Wie ist Neues möglich? Ein Vortrag von Harry Lehmann #systemtheorie
von Kusanowsky
Dieses Video ist ein etwa halbstündiger Vortrag von Harry Lehmann, den er an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg am 16. November 2012 auf dem Symposium „Die nervöse Ordnung gereizter Denkmodelle“ gehalten hat.
Die ersten zwanzig Minuten sind eine knappe Einführung in die Systemtheorie nach Luhmann. Wer sich damit schon näher befasst hat, kann sich ab Minute 22 in den Vortrag einschalten. Dort heißt es im Anschluss an die Funktion der Massenmedien:
(ab 22:04) Schwierig ist es nun – auch für die Massenmedien – Ereignisse, Prozesse und Phänomene zu beobachten, sie selbst noch nicht beschrieben wurden, die gewissermaßen noch radikal neu sind, also Umbruchprozesse, die gerade durch die Evolution der Gesellschaft ausgelöst werden. Denn hierfür müsste sie ja Schemata benutzen, mit denen sie die alte Gesellschaft beschrieben hat. Dieses Problem können die Massenmedien nicht aus eigner Kraft lösen, sondern an dieser Stelle kommen Geisteswissenschaften, Künste, die Philosophie in Spiel, die vielmehr darauf spezialisiert sind, solche Umbruchprozesse zu reflektieren.
…
Ich sehe die gesellschaftliche Funktion des Kunstsystems in einer Provokation neuer Selbstbeschreibungen, und zwar insofern als die Kunst mit Wahrnehmungskategorien und Schemata der Wahrnehmung experimentiert und diese bereit stellt für mögliche Neubeschreibungen der Gesellschaft, was gewissermaßen der Journalismus nicht aus eigener Kraft leisten kann.
Die Kunst stellt gewissermaßen ein varibles Programm (?) von abweichender Kommunikation und abweichenden Beobachtungsperspektiven bereit, das dann wieder in die Gesellschaft durchsickert … Diese unruhige, nervöse Kommunikation, die von dem Kunstsystem bereit gestellt wird, ist die Voraussetzung dafür, damit die Gesellschaft tatsächlich auf ihre eigene Evolution reagieren kann.
Das theoretische Problem, das an dieser Stelle behandelt wird, besteht in der Frage, wie Neues möglich ist. Die Antwort, die Harry Lehmann liefert, kann zwar einerseits sehr gut erklären, wie sehr die Funktionssysteme aufeinander angewiesen sind, um sich gegenseitig die Voraussetzungen bereit zu stellen, die erfüllt sein müssen, damit trotz autopoietischer Selbstdeterminierung Abweichung, bw. Neues möglich ist; es fehlt aber der Hinweis auf die zirkuläre Geschlossenheit der Gesellschaft. Das bedeutet, dass auch die Kunst nicht den Vorraussetzungsreichtum erfüllen kann, der für neue Selbstbeschreibungen immer schon zur Verfügung stehen müsste. Denn wenn auch die Kunst ein Funktionssystem ist, so gilt für sie das selbe wie für alle anderen Funktionssysteme.
Geht man davon aus, dass die Kunst in einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft ein eigenes Funktionssystem ausgebildet hat, dann stellt sich die Frage, welche gesellschaftliche Funktion das Kunstsystem in einer solchen Gesellschaft erfüllt. Luhmanns Antwort lautet, dass die Kunst zeigen würde, »dass Ordnung im Bereich des Möglichen möglich ist«. Damit bleibt offen, was das »Bezugsproblem« der Gesellschaft sein könnte, auf das das Kunstsystem hier reagiert. Im Gegensatz dazu könnte man ein zentrales Bezugsproblem der modernen, evolutionierenden Gesellschaft in der Umschreibung ihrer herrschenden Selbstbeschreibung sehen. Die gesellschaftliche Funktion der Kunst ließe sich dann als eine Provokation neuer Selbstbeschreibungen der Gesellschaft bestimmen, wobei diese ›Herausforderung‹ primär im Medium der ästhetischen Erfahrung stattfindet (und nicht im Medium der Argumentation wie in der Philosophie). Avancierte Kunst generiert welthaltige Schemata der ästhetischen Erfahrung, die punktuell eine Umschreibung der herrschenden gesellschaftlichen Selbstbeschreibung provozieren. (Provokation neuer Selbstbeschreibungen)
Harry Lehmann weist nun in diesem Vortrag darauf hin, dass die Kunst, anders als alle anderen Funktionssysteme, nicht nur die Möglichkeit hat, ihr eigenes Reflexionsprogramm zu entwickeln, sondern auch die Möglichkeit, die so entstehenden Reflexionstheorien selbst zur Kunst zu erheben:
Überall dort, wo wie im Kunstsystem die Reflexion über Kunst jederzeit zu einer Operation der Kunst werden kann, hat man es nicht mit Funktionssystemen im orthodoxen systemtheoretischen Sinne zu tun, sondern mit einem Reflexionssystem. (Reflexionssysteme)
Keine Frage, dass aus diesen Überlegungen eine Vielzahl von weiterführenden theoretischen Komplikationen entstehen. Interessant ist jedoch, dass dem Internet in dem Vortrag keinerlei prominente Bedeutung gegeben wird.
Die Provokationsprobleme, die sich aus dem Internet ergeben, erscheinen mir nämlich nicht allein darin zu liegen, dass durch diese Provokationen nur die strukturelle Integrität aller Funktionssysteme erfasst und zerrüttet wird. Vielmehr scheint sich die Kommunikation durch das Internet auch auf der operativen Ebene selbst zu desintegrieren. Gewiss kann man annehmen, dass die Kunst durch das freigesetzte Kunstwerk darauf besser vorbereitet ist. Wenn aber jedes System auf strukturelle Koppelung angewiesen ist, was für alle Funktionssysteme gilt, so dürfte nicht so leicht erklärbar sein, warum ausgerechnet die Kunst eine gewisse Vorzüglichkeit für den evolutionären Prozess haben sollte.
Oder man nimmt an, dass Reflexionssysteme sich dadurch operativ stabilisieren, dass sie gerade durch Entkoppelung und durch Dissoziation stabil bleiben. Aber müsste man dann die Unterscheidung zwischen Funktions- und Reflexionssystemen nicht diskriminatorisch vornehmen und sagen, dass man es entweder nur mit dem einen oder dem anderen zu tun haben kann? Insofern wären Reflexionssysteme Sinnformationen, die man mit dem Jesus-Wort beschreiben könnte: „nicht von dieser Welt“, was heißen könnte: die Beoachtungsschemata solcher Reflexionssysteme sind unbekannt und beziehen sich auf eine unbekannte, anonyme Ordnung. Weshalb die Provokation überhaupt erst als solche erkennbar wird: Sie ist durch keine bekannte Unterscheidungsroutine gedeckt und darum nicht oder nur sehr schwer nachvollziehbar. (Hier meine Unterscheidung zwischen Provokation und Rechtfertigung und die Überlegung, dass die „Provokationskunst“ der Moderne selbst eine Rechtfertigungsstrategie ist um die Autonomie der Kunst zu garantieren.)
Die Unterscheidung bekannt/unbekannt findet entsprechend ihr re-entry auf der Seite der Unbekanntheit. Diese Unterscheidung verweist dann nicht nur auf Unbekanntes, sondern auf sich selbst als etwas Unbekanntes.
Was spricht für die Annahme, dass solche Reflexionssysteme hauptsächlich oder vorzuüglich von der Kunst ausgebildet werden? Warum nicht von jedem anderen Funktionssystem auch, sofern Entkopplung durch Zerrüttung der operativen Integrität der Kommunikation zustande kommt, die dann Neues erbringen kann?
@ Kusanowsky : bin leider im Moment zu müde und abgespannt, um mich zu einem eigenen Text aufzuraffen, (und wenn ich es täte, würde ich nur generell dem mir sehr vertrauten Harry Lehmann zustimmen, jedenfalls im Großen und Ganzen). Ich möchte aber nicht versäumen, zu empfehlen, das dazugehörige kleine – von Lehmann herausgegebene – Büchlein „Autonome Kunstkritik“ mit Aufsätzen von fünf weiteren Autoren zur Sache unbedingt zu empfehlen. Es ist 2012 bei Kadmos, Berlin, erschienen und kostet 10 Euro, also wenig, wie die Dinge nun einmal liegen.
Rudi K. Sander alias dieterbohrer aka @rudolfanders
Reblogged this on Ich sag mal.
Das Reflexionssystem Kunst hat „von Haus aus“ größere Freiheiten als bsp.weise die Funktionssysteme Wirtschaft oder Öffentliche Verwaltung. Die ästhetische Freiheit des Künstlers ist durch letztere nur limitiert, wenn dieser das zulässt. Gut, viele Künstler lassen das wohl ganz gerne zu: sie wollen verkaufen, wollen öffentliche Ankäufe, Stipendien etc. Doch sind dies eben gerade keine Einschränkungen, die das Reflexionssystem Kunst selbst diktiert, sondern „kunstfremde“, eben strategische bzw. lebenspraktische Entscheidungen des Künstlers. Will sagen: er kann es auch lassen, sich anzupassen. Der Preis dafür ist allerdings hoch: Er wird nicht wahrgenommen.
Ein ökonomischer oder administrativer Akteur, der sich „von Haus aus“ ähnliche Freiheitsgrade zugestände wie ein Künstler, würde, selbst oder gerade wenn er an der Spitze der Hierarchie stände, dagegen von niemandem ernst genommen und evtl. sogar einer umgehenden psychiatrischen Beobachtung für würdig erachtet werden (Ich stelle mir gerade Frank-Jürgen Weise vor, wie er verkündet, die Führung der Bundesagentur für Arbeit müsse in Zukunft als rein ästhetische Aufgabe betrachtet werden).
Weiterhin sehe ich nicht, dass das Internet vorwiegend kommunikationszerrüttend am Werke ist. Es kommt halt alles auf eine „erwachsene“ Nutzung dieses Mediums an. Wie viele Menschen in Ihrem Bekanntenkreis kennen Sie, die auf die Frage „Stellt das Internet für Sie eher ein notwendiges Übel oder Bereicherung Ihres Lebens dar?“ sofort freudig mit „Natürlich eine Bereicherung!“ antworten würden? – Sehen Sie.
P.S. Wie kommen Sie nur darauf, es hätte jemals eine „operative Integrität der Kommunikation“ existiert (derer wir nun leider durch das böse böse Internet verlustig gegangen seien)? Entschuldigung, aber das ist intellektueller Kitsch!
„aber das ist intellektueller Kitsch!“ – sehr gut. Der Kommentator versteht so viel nicht, jedenfalls ist ihm das meiste nicht bekannt, hat aber trotzdem eine klare und eindeutige Meinung. In dem Artikel versuche ich die Provokation entlang der Unterscheidung von bekannt/unbekannt zu beschreiben und der Kommentator, gänzlich unbeeindruckt von seiner eigenen Fasziniation, weiß genau, was bekannt ist und was nicht, was Kitsch ist, was Kunst, was Intellektualität und was Trivialität ist. Die moderne Welt scheint sehr einfach organisiert zu sein, jedenfalls so einfach, dass sogar ein ausgezeichneter Fachmann in Sachen Kunst alles Entscheidende sofort und unmissverständlich versteht. Das ist intellektueller Kitsch.
Es geht bei dem Begriff der operativen Integrität um die Einheit der Kommunikation, die aus einer zirkulären Dreieinigkeit von Selektionen besteht, nämlich aus Mitteilung, Information und Verstehen. Diese Einheit bildet nach Luhmann die operative Basis für die Kommunikation. Diese Einheit stellt ein soziales System her und erhält es aufrecht, so lange wie die Kommunikation anschlussfähig bleibt und weitere Kommunikationen folgen. Der Kommunikationsbegriff basiert auf der These der operationalen Geschlossenheit der Systeme. Kommunikation als Einheit dreier Selektionen verläuft gleichzeitig, aber operational getrennt von psychischen Systemen.
Baraldi, Claudio u.a.: GLU : Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme. 1. Auflage. – Frankfurt/M. 1997.
„Das ist intellektueller Kitsch!“
@kusanowsky
„Der Kommentator versteht so viel nicht, jedenfalls ist ihm das meiste nicht bekannt“
Ein solcher Satz wie „Das ist intellektueller Kitsch!“ geht in seinem propositionalem Gehalt nicht vollständig auf, sondern besitzt einen performativen Verweisungsüberschuss, an dem sich auch abweichend zu einer Normalerwartung anknüpfen lässt.
Vgl. dazu:
Rudi K. Sander: Redesequenzen. Untersuchungen zur Grammatik von Diskursen und Texten. Paderborn 2002, S. 146f.
‚aber operational getrennt von psychischen Systemen.‘?
Und was ist mit der ‚konditionierten Koproduktion‘ von Peter Fuchs, (ders, in: Die konditionierte Koproduktion von Kommunikation und Bewußtsein ?
Den Eins-Zwei-Eins Problemen, der Unschärfe der Begriffe der Systemtheorie, dem ‚endogen unruhig gestellten Systembegriff in der Form einer ‚Selbst-Dekonstruktion‘, der ‚ Einheit, die nur für den Beobachter eine Zweiheit ist'(ebda)
‚Die Verwirrungen und Unschärfen kann man den Turbulenzen in paradigmatischen Verwerfungszonen zuordnen‘, (ders., ebda)
Er versucht trotz der Luhmannschen Exkommunikations des Menschen, des Subjekts etc. aus der Kommunikation die ‚Einheit‘ neu zu denken.
Und hier, in der ‚Schnittstelle‘ Mitteilung liegt auch der Schlüssel dazu, wie psychische Systeme der Kommunikation – im Horizontbegriff – ‚Gesellschaft‘ Kreativität und damit Neues zuführen, welches dann aber nach den gägngigen Codes bearbeitet, integriert, verworfen werden.
Deswegen hat auch die ach so neue Internetkommunikation auch noch nicht dazu geführt, dass z.B. der BGH oder das BVerfG keine Urteile mehr fällen können, die der Logik des Rechts folgend vom prallen Leben vorher'(Nassehi, TfD im Horizont ihrer Kritik) absehen können und genau dadurch das Funktionssystem immer wieder neu ‚entstehen‘ lassen.
Das so entstehende selbstreflexive Neue braucht dazu auch die Kunst nicht,hier fällt Herr Lehmann etwas auf die gängigen Kunstnarrative der Moderne herein,jedes Funtionssystem kann Das.
Inwieweit die entfesselte Internetkommunikation diese Systeme in Zukunft noch stärker auf netzwerkartige, temporäre Konstellationen ‚einstellen‘ wird, ist hoch spekulativ, bei Dirk Baecker noch etwas mehr als bei Elena Esposito
@Walter Mengel ich würde dir in allen Punkten Recht geben wollen, insbesondere an dieser Stelle: „Inwieweit die entfesselte Internetkommunikation diese Systeme in Zukunft noch stärker auf netzwerkartige, temporäre Konstellationen ‘einstellen’ wird, ist hoch spekulativ“
Stimmnt. „hoch spekulativ“, aber gerade deswegen nicht weniger anschlussfähig. Anschlussfähigkeit ist das, was die Kommunikationen in den Systemen zusammenhält, nicht Verfikation oder Wahrheit. Erfahrung kann man nur machen, wenn sie gemacht wird (sozialer Bedingungszirkel). Die Welt ist nicht einfach nur erfahrbar, sondern: sie muss erfahrbar gemacht werden und ohne Spekulation geht das nicht. Unterscheidungen können nur ausprobiert werden. Und in dem Zusammenhang mit dem Lehmann-Vortrag würde ich sagen: soll eine Ordnung unterscheidbar sein (von was auch immer), so kann diese Ordnung nur provoziert werden. Der Preis dafür könnte im Verlust von ganz vielen altbekannten Unterscheidungsroutinen liegen: Autor und Werk, Subjekt und Objekt, Politik und Macht, Schutz und Gewalt, Sicherheit und Vertrauen. Diese Zerrüttungen meine ich zu beobachten, wobei diese Zerrüttungen nicht erst durch das Internet aufkommen, sondern seit der Industrialisierung nur einen beständigen Verschärfungsprozess durchlaufen und erst jetzt die Aussicht aufkommen lassen, dass sehr wohl eine Differenzierungsalternative möglich ist, indem die funktionale Differenzierung nicht mehr mit Ausschließlichkeit vonstatten geht, sondern um eine Differenzierungsform erweitert wird, welche – übrigens hoch spekulativ betrachtet – unbekannt ist, aber gegenwärtig und real.
Natürlich setzt das die bekannten Unterscheidungsroutinen nicht außer Funktion, aber doch unter Druck. Nur darum geht es: den Druck dieser Provokationen zu beobachten und nicht, ihm aus dem Wege zu gehen.
@Walter Mengel Nachtrag „hier fällt Herr Lehmann etwas auf die gängigen Kunstnarrative der Moderne herein“ das mag sein. Man könnte sagen: es gelingt ihm nicht mit diesem Vortrag Beobachtung ohne Kritik zu reflektieren, das heißt: auch Lehmann rechtfertigt seine Position durch Kritik. Diese Lösung könnte vielleicht lauten: nicht das Kunstsystem emergiert ein Reflexionssystem, sondern: die Emergenz eines Reflexionssystem könnte man Kunst nennen. Aber da man sich auf diese Weise auf einen Semantik-Konflikt einlässt, müsste man die Kunst und ihre Narrative durch andere ersetzen, ganz im Sinne des Luhmannschen Äquivalenzfunktionalismus:
„Für soziale Systeme ist kennzeichnend, dass sie nicht unbedingt auf spezifische Leistungen angewiesen sind, mit denen sie stehen und fallen. Wichtige Beiträge zu ihrer Erhaltung werden durch Leistungen erbracht, die durch andere, funktional äquivalente Leistungen ersetzbar sind.“
Luhmann, Niklas: Soziologie als Theorie sozialer Systeme. In: Soziologische Aufklärung 1. Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme. 7. Auflage. Wiesbaden 2005, S. 143-172.
Damit geht es um die Ersetzbarkeit, wobei die Ersetzung nicht definitorisch vorgenommen wird, sondern provokativ. Dass dafür nicht allein die Kunst zuständig sein kann, leuchtet auch ein. Wichtig ist wenigstes das, was Lehmann sagt: „Schwierig ist es nun – auch für die Massenmedien – Ereignisse, Prozesse und Phänomene zu beobachten, sie selbst noch nicht beschrieben wurden, die gewissermaßen noch radikal neu sind, also Umbruchprozesse die gerade durch die Evolution der Gesellschaft ausgelöst werden.“ Man kann nicht beschreiben (oder definieren, erklären, beweisen, darstellen, von etwas überzeugen) was noch nicht beschrieben wurde. Ja,, man kann nciht einmal über etwas spekulieren, über das noch nicht spekuliert wurde. Das ist der springende und wichtige Punkt bei Lehmann. Neues kann nicht gefordert, angekündigt, methodisch kontrolliert erzeugt werden. Neues entsteht von selbst. Aber was passiert, wenn es dennoch entsteht? Wie soll man es beschreiben, wenn es noch nicht beschrieben wurde? Darum die Lösung: provoziere die Beobachtung unter Vernachlässigung der Möglichkeit, diese Provokation zu rechtfertigen. Und der Einwand, dass dies doch auch schon ein alter Hut wäre, weil damit nur auf Regelverletzung angespielt wäre, unterschlägt, dass man eine Regelverletzung auch nicht so einfach ermöglichen kann, wenn die Entropie durch diese radikale Neuerung gar nicht mehr steigen kann. Entsprechend lassen sich Regelverletzungen so einfach auch nicht mehr herstellen.
Das Provokationsprobelm ist darum sehr viel komplizierter. Meine wenig ausführliche und spekulative Vermutung lautet: Fortsetzung der Störkommunikation ohne Provokation weiterer Störung.
@Kusanowsky: Herzlichen Dank für die glossarische Belehrung, mir ist die Luhmannsche Terminologie jedoch durchaus geläufig, allerdings, halten zu Gnaden, nehme ich mir die Freiheit, über die von Harry Lehmann zu Recht thematisierte „Unterbelichtung“ des Phänomens Kunst durch die Systemtheorie durchaus in, horribile dictu, *eigenen* Worten zu sprechen.
Jetzt glaube ich aber aus ihrem abkanzelnden Meta-Kommentar herauszuhören, dass Sie durchaus darauf bestehen, hier *ausschließlich* und, vor allem, möglichst „professionell“ in Luhmannscher Terminologie über dieses Thema diskutieren zu wollen. Sorry, aber das fände ich dann doch irgendwie nicht so spannend. Nicht weil ich, wie sie, vermutlich korrekterweise, unterstellen, aufgrund intellektueller Minderbegabung zu wahrhaft komplexer Weltsicht nicht in der Lage bin (aber haben wir nicht alle unseren blinden Fleck?), sondern weil ich tatsächlich an Harry Lehmanns Gedanken interessiert bin, nicht an deren luhmann-immanenter „Widerlegung“ (im Sinne von: Lehmann hat halt nur Luhmann nicht genau genug gelesen, sonst wär ihm ja das mit dem „Reflexionssystem Kunst“, das es ja laut Luhmann gar nicht geben *kann*, erst gar nicht eingefallen).
Im Übrigen hat mir die Lektüre der meinem Kommentar folgenden, sich in immer höherer Zitat-Dichte gegenseitig überbietenden Meta-Kommentare großes Vergnügen bereitet, v. a. natürlich ihr unüberbietbares Diktum: „Erfahrung kann man nur machen, wenn sie gemacht wird (sozialer Bedingungszirkel).“
Weiter so! Und immer hübsch anschlussfähig bleiben, gell?
„Sorry, aber das fände ich dann doch irgendwie nicht so spannend.“ immer wieder beeindruckend zu beobachten, wie Leute ganz ungeniert darüber Auskunft geben, dass sie nicht interessiert, wovon sie sich faszinieren lassen. Performativer Selbstwiderspruch.
Für einander unbekannte Menschen kontaktieren sich problemlos und ungehindert; und man kann bemerken wie einfach es geht, sich gegenseitig auf die Nerven zu fallen. Für nichts und wieder nichts. Erklären kann man das nicht, solange jede Erklärung als rechtfertigungsbedürftig aufgefasst wird. Und solange das so geschieht, geschieht Kritik, welche eigentlich nur noch ein Argumentum ad hominem zulässig macht. Alle andere Arten von Sachlichkeit sind gegenstandslos geworden. Fehlt also nur noch, dass diese grundlosen Beleidigungen, Kränkungen und Schmähungen auch noch als sachliches, kritisches Argument genommen werden. Erst dann geschieht Provokation.
„Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat auf viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut!“ Lukas 12,18 ff.
@Kusanowsky: Vielen Dank für den aufschlussreichen Kommentar! Ich sage etwas im Detail dazu:
„Oder man nimmt an, dass Reflexionssysteme sich dadurch operativ stabilisieren, dass sie gerade durch Entkoppelung und durch Dissoziation stabil bleiben.“ – Richtig, genau so habe ich die Reflexionssysteme auch konzipiert. Luhmann hatte seine Theorie der sozialen Systeme zuerst an den Funktionssystemen der Wirtschaft, der Wissenschaft und des Rechts entwickelt und hat mit diesem Theorieapparat sich später auch dem Kunstsystem und dem Religionssystem zugewandt. Man stößt bei der Lektüre der „Kunst der Gesellschaft“ dann auf eine ganze Reihe von Anomalien, also systematischen Abweichungen der Systemtheorie von ihren eigenen Axiomen, die ich in meinem Buch (Die flüchtige Wahrheit der Kunst. Ästhetik nach Luhmann, München: W. Fink 2006, S. 142-160) einzeln aufgezählt und analysiert habe. Das Kunstsystem weist also eine ganze Reihe von abweichenden Strukturmerkmalen gegenüber den Funktionssystem von Wirtschaft, Wissenschaft und Recht auf. Man steht dann vor der Alternative, dass das Kunstsystem entweder gar kein Funktionssystem ist (diese Meinung wird ja auch vertreten) oder dass es sich um ein besonderes Funktionssystem handelt, dessen Besonderheit Luhmann theoretisch nicht ausgearbeitet hat. Da es mir evident scheint, dass die moderne Kunst sich nur in einem sozialen System ausdifferenzieren konnte, um Akzeptanz für ihre Werke herzustellen, die es ja oft darauf anlegen, nicht anschlussfähig zu sein, scheint mir die zweiten Argumentationslinie plausibler. Die Besonderheit des Kunstsystems erklärt sich dann aus seiner besonderen sozialen Funktion, die eine Funktion der Reflexion ist.
„Aber müsste man dann die Unterscheidung zwischen Funktions- und Reflexionssystemen nicht diskriminatorisch vornehmen und sagen, dass man es entweder nur mit dem einen oder dem anderen zu tun haben kann?“ Im Prinzip ja, ich versuche in der „Theorie der Humanmedien“ die Unterscheidung dieser zwei Begriffe in einer Weise einzuführen, dass sie mit der Luhmannschen Systemtheorie weiterhin kompatibel bleibt. Aber die Unterscheidung von Funktions- und Reflexionssystemen ist eben auch so konzipiert, dass es sich hier um zwei verschiedene Typen von sozialen Systemen handelt, die gleichermaßen durch Code und Programme konstituiert werden, aber an einem entscheidenden Punkt von einander abweichen: wo es um die eigene Entparadoxierung geht. Funktionssysteme folgen der Logik des ausgeschlossenen Dritten und führen die Unterscheidung zwischen Positiv- und Negativwert auf ihrer Positivseite wieder ein, sie operieren mit einem re-entry. Reflexionssysteme hingegen folgen einer anderen Vorschrift, einem Satz des einzuschließenden Dritten, womit der eigene Code punktuell unterminiert werden kann. Sie führen die Unterscheidung von Positivwert und Negativwert ihres Codes auf ihrer Negativseite zu einem Wiederaustritt. Ich habe hierfür den Begriff des re-exit geprägt; das re-exit ist die Quelle der Provokation.
„Insofern wären Reflexionssysteme Sinnformationen, die man mit dem Jesus-Wort beschreiben könnte: “nicht von dieser Welt”, was heißen könnte: die Beoachtungsschemata solcher Reflexionssysteme sind unbekannt und beziehen sich auf eine unbekannte, anonyme Ordnung. Weshalb die Provokation überhaupt erst als solche erkennbar wird: Sie ist durch keine bekannte Unterscheidungsroutine gedeckt und darum nicht oder nur sehr schwer nachvollziehbar.“ Der Bezug auf Religion ist durchaus berechtigt, wenn man sich Luhmanns Schriften zur Religion durchliest, insbesondere seine Aufsätze in „Soziale Aufklärung“. Hier geht es offenkundig um ein transzendierendes Moment. Ich habe dann in der „Theorie der Humanmedien“ das Religionssystem analog zum Kunstsystem als ein Reflexionssystem beschrieben, das in seiner Codierung ebenfalls der Logik des Wiederaustritts folgt.
„Die Unterscheidung bekannt/unbekannt findet entsprechend ihr re-entry auf der Seite der Unbekanntheit. Diese Unterscheidung verweist dann nicht nur auf Unbekanntes, sondern auf sich selbst als etwas Unbekanntes.“ Genau diese Figur würde ich nicht mit einem re-entry, sondern als re-exit beschreiben.
Die Begriffe „re-exit“, „Humanmedien“ und „Reflexionssystem“ habe ich in einem Glossar auf http://www.harrylehmann.net/begriffe/ kurz erläutert.
http://books.google.de/books?id=noHsp2CL8kAC&printsec=frontcover&dq=harry+lehmann&hl=de&ei=1AtUTvL1O5SP4gSNu5G4Bw&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=1&ved=0CC8Q6AEwAA#v=onepage&q&f=false
„Genau diese Figur würde ich nicht mit einem re-entry, sondern als re-exit beschreiben.“
Diese re-exit-Konzept gefällt mir ganz ausgezeichnet, aber ich glaube, es ist in anderer Hinsicht von Bedeutung als in jener, die Sie selbst vermuten. Zunächst zu der Frage, ob Kunst ein Funktionssystem ist: Diese Frage ist nur scholastisch relevant, eine Frage, die man auch für die Erziehung oder auch die Religion stellen kann. Das scholastische Problem stellt sich nur, wenn man an einer Re-Ontologisierung der Systemtheorie arbeitet. Tatsächlich war es eine schlechte Entscheidung von Luhmann, die Explikation von Funktionssystemen nach den Rubrizierungsprinzipien der Bindestrich-Soziologien vorzunehmen: Wirtschaft, Recht, Politik usw. So kann erstens die Systemtheorie auf jede Bindestrich-Soziologie verteilt werden, und wenn die Soziologen nicht zurecht kommen, gründen sie zweitens eine weitere Bindestrich-Soziologie, nämlich: System-Soziologie. Der Grund dafür liegt in der Selbstbeschreibungssproblematik der Soziologie, die es mit objektiven Gegenständen zu tun hat und nun nach einer weiteren Kategorie für das suchen muss, was gemäß ihrer Selbstbeschreibung erforderlich ist: Ein Fach für jeden Gegenstand. Insofern können nun die Bindestrich-Soziologen einen weiteren Bindestrich setzen, zzgl. der Möglichkeit, das Regal der Klassiker um ein weiteren Band zu erweitern. So wird all das, womit man nicht zurecht kommt, einfach in die Inkohärenz einer bekannten Ordnung einsortiert.
Mir scheint, daher rühren diese Fragen wie man Kunst beurteilt, weil man nicht merkt, wie sehr man sich auf eine Re-ontologierung einlässt, die eigentlich gar nicht not tut. Es kann sein, dass Ihre Überlegungen daher rühren, dass Sie einem Narrativ folgen, der besagt: es müsse eine Definition, ein Auftrag, eine Aufgabe, ein Wesensmerkmal, eine Funktion für das gefunden werden, über das man redet (hier: über Kunst) um rechtfertigen zu können, dass man überhaupt redet; was übrigens eingelassen ist in die allgemeine Selbstbeschreibungsproblematik tranzendentaler Subjektivität, die Rechtfertigung als Vermeidungsverfahren verwendet um auf diese Weise einen Begriff des Sozialen zu entwickeln, ohne sich darüber klar werden zu müssen, dass nicht Subjekte Begriffe erfinden, sondern, dass die soziale Welt Subjekte und Begriffe erfindet.
Und an dieser Stelle scheint mir das re-exit-Konzept interessant, weil es eine Spezifik der Entparadoxierung vorschlägt. Sie vermuten: „das re-exit ist die Quelle der Provokation“ und ich denke darüber nach, dass Sie sich darin irren. Und wenn ich mich darin irre, dass Sie sich irren, dann heißt das ja nur, dass Irrtum auf jeden Fall im Spiel ist, egal auf welcher Seite. Entscheindend ist dann nur die Frage: Wie kommt der Irrtum zustanden, und nicht: wer irrt sich? Möchte dagegen behaupten, dass es im Gegenteil die Quelle der Rechtfertigung ist, nicht die der Provokation. Der Grund dafür ist, dass wir über das „tertium non datur“ nicht in gleicherweise reden können, wie Aristoteles dies tat. Die soziale Differenzierungsform ist für uns die funktionale Differenzierung. Mit Spencer-Brown (und in diesem Zusammenhang auch mit G.Günther) kann nun ein Begriff von Beobachtung konzipiert werden zu einem Zeitpunkt, an dem die funktionale Differenzierung ihre Kapazitäten erschöpft hat und nun, ich meine im Laufe der De-Industrialisierung, zulässig macht, dass dieser Differenzierungsprozess überhaupt erst theoretisch fundiert werden kann, woraus sich schließen lässt, dass die Eule der Minvera gerade erst ihren Flug angetreten hat. Die Konzepte von Spencer-Brwon und Günther können jetzt gefunden (bzw. erfunden) und anschlussfähig werden, wo Gesellschaft (die soziale Welt) selbst als das Dritte in Erscheinung tritt. Aber dass dies so ist, konnte auch von der Kunst nicht zuerst beobachtet werden. So sind tatsächlich Spencer-Brwons-, Günthers- und Luhmanns-Konzepte eigentlich provokativ (und auch unwahrscheinlich). Die Konzepte der drei verweisen auf den blinden Fleck der Beobachtung ohne selbst die Folgen dieser Konzepte rechtfertigen zu können. Stattdessen sieht man, dass sich schnell eine Scholastik bilden muss, die sich in normale akademische Zitationszirkel einschließt und damit die Vermeidungsstrukturen transzendentaler Subjektvität reproduziert, ohne dass dies gleichwohl in der Selbstbeschreibung enthalten ist.
Ihr Konzept re-exit-Konzept will erklären, dass die Unterscheidung als Nichtunterscheidung behandelt wird. Auf diese Weise liefern Sie eine Erklärung für die sozial anschließbare Attraktivität eines transzendentalen Beobachtungsschemas, das sich in einer eigenen Form zu erkennen gibt, nämlich: das Dokument als organisierte Fremdreferenz. Auf diese Weise reflektierte und rechtfertigte sich das Selbstbeschreibungsprogramm transzendentaler Subjektivität.
Am Beispiel der Kunst kann man das zeigen: jeder Versuch, eine Antikunst zu konzipieren konnte immer auch wieder als Kunst behandelt werden.
Beispiel: ein Dose Künstlerscheiße
Diese Provokationskunst war selbst nur ein Beitrag zur Rechtfertigung der Autonomie der Kunst und zwar nur auf struktureller Ebene durch Sabotage von Erwartung. Das hat heute dazu geführt, dass Künstler kaum noch provozieren können, weil es kaum noch eine Regel gibt, sie noch nicht verletzt haben, es gibt kaum ein Konzept, eine Ideee, ein Argument, ein Arrangement, das noch wirklich unbekannt wäre. Wenigstens müssen immer mehr Anstrengungen unternommen werden, weil Provokation unwahrscheinlich geworden ist, solang sie nur auf struktureller Ebene verbleibt. Genausowenig wie man Neues konzipieren kann, kann man Provokation herstellen. Es sei denn, die operative Basis der Kommunikation würde sich ändern.
Und mir scheint, dass dies durch das Internet provokativ in Erscheinung tritt als eine anonyme Orndnung.
@Kusanowsky @Lehmann Die Unterscheidung zwischen Funktionssystem und Reflexionssystem innerhalb der Systemtheorie vornehmen zu wollen, wird wohl nicht nur durch blinde Flecken erschwert. Als Informationstheoretiker baue ich aber gerne eine kleine Brücke.
Wie fügt sich der Begriff der Provokation in das Konzept der Informationstheorie ein? Ich betrachte zunächst die Formulierung „Sabotage von Erwartung“ und sehe mir die Begrifsherkunft von „Sabotage“ an. {Unschickliches Verhalten durch Klappern mit Holzschuhen, Holzschuhe in Mähdrescher werfen etc.}. Das unschickliche Verhalten hier besteht u.a. in der punktuellen Unterminierung des eigenen Codes (wie Lehmann treffend formuliert).
In der klassischen Informationstheorie gibt es ein für ein System X einen endlichen Zeichensatz (N Zeichen x_1 bis x_N) mit bestimmten Wahrscheinlichen p_1 bis p_N für das Auftreten von Codes (Erwartung). Solche Funktionssysteme sind abgeschlossen und normiert und bleiben codierungstreu bis in den Wäremtod.
Ein Reflexionssystem könnte sich nun dadaurch auszeichnen, dass es punktuell externe Codes mit Wahrscheinlichkeiten q aufgreift und die eigene Normierung aufweicht. Mathematisch spricht man hier von der Kullback-Leibler-Divergenz d(p,q) oder – etwas anschaulicher von Kreuzentropie. Eine Funktion der Kunst könnte also sein, durch Pro-Vokation Kreuzentropie zu generieren. (Und letztlich die Codierung, also Selbstbeschreibung, zu modifizieren).
@neurosophie Provokation und Impertinenz
https://differentia.wordpress.com/2012/10/08/eine-meta-metaphorologische-betrachtung-von-str0mgeist/
Was in dieser zurückliegenden Diskussion erarbeitet wurde, müsste in Hinsicht auf die Beobachtung von Provokation dann ganz allgemein für Sinnkondensate verwendet werden. Provokation würde in Netzwerkstrukturen die Kommunikation zwar innerhalb einer bekannten Wissensordnung stören, ohne allerdings – wie im Fall moderner Kommunikation sonst der Fall – weiter zu stören. Impertinenz und Provokation können dann auch ohne Obszönität aufffallen. Provokation innerhalb von Kommunikationsnetzwerken, die Abwesende mit Abwesenden interagieren lassen, welche füreinander auch unbekannt bleiben können und welche keine Öffentlicheit zulassen, würde dann als Skandalon ohne obszönen Charakter anschlussfähig sein (also: Störung ohne zu stören). Eine andere Formulierung wäre: Provokation gelingt dann, wenn Bekanntes auf unbekannte Weise beobachtbar wird.
@Kusanowsky: „Zunächst zu der Frage, ob Kunst ein Funktionssystem ist: Diese Frage ist nur scholastisch relevant, eine Frage, die man auch für die Erziehung oder auch die Religion stellen kann. Das scholastische Problem stellt sich nur, wenn man an einer Re-Ontologisierung der Systemtheorie arbeitet.“
Die Funktionsfrage dürfte weder scholastisch sein, noch dürfte sie etwas mit Re-Ontologisierung zu tun haben. Wenn man sie preis gibt, dann gibt man das der Systemtheorie zu Grunde liegende Theorem der funktionalen Differenzierung preis, was eben auch heißt, dass man dann keine Theorie der modernen Gesellschaft mehr hat, welche Luhmann ja bekanntlich im Unterschied zur stratifikatorisch differenzierten Gesellschaft als funktional differenzierte Gesellschaft beschreibt. Die Kosten für diesen Theoriezug sind mir einfach zu hoch, es sei denn, irgendjemand könnte tatsächlich ein Modell vorlegen, das plausibel erläutern kann, welche Form die Gesellschaft nach der funktionalen Differenzierung annimmt. Dirk Baecker vertritt in seinen „Studien zur nächsten Gesellschaft“ zwar diese Hypothese, aber sie ist theoretisch nicht eingelöst worden. Vielleicht ist hier eine längeren taz-Rezension von mir informativ: http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=1&ved=0CDkQFjAA&url=http%3A%2F%2Fwww.harrylehmann.net%2Fneu%2Fwp-content%2Fuploads%2F2009%2F05%2FRezension_Baecker_taz.pdf&ei=v5ToUPeZHMPRtAadl4DAAw&usg=AFQjCNFK4f4u-NcDDw__eNhMhZBOalJ0dQ&sig2=LFXdyL7dsoCcMzHwfPM4yw&bvm=bv.1355534169,d.Yms
Ich finde die Diskussion, dass sich mit der digitalen Revolution auch die Gesellschaftsformation verändert, auf jeden Fall notwendig und spannend, sehe aber selbst keine Möglichkeit, auf die funktionale Differenzierung der Gesellschaft zu verzichten, ohne zugleich Luhmanns Gesellschaftstheorie unbrauchbar zu machen. Ohne funktionale Differenzierung keine Funktionssysteme, ohne Funktionssysteme keine Trennung von Code und Programmierung, ohne Trennung von Codierung und Programmierung keine operative Schließung der sozialen Systeme usw. usf. Wenn man an dieser Schraube dreht, fällt wahrscheinlich die ganze Theoriemaschine auseinander. Aber auch ganz praktisch gesprochen, habe ich auch große Vorbehalte, in einer Gesellschaft zu leben, in der zum Beispiel die Medizin ihr Bezugsproblem und damit auch ihren Funktionsgesichtspunkt preisgeben würde.
@neurosophie: „Ein Reflexionssystem könnte sich nun dadaurch auszeichnen, dass es punktuell externe Codes mit Wahrscheinlichkeiten q aufgreift und die eigene Normierung aufweicht. Mathematisch spricht man hier von der Kullback-Leibler-Divergenz d(p,q) oder – etwas anschaulicher von Kreuzentropie. Eine Funktion der Kunst könnte also sein, durch Pro-Vokation Kreuzentropie zu generieren. (Und letztlich die Codierung, also Selbstbeschreibung, zu modifizieren).“
Ich finde die Umformulierung ganz schön, bis auf den eingeklammerten Satz. Warum und vor allem wie sollte sich der Code ändern, es ist doch ein vollkommen abstrakter Gegensatz zwischen einem Positiv- und einem Negativwert. Ich würde sagen, was sich ändert, sind die Programme. Die Form der Codierung von Reflexionssystemen, das re-exit, macht es möglich, dass man im System gegen die Erwartungen des Systems operieren kann, sprich dass man zum Beispiel ein Kunstwerk zur Kunst erklären kann, das bislang unter keinem historischen Programm als Kunst beschreiben wurde – wie ein readymade.
„es sei denn, irgendjemand könnte tatsächlich ein Modell vorlegen, das plausibel erläutern kann, welche Form die Gesellschaft nach der funktionalen Differenzierung annimmt.“
Dieser Einwand ist völlig berechtigt. Niemand kann das erklären. Bei Baecker taucht dies auf als „Netzwerk-Differenzierung“. Aber das theoretiche Problem ist ein anderes. Das theoretische Problem ist, dass man, wenn man behauptet, dass funktionale funktionale Differenzierung durch eine andere abgelöst würde, auch eine Wissenschaft finden müsste, die diesen Prozess beschreiben kann, also eine Wissenschaft, die selbst diesem Ablösungsprozess unterliegt. Es geht dabei um den sozialen Bedingungszirkel: nur eine Wissenschaft, die sich durch Netzwerke differenziert, könnte eine sich durch Netzwerke differenzierende Gesellschaft beschreiben. Dirk Baecker kann das nicht. Für ihn ist „die nächste Gesellschaft“ nichts anderes als ein ganz gewöhnliches Thema zur Reproduktion des ganzen bekannten Programms: Aufsätze schreiben, drucken und verbreiten, Tagungen organisieren, Zeitschrift gründen, Reputation vermehren, Konkurrenz um Stellen betreiben und kritische Diskussion fortsetzen. Mehr nicht. (Fortsetzung esoterischer Exkludierung) Es ist nur ein weiteres Thema für weitere Beiträge gefunden, um das ganze „Übungssystem“ (Peter Sloterdijk) noch einmal zu durchlaufen. Es ist einfach nur business as usual. Und man kann sagen: ein Thema, ideal geeignet zur Reproduktion funktionaler Differenzierungsbedingungen, zumal so etwas gar nicht neu ist. Schon im 19. Jahrhundert wurde bereits, gewiss unter anderen Voraussetzungen, über eine „nächste Gesellschaft“ spekuliert. Es handelt sich dabei also nur um Schlagwort als teaser um das Übungssystem der kritischen Diszplin innerhalb des sozialen Selbstverwirklichungsprogramms tranzendentaler Subjektivität noch einmal zu reizen. Prompt geschieht, was schon immer so geschehnen ist. Das nenne ich: Re-Ontologisierung. Man wechselt die Tapeten, stellt neue Möbel rein und macht einfach weiter. Man fertigt eine neue Selbstbeschreibung an und will glauben machen, dass diese Selbstbeschreibung die ganze Wirklichkeit ist um die es geht.
„sehe aber selbst keine Möglichkeit, auf die funktionale Differenzierung der Gesellschaft zu verzichten“ – das hinge davon ab, ob die Gesellschaft selbst darauf verzichten könnte, und das ist sehr fraglich. Diese funktionale Differenzierung ist eine evolutionäre Errungenschaft, die nicht mehr verschwindet, so wie ja auch die tribale und stratifikatorische Differenzierungsformen nicht verschwunden sind, sie funktionieren noch immer, allerdings als Ruinen, die unter dem Selektionsdruck funktionaler Differenzierung stehen. Das heißt: soziale Differenzierungsformen verschwinden nicht, sondern überlagern sich. Die evolutionären Errrungenschaften bleiben immer erhalten.
Der Punkt, um den es hier geht ist, dass die funktionale Differenzierung nicht mehr mit Ausschließlichkeit geschieht. Sie büsst langsam ihre imperiale Durchsetzungsfähigkeit ein. Daraus folgt nicht, dass man schon wissen könne, wie sich eine neue Differenzierungsform zeigt, sondern nur, dass man wissen kann, dass man es mit etwas Unbekanntem zu tun bekommt. Mehr nicht. Und dem Maße wie Unbekanntes bekannt wird, wird auch eine Wissenschaft bekannt, die das beschreiben kann. Wengistens funktioniert das alles nicht mehr mit Ausschließlichkeit. Und: Unbekanntes wird nicht auf bekannte Weise bekannt. Unbekanntes wird auf unbekannte Weise bekannt. Und das geschieht nicht auf dem Weg der Rechtfertigung (wie Dirk Baecker und alle anderen betreiben), sondern auf dem Weg der Provokation, von welcher niemand weiß, wohin das führen wird.
Darum ist auch die Frage, was Kunst ist, was ihre Funktion, ihre Aufgabe oder was immer nur dann interessant, wenn man diesen Ablösprozess ignorieren will. Kann man machen, muss man aber nicht.
„Man wechselt die Tapeten, stellt neue Möbel rein und macht einfach weiter.“
„Das heißt: soziale Differenzierungsformen verschwinden nicht, sondern überlagern sich. Die evolutionären Errrungenschaften bleiben immer erhalten.“
Ist dieses Tapete wechseln und Sich-Überlagen von evolutionären Errungenschaften nicht ein und derselbe Prozeß?
Die Evolution klebt immer eine Tapete über die alte drüber. Die alte bleibt erhalten.
„Ist dieses Tapete wechseln und Sich-Überlagen von evolutionären Errungenschaften nicht ein und derselbe Prozeß?“ Unbekanntes wird auf unbekannte Weise bekannt.
@Kusanowsky: Wenn ich Sie richtig verstehe, behaupten Sie, dass die Digitalisierung eine Art globalen Paradigmawechsel bewirke, für dessen korrekte Beschreibung es aber noch zu früh sei. Nun, da sind Sie von Lehmann ja gar nicht so weit entfernt! Allerdings designt Lehmann seine Theorie so, dass er vom Beschreibbaren (funktional ausdifferenzierte Gesellschaft / Luhmanns Systemtheorie) zum „Unbeschreiblichen“ (Kunst) ausgreift – dadurch wird seine Theorie anschlussfähig (für mich jedenfalls). Bei Ihren Gedanken, deren tentative Stoßrichtung ich ja begrüße (nicht, dass da wieder Missverständnisse aufkommen!), fehlt mir aber exakt diese Qualität (was, wie oben angedeutet, aber auch auf meine mangelhafte sozialkybernetische Fachqualifikation zurückzuführen sein mag, will sagen: Ich verstehe Sie einfach nicht. Andererseits: „Alles was sich sagen lässt, lässt sich klar und deutlich sagen.“).
Ist es nicht ein performativer Selbstwiderspruch, einerseits einzugestehen, dass „niemand“ erklären kann, welche Form die Gesellschaft *nach* der funktionalen Differenzierung annimmt – und im selben Atemzug exakt dieser „Niemand“ sein zu wollen?
Sorry, wenn das in Ihren Ohren jetzt wieder als Attacke „ad hominem“ klingen mag – ich versuche in Theorie-Debatten halt immer, auch die Person des Theoretisierenden mitzudenken (was – leider – in Theoretikerkreisen unüblich ist, ich weiß. Ich könnte deswegen auch verstehen, wenn Sie keinen Bock haben, weiter mit mir zu diskutieren. Aber vielleicht wäre das ja schade?).
Beste Grüße sendet
Stefan Hetzel
P.S.: Bin übrigens Künstler [Komponist], nicht Wissenschafter – es besteht also keinerlei Notwendigkeit, mich ernst zu nehmen – vorausgesetzt Sie möchten Ihr Paradigma wechseln 😉
„Ist es nicht ein performativer Selbstwiderspruch …“ Ja. Ich bin ein Niemand. Bist du ein Jemand?
„es besteht also keinerlei Notwendigkeit, mich ernst zu nehmen“ sehr vernünftig und ein sehr ernst gemeinter Vorschlag, nicht wahr? Ich erarbeite eine kommunikative Disziplin der nicht-überzeugten Verständigung um den Versuch anzufangen, ob es gelingen kann, Beobachtung zu provozieren, statt ihre Gültigkeit zu rechtfertigen. Diese Disziplin nenne ich: Paranoik, die Kritik einschließt und durch Einschluss ausschließt. Nicht überzeugt heißt, dass es mir nicht darauf ankommt, von etwas überzeugt zu sein und auch nicht, jemanden von irgendetwas zu überzeugen, weil nämlich die Stelle, an der sich Überzeugung ereignet, immer schon durch den nicht zu vermeidenden blinden Fleck, der durch alle Beobachtung entsteht, besetzt ist.
Bei Interesse könnte man mit diesen Artikel anfangen Paranoik: Kommunikation von Anonymität
Wow ! Kaum schaut man hier bei Dir – Klaus @Kusanowsky – einmal ein paar Tage nicht rein, (weil mich die alte vertraute Depressionshexe wieder einmal in ihren geilen Klauen festhielt, was nun mal auch ohne gleich zu verzweifeln zumindest stets mit starken Selbstzweifeln verbunden ist, die nicht gerade das klare Denken ermutigen), da ist hier ja gewaltig etwas los: nicht nur dass sich hier zu meiner freudigen Überraschung der Autor, von dem diesmal als Diskussionsgegenstand alles ausging, persönlich eingefunden hat (lieber Harry Lehmann: willkommen in 2013), sondern 1) man hat Dir kräftig zugesetzt, (was Dich freut, wie ich Dich kenne), sondern auch 2) es sind doch auch sehr schöne Argumente beigebracht worden. Da ich Harry Lehmanns grundlegendes Buch „Die flüchtige Wahrheit der Kunst“ vom Augenblick seines Erscheinens nicht nur ins Herz geschlossen sondern auch aktiv begleitet habe, (Siehe meine damalige Rezension bei AMAZON), andererseits @Kusanowskys Denkweise und seine Argumentationsstränge ziemlich gut kenne, möchte ich jetzt hier nichts weiter beitragen. Zumal @Stefan_Hetzel offensichtlich erkannt hat, dass zum Streiten gar kein Anlass besteht, gerade für einen aktiven Künstler nicht, weil gerade Luhmannianer, die man auf den ersten schnellen Blick für Dogmatiker halten könnte, weil sie – wenn sie es für angebracht halten – eben durchaus spielerisch über eine quasi formalisierte Sprache verfügen, die aber – Blinder Fleck hin oder her – keineswegs große Flexibilität im positiven Anschlussverhalten ausschliesst, weil gerade solche Luhmannianer sich gewiss leicht in einen Künstlerseele hineinversetzen können.
Ich breche hier erst einmal ab, weil ich ein persönliches Anliegen habe: Ich stutze nämlich auf den obigen Hinweis von @Violala, wo es heisst: „Vgl. dazu: Rudi K. Sander: Redesequenzen. Untersuchungen zur Grammatik von Diskursen und Texten. Paderborn 2002, S. 146 f.“
@Violala gestatten Sie mir, bitte, die Frage, was das für ein „Rudi K. Sander“ ist? Ich heisse Rudi Sander und habe das „K.“ aus meinem zweiten Vornamen (Karl) nur eingefügt, um mich von einem Schachmeister gleichen namens abzuheben, der hier bei mir an meinem Ort (Bad Schwalbach) wohnte, und mit dem ich sehr oft verwechselt wurde, wenn man mir – unverdientermaßen – wieder einmal zu einem neuen Schachsieg gratulieren wollte. Nun muss ich sehen, dass mir auch das inzwischen bekannte und bewährte „Rudi K. Sander“ das Schicksal, verwechselt zu werden, offensichtlich nicht mehr erspart. Für einen aufklärenden Hinweis auf den von Ihnen zitierten „Rudi K. Sander“ wäre ich ihnen sehr dankbar.
Rudi K. Sander alias dieterbohrer aka @rudolfanders (ich bin also NICHT der von Ihnen zitierte Autor).
„ich bin also NICHT der von Ihnen zitierte Autor“
Lieber Rudi, für diese Dummheit musst du heute ohne Fernsehen ins Bett. Eine solche Formulierung ist für jeden, der sich mit Trollkommunikation befasst, höchst verdächtig. Wer hat denn diesen, diesen oder diesen Kommentar geschrieben? Da ist noch niemand mehr, der dir verlässliche Auskünfte gibt. Und ausgerechnet deine Beteuerung soll verlässlich sein? Meine Güte! Versuch es doch mal hiermit: https://www.google.de/
Zuletzt kam von Stefan Hetzel diese Mitteilung: „es besteht also keinerlei Notwendigkeit, mich ernst zu nehmen“, was sehr vernünftig ist, weil damit sofort zu verstehen gegeben wird, dass es keinen Zweck hat irgendetwas zu kritisieren, anzuklagen, zu verteidigen, zu korrigieren, zu appellieren oder sonst irgendwas. Wer ernst genommen werden will, muss die Vermeidungsdisziplin der Kritik durchhalten. Aber dafür werden Vermeidungsstrukturen gebraucht, die hier nicht gewährleitet sind.
Die Trollerei entsteht durch die Phantomatik (Stanislaw Lem) des Internets. Theoretisch bedeutet dass, das die operative Integrität der Kommunikation nicht mehr gewährleistet ist. Die Zuordnung von Information und Mitteilung wird durch das Internet noch mal schwieriger, die Unwarscheinlichkeit des Gelingens wird noch mal potenziert. Das ist der Grund für diese Trollerei, nicht, weil es Leute gibt, die irgendetwas abseitiges wollen, sondern: die Kommunikation entfaltet sich phantomatisch, oder: phantautomatisch. Die Internetkommunikation funktioniert abseitig und vielleicht auch die Phantome, die sie beobachtbar macht. Aber auch die Menschen? Wer will das denn noch wissen?
@Walter Mengel: „Das so entstehende selbstreflexive Neue braucht dazu auch die Kunst nicht, hier fällt Herr Lehmann etwas auf die gängigen Kunstnarrative der Moderne herein, jedes Funktionssystem kann das.“
Nun ja, das ist aber sehr pauschalistisch argumentiert. Ich spreche selbst nie von „dem Neuen“ (das ist die Perspektive, die Klaus Kusanowsky in seinem Blog-Kommentar eröffnet). Mir geht es im Vortrag ausschließlich darum, wie das Neue in der Modernen Kunst zu denken ist. Und neue wissenschaftliche Theorie bzw. ein neuer experimenteller Befunde haben im Unterschied zu einem neuen Kunstwerk, das im 20. Jahrhundert Kunstgeschichte geschrieben hat, einen vollkommen anderen Charakter. Und entsprechend sind auch die Verfahren, mit den Funktionssysteme neue Ereignisse generieren können, ganz andere als in Reflexionssystemen. Insofern finde ich es zu unspezifisch, sprich Differenzen ausblendend, hier einfach von „dem selbstreflexiven Neuen“ zu sprechen.
Der Vortrag enthält einige Prämissen, die m.E. schlicht falsch sind:
– Der Code des Kunstsystems ist nach Luhmann mitnichten passend/nicht-passend. Luhmann beschreibt lediglich die dynamische Umsetzung von Formbildung anhand einer Abfolge von Unterscheidungen – für den Schaffenden wie den Beobachter. Der Code bleibt dabei unklar, wichtig ist, dass Kunst so operationalisierbar wird.
– Es wird impliziert, dass durch diese Auffassung Luhmanns Phänomene wie Avangarde oder Anti-Kunst nicht erfasst werden können. Das stimmt nicht, Luhmann befasst sich in ganzen Absätzen mit diesen Ansätzen, die vor allem dazu führen, dass sich Kunst als beständig krisenhaft beschreibt. Es ist aber klar, dass eine paradoxe Operation, z.B. zu behaupten, ein Kunstwerk sei keine Kunst, ohne weiteres vom Beobachter als kunst integriert wird (ein bisschen ähnlich dem Schema, dass Unsinn eben auch Sinn ergibt.)
– Es wird unterschlagen, dass Luhmann natürlich aufzeigt, dass sich Kunst als System erster Ordnung (also das Kunstwerk und seine Rezeption) aber eben auch als Beobachtungssystem zweiter Ordnung manifestiert – wie alle anderen Subsysteme auch. Da braucht es keine neue Systemart wie ein „Reflexionssystem“.
– Maßstab „avancierte kunst“: Dies ist vom Schöpfenden gedacht, nicht von der Empfängerseite, wie es bei der Systemtheorie aus guten Gründen üblich ist. Dahinter steckt intentionales Denken: Nur Avantgarde-Kunst ist richtige Kunst und daher der Maßstab. Das ist aber willkürlich , die Avantgarde entscheidet nicht, was Kunst ist, man kann auch einfach sagen, die Avangarde langweilt mit ihrem ewigen in-Frage-stellen und ihrer immer gleichen Paradoxie, sich selbst in Frage zu stellen oder „neu zu erfinden“ (!). Was Kunst ist, wird im System entschieden, nicht durch die Intentionen des Künstlers, sondern nur durch Kommunikation.
– „Geräuschvolle strukturelle Kopplung“ ich frage mich, ob man in diesem Sinne auch von einer sehr geräuschvollen Kopplung im Wirtschaftssystem sprechen kann, weil die Banker so gierig sind…mit anderen Worten, ein misslungener Versuch, das Individuum (den Künstler) stärker ins System zu integrieren. Ein falscher Ansatz wegen der oben angesprochenen Intentionalität. Der Künstler ist und bleibt Umwelt für das Kunstsystem, da gibt es keine Abstufungen.
– „Die Kunst überschreitet immer mal ihre Systemgrenzen“ Damit haben wir mal eben die Definition von Autopoieses ausgehebelt. Darauf würde ich nicht setzen.
– „re-exit“ Zunächst frage ich mich, wo das „re“ herkommt? Was schon außerhalb ist, geht noch mal raus? Ich wiederhole, von der Empfängerseite ist das leicht integrierbar, was der Avantgarde-Zauberer als tollem Trick vorschwebt. Sollte einem Künstler religionsähnliches widerfahren, so ist das für ihn sicher einmalig und bezugslos – aber es ist eben nicht kommunizierbar. Wenn dann daraus Kunst wird, ist es sehr fraglich, ob das jemand als bezugslos „neu“ erkennt. Es ist dann eben nur eine weitere „dieser Erfahrungen“. Für das „Neue“ bleibt uns nach wie vor nur der Zufall, egal, wie sehr ein Künstler das Neue sonstwie herbeisehnt.
– Nach meiner Erinnerung liegt die Funktion der Kunst nach Luhmann darin, zu zeigen, wie Realität auch sein könnte, aber innerhalb der Realität. Es mag sein, dass Luhmann mehrer Funktionen genannt hat, aber diese unterscheidet sich gar nicht so sehr von der „Lehmann-Provokation“. Aber dann ist es eben auch kunst, wenn man Bach mal wieder zum 1000sten neu einspielt, genauso, wie wenn uns die Avantgarde zum tausendsten Mal weißmachen will, dass es total neu ist, sich selbst in frage zu stellen…
@robinato: In der „Kunst der Gesellschaft“ beschreibt Luhmann zunächst, wie schwierig es ist, den Code der Kunst zu bestimmen, insbesondere da man ihn nicht als „schön/häßlich“ bestimmen kann. Anschließend kommt folgende Passage: „Geht man von den Operationen des Systems aus, kann man zumindest beschreiben, wie ein Code entsteht und benutzt wird, wie er funktioniert. Jede Operation, sei es ein Beobachten des Künstlers, sei es ein Beobachten des Betrachters, muss ja mit Bezug auf eine bestimmte Form entscheiden, ob sie passt oder nicht passt; ob sie sich in das entstehende Werk (bzw. in das Werk, das man zu betrachten beginnt) anschlussfähig einfügt oder nicht.“ (KdG, S. 315)
Aus: Zur Diskussion gestellt: Niklas Luhmann, „Die Kunst der Gesellschaft“ Wie der Unterschied zwischen Ornament und Figur in die Welt kam
Michael Hutter
http://www.uni-bielefeld.de/sozsys/deutsch/leseproben/kunst.htm
Zweifel am Code schön versus häßlich
Luhmann selbst hatte auf der Grundlage dieser Funktionsbestimmung Zweifel angemeldet, ob der Kunst die Ausdifferenzierung bekommen sei. Allein ihr Code sorge noch für eine gewisse Stabilität: „Was funktioniert, ist schon lange nur noch der operative Code, die Differenz von Annahme und Ablehnung als schön bzw, nicht schön.“ 1989 gehen Luhmann und Fuchs noch weiter:
„Man wird nun kaum in unüberwindliche Belegschwierigkeiten kommen, wenn man zeigen will, daß Funktion, Code und Programm des Literatursystems im 19. Jahrhundert gefährdet, zerrüttet, aus sicher gewähnten Verankerungen gerissen erscheinen.
http://www.litde.com/literaturwissenschaft-und-systemtheorie/kunst-als-system/zweifel-am-code-schn-versus-hlich.php
Zustimmung!
Luhmann hat den Code schön/hässlich selbst aufgegeben, ihn aber nicht adäquat ersetzen können. Für ihn rückt die Operationalisierung von Formgebung in den Vordergrund. Passend/unpassend ist aber nicht der Code selbst (zumindest nicht der symbolisch generalisierte), sondern nur Ausdruck, dass sowohl Künstler als auch Beobachter eignen/modifizierten/allgemeinen ästhetischen Programmen folgen.
Folgt die Frage, ob auch die paradoxen Interventionen der Avantgarde in ihren Operationen noch so beschrieben werden kann; meine These: ja, denn vom Beobachter aus ist immer noch leicht zu erkennen, dass es sich um Kunst handelt, wenn der Künstler seine eigene Kunst verneint.
Zweite Frage: Gibt es einen Grund anzunehmen, dass das avangardistische Motiv des IN-Frage-Stellens der Kunst das Leitmotiv der Kunst an sich ist? Meine These: Nein. Denn das Thema ist sehr schnell erschöpft, auch wenn es da interessante Variationen gibt: versteckte Denkmale – Musik, die nur aus Pausen besteht – Strukturen, die nur im Schaffensprozess eine Rolle spielen, aber nicht wahrgenommen werden können usw.
Ich würde sagen, das sind einfach auch nur gelungene oder nicht gelungene Kunstwerke; auch eine Paradoxie muss originell, elegant, tiefgründig, am Ende eben: ästhetisch gelungen sein. Kaum jemand betreitet heute noch, dass gerade die Avantgarde in ihrer Redundanz ziemich altbacken wirken kann.
„Für ihn rückt die Operationalisierung von Formgebung in den Vordergrund.“
Siehe dazu:
Das Ausweichen der Kunst.
Wann, wo und wie gelingt Kunst oder kann Kunst gelingen? Diese Fragen stellen sich nicht nur bei ihrer Herstellung oder Beurteilung, sondern auch bei Kunst-Beobachtung durch Theorie – und wir schlagen für eine erste Näherung (und möglicherweise wenig überraschend) vor, hierbei an Systemtheorie zu denken. Dies bedeutet: Mit Kunst wird eine Form der Kommunikation beobachtet, „die es erlaubt, auf mehr oder minder elaborierte Art und Weise zu inszenieren, dass man wahrnimmt, was man wahrnimmt und wie man wahrnimmt.“2 Gerade weil eine Mitteilung (und es ist dabei zunächst unerheblich, ob es sich um ein Gedicht, eine Sonate, eine Statue, ein Theaterstück, eine Choreographie, ein Gemälde oder ein handelsübliches Urinal handelt) als Kunst verstanden wird oder im Medium der Kunst beobachtet wird, ist Kunst immer schon ausweichend: Sie widerstrebt ihrer eindeutigen Festlegung. Das galt nicht immer und eine solche Lesart ist keineswegs voraussetzungsfrei – wir werden später auf diesen Punkt zurückkommen.
Trotzdem und gerade deswegen können sich Betrachter ruhigen Gewissens auf das Angebot der Kunst einlassen: Es handelt sich um ein Angebot von Beobachtungsbeobachtung in Form von Kunstwerken, um eine „Emanzipation der Kontingenz“, wie Niklas Luhmann im Rückgriff auf David Roberts schreibt3 – also um eine (Re-)Aktivierung ausgeschlossener Möglichkeiten des Unterscheidens4, die Schaffung eines diskursiven Raums alternativer Potentiale. Notfalls geschieht das in eigens zu diesem Zwecke ausgewiesenen Schutzzonen (also Kunstmuseen, Konzerthallen, Theatern).
http://sebastian-ploenges.com/blog/2011/neue-kunst-fuer-neue-gesellschaft/
Zum besseren Verständnis der Differenz von Funktionssystemen und „Reflexionssystemen“, dem Code der Kunst, sowie meines Vorschlages, dass das Kunstsystem sein Abschlussproblem nicht mit einem re-entry, sondern mit einem „re-exit“ auflöst, habe ich die entsprechenden Seiten aus dem Buch „Die flüchtige Wahrheit der Kunst. Ästhetik nach Luhmann“ als Leseprobe auf meiner Homepage bereitgestellt.
Oder hier direkt zum Download:
Klicke, um auf Harry-Lehmann_Die-flu%CC%88chtige-Wahrheit-der-Kunst_135-188.pdf zuzugreifen
@Harry Lehmann
Es ist ein theoretisch sehr anspruchsvolles Anliegen, wenn man versucht die Frage zu beantworten, wie Neues möglich ist. Eine weiterführende Frage ist aber, wie, mit welchem Beobachtungsschema beschreibt man etwas, das noch nicht beschrieben wurde? Wie beschreibt man etwas Neues, wenn es entstanden ist?
Muss das Beobachtungsschema nicht selbst ebenso neu sein? Wenn man antworten will, dass es sich von selbst zeigt, man also nur abwarten müsse, so wird die Frage nur mit Unbeanwortbarkeit beantwortet, indem eine Zeitdifferenz das Problem angeblich von selbst löst.
Das heißt streng genommen aber auch, dass es immer schon gelöst ist und damit ist die Frage genauso obsolet wie die Antwort. Man könnte auch sagen: Inidfferenz und Nichtwissen sorgen effektiv dafür, einer selbst gewählten und gemachten Problemsituation aus dem Wege zu gehen.
Eine andere Überlegung könnte sein, dass man die Lösung des Problems in derjenigen aktuellen Kommunikation sucht, die versucht, sich über Neues zu irritieren und zu schauen, ob diese Kommunikation etwas Neues zulässig macht.
Bei der Kommunikation über Dirk Baeckers Thesen einer „nächste Gesellschaft“ ist aber interessanterweise wenig Neues festzustellen. Es werden Thesen in Aufsätzen und Büchern verbreitet, die aus bereits verbreiteten Theorien abgeleitet sind, die Verbreitung zieht eine kritische Diskussion nach sich, die weiteren Gesprächsbedarf erzeugt, der in Tagungen zur Verhandlung gebracht wird. Außerdem werden Zeitschriften gegründet; es wird Themen-Propaganda betrieben, es werden Kapitalien akquiriert, Kapazitäten erweitert um weitere Reputationsgewinne zu zählen; es wird ein Lehrprogramm konzipiert und es werden Prüfungen nach bekannten Beurteilungsschemata durch geführt. Gewiss: das Thema „Nächste Gesellschaft“ ist neu, aber nicht die Funkion derjenigen sozialen Strukturen, die solche Themen hevorbringen. Und selbst hinsichtlich der Frage, ob das Thema neu ist, kann man skeptisch sein, da schon vor über hundert Jahren etwas Vergleichbares problematisiert wurde, wenn auch nicht unter den gleichen Bedingungen, aber auch nicht unter gänzlich anderen.
So komme ich zum dem Ergebnis, dass die Kommunikaiton über eine „Nächste Gesellschaft“ möglich, aber diese nichts Neues ist ist, jedenfalls eine nächste Gesellschaft nicht verstehen lernen kann, weil dieser Diskurs die alten und bekannten Funktionsbedingungen sakrosankt setzen muss, um die Strukturen nach bekannten Erfahrungsmustern zu reproduzieren. Das Übungssystem Wissenschaft wird so nur noch einmal durchlaufen. Sollte sich aber dennoch etwas Neues zeigen, so kann es auf diese Weise, unter Berücksichtigung dieser Bedingungen nicht beschrieben werden.
Neu daran könnte vielleicht nur sein, dass dieser wiederholte Durchlauf eines bekannten und hinlänglich eingeübten Übungssystems den Eindruck der Trivialität erbringt. Und vielleicht ist es gerade diese Trivialität, die irgendwie die Voraussetzung dafür ist, dass die Beobachtung von Seltsamkeiten aufdringlicher wird als die Beobachtung von Normalitäten.
Lieber Herr Kusanowsky, mir erscheint, Sie erwarten monströse Erkenntnisse. Nur die sind zugleich neu und selbstverständlich. Man erhält sie nach scholastischem Rezept (http://de.wikipedia.org/wiki/Wundervölker), indem man das Perfekte und das Korrupte zusammenführt. Beispiele aus der schönen neuen Welt des Web 2.0 wäre die Phänomene wikileaks oder der jüngste Auftritt von Sascha Lobo auf dem Kongress re:publica (http://www.youtube.com/watch?v=Raas1BhSIbs). Mit besten Grüßen
Oh, weder Wikileaks noch so ein Großkotz wie Sascha Lobo sind wirklich neu. Für diese Herrschaften gilt etwas Vergleichbares. Sie reden von Neuheiten, von Veränderung, aber wollen sich nicht ändern. Diese Leute machen etwas ganz konventionelles: Forderungen gegen andere stellen.
Eine Möglichkeit, Neues zu beobachten, könnte sich aus einem Widerstan dagegen oder aus einer Immunreaktion ableiten. Die raffinierteste Immunreaktion ist besonders eine „Ja, aber“-Reaktion: ja, Neues gibts, Neues ist nicht aufzuhalten, ist zu bemerken, man muss sich darum auch kümmern, aber alles nur unter der Voraussetzung, dass alles so bleibt wie ist.
Medienkatastrophen haben immer auch als Begleitphänomen, dass etablierte Routinen aufgrund ihrer besonderen Härte dazu neigen, die Inkompetenz derer vorzuführen, die an diesen Routinen festhalten müssen. Die Beobachtung der Inkompetenz steigert sich mit vermehrten Bemühungen der Rechtfertigung von Kompetenzen, gefolgt vom nächsten Schritt der Entkoppelung.
Wie auch immer: Sie Herr Baecker können etwas Neues nicht beobachtbar machen, weil Sie viele Vorschriften einzuhalten haben, Vorbehalte zu bedenken und Rücksichtnahmen behalten müssen. Sie können Neues thematisieren, aber das ist noch nichts Neues. Das passierte in den letzten 200 Jahren ständig. Was Ihnen natürlich gut gelingt ist, dass die Gespräche nicht langweilig werden.
@kusanowsky
Ich versteh dich nicht. Der Sinn für das Skurrile ist besonders an einer Universität sehr gut zu trainieren. Du hast selbst mal geschrieben, dass die Universität ein kafkaeskes Gefängnis ist. Wohl war. Die Universität ist eine Wunderkammer
http://de.wikipedia.org/wiki/Wunderkammer
Also ist alles in bester Ordnung. Gruß Dorotyna
Jeder redet hier über seine Version des „Neuen“, kaum einer geht auf den Ursprungsvortrag ein – nicht neu, diese Aneinandervorbeireden…
Man muss die Sache ja auch mal so sehen: Warum kann Baecker mit dieser next society Sache überhaupt ankommen? Der Grund ist, dass es in der Wissenschaft keine kontroverse Kritik mehr gibt, schon gar nicht vom Nachwuchs.
Es gibt ein Überangebot an Leuten, die in der Wissenschaft Karriere machen wollen. Da ist schon der leichteste Anflug von kritischer Kontroverse ein Malus. Wer Ablehnung äußert wird sofort aussortiert, weil viele andere schon in der Schlange stehen. Früher gabs das auch in der Arbeitswelt. Das Heer der Arbeitslosen fungierte als Streikbrecher. So ähnlich ist das auch in der Wissenschaft.
@Kusanovsky
Sie treffen den Falschen. Ich kenne keinen Satz von D.B., wo ich „Rücksichtnahmen“ hineinlesen könnte.
„Sie treffen den Falschen“
@Harry Lehmann
Den Unterschied von richtig und falsch hab ich noch nie richtig verstanden und scheint mir, insbesondere was Wissenschaft angeht, nur von bürokratischem Belang zu sein. Ich hatte geschrieben: “ … weil Sie viele Vorschriften einzuhalten haben, Vorbehalte zu bedenken und Rücksichtnahmen behalten müssen.“ Dies gilt nicht nur für Herrn Baecker, sonden für alle anderen auch, die sich organisationalen Regelwerken fügen wollen. Die Rücksichtnahmen beziehen sich vor allen Dingen auf Wertschätzungen, bzw. darauf, Geringschätzung nur unter intransparenten Bedingungen kommunikabel zu halten. Wissenschaft ist eine hoch moralische Angelegenheit und kann als solche nur geleugnet werden, wenn Bedingungen sicher gestellt sind, durch die Wertschätzungen gegeseitig immer schon versichert sind. Dadurch werden entsprechende Vermeidungsstrukturen gerade aufgrund ihrer Intransparenz nahe unbeweglich und können ein echtes Handicap darstellen.
Richtig und falsch gibt es in Fragen der Moral nicht, sondern nur: erwischt werden oder nicht. Und es kommt hinzu, dass sich Rücksichtnahmen auch doppeltdeutig behandeln lassen. Dieses diabolische Spiel ist die beste Voraussetzung dafür, dass sich unhaltbare Zumutungen in die Erwartung von Veränderung transformieren.
Sehr verehrter Herr Kusnowsky,
ich versäumte, den Gedanken bei unserem letzten Treffen weiter auszuführen, denke aber, dass ich hier selbst vortrefflich daran anschließen könnte. http://9GAG.com dürfte (ohne es selbst wissentlich darauf anzulegen) als reichhaltige Quelle an Studienmaterial zum hier angeführten Thema dienen können. Doch auch darüber hinaus stelle ich immer wieder fest, wie wunderbar beobachtbar viele der von Ihnen geschilderten neuzeitlichen Phänomene dort werden; eine digitale Drosophila. Ich gebe aber zu, dass dieses dort geförderte Verständnis, Verständnis fordert.
Hochachtungsvoll
Ihr BenZol
von @akruska bei Twitter am 16. August 2015
These: die »Welt« wird sich immer dann gerade nicht »verändern«, wenn man davon zuvor auch nur irgendetwas gemerkt oder geahnt hat.
Denn wenn etwas wirklich »weltverändernd« ist, dann können wir es uns im Vorfeld in seiner wesentlichen Wirkung doch nicht vorstellen.
Andernfalls hat es unsere Welt nicht verändert, sondern erweitert und dann läuft um Grunde alles wie bisher weiter.
Mit weltverändernden Umwälzungen lässt sich nicht argumentieren (pro/con), weil man ihren wesentlichen Charakter nicht antizipieren kann.
Konnte man das, war’s keine weltverändernde Umwälzung.
Die Christen brauchten deshalb argumentativ die »Offenbarung«: das Wissen um etwas, das man selbst eigentlich nicht wissen konnte.
Etwas wirklich Neues kann ich nur durch übernatürliche Offenbarung wissen, alles was ich selbst wissen kann, wird nicht völlig neu sein.
Die Entdeckung geschichtlicher Bewegungsgesetze ist deshalb nicht viel glaubwürdiger als das Gesagte brennender Dornenbüsche