schafft, nämlich differierende Übernahme, oder auch: Nachahmung. Habitusformen und der Weg ihr Formfindung sind darum morphologisch beschreibbare Struktureffekte, die Kopie und Orginal gleichzeitig zur Verfügung stellen, denn wie anders wäre es möglich Original und Kopie zu verwechseln, wenn nicht Verwechselungfähigkeit eine strukturell determinierte Beziehung zwischen Elementen (hier: Habitusformen) wäre? Allerdings scheint die Erfahrung etwas dadurch getrübt, dass man den Habitus als eine morphologische Struktur betrachtet, die man Zeichen-Ensemblierung ablesen kann wie z.B. bei Punks, Rocker und dergl. Tatsächlich wird aber die morphologische Struktur durch das Ablesen und Abrufen von Zeichen-Ensemblierungen, wie dies etwa die empirische Soziologie betreibt, verdeckt. Denn es sind morphologische Strukturen, die Habitualisierungen und ihre Nachahmung zulassen. Nachahmung ist nicht der Prozess der Morphogenese.
Nachvollziehen kann man dies in Abwandlung einer Theorie der Morphogenese wie sie Alan Turing durch Aufstellung einer „Reaktionsdiffusionsgleichung“ vesucht hat. Mit dieser Gleichung werden Operationen erfasst, bei denen eine lokale Wechselwirkung und zusätzlich eine Diffusion auftritt. Soziologisch müsste man das so auffassen: Die Wechselwirkung ist der Diffusionsvorgang, der die morphologische Strukturen beobachtbar macht.
[…] zu Meinungsfreiheit. Beobachtungen zum Zerfall einer Form Herkunft: […]
[…] zurückVorläufig scheint mir die Überlegung naheliegend, dass das Internet eine Technologie der sozialen Problemverstärkung ist. Das kann man einerseits daran ablesen, dass keine dieser Dämonien, die das Internet hervorruft, seit der Industrialisierung und der Reflexion ihrer Auswirkungen wirklich neu sind. Datenschutz, Whistleblowing, Urheberrechtsverletzungen, schöpferische Zerstörung, Plagiieren, Mobbing, Spionage, Sabotage, Überwachung, Kriminalität – wer wollte ernsthaft behaupten, dass all das erst seit 10 oder 15 relevant wäre? Im Gegenteil. Denn schaut man sich die Diskussionen, die Argumente und die Art und Weise wie sie geführt werden an, so stellt man fest, dass das, was schon in den 80er Jahren gescheitert war, nur wieder neu aufgekocht wird. Die andere Seite dieser Überlegung bezieht sich darauf, dass dieses Scheitern jetzt, möglicherweise gegen den Willen der Beteiligten, nicht mehr oder nur noch sehr schwer ignoriert werden kann. Versuche dieses Ignorierens kann man sowohl bei Frank Schirrmacher festellen als auch in diesem Posting von Gunnar Sohn. Letzterem fällt nichts Besseres ein als einfach nur das alte Spiel von Position und Gegenposition zu erhärten. Schirrmacher selbst betreibt das konventionlle Spiel der Trivialisierung des modernen Aufklärungsmythos, der Menschenrechte, Menschenmoral und übergeordnete Ansprüche an Steuerungsnotwendigkeiten formuliert, ohne feststellen zu können, dass all das gescheitert ist, weil die Gesellschaft auf der Basis ihres Mythos von Aufklärung und Befreiung immer mehr Probleme produziert als sie lösen kann. Schon Hegel konnte solche Phänome kommentieren mit den Worten: „Das Bekannte überhaupt ist darum, weil es bekannt ist, nicht erkannt.“ (G.W.F. Hegel: Phänomenologie des Geistes, Frankfurt/M. u. a. 1970, S. 28.)Schon zu Hegels Zeiten konnte verstanden werden, dass die Behauptung „tertium non datur“ unhaltbar war. Etwas Drittes, das von Erkenntnis sprechen kann, ohne ein Bekenntnis abzulegen, muss immer mit im Spiel sein, damit nicht nur die eine oder andere Seite einer Unterscheidung gewählt werden kann, sondern auch, damit überhaupt beobachtbar wird, dass man es mit Unterscheidungen und Unterscheidungsgebrauch in entfalteten Routinen zu tun hat, die solchermaßen als „ontologische Differenz“ (Heidegger) erscheinen. Der routinierte Ablauf von Unterscheidungsgebrauch erzeugt Gewissheiten, die sich nur schwer, nicht selten unter großen Schmerzen, ausschleichen können. Und ich vermute, dass die Dämonien des Internets diese Einsicht mit auswegloser Aufdringlichkeit versehen.Der verstärkte Druck der unlösbaren Probleme verlangt ein Umstellung, welche allerdings von keiner Stelle aus durchgesetzbar ist. Es muss von allein gehen. Keine Einsicht, mit der sich ein anspruchsvolles Wohlstandsbürgertum, das an Traumatisierung leidet, die keiner mehr versteht, so leicht abfinden will.Das Internet befördert die Erkenntnis der Probleme. Ihre Bekanntheit entsteht durch Massenmedien, die eine routinierte Wiederholung von Position und Gegenposition, von Argument und Gegenargument automatisieren. All das ist in den meisten Fällen von Ängsten und Hoffnungen angetrieben. Die Ängste entstehen, weil keine Zentralinstanz, keine Königsphilosophie auffindbar ist, die, mit Durchsetzungsfähigkeit ausgestattet, eingreifen könnte; die Hoffnungen, weil eine säkulare Gesellschaft einen Glauben eben nicht verloren hat, sie hat ihn nur, wie alles andere auch, durch Prozesse der Modernisierung neu eingekleidet. Menschen sollen seitdem sicher stellen, was kein Gott mehr leisten kann.Inzwischen kann man am Internet beobachten, dass das sportliche Ideal des aufgeklärten Disputierens in Dämlichkeit zerfällt. Die Meinungsfreiheit war ehedem als reflexionsverstärkendes Erwartungsverhalten dazu geeignet, aus einer überlieferten Problemsituation klug zu werden. Wenn Vernunft nicht mehr apriori gegeben ist, sondern sich als kontingent erweist, wie dies im Anschluss an Kant im deutschen Idealismus formuliert wurde, so galt seit dem die Information als das Apriori. Nur die Information stellte noch sicher, dass man vernünftige von unvernünftigen Meinungen unterschieden kann, weshalb der Freiheit zu informieren keinerlei Schranken mehr gesetzt sein durften. Der Optimismus, der aus der Annahme resultierte, dass sich die Dummheit von selbst erledigt, wenn man sie nur zu Wort kommen und ausprechen lässt, konnte deshalb sehr aussichtsreich sein, weil sich erst in der Folge dieser Praxis die Erfahrung verbreitete, dass es Information ist, die Kontingenz ermöglicht. Seitdem ist auch Information kontingent. Das jedenfalls kann man taglich und ganz leicht an Internetdiskussionen ablesen. Anders als erhofft lässt sich das Gegenargument nicht mehr deprimieren. Stattdessen wird es einfach wiederholt. Und die wechselseitigen Versuche der Deprimierung von Argumenten führt nur, dass bei jeder Wiederholung von Argumenten, die keine Seite mehr akzeptiert, die Eskalation in den Zerfall von Reflexivität mündet. Allgemein ist das Phänomen als Trollerei bekannt und auch hierfür gilt, dass, obschon bekannt, nicht erkannt wird, wodurch sie entsteht.Und die Frage ist, wie lang die Einsicht in die Kontingenz noch auf Blockadeverhalten stößt. Gegenwärtig sind jedenfalls keine Strukturen entwickelt, die auf die Kontingenz von Information reflexionsverstärkend reagieren können.So fällt denn auch die Frage, welche Gefahren für die Gedächtnisleistung entstehen, wenn Menschen nicht mehr als Träger des Wissens in Erscheinung treten, auf das Reflexionsniveau vor Schelling und Hegel zurück. Und zum wiederholten Male wird bei Schirrmacher das Gefahrenpotenzial eines Massenkommunikationsmediums durch dieses Massenkommunikaitonsmedium selbst verbreitet, woran man die Vergesslichkeit ablesen kann, die für alle Gedächtnisfähigkeit konstituierend ist.Weiter mit: Vergesslichkeit und Irrtum 2 […]
[…] Meinungsfreiheit. Beobachtungen zum Zerfall einer Form 1Wir haben es aktuell mit der Gleichzeitigkeit ungleichzeitiger Lernprozesse zu tun: während die einen noch immer das Recht auf demokratische Freiheit einfordern und durchsetzen, müssen die anderen schon anfangen, mit der Ausweglosigkeit zu recht zu kommen, die sich einstellt, wenn dieser Freiheit nichts mehr entgegenstellt ist, sobald sie zweiseitig akzeptiert wird. Denn das Internet ist die Erfüllung eines großen Versprechens: Freiheit in Wort, Schrift und Bild für alle, und zwar nicht mehr als utopisches Ziel oder unverbindliche Hoffnung, sondern als wirkmächtige Realität. Genau in dieser Situation entstehen Probleme, die zwar vorher schon immer bemerkbar waren, deren Dringlichkeit aber mit dem Hinweis auf noch zu bewältigende Defizite abgefedert werden konnten. Spätestens, wenn die Form der Meinungsfreiheit ihren Widerstand verliert, dessentwegen sie sich entfalten und als überlegene Form erhärten konnte, wird ihr Problem sichtbar: sie stört. […]
Ääh.. ‚gesteigerter Narzißmus‘ oder das Gefühl, sich in einer JauchenGrube zu spiegeln (womit jetzt nicht dieses Blog gemeint ist)^^
Sogenannte ‚Beleidigungen‘ spielen sich ausschließlich auf hypothetischen, metaphorischen oder nicht wörtlich zu verstehenden Ebenen ab… dies kann eigentlich gar nicht unter Strafe gestellt werden – höchstens eben von Idioten.
Würde die ‚Beleidigung‘ auf der sogenannten ‚wörtlichen Ebene‘ stattfinden, wäre es keine Beleidigung, es handelte sich dann um Prädikatisierung (und idealer Weise um eine TatsachenBeschreibung).
Beispiel:
Wenn ich sage: ‚Richter Freisler ist ein gemeines Schwein‘, wäre dies eine Metapher und wie schon erwähnt, wäre es töricht, Metaphern oder das Aussprechen von Metaphern zu betrafen. [Alles kommunikative Wissen von Menschen beruht zunächst apriori auf Metaphern.]
Wofür stünde nun diese angebliche Beleidigung? Wollte man diese Metapher auf die ‚wörtliche Rede‘ herunterbrechen, dann würde man vielleicht sagen/meinen: ‚Richter Freisler ist ein dummer, bösartiger Mensch‘. Dies wäre eine TatsachenBehauptung – die Jeder, der sie zur Kenntnis nähme (eingeschlossen Freisler) für sich auf WahrheitsGehalt überprüfen könnte…
Die etwas phlosophischeren Philosophen wissen natürlich, dass weder die metaphorische, noch die sogenannte ‚wörtliche Rede‘ tatsachenkongruent sind.
Die Argumentation ist etwas verkürzt… deutet aber schon an, dass es auf keiner KommunikationsEbene wirklich Beleidigungen geben kann (sondern nur – mehr oder weniger – erwünschte Mißverständnisse).
StraftatBestände sind immer von den jeweils privilegierten PersonenKreisen einer Gemeinschaft erfunden oder übernommen worden, um vorwiegend eben diese Privilegien zu erhalten. An sich gibt es gar keine StrafTaten…. sondern Menschen unterscheiden, zwischen ‚Unschädlichem Verhalten‘ [ups..spontan..ein..neuer..WahrheitsBegriff..?] und ‚Fehlern‘ oder ‚Irrtümern‘.
Diejenigen, die Taten unter Strafe stellen, erlangen dadurch eine gewisse DefinitionsHohheit… die… wie wir heute sehen können… zu immer verheerenderen Folgen führen. Abgesehen davon, dass Strafe einen Menschen in seinem Willen konditioniert… ihn also einer der wichtigsten menschlichen Fähigkeiten (die des freien, vernünftigen Denkens) beraubt,
erzeugt sie den Schein von Genugtuung, Frieden und GefahrenBeseitigung.
Solange dies so bleibt, sind wir quasi blind gegenüber echten Problemen, wird es für uns sehr schwierig werden, eine wirkliche WeiterEntwicklung zu erreichen.
Wenn ‚ich‘ einem anderen Menschen ein Leid zufüge… und vernünftig darüber nachdenke, ob ich dies auch wirklich gewollt haben kann, werde ich sehr wahrscheinlich zu der Einsicht gelangen, dass ich es eigentlich nicht gewollt habe. Eventuell wird mich mein FehlVerhalten länger schmerzen, als den Geschädigten. Es wäre also möglich, (etwa durch eine enttabuisierte, aufgeklärte, forschende Erziehung) dahin zu gelangen, dass ‚ich‘ keinem einzigen Menschen mehr Schaden oder Leid zufügen w i l l.
Dass dies mit all dem kulturellen Ballast von über 2000 Jahren FehlEntwicklung – die erziehungstechnisch nicht selten einer Dressur glichen – nicht über Nacht zu reparieren ist, dürfte einigermaßen verständlich sein. Das Argument aber, ‚es war schon immer so… und deswegen müsse es immer so bleiben ‚ o. ä. zieht dabei nicht im geringsten.
Die Vielzahl der freien MeinungsÄußerungen im Internet, die nicht selten auf Anonymität, auf Lust an ‚kreativer Beleidigung‘, auf reale virtuelle oder reale ‚ExistensZerstörung‘ und so weiter abzielen, wirklich wörtlich zu nehmen, um nach ‚Beleidigungen‘ zu suchen, kann nur das selbstvergessene Vergnügen einer wohlstandsverwöhnten Spezies sein.
Ich jedenfalls beuge mich gern tief hinein… in diese JaucheGrube namens InterNet… um mich besser erkennen zu können… um zu sehen, dass ich bestenfalls mich selbst beleidigen kann.
Michael Haufe