Tastaturkotze

von Kusanowsky

Die Metapher „Tastaturkotze“ ist genauso naheliegend wie abwegig. Sie ist naheliegend, um den beobachtbaren Massenphänomen der Hasskommentare wie sie im Internet auftauchen, in eine sprachliche Form zu bringen, die das Beobachtete aus den spezifischen Beobachtungsoperationen ableitet, die durch das Internet entstehen. Aber in dem Augenblick, in dem ein origineller sprachlicher Ausdruck gefunden wird, erzwingt dies beinahe die abwegige Vermutung, man hätte es mit einem für das Internet typischen Phänomen ohne Vorbild, ohne Vorgeschichte zu tun. Es bedarf aber keiner langen kulturhistorischen Abhandlung um zu verstehen, dass der öffentliche Raum schon immer, seit Entstehung von Urbanität, überall auf der Welt als Medium für die Verbreitung von Schrift und Bild benutzt wurde. Und weil der öffentliche Raum nicht ohne eine Differenz zum privaten Raum beobachtet und in Anspruch genommen werden kann, liegt es nahe, ihn auch zur Verbreitung von Schund, Hass und Propaganda zu nutzen. Denn die Differenz zwischen Öffentlichkeit und Privatheit lässt Anonymität zu, die auch gebraucht wird, um sich den Nachstellungen zu entziehen, die möglich werden, wenn man öffentlich anderen nachstellt.

Man könnte so etwas als Feigheit zurück weisen und ansonsten über die defizitären Charaktermerkmale der Menschen spekulieren, die solche Tastaturkotze hinterlassen. Aber damit dürfte man kaum begreifen, dass Gesellschaft dies auch möglich machen muss, sobald Kommunikation für Menschen, die immer an Leiblichkeit gebunden sind, die Anlässe verdichtet, durch die Kommuniktion fortgesetzt werden kann. Insbesondere durch Urbanisierung wird eine solche Verdichtungsleistung erbracht. Die Menschen rücken näher zusammen, unterliegen der Dauerbeobachtung durch andere und müssen lernen, sich selbst als Beobachte zu beobachten. Da urbane Zivilisaton nicht ohne ein gesteigertes Wahrnehmungsvermögen von Menschen zustande kommen könnte, ergeben sich daraus ganz konsequent auch Ansprüche an die Konzentrationsfähigkeit und Disziplinierung neuronaler Vorgänge. Und wie immer gibt es stärkere und schwächere Naturen. Für beide liefert die Zivilisation Anknüpfungspunkte der Entfaltung und Vermeidung, Belastung und Entlastung zur Organisation von Wahrnehmung. Die Zumutungen, die durch differenzierte Wahrnehmungsorganisation gesteigert werden, können sowohl zur genialen wie zur devianten Formierung von Elementen genutzt werden, weshalb es auch nicht wundert, dass die Unterscheidung von Genie und Wahnsinn thematisierungsbedürftig wird.

Das alles soll heißen: ohne Tastaturkotze geht es nicht. Und – wie man sicher nachvollziehen kann – ist dies keineswegs eine spektakuläre Einsicht. Jeder kennt Schmiereien an Häuserwänden, an Bus- und U-Bahnhaltestellen, insbesondere sind öffentliche Toiletten der ideale Raum für die Verbreitung von Tastaturkotze, ideal, weil öffentlich zugänglich und zugleich nur privat und damit abgeschirmt zu benutzen. Für das Internet dürfte darum etwas ähnliches gelten wie für öffentliche Toiletten. Nur, weil es Anonymität zulässt, kann man es als Massenmedium benutzen, andernfalls ließe es sich nur zu Zwecken des elektronischen Postverkehrs und der interaktiven Telekommuniktion verwenden. Und weil es Anonymität zulässt, muss es zulassen, dass einsame Körper in einsamen Stuben auf wahrnehmungsmäßige Überforderung in der Weise reagieren, dass sie versuchen, die Überforderung auf andere zu weiter zu verteilen ohne den eigenen Körper selbst der Sanktionierung durch andere auszusetzen.
Die Beobachtungssituation des Internetnutzers ist damit durchaus mit der eines Toilettenbenutzers zu vergleichen. Und hier wie dort spielt der intime Umgang mit Körperlichkeit eine entscheidende Rolle, wobei sich diese Initimität ja nicht nur auf Ausscheidungsorgane konzentriert, sondern auch auf die Intimität von Wahrnehmung, und damit auch die Intimität eines Gehirns, das von sich selbst nichts wissen kann. Das Internet bietet jedenfalls für das Risiko der Sanktionierung eine voerst günstige Lösung.

Wenn auch als witzige Szene intendiert, so ist der unten angeführte Auszug aus „Das Leben des Brian“ gar nicht so witzig, wie man meinen könnte. Der römische Zenturio, der bemerkt, wie Brian eine Hassparole gegen die Römer an die Mauer pinselt, kann es nicht unterlassen, die Zumutung einer falschen Grammatik unsanktioniert zu lasssen. Darum sein Griff an die Ohren, bis hin zur Tötungsandrohung, darum die Einschüchterung, die Angst und die Unterwerfungsbereitschaft Brians.

Wenn man sich aber mit Tastaturkotze befasst, befasst man eigentlich nur mit etwas sehr Normalem. Und gerade das scheint der Grund dafür zu sein, dass dieses Massenphänomen als Zumutung auffällt.