„Es ist alles ganz einfach…“ 2
zürück zu „Es ist alles ganz einfach…“ 1
Einer der wichtigsten Gründe für die Ausbreitung der Trollkommunikation im Internet scheint mir in einem Beobachtungsverhältnis zu liegen, das sich auf die Risiken zur Bewältigung der Ansprüche an die Fortsetzung der Kommunikation bezieht. Diese Ansprüche sind zu gleichen Teilen sehr gering und sehr hoch, abhängig davon, welche Zumutungen anfallen, die es erfordern, dass wechselseitig die Abarbeitung und Reduktion von Komplexität überhändigt wird.
Sehr gering erscheinen die Risiken deshalb zu sein
- weil Sprachkompetenz wechselseitig zugerechnetet werden kann. Die Sprachkompetenz besteht in der einfachen Fähigkeit, die verwendete Sprache zu verstehen; und zu verstehen, dass andere sie verstehen. Dass es sich so verhält, kann man an Einwänden bemerken, die gegen die Sprachkompetenz anderer vorgebracht werden: falsche Wortwahl, falsche Begriffe, unklare und widersprüchliche Aussagen. Wichtig sind vor allem ästhetische Einwände, indem man Sprachgeschwurbel, Denglisch und Jargon-Gebrauch denunziert. Aber nicht nur diese Einwände, auch die Reaktionen auf diese Einwände, also die Kommunikationen, die Irritationen über Sprachkompetenz aufkommen lassen, zeigen deutlich, dass eine hohe Sprachkomptenz verteilt ist, welche die Annahme zulässsig macht, den noch unbekannten Folgewirkungen der Kommunikation jederzeit gewachsen zu sein.
- weil Internetkommunikation nicht nur Alphebetisierung zur Voraussetzung hat, sondern auch die Bereitschaft, sich auf Einübungsroutinen den Schriftgebrauch betreffend einzulassen. Diese wiederum ist ein Effekt von Schulbildung, die hauptsächlich Methoden der Disziplinierung durchsetzt.
Neben Sprachkompetenz ist also eine selbstreflexive Disziplinierungsbereitschaft Voraussetzung für erfolgreiche Reduktionsleistungen. - weil außer der Alphabetisierung auch eine Literalisierung durch Umgang mit Massenmedien verbreitet und eingeübt ist. Diese Literalisierung bewirkt ja nicht nur den Aufbau eines enormen Wortschatzes und Aneignung von Fremd- und Fachsprachenkenntnisse, sondern sie erzeugt auch eine Kultur des wechelseitigen Informiertseins über das verschiedene Informiertsein. Erst die Literalisierung, wie sie durch Massenmedien hervor gebracht wird, macht die Welt als eine komplexe Welt kommunikabel, in welcher jeder auf verschiedene Weise lernt, diese Kompelexität zu reduzieren, und außerdem lernt man, dass andere dies ebenfalls lernen. Dies ist keineswegs eine Banalität, auch dann nicht, wenn dies als solche erscheinen mag. Jedenfalls wäre dieser Effekt selbst ein Effekt, der durch Literalisierung entsteht. Denn erst Literalisierung macht die Beobachtung von Kontingenz wahrscheinlicher als die Beobachtung von Kongruenz. Kongruenz wird durch Literalisierung zum wahrscheinlichen Ausnahmefall, was nicht heißt, dass Erwartungen an Kongruenz gering wären. Im Gegenteil: gerade die nimmermüden Reproduktionsroutinen von Erwartungen, die Kongruenz in Aussicht stellen, zeigen, wie gering die Wahrscheinlichkeit auf Kongruenz ist und wie hoch die Rate des Scheiterns solcher Aussichten ist.
- weil die beteiligten Körper, damit sind nicht nur die Gehirne gemeint, an der Geschwindigkeit des Ablaufs von Kommunikation so gut trainiert sind, dass sie beinahe mühelos und schmerzlos den Anforderungen gewachsen sind, auch dann, wenn die erfolgreiche Beteiligung an Kommunikation für die Körper höchst schmerzliche oder sonst wie einschränkende Folgewirkungen hat. Man denke an Bewegungsmangel, Rückenprobleme, an Kreislauf- und Konzentrationsschwierigkeiten. Oder überhaupt die Einwirkung auf die neuronale Basis des Gehirns.
All dies sind notwendige Voraussetzungen für die empirische Annahme, dass Reduktionsleistungen jederzeit erbracht werden können. Daraus ergibt sich, dass man gleichsam immer genügend Gründe findet, der Fortsetzung der Kommunikation jederzeit gewachsen zu sein.
Genauso oft werden Überforderungen beobachtet, aber – und das ist der entscheidende Punkt – diese Überforderungen werden meistens auf Strukturen zugerechnet, die sich aus dem Unvermögen anderer ergibt, welche angeblich der Kommunikation nicht nach denjenigen normativen Vorgaben folgen können, wie sie durch eine Kommunkation entstehen, die es für die Beteiligten zulässig macht, die Risiken der Fortsetzung als gering zu erachten. Das heißt: hoch komplexe soziale Systeme erbringen für Menschen, wenn nicht für das Handeln, aber wenigstens für das Erleben, gesteigerte Möglichkeiten der Entfaltung von Verstehenshorizonten, eine Art psychische Freiheit, die nur innerhalb der psychischen Grenzen ihre Entfaltung deshalb steigern kann, weil in der sozialen Umwelt zu wenig eindeutige Orientierungswerte gegeben sind. So kann es kommen, dass ein Bewusstsein seine Leistungsfähigkeit einerseits gerade dadurch steigern kann, weil es mit geringer Kongruenzwahrscheinlichkeit im Verhältnis zur sozialen Umwelt rechnen muss, aber immer dann, wenn diese Erwartung sich erfüllt, erbringt dies andererseits immer auch die Notwendigkeit einer Steigerung der psychischen Leistungsfähigkeit, welche die Grenzen ihrer Haltbarkeit immer, in jedem Augenblick auf eine Durchaltewahrscheinlichkeit testen muss. Auf dem Monitor der Kommunikation erscheint dieses Verhalten als „subjektiv“, weil für die Kommunikation nicht anders durchschaubar, und, aufgrund erfolgreicher Regelbildung, als zulässig, als rechtens und bald auch als notwendig. Damit wäre der Grund für die kommunikative Herausbildung von normativen Vorgaben formuliert: handele subjektiv, also individuell-selektiv, aber vermeide Arbitrarität. Und immer wenn dies gelingt, ereignet sich zugleich das, was durch die Vorgabe ausgeschlossen werden sollte: die Arbitrarität, also die Möglichkeit der unvollständigen Kontrollierbarkeit von Anschlussfindung, die für die Operativität von Kontextverschiebungen unverzichtbar bleibt. Würde dies nicht geschehen, würde jede Kommunikation ganz schnell aufgrund zu hoher Erwartungssicherheit zusammen brechen.
Kommt – wie bei der Interkommunikation – noch hinzu, dass einerseits die Körper verteilt vor Anschlussgeräten sitzen, welche affektiv nicht mehr auf lokale Identität und Anwesenheit anderer Körper reagieren können, und, dass Exklusionsregeln der Beteiligung noch nicht eingeführt sind, dann dürfte die Wahrscheinlichkeit der Überforderung so groß werden, dass beinahe alle Internetkommunikation als Störkommunikation auffällt, welche allerdings nicht mehr allein die Stimmung stört, sondern die Abläufe. Dies nicht zu bemerken ist nur ein Indikator für die Unerfahrenheit mit der Internetkommunikation, welche es unmöglich macht, dass normative Vorgaben noch einigermaßen anschlussfähig sind.