Judith Butler
„Der Mythos von der conditio humana stützt sich auf eine sehr alte Mystifikation, die seit jeher darin besteht, auf den Grund der Geschichte die Natur zu setzen.“ Roland Barthes: Die große Familie der Menschen. In, ders.: Mythen des Alltags. Frankfurt/Main 1964, S. 17
Das Aktivierungspotenzial transzendentaltheoretischer Vorbehalte gegen eine soziale Wirklichkeit, die von einer faustischen Gelehrsamkeit als noch immer aufklärungsbedürfitg in Sachen Menschenrecht qualifiziert wird, dürfte auch in Zukunft nicht so schnell erschöpft sein.
Die Menge der Zumutungen und Kränkungen, die das Subjekt einerseits zu fürchten hat, und das Ausmaß an säkularen Utopien, auf die es andererseits hoffen kann, haben im Laufe der Entwicklung der modernen Gesellschaft Strukturen geschaffen, die sowohl diese Ängste als auch entsprechende Hoffnungen in einen stabilen Kokon eingewebt haben, welcher sicherstellt, dass beides für den Fortgang eines sozialen Differenzierungsprozesses unverzichtbar bleibt. Diese Ängste und Hoffnungen können nicht ersetzt werden, weil jede soziale Wirklichkeit immer angewiesen bleibt auf lebende, auf Lust und Schmerz empfindende Menschenkörper (was auch für Cyborgs gelten wird).
Das liefert Rechtfertigungsgründe für einen philosophischen Materialismus, welcher aber seine Erklärungsfähigkeit verliert, sobald Rechtfertigungstheorien, zu denen auch die von Judith Butler gehört, sich auf Differenz festlegen. Denn ein Recht auf Differenz ist soviel wie die Einsicht in eine Pflicht zu sterben. In dieser Hinsicht gibt es nichts mehr zu rechtfertigen.
So wenig Sterblichkeit eine sozial durchgesetzte Pflicht ist, so wenig ist Differenz ein sozial festgelegtes Recht. Wird aber dennoch ein Kampfgeschrei darüber angestimmt, so darf man sich fragen, was das eigentlich noch soll.
Das spricht nicht dafür, dass eine Lösung für die conditio humana eine reale Chance hätte, sondern nur, dass diese Unverzichbarkeit die Chance liefert, den transzendentalphilosophischen Wunsch- und Alpträumen mit Indifferenz zu begegnen. Da die Natur sich nicht um mich kümmert, was sollte mich da die Natur kümmern? Nicht nur eine Frage für ökologisch bewusste Konsumenten …