Das Internet, Diskurs- oder Simulationsmedium?

von Kusanowsky

Wenn meine Überlegung zutreffen sollte, dass das Internet eine Verschärfung des Trivialisierungspozesses der modernen Form der Erfahrungsbildung darstellt, dann heißt das nicht, dass alles, was durch das Internet kommuniziert werden kann, trivial erscheint, sondern die Art und Weise der Beurteilbarkeit ist trivial, solange das Dokumentschema als Beobachtungsschema beibehalten wird, welches schon lange, spätestens seit der Industrialisierung, auf seine Ablösung wartet. Wenn diese Ablösung durch das Internet vollzogen wird, so dürfte man damit rechnen, dass gegenwärtig ein Enttrivialsierungsprozess abläuft, durch den eine andere Form der Erfahrung in Erfahrung gebracht wird. Vielleicht hat ja Tim Bruysten das gemeint, als er in der Diskussion um ein Leistungsschutzrecht kommentierte: „Und gerade der hier stattfindende Diskurs … zeigt die potentielle Überlegenheit der Diskursmedien gegenüber den Massenmedien des 20. Jhds.“ Dieser Bemerkung hatte ich widersprochen mit der Begründung, dass es gerade der so formulierte Überlegenheitsgestus zu sein scheint, von welchem man hoffen will, dass er mit dem Niedergang von Massenmedien auch sich selbst erübrigt, ist doch gerade dieser Gestus selbst Ergebnis massenmedialer Möglichkeiten, die durch Massenverbreitung von Dokumenten eine spezifisiche Erzählform ausbilden, die auch immer eine Form der Selbstdarstellung einschließen, welche in abgelegten Avantgarde-Formierungen des 19. und 20. Jahrhunderts genauso vorkommen wie in der neuerdings heilig verteidigten Vorstellung eines Qualitätsjournalismus bei Carta, der als Garantiemacht der demokratischen Freiheit eine unbedingte Überlegenheit und Priorität genießen sollte.
Wenn man es aber bei der Diagnose belassen möchte, derzufolge einen soziokultureller Wandel stattfindet – wann hätte der nicht stattgefunden? – würde man überlicherweise nach „was ist das“ fragen, das sich da wandelt. Gewöhnlicherweise können aber solche Fragen erst beantwortet werden, wenn der Wandel vollzogen, wenn also Rückschau möglich ist. Alles andere – die Gegenwart – ist ein Fall für Astrologie, die angibt, sie könnten jetzt schon wissen, was als nächstes geschieht. Dies aber – im Unterschied zu aller Trendforschung – nicht mehr zu wagen oder zu versuchen, hieße, den Fall aller Astrologie umzukehren, und zu versuchen, in der Gegenwart zu erklären was zuletzt geschehen ist, was wohl – soweit ich das so selbstwidersprüchlich wie möglich betrachten kann – das brauchbarste Rüstzeug für die anstehenden Probleme werden kann. Denn nicht mehr Versuche, Einverständnis und Konsens herzustellen wäre dasjenige, das uns ein Realitätsverständnis verlässlich vermittelt; sondern es wäre der kreative Umgang mit Dissens und Missverständnis gerade angesichts der technischen Möglichkeiten in Sachen KI, welcher noch erlaubt zu wissen, was hier noch der Fall ist. Wenn nicht mehr die Alltagserfahrung allzu fern liegt, derzufolge wir es mit einem ständigen Turing-Test zu tun bekommen, dann stellt sich nicht mehr die Frage, wie ich, wie wir uns verständlich machen, sondern wie wir uns gegenseitig tricky Fallen stellen, um herauszufinden, ob’s noch auf der anderen Seite ein Mensch ist oder nicht. Man denke dabei beispielsweise an eine Stelle in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen bei diaspora, wo heißt: „You must be a human“ – womit gesagt ist, dass der gegenteilige Fall noch abgesondert werden sollte, also nicht dazu gehört. Aber glaubt noch irgendwer daran, dass solche eindeutige Zuordnungen noch funktionieren können, wenn man jetzt schon feststellen kann, dass die Rechtsprechung sich auf Gebiete vorwagen muss, die bislang nur in SiFi-Erzählungen verarbeitet wurden? Denn was auch immer man sonst unter „künstlicher Intelligenz“ (im Unterschied zur natürlichen Dummheit, die auch noch sehr ungenügend verstanden wird) verstehen mag, wenigstens dann, wenn die Ergebnisse maschineller Auswertungen selbst wiederum Maschinen überlassen werden, könnte man sagen, dass künstliche Intelligenz funktioniert, wenn also die Kontingenz der Zurechenbarkeit von Kommunikation auch unter Technikern zum Normalfall wird.
Die Frage, die zustellen wäre lautet entsprechend, ob der Enttrivialisierungsprozess des Internets durch ein Diskurs- oder ein Simulationsmedium passiert. Ein Diskursmedium zeichnet sich im Unterschied zu einem Massenmedium durch Konnektivität aus, die keine vorgängige Zentralistanz zulässt, was nicht ausschließt, dass ein unterschiedliches Maß an Aufmerksamkeit verteilt werden kann. Entscheidend ist, dass ein Diskursmedium ganz andere Erregungsmuster beobachtbar macht. Für ein Simulationsmedium dürfte gelten, dass es außerdem Alterität auf die Probe stellt. Dass angesichts solcher Überlegungen die Frage nach Transparenz noch einmal aufkommt, scheint leicht nachvollziehbar, dass sich aber an Transparenz, die sich ja, wie vieles andere auch, etwa Konsens, Innovation und Blockade, nicht immer verhindern lässt, zeigt doch, dass die Hoffnungen wenig überzeugen können. Denn ein Recht darauf, allein bleiben zu dürfen, was ja auch heißt, Geheimnisse zu ertragen, ein Recht, das auch von Unternehmen, Parteien und Ämtern wahrgenommen wird, lässt sich mit Hacker-Methoden nicht einfach abschaffen, weil man mit den selben Methoden auch Irreführung betreiben kann.