Das proteische Selbst als eine polymorph-perverse Masse

von Kusanowsky

In den Abhandlungen zur Sexualtheorie von Sigmund Freud findet sich die Bemerkung, das Kind sei ein polymorph-perverses Wesen. Entgegen dem üblichen Sprachgebrauch meint dies lediglich, dass beim Menschen keine eindeutige sexuelle Determinierung zu finden sei, vielmehr unterliege auch die Sexualität einer Ontogenese, die im Laufe einer sozio-psychischen Evolution unterschiedliche Gegenstände der Lustempfindung ausprobiere. „Polymorph-pervers“ ist damit nur ein Bezeichnung für die Unbestimmtheit einer Entwicklung, die sich insbesondere durch die Fähigkeit zur Vielgestaltigkeit und zur Wandelbarkeit auszeichnet.
Anknüpfend an einen sehr lesenswerten Artikel bei Postdramatiker sind die dort angesprochenen Betrachtungen der Entwicklung moderner Subjektivität in medientheoretischer Hinsicht sehr anregend. Wenn man, anders als Postdramatiker, nicht mit der Frage anfängt, was aus dem Subjekt wird, sondern wenn man stattdessen umgekehrt fragt, wie ein Medium seine Masse umformt und sich die entwickelten Strukturen der Entfaltung moderner Subjektivität als Substrat zunutze macht, ohne dieses zu vergessen, zu zerstören, sondern diese Strukturen im Hegelschen Sinne aufhebt, so könnte man vielleicht einen theoretischen Zugewinn für die Beurteilung der gegenwärtigen Entwicklung von Simulationsmedien erhalten. Die Masse des Mediums wäre dann – ganz im Sinne Luhmanns – eine Quantität lose gekoppelter Elemente (hier: Subjekte), die sich als ein sogenanntes proteisches Selbst darstellt, welches, ganz ähnlich der Figur in der griechischen Mythologie, bei jedem Selektionsvorgang seine Gestalt ändert, sich also bald hierhin, bald dorthin verbreitet, an Kondensationspunkten kleben bleibt und gelegentlich selbst zu einem Netz im Gesamtnetz gerinnt, bestehend aus den hinterlassenen Spuren, bzw. Daten, ohne dass dahinter ein Steuerungsmotor, eine Identität, eine Konstanz oder heimliche Autonomie liegen müsste, die als Adresse ansprechbar wäre, welche aber im Zeitverlauf Antworten, also „perverse Formen“ liefern müsste, die sich zunächst jedem Zugriff entziehen. In der griechischen Mythologie geschieht dies durch Überlistung des Proteus. Über Proteus heißt es: „Er versuchte den Fragen zu entkommen, indem er verschiedene Gestalten annahm. Das machte ihn zu einem Meister der Verwandlung, der jede beliebige Form annehmen konnte..“ Allegorisch wäre damit das Internet als Simulationsmedium charakterisiert, das durch seine zunehmende Dichte innerhalb seiner rhizomatischen Struktur einen Selektionsdruck aufbaut und sich damit Bedingungen erarbeitet, die gleichsam eine operativ organiserte List, als vorhersehbare Unvorsehbarkeit durch Umschlag von Quanität in Qualität, vom Medium in die Form fester Verkoppelung wahrscheinlich machen. Die Operation der Simulation würde sich durch ein komplementäres Verhältnis von wiederholtem Zugriff und Entzug fortsetzen und dabei eine „différance„, eine Verschiebung und Verschiebung von Verschiebungen anschlussfähig machen bis zu einer allein virtuellen Kapazitätsgrenze der Erschöpfung des Medium und sich dann durchsetzender Formen, welche die Organisation und Formatierung einer anderen Empirie bereitstellen.