Paranoik: Kommunikation von Anonymität #systemtheorie #internet
von Kusanowsky
Der Beobachter der Moderne schreibt:
Dein Konzept der Kommunikation unter Unbekannten kann man dann auch so verstehen, dass aus der Trias Information/Mitteilung/Verstehen die Mitteilung rausgekürzt wird. Also nicht mehr zwischen Information und Mitteilung unterschieden wird. … Kommunikation unter Unbekannten klingt dann wie die theoretische Begründung dessen was ich im Text als selbstlose Kommunikationsweise bezeichnet habe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das damit gemeint ist.
Was ist in diesem Zusammenhang mit unbekannt gemeint? Je länger die Kommunikation zwischen Unbekannten läuft, desto weniger unbekannt werden sich die Kommunikationspartner.
Das stimmt, und alle anschließenden Überlegungen stimmen auch, insbesondere das: „Dein Konzept der Kommunikation unter Unbekannten kann man dann auch so verstehen, dass aus der Trias Information/Mitteilung/Verstehen die Mitteilung rausgekürzt wird.“
Genau. Zunächst: Woraus resultiert deine Frage? Deine Frage resultiert aus einem Dispositiv, das du den uns bekannten Massenmedien entnimmst und auf das Internet anwendest, weshalb dir das Internet als Massenmedium erscheint. Als solches kann man es natürlich betrachten. Ein nicht ganz passender Vergleich: natürlich hätte man den Buchdruck auch nur dazu nutzen können, Einzelbücher als Schriftmonumente zu drucken. Übrigens, ganz nebenbei: es wird überliefert, dass eines der wichtigsten Motive von Johannes Gutenberg gewesen sei, dass die Handschriften von immer schlechterer Qualität wurden, man sie gar nicht mehr lesen konnte, weil die Mönche das „Schönschreiben“ verlernt hätten. Ich weiß nicht ob das stimmt, aber es würde ins Bild passen. Man kann sich das so erklären, dass spätestens die Renaissance zeigte, dass diese alte Gelehrsamkeit nicht mehr verstanden wurde, was sich auch auf die Kunstfertigkeit des Abschreibens ausgewirkt haben mag. Aber das beiseite.
Tatsächlich könnte man das Internet als Massenmedium sehen. Ich würde es als ein Massenmedium für Massenmedien ansehen. Dann aber gestaltet sich die Betrachtung ganz anders. Bekannte Massenmedien verbreiten Dokumente, die dann als solche erscheinen, wenn sie auf ein Dispositiv treffen, das wiederum nur durch Dokumente verstehbar wird. Dieses Dispositiv ergibt sich aus Kritik, die wiederum durch die Dokumentform beobachtbar wird. Die Dokumentform ist die Art und Weise, wie die moderne Gesellschaft Fremdreferenz organisierbar machte.
Mit dem Internet gelingt nun nicht nur die Hybridisierung aller Dokumente, sondern auch ihre Dauerfluktuation und Mobilisierung. Jetzt ist Internet für jeden einzelnen weder ein- noch ausschaltbar. Man könnte zwar seine eigene Anschlussfindungsstelle abschalten, aber nicht die aller anderen. Beispiel: man kann niemanden daran hindern, in der U-Bahn Videoaufnahmen zu machen, die sofort live gestreamt und weltweit verbreitet werden und welche dann wieder an jeder einzelnen Anschlussfindungsendungstelle überall angesehen werden können. Du kannst niemanden daran hindern dich zu filmen, ja vielleicht hast du nicht einmal die Möglichkeit überhaupt zu bemerken, dass du gefilmt wirst, weil die Geräte so klein sind, dass sie nicht mehr auffallen. (Und übrigens: diese Möglichkeit hat jeder, was dazu führt, dass ein Big Brother gar nicht möglich ist.)
Wichtig ist, dass jetzt nicht nur digitale Dokumente verbreitet werden, sondern jetzt ergibt sich eine Unverfügbarkeit dieser Dokumente (Beispiel: Google-Street-View). Das nenne ich die Zerstörung der Dokumentform.
Denn: durch Dokumente (die spezielle Form war bereits bei Karl Marx theoretisch geliefert: Waren) illuminierte sich die moderne Gesellschaft die Verfügung der sozialen Welt durch Menschen, bzw. den Glauben daran, Menschen könnten kommunizieren. Mit der Unverfügbarkeit der Dokumente entsteht nun aber die Art und Weise wie eine Paranoik beobachtet wird, nämlich durch Performate. Fremdreferenz wird nun durch Performate organisiert, wobei gilt: die Form der Unterscheidung schließt Manipulation (abstrakter: Arbitrarität) weder ein noch aus. Und das erfordert paranoisches Beobachten.
Wer sich mit Kritik aufhalten will, kommt nicht mehr mit, bzw. Kritik verbleibt als etwas, das in einer Paranoik eingeschlossen und als Eingeschlossenes ausgeschlossen wird. Paranoik erwirkt einen Überschuss an Kontrolle und dieser Überschuss macht die Welt als reine Serendipität beobachtbar. Das ist gemeint mit: Kommunikation zwischen Unbekannten über Unbekanntes, nämlich: Wegfall der transzendental-empirischen Gründe für Erkennen, Wissen. Oder auch: Indifferenz von Ratlosigkeit und Überraschung.
Daher ganz richtig dein Hinweis, dass aus der Trias Information/Mitteilung/Verstehen die Mitteilung rausgekürzt wird, besser: der Unterschied von Information und Mitteilung wird heraus gekürzt.
Natürlich können und werden sich Menschen kennen lernen und Bekanntheit herstellen. Entscheidend ist das aber nicht mehr, kann als Ausnahme auch möglich sein. Die Frage wäre nur: warum eigentlich, wenn Unbekanntheit größere Verstehenschancen und schnellere Problemlösungen liefert. Daher ja mein Insistieren darauf, auch Quatsch und Blödsinn (im transzendentaltheoretischen Sinne) zu versuchen. Wer weiß, wer damit etwas Kluges anfangen kann. Die Kombinationswege sind komplett intransparent.
Diese Trollkommunikation ist die erste Hürde. Jedenfalls macht sie darauf aufmerksam, was in der Gesellschaft geschieht: Massenweise kontaktieren fremde Menschen fremde Menschen, grundlos und ohne, dass eine Organisationsstruktur vorhanden wäre. Daher kommt diese Trollerei. Man kann nichts und niemanden exkludieren.
Diese Trollerei ist ein Lernschritt, der vollzogen werden muss, um diese neue Situation zu verstehen. Internetkommunikation unter Vorbehalte zu stellen ist albern, weil alle Vorbehalte entweder via Internet verbreitet werden, dann machen sie nur auf einen performativen Selbstwiderspruch aufmerksam, oder die Internetkommunikation unterbleibt. Dann sind die Vorbehalte auch egal.
Jedenfalls: Internetkommunikation kann man nicht wählen, nicht abwählen. Das Ausschalten deines Gerätes ist nicht mehr die Beendigung der Kommunikation für dich.
Jetzt wird eine Welt empirisch, die nicht mehr als von Menschen gemacht erscheint.
Siehe dazu auch den Artikel: Von unbekannt zu unbekannt
Dass man das Internet nicht nur als ein Massenmedium betrachten sollte, sehe ich genauso. In der Internettechnologie konvergieren die Möglichkeiten für interpersonale Kommunikation und Massenkommunikation. Trollen wird möglich, weil sich die massenmediale Kommunikation durch Implementierung von Kommentarfunktionen wieder mehr der interpersonalen Kommunikation angenähert hat. Das Internet ermöglicht also nicht nur massenmediale Kommunikation. Trollen würde ich aber trotzdem zunächst als ein Phänomen der Massenmedien betrachten – nur eben auf das Internet beschränkt.
Ich finde es spannend wie man trotz gleicher Problemdefinition trotzdem zu sehr unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen kann. Wir betrachten wahrscheinlich beide Kommunikation via Internet als eine Art Ursuppe der Kommunikation, die ständig neue und überraschende Sinnkombinationen produziert. Ich gehe allerdings davon aus, dass sich diese Sinnkombinationen außerhalb des Internets bewähren müssen. Warum Unbekanntheit größere Verstehens-Chancen und schnellere Problemlösungen liefern soll, verstehe ich nicht so richtig. Beziehst du diese Hypothese nur auf das Internet oder auch auf Kommunikation außerhalb des Internets?
Zum Thema Kommunikationsabbruch: Ich verstehe zwar das Einschluss-durch-Ausschluss-Argument, würde es aber nicht auf die operative sondern die strukturelle Ebene beziehen. Das Internet bietet den Exkludierten – eigentlich müsste man im Anschluss an Luhmann genauer sagen, den stärker Integrierten – eine Möglichkeit wieder soziale Relevanz zu bekommen. Betrachtet man Kommunikationsoperationen so hat Kommunikation nur stattgefunden, wenn angeschlossen wurde. Natürlich kann man den Nicht-Anschluss auch als Anschluss betrachten. Darüber kann man sich wahrscheinlich lange streiten. Dazu ein Beispiel, warum ich trotzdem bei der Position bleibe, dass keine Kommunikation stattgefunden hat, wenn nicht angeschlossen wurde. Jeder befand sich schon mal auf Jobsuche und musste sich bewerben. In vielen Fällen weiß man aber gar nicht, was mit der Bewerbung passiert ist, weil die Firmen es nicht für nötig hielten wenigstens eine Eingangsbestätigung zu geben. Man weiß also nicht, ob überhaupt verstanden wurde. Fand in diesem Fall eine Kommunikation statt? Ich würde sagen nein. Etwas Ähnliches kann man in den Comedyformaten Old Ass Bastards und comedy street beobachten. Da werden immer Szenarios für Passanten auf der Straße inszeniert und mit versteckter Kamera gefilmt. Gelegentlich werden dann auch die Passanten direkt angesprochen und Teil des Szenarios. Ihnen wird aber keine Gelegenheit gegeben zu reagieren. Ein Beispiel aus Old Ass Bastards: Ein Rentner lässt in der Öffentlichkeit gut hörbar Einen fahren. Dieser Rentner gibt sich nun äußerst empört und beschuldigt seine nächsten Nachbarn für den Furz verantwortlich zu sein. Dann geht er einfach ohne den Beschuldigten eine Gelegenheit zu geben auf seine Beschuldigungen zu reagieren. Fand in diesem Fall Kommunikation statt? Ich würde auch hier sagen nein. Klar, Kommunikation geht immer irgendwo irgendwie weiter. Aber geht sie auch in den beschriebenen Fällen weiter? Diese Überlegung übertrage ich dann auch auf Trollkommunikation. Deswegen ist Ignorieren die beste Möglichkeit mit Trollen umzugehen.
„Beziehst du diese Hypothese nur auf das Internet oder auch auf Kommunikation außerhalb des Internets?“
Du versuchst ein Unterscheidungsverfahren zu verlängern, das viele sog. Interneterklärer ganz unreflektiert und beinahe besinnungslos betreiben, indem sie nämlich eine unhaltbare Unterscheidung mit der nächsten kombinieren, so z.B. die zwischen online- und offline-Kommunikation. Begriffen und erklärt wird diese Unterscheidung nirgendwo, sondern sie wird mit der nächsten unhaltbaren Unterscheidung kombiniert, die heißt dann: wirkliches Leben/digitales Leben. Auch diese Unterscheidung wird weder begriffen noch geprüft und sie wird, um ihrer Unhaltbarkeit aus dem Wege zu gehen, mit der nächsten Unhaltbarkeit verknüpft: „tradionelle Holzmedien“ und „digitiale Medien“, weiter mit: virtuelle Realität und physische Realität usw. Und so geht das jetzt bei dir weiter mit: innerhalb des Internets/außerhalb des Internets.
So etwas gibt es nicht. Das Internet liefert ein Dispositiv (angelehnt an Foucault) und keinen neuen oder erweiterten Seinsbereich. Das Dispositiv liefert eine Verfahrensweise mit sozialer Realität und eine entsprechende Erfahrensweise für diese Realität, durch die ein spezifischer Ausgangspunkt definiert wird, nämlich den, dass durch das Dispositiv eine apokalyptische Funktion in Kraft gesetzt wird. Mit apokalyptischer Funktion ist gemeint, dass das Dispositiv etwas offenbart, enthüllt, zeigt, entbirgt (Heidegger), das zuvor niemals unentdeckt war oder geblieben ist, sondern nur aufgrund der Vermeidungsstrukturen funktionaler Differenzierung überall exkludiert wurde, weil die Funktionssysteme sich selbst als Medium der Fremdreferenz nach dem Dokumentschema behandelten und die Rechtfertigung dafür durch Machtstrukturen in Organisationen entfalteten, was die Notwendigkeit nach sich zog, die Kritik fort zu setzen und damit die Konzentration auf Fremdreferenzierbares.
Diese apokalyptische Funktion ist bemerkbar durch diese logisch wie empirisch unhaltbare Vermeidungsrhetorik, die besagt: „vor dem Internet war dieses oder jenes auch so“, „außerhalb des Internet wäre dieses oder jenes so oder so“, „auch ohne Internet könnte man verstehen, dass …“ usw. All diese Behauptungen sind kontraevident, weil ohne Internet oder außerhalb kein Beobachtungszusammenhang konstruierbar ist, der das bestätigen könnte. Wenn du aber meinst, du hättest dich gestern mit deinem Nachbarn „außerhalb des Internets“ unterhalten, dann mach mir das mal deutlich ohne Internet. Dann könntest du entgegen, dass das ginge, wir müssten uns nur außerhalb des Internets treffen – merkst du was? Du behauptest eine beobachtungsunabhängige Beobachtungsposition, deren Ermöglichungsbedingung erfüllt ist, wenn das Schema erfüllt wird, durch das diese Beobachtungsposition evident wird. Dann wäre klar, was klar ist. Aber: das Disposiitv, das durch das Internet schon installiert ist, lässt keinen Rückweg in zurückliegende Reich des Unwissens darüber zu. Wir schalten unsere Anschlussfindungsendungstelle aus und unterhalten uns dann in einer Kneipe darüber, dass ma ja auch außerhalb des Internet miteinander reden könne, aber: dann nicht mehr ohne Beobachtung des Internets. Und übrigens: innerhalb des Internets ist ohnehin niemand anwesend.
Das ist eine, und das andere Argument ist, dass jederzeit und überall weitere Anschlussfindungsendungstellen eingeschaltet sein können, die ein solches Gespräch aufzeichnen und senden, z.B. stationäre Kameras oder mobile Geräte. Der Vermeidungseinwand, man solle angesichts dieser Möglichkeit nicht zur Paranoia neigen, verweist wiederum auf die apokalyptische Funktion: Paranoia war im sozialen Selbstverwirklichungsprozess transzendentaler Subjektivität (anderes Wort: funktionale Differenzierung) schon immer in aller Kritik durch den Versuch ihres Ausschlusses eingeschlossen. Jetzt ergibt sich die Einsicht, dass die Paranoia nicht nur nicht zu vermeiden ist, vielmehr muss sie selbst ein Beobachtungsverhalten steuern, nämlich: eine Paranoik.
Das Internet ist nichts Seiendes, entfaltet keinen ontischen Erfahrungsraum, sondern liefert nur ein Dispositiv, das mit den Mitteln der Kritik nicht mehr behandelbar ist, weil die Kommunikation nunmehr das Selbstreferenzverbot, die Vermeidungsstrukturen transzendentaler Subjektivität nicht mehr einhalten kann.
„Ich gehe allerdings davon aus, dass sich diese Sinnkombinationen außerhalb des Internets bewähren müssen“ – das ist kritisch betrachtet Blödsinn und paranoisch gesehen allenfalls ein hübscher Versuch, im Durcheinander etwas zu finden, das nicht so verworren ist und darum nur die Verwirrung verlängert.
Die Rechtfertigungsverfahren der Gesellschaft müssen sich nun anhand dieses Dispositivs bewähren und man kann täglich beobachten, wie viel Mühe das macht. Beispiel: Leistungsschutzrecht, Urheberrechte, Verbraucherschutz, Jugendschutz, Persönlichkeitssschutz, Datenschutz, allgemein: alle Schutzeinrichtungen müsssen ihre Rechtfertigsfähigkeit unter Beweis stellen (dazu gehören auch diese Plagiatsaffären), und nicht etwa habe die apokalyptische Funktion des Dispositiv ihre Rechtfertigungsfähigkeit zu beweisen. Das Dispositiv setzt sich dämonisch durch.
Deine Beispiele sind sehr gut, sie zeigen, wie paranoisches Beoachten erprobt wird. Schon Streiche mit versteckter Kamera sind solche Versuche. Deshalb würde ich dir zustimmen: ob Kommunikation stattfindet oder nicht, darüber kann man die Kommunikation endlos fortsetzen. Wenigstens kann man sagen, dass Öffentlichkeit zerstört wird. Tatsächlich gilt so etwas für das Internet auch, weil Internetkommunikation zu jedem Zeitpunkt offen lässt, ob angeschlossen wird. Damit zerfällt mindestens die Resonanzfähigkeit der Kommunikation oder wird enorm unwahrscheinlich. Die Vernichtung von Öffentlichkeit geschieht dadurch, dass alles Öffentliche re-entry-fähig wird, es kommt alles in sich selber vor.
Warum ich an der Unterscheidung zwischen Kommunikation via Internet und Kommunikation außerhalb des Internets benutze, habe ich versucht in meinen Texten deutlich zu machen. Es geht nicht darum einen neuen Seins-Bereich zu identifizieren. Das ist mir schon viel zu philosophisch angehaucht. Da ich selbst keinen philosophischen Background habe, würde ich von derartigen Interpretationen eher abraten. Ich benutze die Unterscheidung um auf bestimmte Behinderungen und Schwierigkeiten aufmerksam zu machen auf die man stößt, wenn man das Internet benutzt, und einen Einfluss auf die Kommunikationsweisen via Internet haben. Mehr nicht.
Wer könnte mit welchen Mitteln Einfluss auf Kommunikation nehmen? Allenfalls hat man es mit der Unterstellung einer Beeinflussungsmöglichkeit zu tun, welche durch doppelte Kontigenz autokatalytisch behandelt wird und damit jedem Beteiligten immer schon entzogen ist. Keiner kann nach eigenem Willen die Kommunikation beeinflussen. Das verweist auf die Unmöglichkeit des gegenseitigen Wissens vom Anderen, als Effekt der Intransparenz von selbstreferenziellen Systemen, was auf der Ebene interaktionaler Begegnung geradezu zwangsläufig zur wechselseitigen Anbindung prozessierten Verhaltensausdrucks führt – und dies in selbstbezüglicher Weise auf einem höheren Emergenzniveau: also als und durch Kommunikation, nicht durch Beeinflussung.
Siehe dazu Luhmann, Niklas: Konfliktpotentiale in sozialen Systemen. In: Landeszentrale für politische Bildung NRW (Hrsg.): Der Mensch in den Konfliktfeldern der Gegenwart. Köln 1975, S. 65-74, hier S. 68.
Was du meinen könntest ist allenfalls Rechtfertigung von Entscheidung, was übrigens ganz einfach gelingt, sobald sich Strukturen etabliert haben, die Entscheidungsfindung ermöglichen, Erfahrung kodifzieren und ihre Rechtfertigung garantieren. Aber wer bestreitet das? Das Internet ist gerade in wissenschaftlicher Hinsicht ideal dazu geeignet, bürokratische Blockaden zu blockieren, was heißen könnte, dass Wissenschaft sich von Machtkämpfen wird verabschieden müssen. Internet ermöglicht Wissenschaft ohne Bürokratie, ohne Bevormundung, ohne Machtausübung. Das Schöne ist nun, dass dieser Abschied durch eine Macht erzwungen wird, die keine Gegenmacht ist, sondern eine, die Macht unterläuft und Freisetzungen gleichsam dämonisch erzwingt. Keine Frage, dass die Positionsbenutzer faustischer Genalität ihre Vorrechte nicht einfach aufgeben werden, aber das ist auch gar nicht gefordert. Es braucht nichts mehr gefordert zu werden, weshalb diese Rechtfertigungsbemühungen eigentlich längst von einer kognitiven Schwächung sprechen (dies hinsichtlich der Plagiatsaffären). Durch Internet wird Ordnung nicht durchgesetzt und schon gar nicht gerechtfertigt. Das geht gar nicht. Es wird Ordnung provoziert und zwar so lange, bis sich das Medium Formfindungs- und Formbildungsversuchen nicht länger widersetzt.
Sehr gut in diesen Zusammenhang passt ein zurück liegender Kommentar von @neurosophie:
http://bit.ly/UJtiRs
@Beobachter der Moderne @Kusanowsky
Diese Diskussion scheint etwas aus dem Ruder zu laufen. Eines ist sicher: das Thema, um das es geht ist die Frage nach Entscheidung und die Beeinflussbarkeit von Kommunikation. Zunächst gilt der Grundsatz von Niklas Luhmann, dass alles was geschieht, gleichzeitig geschieht. Und es gilt auch, dass man das, was gleichzeitig geschieht, nicht beeinflussen kann. Aber anders als Luhmann meinte ist Gleichzeitigkeit nur eine Vorbedingung für temporale Unterscheidungen. Deshalb ist Gleichzeitigkeit noch nicht eigentlich Zeit, jedenfalls nicht Zeit im Sinne eines Beobachtungsschemas, in dem eine Seite im Unterschied zu einer anderen bezeichnet werden kann. Um das zu erklären muss man das Konzept der Sinndimension anführen, indem man Gleichzeitigkeit nicht in die Zeitdimension legt, sondern in die Sachdimension. So stellt sich die Frage wie auf der Grundlage der Tatsache, dass alles, was geschieht, gleichzeitig geschieht, Zeit unterscheidbar wird, denn erst die Zeitdimension ermöglicht die Unterscheidung von vorher und nachher und findet sich im Begriff der Gegenwart als Einheit der Differenz von Vergangenheit und Zukunft zusammengezogen.
Hierbei ist entscheidend, das autopoetische Systeme, die auf der Grundlage temporalisierter Elemente operieren, nicht alle Möglichkeiten der Relationierung von Elementen und die jeweiligen aktuell möglich erscheinenden Möglichkeiten der Relationierung gleichzeitig aktualisieren können. Durch selektive Verknüpfungen temporalisierter Elemente wird Komplexität reduziert oder geschrumpft oder Zeit gespart, d.h. die pro Zeiteinheit mögliche Komplexität erhöht. Durch diese Doppelunterscheidung von Aktualität/Inaktualität und Zukunft/ Vergangenheit erreicht die Zeit die Form eines Mediums, die Form eines Bereichs kombinatorischer Möglichkeiten, in den hinein Kausalität konzipiert werden und Eigenformen gewonnen werden können. Da Kausalität aus Ursache und Wirkung besteht wird durch dieses Zusatzschema der Verknüpfung von Aktualität/ Inaktualität und Vergangenheit / Zukunft die Möglichkeit der strukturellen Komplexität in der Gegenwart gegeben. Für alle Beeinflussbarkeit ist darum der Spielraum enorm eng und ist streng genommen nur an Zeit gebunden, das heißt: an Rechtzeitigkeit. Nur, wer rechtzeitig interveniert, kann Entscheidung beeinflussen, weil alles andere schon entschieden ist. Es gilt aber auch, dass diese Rechtzeitigkeit von niemanden an keiner Stelle garantiert werden kann.
In dieser Hinsicht muss der Luhmannsche Ansatz revidiert werden.
@sascha
Bin mir nicht ganz sicher, ob ich dieser abschließenden Einschätzung vertrauen kann. Im großen und ganzen ist da aber etwas dran. Hinzufügen würde ich nur, dass Gleichzeitigkeit auch meint, dass mehr als nur ein sinnverarbeitendes System beteiligt ist. Das bedeutet, dass die Gleichzeitigkeit der verschiedenen Operationen immer schon von bestimmten Realititätskonstruktion sämtlicher Systeme mitgeprägt ist. So konnten traditionelle Massenmedien trotz aller technischen Möglichkeiten keine Abbildung dieser Gleichzeitigkeit erzeugen. Ein entscheidender Punkt im Selbstbeschreibungsprogramm der Massenkommunikation besteht gerade in der medialen Simulation einer „Gleichzeitigkeit in der Gleichzeitigkeit“ durch die Unterscheidung und Bezeichnung des jeweils Aktuellen. Diese paradoxe Unterscheidung produziert wie alle Beobachtung Zeithorizonte. In diesem Fall sind das die Zeitkonstrukte der massenmedialen Kommunikation, denn erst durch diese Operation des Unterscheidens und Bezeichnens – hier mit Hilfe der Differenz der Aktualität – entsteht in dem System für das System Information.
An den Beobachtungsprozessen der industriell-massenmedialen Transformation der Gleichzeitigkeit in Aktualität sind sehr viele Prüf- und Kontrollinstanzen beteiligt, die – wie oben gezeigt – wirksam ausschließen, dass irgendjemand mutwillig und einseitig die Kommunikation beeinflussen könnte. Jedenfalls erzeugen diese Selektionsprozesse eine kaum überschaubare Menge von Mitteilungen und somit Selektionsdruck. Die Beobachtungen und ihre Kommunikation benötigen dann wieder ihre eigene Zeit, so dass reine Gleichzeitigkeit des Geschehens kein Auswahlkriterium für die Kommunikation sein kann. Die Menge des gleichzeitigen Geschehens, also Weltkomplexität, ist als Ganzes unüberschaubar und somit für einzelne Systeme unsichtbar. Erst die Beobachtung konstituiert neben anderen Unterscheidungen ‚Welt‘ und auch die der Zeit. Bestenfalls kann die massenmediale Beobachtung und die Kommunikation der Beobachtung gleichzeitig zu dem geschehen, was sonst noch alles geschieht. Dann liegt ihre Funktion darin, dass sie durch Kommunikation anderes Geschehen an den Horizont der Aufmerksamkeit rückt und damit einem aufmerksamen System, das strukturell an diese Kommunikation gekoppelt ist und sie zugleich beobachtet, durch die strukturelle Kopplung und für die Dauer dieser Kopplung den Eindruck von ‚Welt‘ suggeriert. Dieser Effekt beruht, unabhängig von der erlebten Intensität der Kopplung durch psychische Systeme, immer auf der Unterscheidung System/ Umwelt, die operational geschlossene Systeme zur Wirklichkeitskonstruktion vornehmen müssen.
Die so entstandene Aktualität überführt Gleichzeitigkeit in Differenz und eröffnet dem jeweils Aktuellen eine befristete Gegenwart im sozialen Gedächtnis. Indem Aktuelles durch Kommunikation in der Gleichzeitigkeit des Geschehens unterschieden werden kann, muss es also Ungleichzeitigkeit herstellen. In diesem Sinne synchronisiert die massenmediale Aktualität Geschehen, indem es der Ungleichzeitigkeit eine Form in der zeitlichen Dauer der Kommunikation verleiht. Aber für diesen Fall gilt, dass auch Ungleichzeitigkeit wieder nur eine systemeigene Konstruktion ist. Was übrigens auch für Rechtzeitigkeit gilt.
Für das Internet als Massenmedium für Massenmedien stellt sich die Sitatuon etwas anders dar, wenn der Selektionsdruck noch um eine weitere Stufe gesteigert wird. Spätestens jetzt zeigt, dass das Gebot der Selbstreferenzvermeidung für Massenmedien gar nichts mehr taugt. Entsprechend kann man am Internet beobachten, dass der aller größte Teil aller Beiträge sich nur mit dem Interent selbst beschäftigt.
Das ist die entscheidende und interessante Ausgangslage für eine Beobachtung von Prozessverläufen, die mindestens nicht mehr rechfertigungsfähig sind.
Zwei Gedanken scheinen mir hier sehr bedeutsam:
1. Die Einführung des Foucaultschen Dispositiv-Begriffs.
Im Foucault-Lexikon von Michael Ruoff wird das Dispositiv explizit als Netz definiert:
Dispositiv := Netz aus {Diskurs, Institution, Gesetze, philosophische und moralische Lehrsätze, Gesagtes wie Ungesagtes}
2. Die These, dass sich der Bezug zwischen Mitteilung und Information auflöst.
Da hier im Thread mit sehr anschaulichen Beispielen gearbeitet wird: Nehmen wir mal die Kernkraftdiskussion. Kernkraft-Gegner G und Kernkraft-Lobbyisten L bewegen sich im je eigenen Dispositiv DG und DL. Jedes Dispositiv hat seinen eigenen Zeichensatz.
Wenn ich nun unter Anonymität die Ungreifbarkeit der Zuordnung verstehe, wird das Mismatch von Information und Mitteilung deutlich: Jemand aus G nimmt eine Information aus DG und will sie L mitteilen. Diese Information befindet sich aus Sicht des Zeichensatzes DL nicht in Formation und kann nicht geteilt werden. L und G sind füreinander (im Sinne Hegels!) Troll.
Ich teile auch die Ansicht, dass wir nicht {Welt-im-Internet} und {Welt-außerhalb-des-Internet} unterscheiden sollten. Vor 20 Jahren hat ja auch niemand gefordert, eine publizierte These müsse sich auch erst einmal außerhalb eines Suhrkamp-Taschenbuchs beweisen.
Nur: Das Internet als Massenmedium der Massenmedien beschleunigt diese Prozesse. Bei der Kernkraft-Debatte wurde nicht wirklich ein Diskurs geführt: Es wurde einfach nur in einem Parlament abgestimmt. Überhaupt kann man Parlamente als Diskurs-Vermeidungsinstrumente betrachten. (Die letzte wirklich leidenschaftliche Debatte im Bundestag ist fast 20 Jahre her und betraf den Umzug von Bonn nach Berlin).
Paradoxerweise kommt aber im Internet zustande.
Kusanowsky: „Jetzt wird eine Welt empirisch, die nicht mehr als von Menschen gemacht erscheint.“
Wir sprachen früher mal von einer „Kernschmelze der Vernunft“. Das können wir heute besser spezifizieren:
Wir bekommen es mit einer Kernschmelze der Dispositive zu tun.
@neurosophie @Beobachter der Moderne
hier ein schönes Beispiel, das zeigt, dass es so etwas wie ein „außerhalb des Internets“ nicht gibt, auch nicht für das faustische Genie:
„Studenten können Vorlesung in Echtzeit bewerten“, guckst du hier: http://stadt-bremerhaven.de/mytu-app-studenten-koennen-vorlesung-in-echtzeit-bewerten/
Gerade habe ich diesen Wikipediaartikel gefunden:
Psychagogie ist laut der platonischen Rhetoriktradition die „Seelenleitung“ (oder Seelenführung, Seelenlenkung) „des Menschen durch den Menschen“. Psychagogie konkretisiert Rhetorik als Mittel oder Kunst die Meinungen anderer Menschen zu beeinflussen bzw. zu manipulieren.
http://de.wikipedia.org/wiki/Psychagogie
Eine Erratik, eine Paranoik wäre die Kunstfertigkeit, sich jeder solcher Lenkungs- und Manipulationsversuchen zu entziehen. Der Entzug geht nicht durch Widerstand oder Vermeidung, sondern dadurch, dass man sich entsprechenden Zudringlichkeiten aussetzt, was unter den Bedingungen der parasozialen Interaktion um so besser gelingt, wenn man nur genügend Übung hätte, wofür insbesondere Strukturen notwendig sind.
Solange kaum jemand für das Argument erreichbar ist, dass persuasive Kommunikation unter den Bedingungen des Internets nun endgültiig nicht funktioniert, werden all diejenigen, die sich darüber nicht informieren lassen, von einer Erratik oder Paranoik an der Nase herum geführt.
https://twitter.com/benbarks/status/407158499014369281