Amina – Identität und Authentizität als Problem der Simulation
von Kusanowsky
Es funktioniert immer wieder. Im Jahre 1906 hatte es der entlassene Strafgefangene Friedrich Wilhelm Voigt geschafft, in der Kostümierung eines Hauptmanns der preußischen Armee die Stadtkasse von Köpenick zu plündern. Die Geschichte ist bekannt und war als Ereignis gleichsam eine variierte Nacherzählung des bekannten Novellenstoffes „Kleider machen Leute“ von Gottfried Keller aus dem Jahre 1874. Dieser Erzählung fand ihre Motive in verschiedenen Erzählformen wie die des Märchens, in der Berichterstattung über solche Fälle und in Komödien, die wiederum nur populäre Erzählstoffe aus dem 18. Jahrundert aufgriffen und umformten. Der bekannteste Fall von Hochstapelei in jüngerer Zeit war der des Gert Postel, der eine beachtliche Karriere als Arzt durchlief. Und damit wäre nur eine kleine Sammlung aus dem deutschsprachigen Raum zusammengetragen. Aber nicht nur im europäischen, sondern auch im arabischen Raum dürfte man eine variantenreiche Komplexität von Erzählungen finden, welche sowohl Identitätsbetrug als auch Identitätsvertauschung thematisieren.
Es ist also keineswegs eine übertriebene Einschätzung, wenn man bemerkt, dass solche Erzählungen, die immer wieder eine Trinität von Realität, Identität und Authentizität unterscheiden, zum normalen Erfahrungsprogramm sozialer Systeme gehören. Diese Normalität repoduziert sich durch Analyse und Synthese ihrer Elemente, zu denen Humor genauso gehört wie die Skandalisierung von Empörung.
So ist es auch kein Wunder, dass Hochstapler, Betrüger und Spaßvögel in der Internetkommunikation auffallen und durch dieses Medium eine solche Erzähltradition fortsetzen.
Aktuell geht es um den Fall „Amina Abdallah Arraf“, eine syrische Bloggerin, von welcher erzählt wird, dass sie ihre Identität nur vorgetäuscht habe. In Wirklichkeit sei sie aber die Erfindung eines amerikanischen Studenten, der die Geschichte eines „Hauptmann von Damaskus“ wiedererinnert habe und mit diesem Hoax weltweite Aufmerksamkeit erregen konnte, da es gelang, durch diese Fiktion die politische Realität in Syrien authentisch zu thematisieren.
„Amina“ – nomen est omen, wie man sagt – „die Vertrauenswürdige“, so die übersetzte Bedeutung dieses Namens, wurde vom Publikum als prominente Figur eines Widerstandes inszeniert, welcher in der Erzählung der westlichen Welt ebenfalls eine aufmerksamkeitsgenerierende Funktion besitzt. Widerstand ist dieser Erzähltradition nach mit Unschuld, Rechtschaffenheit und Courage konnotiert. In diesem Zusammenhang fällt schließlich die Unterscheidung auf: Macht auf der einen Seite, die als erstrebenswert erscheint unter der Voraussetzung, dass die sich daran knüpfenden Erwartungen von Gerechtigkeit und Wahrheit erfüllbar wären, wodurch Macht auf der anderen Seite durch ständige Enttäuschung solcher Erwartungen immer verdächtig ist und damit Widerstand legitimiert, der aproiri von solchen Enttäuschungen durch Unterstellung von Unschuld befreit sein sollte. Die Legitimität von Widerstand wird also immer dann ungeprüft akzeptiert, wenn Macht nachprüfbar die Erwartungen enttäuscht, durch die sie legitim sein sollte. Und diese Legitimierung von Widerstand kannn eine Projektionsfläche entrollen, auf welcher sich alle möglichen Ansprüchen, Hoffnungen und Erwartungen abbilden, die sich selbst schließlich nicht als Problem bemerken können. Wenn man Grund zur Hoffnung findet, dann auch Grund zum Vertrauen, solange die Welt ein riesiges Reservoir unerfüllter Versprechungen bereit hält.
So ist es dann auch kein Wunder, wenn ein Vertrauensbedürfnis sich dadurch befriedigt, dass es sich Phantome schafft, die passgenau die Selbstillusionierung verstärken und sich ob dieser Trefflichkeit zu einer Blase ausbilden, die ihre Instabilität in dem Maße steigert wie sie Hoffnung verbreiten kann. Das Phantom kann aber erst in dem Augenblick als solches erkannt werden, wenn die Überspanntheit des Publikums auf den Zusammenbruch der Illusion zuläuft mit dem Ziel, diese Illusion zu retten. Es zeigt sich nämlich plötzlich die angebliche Realität des Phantoms: es war ja nur ein privilegierter amerikanischer Student, also nur ein Symbol, das für eine grundsätzlich verdächtige oder jedenfalls nicht generell statthafte Lebensweise einer gesellschaftlichen Schicht steht, der als Ausganspunkt für eine Gespenstergeschichte genommen wird, die sich nur deshalb global verbreiten konnte, weil ein sich selbst bestätigender Zirkel von Unschuld und Vertrauen solche Phantome wie ein Magnet anzieht um seine selbstreferenzielle Stabilität zu garantieren. So zeigt sich schließlich was durch die Entlarvung des Phantoms gewonnen wird: die Berechtigung einer Illusion, die um so härter wird, da nunmehr die moralische Integrität amerikanischer Mittelschichtsstudenten trefflich bezweifeln werden kann.
Der Troll, der hier schließlich mit Geringschätzung überhäuft wurde, kann auf diese Weise nichts zur Aufklärung beitragen, weil er nur als Phantom behandelt wird und nicht als die Realität einer Simulation, die man, wollte man sich für Aufklärung interessieren, auf die Integrität ihres Formenspiels untersuchen könnte. Würde man dies tun, könnte man eines hohes Maß Perfektion bemerken, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass der Troll im Verlauf der Geschichte immer mehr Figuren ins Spiel bringen musste, um die Konsistenz der Erzählung zu verfizieren. Schließlich ist auch das Ende der Geschichte, also ihre „Wahrheit“ noch ein Bestandteil der Erzählung, kann doch allen Erntes nach Beurteilung eines solchen Illusionszusammenbruchs geglaubt werden, dass der Autor der Geschichte eine eigene Authentzität besäße, die außerhalb dieses Formenspiels der Simulation eine Wirklichkeit habe. Dass aber beide, die syrische Bloggerin genauso wie der amerikanische Student, nur Figuren innerhalb einer ablaufenden Simulation sind, die sich durch ihren Ablauf zu einer eigenwilligen Realität verdichtet, kann nur auf der nächsten Beobachtungsebene der Erzählung verstanden werden.
Aktuelle Ergänzung
Gerade wird bei Spiegelonline zum wiederholten Male das Rumpelstilzchen-Spiel thematisiert. Es geht hier um das Foto eines Liebespaars, das inmitten einer Straßenschlacht eine Szene der Zärtlichkeit inszeniert. Und wieder wird die Frage gestellt: Wahrheit? Realität? Echt?
http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,769178,00.html
Wie gut, dass es das Internet gibt, das die Probleme wunderbar löst, die es erzeugt. Denn es konnte ja auch eine Photoshop-Manipulation sein:
http://yfrog.com/kij8xzjj
Oder vielleicht ist gerade diese Szene nachgestellt, um zu behaupten, es sei eine Manipulation. Und in Wirklichkeit sei alles ganz anders? Und von welcher Wirklichkeit könnte man noch sprechen, die sich nicht durch eine Simulation dieser Wirklichkeit erhärtet?
[…] findet, um solche Befreiungsillusionen bloß zu stellen, wie dies im Fall der syrischen Bloggern Amina passierte. Aber schon die Bomben auf Belgrad im Jahre 1999 machten deutlich, was von der […]
[…] Angeblich hat die Washington Post ein Experiment durchgeführt. Man ließ Joshua Bell, den berühmtesten Violinisten der Welt auf der besten Violine der Welt die bekanntesten Musikstücke der Welt in einer Washingtoner U-Bahn-Haltestelle als Straßenmusiker aufführen. Und niemand hat davon Notiz genommen. (youtube) Experimente dieser Art sind nicht neu. 1968 hatte die Redaktion der deutschen Satirezeitschrift Pardon unter dem Pseudonym eines unbekannten Autors den Text des berühmten Romans „Der Mann ohne Eingenschaften“ von Robert Musil bei verschiedenen Verlagen als Manuskript zur Prüfung eingereicht. Das Ergebnis zwar ernüchternd. Die Lektoren lehnten eine Veröffentlichung mit Begründungen ab, die einen schmunzeln lassen. Selbst der Rowohlt-Verlag, der den Roman von Musil verlegte, kommentierte das Manuskriptangebot mit den Worten: „“Die Publikationschancen der Arbeit konnten für unser spezifisch literarisches Programm nicht sehr günstig beurteilt werden.“ Man könnte sich natürlich auch vorstellen, dass das andersherum funktioniert, indem ein bekannter Schriftsteller das Manuskript eines ahnungs- und talentlosen Studenten zur Prüfung einreicht. Wahrscheinlich dürfte es ohne Probleme gedruckt und verkauft werden. Übrigens ist dieses Motiv uralt, bekannt unter dem Motto: „Kleider machen Leute„. (Siehe dazu auch: Amina – Identität und Authentizität) […]