Differentia

Sportlichkeit und Trollitik

Es handelt sich bei diesem Beitrag um ein ganz wunderbares Dokument des Scheiterns. Es berichtet davon, dass durch das Internet nunmehr etwas herausgefunden wird, das noch niemals unbekannt war, nämlich die Macht des Pöbels; ein uraltes Problem, mit dem schon römische Senatoren klar kommen mussten. Die alten Römer konnten mit ihrer Armee ganze Völkerschaften in Schach halten, aber gegen die Macht des Pöbels in den Straßen Roms gab es nur ein Mittel: den Untergang des römischen Reiches. Aber zum Glück kann man aus der Geschichte nichts lernen. Denn welche Überlegung könnte dieser Vergleich zur Folge haben?

Besonders bemerkenswert ist die letzte Sequenz dieses Beitrag, in der ein Hoffnungsschimmer aufkeimt, da alle Interviewten Sportlichkeit zu erkennen geben. Ein jeder der Gefragten legt ein, wenn auch recht keusches Geständnis über Trolling ab. Schließlich ist ja keiner wirklich unschuldig, wenn auch die Beteiligten das gern so hätten. Diese Idotie raubt allen die Unschuld; und nur in kleinen Schritten sind sie bereit das zugeben. Das ist süß. So kündigt sich auch in der Politik der Lernprozess einer kommunikativen Technik der nicht überzeugten Verständigung an (mein Ausruck dafür: Paranoik).

Ironie, eine Abnutzungerscheinung der kritischen Disziplin

Sich kritisch zu zeigen, Kritik zu äußern, ein kritisches Bewusstein zu fordern, es zu empfehlen, zu pflegen, Kritik einzuüben war eine höchst gefährliche Angelegenheit zu einer Zeit, als sich die Merkmale einer zivilisatorischen Zuverlässigkeit durch Erwartungen auf gottgefälligen Gehorsam und Untertanentum ergaben.
Die allgemeine Kritik der Gesellschaft fand ihren Ursprung in der Ausweitung eines Welthorizonts, der mit der Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaftsstruktur während der Industrialisierung in eine explosionsartige Zunahme an Verstehensweisen mündete; eine Zunahme, welche es schließlich unmöglich machte, dass irgendetwas in der Welt unbemerkt, unerforscht, unerklärt und unkritisiert bleiben konnte. Die Welt wurde in dem Maße größer wie die Menge der thematisierbaren und dadurch auch kritisierbaren Sachverhalte anstieg und sich ihre Kommunikabilität beschleunigte. Für Strukturen, die Gehorsam erforderten, hatte sich dadurch das Spektrum an Voraussetzungen enorm verringert.

Als paradigmatische Beispiel nehme man nur die Entwicklung der Pädagogik. Zug um Zug wurden, wenn auch nicht überall gleichzeitig, einerseits Positionen geräumt, die auf die kontrollierende Beherrschung der individuellen Freiheit abzielten, während anderseits und umgekehrt die Entfaltung der individuellen Freiheit in ihrer Selbstkontrollfunktion beherrschbar wurde. Beides war bedingt durch soziale Erfahrungsbildungsprozesse, die durch ein Austarieren des Verhältnisses von Notwendigkeit und Möglichkeit Voraussetzungen für Strukturen entwickelten, welche schließlich ihre Ausgangssituation in Vergessenheit geraten ließen. Kein lebender Mensch in Deutschland weiß mehr was es bedeutet, ein kaiserlicher Untertan zu sein. Und dennoch: man könnte glauben, dass die demokratische Freiheit das geblieben ist, was sie ehedem war: eine Utopie – für die einen ein Schreckensbild, für die anderen eine Befreiungstat. So hat Demokratie immer noch etwas Dämonisches an sich, allein die Gründe sich zu fürchten nehmen ständig ab.

Denn tatsächlich ist die Ausgangssituation für die Akzeptanz demokratischer Gewohnheiten eine gänzlich andere geworden. Die Legitimität der demokratischen Freiheit wird, dies gilt namentlich für den europäischen Bereich, nur noch von der legitimen demokratischen Freiheit selbst bestritten. Wie auch immer Demokratiedefizite benannt werden, allein, dass sie benannt werden dürfen und benannt werden sollen zeigt, wie hoch die Wertschätzung für Demokratie ist.  Ihre Wertschätzung verdankt sich aber einer halbseitigen Beurteilung: ihre Erfolge und Gewinne können nicht wirklich befriedigen, ihre Defzite erscheinen dagegen um so obszöner. So kann die Wertschätzung für Demokratie eigentlich nur gelingen, wenn es gelingt, die Mangelhaftigkeit ihres Entwicklungsszustands festzustellen. Demokratie ist darum Hoffnung auf Demokratie, ist Wunschtraum, ist eine paranoische Imagination als Reflexion eines unvermeidlichen Erdendaseins, ist ein säkularer Erlösungsglaube ohne Alternative.

Und ganz langsam kann man erste Abnutzungserscheinungen bemerken. Die Abnutzungserscheinungen würde ich an der zunehmenden Akzeptanz des Verzichts auf Ernsthaftigkeit ablesen. Ernsthaftigkeit, Seriösität, Überzeugungsfähigkeit, Glaubwürdigkeit dürften nur dann noch relevant sein, wenn immer auch Ironie im Spiel ist. Denn mit Ironie wird Selbstreflexivität bemerkbar und nur dann kann Kritik noch halbwegs erträglich sein, wenn man bemerken kann, dass alles auch ganz anders hätte formuliert und verstanden werden können. Wie kommt das?

Der Grund dafür dürfte in der gänzlichen veränderten Ausgangssituation liegen. In ihrer Entstehungszeit hatte Demokratie Gegner als Gegner, jetzt hat sie nur noch Anhänger als Gegner, denen es nicht gut gelingt, sich gegenseitig Feindschaft anzubieten. Und solange die Disziplin der Kritik sich allseitiger Wertschätzung erfreut, ist Ironie das einzige Mittel, sich mit ihrem Scheitern langsam anzufreunden.

Die virulente Ironie ist ein Ausschleichungsprozess in Form der langsamen Verdünnung der kritische Diszplin durch Einführung von Selbstreflexivität.