Das proteische Selbst als eine polymorph-perverse Masse
von Kusanowsky
In den Abhandlungen zur Sexualtheorie von Sigmund Freud findet sich die Bemerkung, das Kind sei ein polymorph-perverses Wesen. Entgegen dem üblichen Sprachgebrauch meint dies lediglich, dass beim Menschen keine eindeutige sexuelle Determinierung zu finden sei, vielmehr unterliege auch die Sexualität einer Ontogenese, die im Laufe einer sozio-psychischen Evolution unterschiedliche Gegenstände der Lustempfindung ausprobiere. „Polymorph-pervers“ ist damit nur ein Bezeichnung für die Unbestimmtheit einer Entwicklung, die sich insbesondere durch die Fähigkeit zur Vielgestaltigkeit und zur Wandelbarkeit auszeichnet.
Anknüpfend an einen sehr lesenswerten Artikel bei Postdramatiker sind die dort angesprochenen Betrachtungen der Entwicklung moderner Subjektivität in medientheoretischer Hinsicht sehr anregend. Wenn man, anders als Postdramatiker, nicht mit der Frage anfängt, was aus dem Subjekt wird, sondern wenn man stattdessen umgekehrt fragt, wie ein Medium seine Masse umformt und sich die entwickelten Strukturen der Entfaltung moderner Subjektivität als Substrat zunutze macht, ohne dieses zu vergessen, zu zerstören, sondern diese Strukturen im Hegelschen Sinne aufhebt, so könnte man vielleicht einen theoretischen Zugewinn für die Beurteilung der gegenwärtigen Entwicklung von Simulationsmedien erhalten. Die Masse des Mediums wäre dann – ganz im Sinne Luhmanns – eine Quantität lose gekoppelter Elemente (hier: Subjekte), die sich als ein sogenanntes proteisches Selbst darstellt, welches, ganz ähnlich der Figur in der griechischen Mythologie, bei jedem Selektionsvorgang seine Gestalt ändert, sich also bald hierhin, bald dorthin verbreitet, an Kondensationspunkten kleben bleibt und gelegentlich selbst zu einem Netz im Gesamtnetz gerinnt, bestehend aus den hinterlassenen Spuren, bzw. Daten, ohne dass dahinter ein Steuerungsmotor, eine Identität, eine Konstanz oder heimliche Autonomie liegen müsste, die als Adresse ansprechbar wäre, welche aber im Zeitverlauf Antworten, also „perverse Formen“ liefern müsste, die sich zunächst jedem Zugriff entziehen. In der griechischen Mythologie geschieht dies durch Überlistung des Proteus. Über Proteus heißt es: „Er versuchte den Fragen zu entkommen, indem er verschiedene Gestalten annahm. Das machte ihn zu einem Meister der Verwandlung, der jede beliebige Form annehmen konnte..“ Allegorisch wäre damit das Internet als Simulationsmedium charakterisiert, das durch seine zunehmende Dichte innerhalb seiner rhizomatischen Struktur einen Selektionsdruck aufbaut und sich damit Bedingungen erarbeitet, die gleichsam eine operativ organiserte List, als vorhersehbare Unvorsehbarkeit durch Umschlag von Quanität in Qualität, vom Medium in die Form fester Verkoppelung wahrscheinlich machen. Die Operation der Simulation würde sich durch ein komplementäres Verhältnis von wiederholtem Zugriff und Entzug fortsetzen und dabei eine „différance„, eine Verschiebung und Verschiebung von Verschiebungen anschlussfähig machen bis zu einer allein virtuellen Kapazitätsgrenze der Erschöpfung des Medium und sich dann durchsetzender Formen, welche die Organisation und Formatierung einer anderen Empirie bereitstellen.
Kann mich deiner Fortfuehrung gut anschliessen, aber willst d wirklich anfangs noch Subjekte voraussetzen? Waere es nicht theoretisch weiter fuehrender, das was einst fiktiv als Subjektsubstrat gesetzt oder als Ziel der Persoenlichkeitsentwicklung und Axiom der Rechtsprechung gesetzt wurde in dieselbe Bewegung aufzuloesen? Scheint mir theoretisch harmonisch zu den massenmedialen oder medienmassiven Prozessen zu sein.
Subjekte sind Umweltbedingung und insofern natürlich eine Voraussetzung der Evolution, die ja selbst dafür gesorgt hat, dass Strukturen der Entfaltung von Subjektivtät zustande kamen. Aber die soziale Evolution zerstört nichts, vergisst nichts, verliert nichts, sondern ändert nur die Bedingungen ihrer Fortsetzung, indem sie ihre Erfolge durch Trivialisierung, durch Zerstreuung und Vereinzelung von Elementen zur neuen Ausgangsgrundlage nimmt. Diese Vereinzelung, die ja selbst ein Formbildungsprozess war, musste selbst erst zustande kommen. Dieser soziale Prozess hat sich seit dem Städtebau im Mittelalter und der Ausbreitung einer funktional-differenzierten Gesellschaft entfaltet und damit seine Umwelt enttrivialisiert. Sozial gesehen ist das moderne Subjekt inzwischen eine psychische Trivialität, psychisch gesehen ist es aber eine enttrivialiserte soziale Form. Bei Marx heißt es in der 6. Feuerbachthese: „das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum inwohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.“ Das ist eine sehr bemerkenswerte Aussage. „Ensemble“ heißt ja hier, dass die Mikrodiversität der Menschenumwelt von der Komplexität der sozialen Welt geprägt wird, sie versammelt durch Individualisierung die Komplexität der sozialen Welt, während die soziale Komplexität gleichzeitig und andersherum durch ihre Umwelt geprägt wird und entsprechend ebenfalls in Mikrodiversität zerfällt. Aber dieser System-Umwelt-Zusammenhang entwickelt sich gleichzeitig und asymmetrisch. Das Verhältnis von Medium und Form entwickelt nicht als ein Kausalitätsverhältnis ungleichzeitiger Prozesse eines Nacheinanders, sondern als kausale Gleichzeitigkeit eines Durcheinanders.
[…] Problem der Industrie, sondern die Masse von Genies, die sich vielleicht längst schon als eine „geniale Masse“ formieren und nunmehr die Industrie dazu zwingen, sich der Selbstunterwerfung des Genies […]
[…] Das proteische Selbst als eine polymorph-perverse Masse « Differentia: […]
[…] Infolge dieser Bemerkung ließ sich Stefan, der ansonsten eine geduldige Art des Argumentierens pflegt, entmutigen, gleichwohl wissend, dass Entmutigungen zum Geschäft gehören. Wie anders könnte Kommunikation Anlässe zur Ermutigung ihrer Fortsetzung liefern, wenn sie nicht zugleich auch Entmutigungen zustande brächte? Und wie könnte die Entmutigung entstehen, resp. wie könnte man sich ermutigt fühlen, Entmutigung zu problematisieren?Wie kann es gelingen, dass die Beobachtung der Arroganz anderer nicht zuerst selbst als arrogante Bemerkung beobachtet und als solche entsprechend kommuniziert wird? Wie kann es gelingen, dass im Anschluss an eine solche Bemerkung, das „Für und Wider“ ob ihrer Berechtigung, also ihr Beleidigungscharakter eher und ernstzunehmender ins Auge sticht als die Frage, aus welcher Quelle sich solche arroganten Bemerkungen speisen? Nicht viel anders verhält es sich mit diesem erfolgreichen Entmutigungsversuch: Hier ist bemerkenswert, dass der Autor sich anschließend in die Diskussion einmischte und mehr Rationalität einforderte, ohne gleichwohl Auskunft darüber zu geben, wer diese Forderung zuerst erfülllen sollte. Die Verweigerung dieser Auskunft könnte möglicherweise daher rühren, dass sie bereits als „Gegeben“ vorausgesetzt wird, dass sich nämlich die „hochnäsig anderen“ zuerst darum bemühen sollten und nicht das arrogante Selbst, das sich hier bemerkbar macht.Das hängt aber keineswegs mit den Charaktereigenschaften der beteiligten Menschen zusammen, denn über die ist kaum etwas Wahres bekannt. Alles, was bekannt ist, besteht allenfalls aus irregeleiteten Spekulationen, die ihren eigenen Verifikationshorizont ermitteln und sich anschließend zur Wahrheit erhärten. Beobachtbar sind hier zunächst nur verkettete Operationen, die für sie geeignete Beobachtungen zulassen. Und immer dann, wenn Beobachtungen beobachtbar werden, ist immer zugleich auch die andere Seite im Spiel, die durch die Beobachtung abgesondert wird; die andere, unsichtbare Seite, von welcher aus gesehen wird, was man sehen kann. Es geht um den blinden Fleck und um die Frage, warum an allen Stellen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit dasselbe Anschlussverhalten beobachtbar wird. Welche „verschworene Gemeinschaft“ zeigt sich beleidigt, wenn solche Geringschätzungsbekundungen aufkommen? Warum entmutigt das? Ich vermute, es liegt an diesem arroganten Selbst, das sich nicht selbst beoachten kann.Die moderne Gesellschaft hat eine spezifische Form der Arroganz ausgebildet, welche sich durch ein historisches überliefertes Problem zunächst als Lösung entwickelte: die Erbsünde des Menschen. Diese altchristlichen Strukturen der grundsätzlichen Sündhaftigkeit des Menschen als Abstandsunterschied zwischen Welt und Gott lieferte das Medium, aus dem heraus sich eine Vorstellung von menschlicher Bedürftigkeit und Menschenrechten entwickelte. Was uns späteren Menschen möglicherweise nur schwer einleuchten kann ist, wie sehr die Befreiung aus dieser Zwangsjacke als hoffnungsfrohe Entwicklung die Ausgangsbedingung änderte, durch die solche Formenbildung attraktiv wurden. Kaum ein Mensch versteht noch was es heißen mag, mit einer Erbsünde belastet zu sein, weshalb man entsprechend schwer nachvollziehen kann, was es bedeutet, in diesen Irrtum Einsicht zu nehmen. Stattdessen ist den Erben diese Form der Menschenwürde überliefert und geschenkt worden. Die Evolution hatte in der Folge die Spielregeln geändert, insofern diese Form nun schließlich selbst problematisch werden muss, wenn sie legitim und geteilt in Anspruch genommen wird. Könnte das sein? Dass die moderne Vorstellung von Menschenwürde anfängt an die Grenze einer Menschenrechtsverletzung zu kommen?Es kommt nicht darauf an, eine solche Überlegung als Übertreibung zurückzuweisen, sondern diese Übertreibung als den vielleicht harmlosen Problemfall zu betrachten: das Internet ermöglicht eine Vollinklusion von Menschen, wie man sie möglicherweise aus Systemen der Intimbeziehungen kennt, allerdings mit dem Unterschied, dass das Internet eine Intimität durch Anonymität schafft. Man bedenke, dass ein schnell geschriebener Tweet in ganz kurzer Zeit viele tausend Menschen erreichen kann und genauso schnell Reaktionen wahrscheinlich macht, wenn die Beteiligten von einander wissen, dass sie per Twitter erreichbar sind. Ruckzuck kann so ein Strukturphänomen blitzartig entstehen, welches allerdings nicht genau so schnell wieder verschwindet: eine Struktur, welche die Beobachtung des „Erwischtwordenseins“ beobachtbar macht und gleichzeitig dafür sorgt, dass man beim „Erwischtwordensein“ nicht erwischt werden kann. Das gelingt, indem anschließend darüber diskutiert wird, also eine Diskussion über die Diskussion in Gang kommt, die durch ein angepasstes Maß an Selbstreflexivität affirmativ diejenige Kritik verdeckt, durch welche sie möglich wurde.Ergebnis: das arrogante Selbst kann seine Unbeobachtbarkeit gerade dadurch retten, dass es noch zulässt, sein Beleidigtsein kommunikativ zu reflektieren, um seine Stolz bewahren zu können, was zur Folge hat, dass das Rad, an dem die Kommunikation dreht, die Kommunikation weiter dreht als wäre nicht gewesen.Und ich vermute, dass solche Strukturen der Arroganz eben jenes Medium bilden, aus dem sich interessante Formen der Internetkommunikation herausbilden.Weiter mit: Das proteische Selbst als eine polymorph-perverse Masse […]
[…] bestehen lassen, scheint mir eine hohe Anschlussfähigkeit an die hier und ebenfalls bei Kusanowsky beschriebene Überlegung zur polymorph-perversen Struktur des Post-Subjekts (das, um allzu voreilige […]
Ein alter Witz unter Medientheoretikern: „Ist Marshall McLuhan eigentlich immer noch tot?“
Bekanntermaßen war seine Botschaft: Das Medium ist die Botschaft, weshalb seine Anhänger sich gegenseitig zitieren, dass die Botschaft des Mediums Internet lautet: „Ich bin Viele“ (Sherry Turkle). Es wurde schon viel darüber geredet, die Wirkung ist der Verlust des Ichs, seine Grundlage ist das Netzwerk, das nur verliert und nichts findet. Durch dieses Medium wird ein neuer Menschtypus erschaffen: Das „proteisches Selbst“ – ein leeres Selbst. So wie Proteus der göttliche Verwandlungskünstler war, der sich selbst nie gefunden hat, so ist das neue Subjekt ein Suchendes, der sich immer tiefer in der Weitläufigkeit der Leere verliert.
Mir kommt das manchmal vor als ob die Rede darüber kaum etwas mit dem zu tun hat, was diese Leute den ganzen Tag machen. Sie surfen. Aber sie surfen nicht nur. Man kann eine Gesellschaft so nicht vollständig beschreiben.
„Das „proteisches Selbst“ – ein leeres Selbst. So wie Proteus der göttliche Verwandlungskünstler war, der sich selbst nie gefunden hat, so ist das neue Subjekt ein Suchendes, der sich immer tiefer in der Weitläufigkeit der Leere verliert.“
Das scheint mir so neu nicht. Wann war das Subjekt je voll, hat gefunden, was es suchte?
Beispiele?
Weder für Abrahams Selbst-Exodus scheint das zu gelten, der auszog, um nie mehr zurück zu kehren und sich in seiner Nachkommenschaft zu verlieren, noch für Odysseus, den vielgewandten, der sich trollig und treffend „Niemand“ nannte. Nicht mal für Kolumbus. Der fand, was er nicht suchte, wie der Internet-Klicker.
Woran kann man einen Beobachter erkennen, der etwas Neues gelernt hat? Möglicherweise immer daran, dass behauptet wird, das sei alles nichts Neues, sei alles uralt und längst bekannt. „Es war ja schon immer so“ – man müsste ergänzen: das ist nichts Neues, dass alles schon bekannt ist, weil ja ständig etwas anderes gelernt wird. Solche Zurückrechnungen sind in Wirklichkeit nur nachträglich vorgenommene, konstruierte Aktualisierungen, durch die wiederholt wird, was genauso gut hätte in Vergessenheit geraten können. So haben wir es gleichsam nur mit einer platonischen Seelentätigkeit zu tun, durch die immer nur wiedergefunden wird, was im Augenblick der Selbstbeobachtung einer Seele, im Augenblick ihrer Emergenz verschwindet.
Tatsächlich war der postmoderne Diskurs um das proteische Selbst noch eingeklammert durch existenzialistische Rätselratereien um die Frage, was ein authentisches Menschsein noch ausmacht. Damit hatte Focault sich herumgeschlagen, welcher sich übrigens vorgenommen hatten, Jean-Paul Sartre in seiner Prominenz zu übertreffen, was ihm schließlich auch gelungen war. Foucault hatte nämlich schon geschafft, ein Subjektkonzept auf die nächste Beobachtungsebene zu bringen, weil der Rousseausche Romantizismus des seiner Herkunft nach freien Subjekts bis ins 20. Jahrhundert hinein in Erinnerung gehalten werden konnte. Nach Einschätzung von Michel Foucault ist das Konzept der „Authentizität“ typisch für Subjektivierungsformen der Moderne, die bei Sartre noch als „Seinsweise des durch seine Übereinstimmung mit sich selbst bestimmten Subjekts“ beschrieben wurde. Dagegen plädierte Foucault für eine Vielheit von Formen und Praktiken der Selbstbeziehung und des Selbstentwurfs.(1) Er verdeutlicht dies z.B. mit Bezug auf Sartres Forderung, dass wir „wirklich und wahrhaftig wir selbst sein müssen“. Sartre habe hier die kreative Arbeit „an eine bestimmte Beziehung zu sich selbst“, „an einen Selbstbezug des Autors“ zurückgebunden und dabei nur zwei Formen unterschieden: „Authentizität“ im Sinne insbesondere moralischer „Aufrichtigkeit“ oder Nichtauthentizität. Foucault hatte dementgegen schon eine umgekehrte Perspektive vor Augen: So „sollte man vielleicht die Art von Beziehung, die er zu sich selbst hat, als kreative Aktivität auffassen, die den Kern seiner ethischen Aktivität ausmacht.“ – „Aus dem Gedanken, daß uns das Selbst nicht gegeben ist, kann m.E. nur eine praktische Konsequenz gezogen werden: wir müssen uns wie ein Kunstwerk begründen, herstellen und anordnen.“ (2)
Und daran anschließend konnte im postmodernen Diskurs noch einmal eine Ontologie des Subjekts formuliert werden, die dann schon auf die Kontingenz aller Subjektivierungsformenen bezug nehmen konnte.
Was sich seitdem ändert ist aber nicht mehr eine Sache der Konzeption und Deskription, sondern es geht um eine Diszplin, die nicht nur auf die Kontingenz aller Deskriptionen bezug nimmt, sondern auf die Kontingenz jener Disziplin der Herstellung von Subjekten durch Kritik. Und das geschieht dann durch Verzicht auf Kritik, oder besser: durch Aufhebung von Kritik durch Fortsetzung der Internetkommunikation, welche selbst zwar immer noch Subjekte thematisieren kann, aber die Subjektdisziplin ins Leere laufen lässt, weil die Kritik durch Internetkommunikation ihre Widerstands- und Überzeugungsfähigkeit verliert. Das ist nämlich nichts mehr, das man überzeugen könnte.
(1) Foucault, Michel: Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits. Bd. IV, 1980-1988, Frankfurt/M. 2005, S. 758.
(2) Foucault, Michel: Sex als Moral. Gespräch mit Hubert Dreyfus und Paul Rabinow. In: Von der Freundschaft als Lebensweise. Michel Foucault im Gespräch. Berlin 1984, S. 69-84, hier 80f.
@Kusanowksy „weil der Rousseausche Romantizismus des seiner Herkunft nach freien Subjekts bis ins 20. Jahrhundert hinein in Erinnerung gehalten werden konnte“
Karlheinz Rossbacher: „Ihr Traum ist sehr artig“, sagte Goethe. Johann Peter Eckermann möchte ein anderer sein. In: Beutner, Eduard u.a. (Hg.): Literatur als Geschichte des Ich, Würzburg 2000, S. 55 – 76, S. 58
“Er war immer derselbige und immer ein anderer”.
Ich würde im ganzen zu der Überlegung neigen, dass alle Subjektphilosophie der Moderne nur die Suche einer platonische Seele zu sich selbst, also zum Troll ist. Wenn man die Liste der „Wesensmerkmale“ des gesuchten Subjekts rekapituliert, dann düfte man einiges wirres Zeug finden: So hatte Ernest Gellner diesen „neuen Menschen“ als den „modularen Menschen“ bezeichnet, als ein „Wesen mit mobilen, disponiblen und austauschbaren Qualitäten“ (1), und sich dabei einer Ikea-Metapher bedient. Zygmunt Baumann jedenfalls hatte dann schon vermutet, es handele sich dabei um jenen Menschentypus, der in einer „Netzwerk-Gesellschaft“ funktional ist. Auf dem Hintergrund solcher Subjektkonstruktionen verändern sich entsprechend fie Bilder, die für eine erfolgreiche Identitätsbildung herangezogen werden. Menschen hätten ihre festen Behausungen oder auch Gefängnisse verlassen: Sie seien „Vagabunden“, „Nomaden“ oder „Flaneure“ (Bauman). Die Fixierung an Ort und Zeit werde immer geringer. Es ist die Rede von der „Chamäleon-Identität“. Es wird die Metapher des „Videobandes“ bemüht: „leicht zu löschen und wiederverwendbar“ und die postmodernen Ängste bezögen sich eher auf das Festgelegtwerden, auf „Fixeophobie“.
Es müssten noch die Ausführen von Richard Sennett zum „flexiblen“ Menschen hinzugenommen werden. Und spätestens dann dürfte man irgendwann einmal die Frage nach einer haltbaren Relevanz solcher Wesensbestimmung stellen: dieses Wesen zeichnet sich dadurch aus, nichts wesenhaftes mehr in sich zu tragen, womit eigentlich nur noch einmal herausgefunden wurde, was man auch mit weniger Schreibaufwand hätte herausfinden können. „Aber das menschliche Wesen ist kein, dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.“ (Karl Marx). Damit ist übrigens nur gesagt, dass eine Anthropologie nicht die Einheit sozialtheoretischer Differenzen darstellt, sondern, dass sozialtheoretische Differenzen die Einheit für anthropologische Differenzen sind. Trotzdem sind diese Umwege notwendig gewesen, um der ideologischen Vergiftung zu entkommen, die durch marxistische Scholastik in die Welt gesetzt wurde; und ich bin skeptisch was die Umwege angeht, die man gehen muss, um den luhmannistischen Scholastikern zu entkommen. Aber, wie wir jetzt wissen: wir sind ja flexibel.
(1) Bauman, Zygmunt: Unbehagen in der Postmoderne. Hamburg 1999, S. 158. Dort: Gellner, Ernest: The Importance of Being Modular. In: Hall, John A. (Hg.): Civil Society, Theory, History, Comparison. Camebridge 1996, S.46.
https://twitter.com/#!/beinvegni/status/194387052878499840
Die Umformungsvorgänge, die durch ein Medium selbst zuwege gebracht werden, waren in der früheren Medienwissenschaft immer von einer gewissen Skepsis begleitet, die sich in einer für die Wissenschaft typischen Distanzhaltung zu Massenmedien zeigte. Denn wie zuvor auch die Presse organisert das Fernsehen eine eigene Beschreibung ihres Substrats, nämlich: Masse, und versieht diese Beschreibung mit einer selbstbegründeten Plausibilität. Die Evidenz kann enstehen, weil das Fernsehen ein Distributionsverfahren ist, das vorgibt, mit identischen Inhalten auf identische Weise alle Menschen zu erreichen, wodurch sich einerseits Hoffnungen und Befürchtungen aussprechen, Menschen könnte anschließend auf identische Weise reagieren, und wodurch andererseits, im Fallle der empirischen Beobachtung des Gegenteils, Raum geschaffen wird zur Skandalisierung, weil eben doch jeder auf andere Weise informiert ist. Beide Möglichkeiten erschienen für die Medienwissenschaft, sofern sie sich als kritische Wissenschaft verstand, obszön, weil so ein „Massenmensch“ beobachtbar wurde. Günther Anders: „Massenmenschen produziert man, daß man sie Massenware konsumieren läßt; was zugleich bedeutet, daß sich der Konsument der Massenware durch seinen Konsum zum Mitarbeiter bei der Produktion des Massenmensch (bzw. zum Mitarbeiter bei der Umformung seiner selbst in einen Massenmenschen) macht. … Und zwar überall dort, wo der Konsum stattfindet: vor jedem Rundfunkgerät; vor jedem Fernsehapparat.“
Mir scheint, dass die wissenschaftliche Skepsis durch ihre eigene Disziplin entstand, nämlich: Kritik als Bildungsmethode des indiviudellen Subjekts und verkannte, dass auch Massenmedien auf ihre eigene Weise bildend tätig waren.
Anders, Günther: Die Welt als Phantom und Matrize. Philosophische Betrachtungen über Rundfunkt und Fernsehen. In: ders., Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1. 7. Aufl. München 1994 (1956), S. 103.
„dass auch Massenmedien auf ihre eigene Weise bildend tätig waren.“
Aber da stellt sich doch die Frage, warum Medienkritik immer noch ein sehr emotionales Thema ist. Mit Medienkritik kann man immer noch provozieren, und vor allem wird die Medienkritik über Massenmedien selbst hergestellt: „Auf der einen Seite finden wir die Apokalyptiker, auf der anderen die Evangelisten. In mehr als einer Hinsicht hat hier der technische Fortschritt die Nachfolge der Offenbarungsreligionen angetreten. Heil und Unheil, Segen und Fluch lesen die Auguren seit der Aufklärung nicht mehr in den Heiligen Schriften, sondern aus den Eingeweiden der technischen Zivilisation.“ (Hans Magnus Enzensberger: Das digitale Evangelium. Propheten, Nutznießer, Verächter, hg. von Peter Glotz, Erfurt 2000., S. 12.)
Die Verwendung theologischer Metaphorik in der Medienkritik von Enzensberger verrät doch eigentlich nur einen Mangel an intersubjektiven Daten, die die Untersuchung von Medien in vielerlei Hinsicht zur Glaubensfrage mutieren lässt.
Wenn man mit Blick auf den Kommentar von Kolarius Xigati darüber nachdenkt, woher die Medienkritik eigentlich ihren Treibstoff bezieht, dann vermute ich, dass die Medienkritik theoretisch geprägt ist von einem Abbildkonzept, demzufolge das gezeigte Bild im Subjekt durch Wiederabbildung vorhanden ist. Die Bilder wären also eingeprägt und würden dort manipulativ auf das Subjekt einwirken, und zwar deshalb, da das Subjekt von sich selbst ebenfalls ein Bild erzeuge, dieses mit jenem vergleicht und durch diesen Vergleich eine Vielzahl an Unstimmigkeiten erkennt und dabei das Problem des Beobachtetwerdens entdeckt. Dies wiederum impliziert die Vermutung eines dahinterstehenden Beobachters, einer allgegenwärtigen, allsehenden, übergeordneten Instanz. Dieser Verdacht, der ein Selbstverdacht ist, ist das eigentliches Grundverhältnis zu den Medien und der unaufhörlichen Suche nach einem submedialen Raum hinter jedem Bild und Zeichen. Medien, wie das Fernsehen, schaffen aber eine eigene mediale Wirklichkeit unter der Prämisse von Sichtbarkeit und Verdunkelung. Jedenfalls kann man seit Mitte der fünfziger Jahre mit der Ausbreitung des Fernsehens als Massenmedium und zeitgleich bei Günther Anders diesen Zusammenhang bemerken: Die Welt der Medien als eine Welt, deren angebliche Wirklichkeit zum Abbild ihrer Bilder geworden sei.
Im Zentrum der Reflexionen über das Fernsehen steht bei Günther Anders die Frage, was denn das durch das Fernsehen geliefete Bild eigentlich darstellt. Dabei ging es ihm um eine, noch in ihrer Essentialität ermittelbaren Spezifik des Bildes, verknüpft mit einer ihm zugrunde liegenden Wirklichkeit. Das Neue bestand für Anders in der Live-Übertragung, also in der Möglichkeit, Ereignisse ohne Zeitverzörgerung an bliebig vielen Orten zu beobachten. „Das Eigentümliche der durch die Übertragung geschaffenen Situation besteht in deren ontologischer Zweideutigkeit.“ (Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1, S. 131.) An dieser Formulierung kann man erkennen, dass es zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich war, das Fernsehbild innerhalb einer Ontolgie einzugliedern, weil es immer noch um Fragen von Schein und Wirklichkeit, Abbild und Realität ging. Denn einem übermittelten Ereignis ist weder der reine Abbbildcharakter zu eigen, schon gar nicht die eine Fiktionalität, aber es ist auch nicht die Wirklichkeit des Ereigneten selbst. So sind live gesendete Ereignisse zugleich gegenwärtig und abwesend, zugleich wirklich und scheinbar, zugleich da und nicht da. Es handele sich also um „Phantome“ (ebd.). Für die Medientheorie war diese Charakterisierung einer ontologischen Zweideutigkeit allerdings wichtig, weil damit praktisch Überlegungen für Konzepte von Virtualität ermöglicht wurden.
Siehe dazu: Liessmann, Konrad Paul: Günther Anders: Philosophieren im Zeitalter der technologischen Revolutione. München 2002, S. 84.
Manchmal frage ich mich ernsthaft, ob man den gelegentlich formulierten Vorschlag aufgreifen sollte, dem Konzept einer #nextsociety und seine epistemologischen Grundlagen, die sich besonders auf den Umgang mit Virtualität beziehen, unter Berücksichtigung der alten christlichen Theologie nachzugehen. Virtualität gleichsam als eine Neudefinition dessen, was früher Eigenschaften Gottes waren? Bei Pseudo-Dionysius und Johannes Scotus Eriugena findet man folgende Atrributierungen: Gott ist ubiquitär, also in seiner Präsenz ortsunabhängig; er ist instantiell, also zeitüberspringend gegenwärtig; er ist „antigrav“ (H. v. Kleist), nicht materiell, sondern reiner Geist, aber doch motil; er ist nicht-endlich, also kein Fleisch und Blut, damit nicht sterblich, dennoch lebendig und wirkend – er ist infinites Leben. Er bildet eine eigene Sphäre des Immateriellen jenseits der Welt der Körper und der Dinge, doch so, dass er immer in sie einwirken, in ihr erscheinen oder sich aus ihr zurückziehen kann. Er ist alles, das sich darin zugleich entzieht. So ist er deus absconditus, anwesende Abwesenheit. Gott ist ferner absolute Bedeutung, Signifikant und Signifikat zugleich, Archeus Signor (Paracelsus). Gott ist – nach Nikolaus von Kues – das Nicht-Andere (Non-Aliud), eben das, wodurch alles ’nichts anderes‘ ist, als es ist: also der Prozessor, durch jedes x ’nichts anderes‘ als x ist (a est non-aliud quam a, nach dem Cusaner). Gott spielt den „ludus globi“, er ist die Spielform, die alle Möglichkeiten enthält und durchspielt.
Folgend Schriften könnte man dazu durcharbeiten:
Ivanka, E. v.: Dionysius Areopagita. Von den Namen zum Unnennbaren; Einsiedeln 1957.
Eriugena, Johannes Scotus: Über die Einteilung der Natur (De Devisione naturae = Periphyseon). Übers. v. L. Noack; 2. Aufl., Hamburg 1984.
Nikolaus von Kues: De non-aliud – Das Nicht-Andere. In. ders.: Die Philosophisch-Theologischen Schriften. Lat. u. dt. hg. v. Gabriel, Leo; übers. v. Dupré, Dietlind u. Wilhelm; Bd. 2, 2. Aufl. Wien 1989, S. 443-566.
Nikolaus von Kues: De ludo globi – Das Kugel-Spiel. In. ebd. Bd. 3, 2. Aufl. Wien 1989, S. 221-356.
Stallmach, Josef: Ineinsfall der Gegensätze und Weisheit des Nichtwissens. Grundzüge der Philosophie des Nikolaus von Kues; Münster 1989; zum Namen Gottes ebd. 37ff; zum Non-Alius ebd. S. 59ff.
Bezeichnender Weise ist die von Anders (!) bezeichnete Zweideutigkeit der Ontologie, nicht erst bei Levinas, der ihr den Garaus machen möchte, mit einer Definition der „Spur“ verbunden, welche er als Anwesenheit einer Abwesenheit beschreibt.
Schon in Platons Sophistes bittet der Xenos (der Fremde) den Theitetos nicht als ein Vatermörder angesehen zu werden: „Weil wir den Satz (logon) des Vaters Parmenides notwendig, wenn wir uns verteidigen wollen, in Frage stellen und erzwingen müssen, daß sowohl das Nichtseiende in gewisser Weiser ist als auch das Seiende wiederum irgendwie nicht ist.“. (Sophistes 241d)
Theitetos: Es scheint offensichtlich, dass wir hier Krieg führen müssen (Phainetai to toiouton diamakheteon en tois logois).
Xenos: Das ist selbst für einen Blinden offensichtlich (kai to legomenon de touto tuphlo).
Will sagen: Diese offentliche Unumgänglichkeit der Kriegsführung zwischen zwei Partien, der Aporie und deren Auflösungsversuchen (die sich selbst stets auf neue tilgende Paradoxie), macht die abendländische Hanto-Ontologie aus. Weswegen sie sich gerade als Medientheorie hervorragend eignet.
Bei Nikolaus von Kues findet man den Entwurf einer „Sphärentheorie“:
gefunden in: Senger, Hans Gerhard : Ludus Sapientiae. Studien zum Werk und zur Wirkungsgeschichte des Nikolaus von Kues. Boston, Köln, Leiden 2002, S. 93.
Quelle: Nikolaus von Kues: De ludo globi – Das Kugel-Spiel. In: ders., Die Philosophisch-Theologischen Schriften. Lat. u. dt. hg. v. Gabriel, Leo; übers. v. Dupré, Dietlind u. Wilhelm; Bd. 3, 2. Aufl. Wien 1989, S. 221-356
@Kusanowsky – das Nicht-Andere (Non-Aliud), eben das..> http://www.dctp.tv/filme/reden-wir-vom-tod/< ..was könnte wichtiger sein im Angesicht des Todes, Dialoge zu führen, welche zu nichts führen ?
Wie der @Postdramatiker schon ausführte: "Diese statischen Entitäten wurden ontologisch dem Fluss des Ontischen unter(ge)schoben, das ein Sein dem Seienden zugrundeligt & "Theater" haben einen wesentlichen Anteil an der Entstehung des Subjekts – denn im Monolog, im öffentlich dargestellten Gespräch des Denkens oder Gewissens mit sich selbst entsteht erst das Bild, das Fiktum des Subjekts."
Habe mich vor geraumer Zeit einmal befasst mit #Lektüre wie z.B.: *Plotin
Weshalb nach meiner Überzeugung immer ein "Damokles-Schwert" über unseren Häuptern kreisen sollte, weil wir dazu neigen Abzuschweifen.
* Grundlegend ist für Plotin die Scheidung der gesamten Vielfalt der Dinge in eine übergeordnete, rein geistige (intelligible) Welt (kósmos noētós) und eine untergeordnete, sinnlich wahrnehmbare Welt (kósmos aisthētós). Das Unterordnungsverhältnis dieser beiden Bereiche ist der markanteste Ausdruck der hierarchisch abgestuften ontologischen Ordnung der Gesamtwirklichkeit. Bei der detaillierten Ausarbeitung dieses Ordnungssystems geht Plotin von einschlägigen Hinweisen Platons aus. Der den Sinnen unzugängliche Teil der Gesamtwirklichkeit gliedert sich nach seiner Lehre in drei Bereiche: das Eine, den absoluten, überindividuellen Geist (nous oder nus) samt den platonischen Ideen und das Seelische (Weltseele und andere Seelen). Die sinnlich wahrnehmbare Welt ist das Ergebnis einer Einwirkung aus der geistigen Welt auf die formlose Urmaterie, in der dadurch die Gestalten der verschiedenen Sinnesobjekte in Erscheinung treten. (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Plotin )
Die Frage lautete aber: "..wie ein Medium seine Masse umformt und sich die entwickelten Strukturen der Entfaltung moderner Subjektivität als Substrat zunutze macht, ohne dieses zu vergessen, zu zerstören, sondern diese Strukturen im Hegelschen Sinne aufhebt, so könnte man vielleicht einen theoretischen Zugewinn für die Beurteilung der gegenwärtigen Entwicklung von Simulationsmedien erhalten.
Und das lieber Kusanowsky ist einfach zu Hoch für mich, um eine Antwort auf solche Fragen zu finden bräuchete ich viele Qellen, über die ich aber leider nicht verfüge und Zeit die vielleicht weis Gott wer hat; ich aber bedauerlicherweise nicht zu haben glaube, aber ich schweife ab.
Dir noch viel Vergnügen bei Deinem "Glasperlenspiel" und Dank für die vielen Anregungen, Provokationen und Neckereien.
„um eine Antwort auf solche Fragen zu finden bräuchete ich viele Qellen, über die ich aber leider nicht verfüge“
Ich empfehle: https://www.google.de/
Erster Schritt zur Selbstumforumg einer Disziplin: Einen Account bei google registrieren und fleißig den Algorithmus trainieren und die Ergebnisse nach der Verfahrensweise unters Volk mischen wie ich es bislang erprobe, bei #luhmannonnline, #twitlonger oder auch hier.
Klüger bin ich auch noch nicht.
„aber ich schweife ab.“ na bitte, geht doch. Die kritische Diskussion jedenfalls kannst du knicken.
Bei Günther Anders wird Welt definiert als ein „Medium der Distanzen“, als eine Schema all jener Verhältnisse oder Situationen, deren Präsenz teils aktualisiert, teils aber auch ausgeblendet wird. Damit liefert das Medium ein „Schema möglicher entfernter desiderata und möglicher entfernter Gefahren.“ (1) Nur sofern Distanzen durch Beobachtung strukturiert sind, kann es auch Raum und Zeit geben, wodurch es dann möglich wird, Orte aufzusuchen oder zu verlassen. „Unter ‚Raum‘ versteht man den Umkreis dessen, was obwohl seiend, nicht präsent ist; unter ‚Zeit‘, jedenfalls unter ‚Zukunft‘ den Umkreis dessen, was, obwohl nicht seiend, präsent sein könnte.“ (2) Insofern sind Raum und Zeit nicht Formen der Anschauung wie bei Kant, sondern „Formen der Abwesenheit“, bzw. „Formen der Behinderung.“ In Raum und Zeit artikuliert sich die Negativität und Widerständigkeit der Welt.
(1) Anders, Günther: Die Antiquiertheit des Menschen, Bd 2. S. 350
(2) Anders, Günther: Die atomare Bedrohung. München 1981, S. 122.
Dazu auch: Kramer, Wolfgang: Technokratie als Entmaterialisierung der Welt: Zur Aktualität der Philosophien von Günther Anders und Jean Beaudriallrd. Berlin u.a. 1998, S. 73.
Catherine Malabou: Ontologie des Akzidentiellen: Essay zur zerstörerischen Plastizität – »Die Verwandlung ist die Existenz selbst, die die Identität auflöst, statt sie zusammenzuhalten.« Die Identität ist das stückweise irgendwo zurück- oder hinter sich Gelassene, aber auch das irgendwo vor einem Liegende. Im Grunde ließe sich vielleicht sogar sagen, dass die Identität selbst akzidentiell ist: Wir sind uns nur zugestoßen. Interessanterweise sieht Malabou hier auch keinen wesentlichen Bruch zwischen Pathologien und »normaler« geistiger Verfassung.
Vor einem liegt ein »Ich«, das, wie Malabou sagt, zwar aus dem Nichts kommt, dem man unter Umständen aber vermag, »Kleidung und Gestalt zu geben, dem Rätsel einer zweiten Geburt, die keine Wiedergeburt ist« – darin auch sieht Malabou die »Aufgabe der Philosophie«.
http://wallflowers-zine.blogspot.de/2012/11/ontologie-des-akzidentiellen.html
Ein Ding, auch ich, ist so, eine anderes ist anders. Nein halt, diese Sache ist auch anders. Ja, und schau auf die Ecken, schau auf die Kanten und schau auf das Alter. Ich habe viel mit ihm erlebt, Du nichts. Achso? Das tun wir gerade? Interessant. Es hat ein bestimmtes Gewicht. Auf das Gewicht hat man sich geeinigt. Glaubst Du! Und Farbe. Was für ein Kampf! Weit sind wir gekommen mit alldem. Was glaubst Du, wie weit wir noch kommen? Sprich das ‚tja‘ lakonischer aus; es muss sich an „Boote verloren. Mindaros tot. Männer haben Hunger. Wissen nicht, was tun“ messen lassen. Aber ich wollte ja auf etwas heraus. Auf das Ding, die Sache, res. Wir erleben das Universum anderherum, als es sich uns darstellt. Begonnen hat es mit seiner Explosion kurz nach ihrem Tod. Der Mensch explodiert rückwärts. Etwas am Anfang ging verloren. Ein Wissen, dass vielleicht nicht einmal mehr dünne Primaten hatten. Dämonisch ausgedrückt müsste es natürlich heißen: Etwas im Anfang ging verloren. Aber wir wollen es den Lesern ja auch nicht zu einfach machen. Wir geben nur einen beredten Blick. Was die Welten daraus erkennen, müssen sie mit sich selbst ausmachen. So, wo war ich? Ja, ja, darauf komme ich noch. Man kann es sich ungefähr so vorstellen, wie mein Chemielehrer ehedem einen Teil der Redoxreaktanten erklärte: „Das Waschmittel wirkt waschend und wird dabei dreckig.“ Der Herr Kusanowsky schreibt ja viel über den Sattelpunkt dieser Entwicklung. Lasst Euch etwas über seine Natur erklären, wenn ihr es unbedingt wissen wollt.
Viele waren unzufrieden bezüglich der Spekulationen über das „was kommt dann“. Nu, jetzt stellt Euch mal nicht so an. “Handle stets so, daß die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird” ist doch schon ein guter Anfang. Die sprachlich Sensibleren, werden den Pferdefuss dieser Formulierung wohl etwas eher sehen. Dennoch ist Witze-erklären immer ein absoluter Abtörner, weswegen ich dazu schweige. Habe ich alle Strukturen nun beisammen? Was sagst Du? Ach! Auf die Wandlung käme es an? Endlich mal ein wahres Wort. „Die Identifikation des Wesens mit der Möglichkeit seiner eigenen neuronalen plastischen Gestaltung“, hast Du gehört, soll etwas ganz Großartiges sein? Das kannst Du nicht wissen. Fühlen kannst Du es, aber nicht wissen. Wenn Du die Welt auf eine bestimmte Weise räumlich anordnest, kannst Du mit dem Begriff „Dissoziation“ bald nichts mehr anfangen, auch nicht mehr mit „Du“ oder einem stimmigen Konzept von Identität und Welt. Die Frage, die Du Dir in diesem Zusammenhang stellen musst, ist die, ob es auch ohne die Umstrukturierung des Dich umgebenden Raumes geht.
Übung 1: Ergänze den fehlenden Widerpart (A) dieses Dialogs.
Übung 1a: Der Redeanteil von B liegt nur fragmentarisch vor. Lokalisiere und ergänze die einzelnen Bruchstücke.