Vergesslichkeit und Prognose – interessante Überlegungen bei #lostandfound

von Kusanowsky

Wie auch immer man sonst noch das Wesen der modernen Gesellschaft kennzeichnen möchte, heute wie ehedem zeichnen sich  Diskussionen über Gegenwartsanalysen als Zukunftskontingenz aus. Stets versichert man sich gegenseitig, Zeuge einer historisch entscheidenden Epoche zu sein, eine Einsicht, die sich dadurch erhärtet, dass sowohl Rückschau als auch Vorschau zum akzeptablen Themeninventar von Diskussionen zählen. „Irgendwas geht hier vor„, das uns auf latente Möglichkeiten verweist, die – seitdem man in der politischen Ökonomie Gottes unsichtbare Hand und in der Psychologie das Unbewusste entdeckte – uns mit Gewissheit annehmen lassen, es wäre hier noch etwas höchst Ungewisses im Spiel, das sich der Urteilsbildung genauso aufdrängt wie entzieht: seit Luhmann sind dies Systeme.
Dass die Welt nicht schon immer so war, wie sie erscheint – was man in der antiken Welt akzeptieren konnte – und dass die Zukunft als Reich Gottes erfüllbar macht, worauf die Gegenwart bereits hoffen kann – was mittelalterlichen Heilsvorstellungen entsprach – das waren modernen Vorstellungen ganz gegenläufige Betrachtungen. Wir sind so dermaßen gewöhnt an der prinzipiellen Kontingenz all dessen, was diskutierbar ist, dass es uns die Vorstellung ganz erhebliche Schwierigkeiten bereitet, es könne alles auch ganz anders sein: dass also das ganz andere als nicht-anders erscheinen könnte. Statt grüblerisch macht eine solche Paradoxie eher schläfrig, weil wenigstens noch die Einsicht in die Aporien der Gesellschaft das Gesprächskarusell erheblich antreiben kann, sobald der Zeitpunkt dafür gekommen ist.
Interessanter um so mehr, wenn man an der einen oder anderen Stelle im routinemäßigen Trivialablauf von Kommunikationsprogrammen mal etwas liest, das eher Grund zum Nachfrage liefert und weniger einen Grund, den Ablauf wie gewohnt einfach fortzusetzen. Im Weblog von Heinz Wittenbring findet sich gerade aktuell ein nicht allzu langer Artikel unter der Frage „Netz statt Gesellschaft?“ und dort liest man ganz überraschend den Satz:

Wir entwickeln gerade ganz andere Praktiken, in denen man das, was mit Gesellschaft gemeint war, vielleicht gar nicht mehr sinnvoll bezeichnen kann…

Ich würde diese Überlegungen nur sehr ungern unterbrechen und mir wünschen, dass der Autor dieses Artikels mal etwas mehr rüberwachsen lässt. Ganz grob formuliert hört sich das sehr vielversprechend an.
Siehe dazu auch die Überlegungen von Postdramatiker: Netz und Gesellschaft