Terrorangst und die Erotik der Gefahr

von Kusanowsky

Das eigentlich Interessante an der aktuellen Berichterstattung über die allgemeine Terrorgefahr, die ja keineswegs überraschend kommt, ist die Frage: Wer ist Jäger? Wer wird gejagt? Denn wir haben es hierbei nicht mit einem Räuber-und-Gendarm-Verhältnis zu tun, weil man merkt, dass die Zurechnung von Gut und Böse nicht so einfach funktioniert: Sicherheitsfantasien werden immer doppelt in der Kommunikation abgebildet, nämlich als Angst (z.B. vor Bomben, Waffen und Überwachung) und Hoffnung, die sich auf die Entlarvung der Täter richtet und auf den Glauben an eine heile Welt. Jäger und Gejagte sind daher nur Beobachter, die Beobachter beobachten.

Bei gründlicher Betrachtung wird man feststellen, dass das uns bekannte Erzählmotiv von Jäger und Gejagtem, wie es den Unterscheidungsprogrammen der modernen Gesellschaft entspringt,  hier nicht hinreicht, was übrigens in Hinsicht auf die Verwobenheit der Geschichten niemals unauffällig blieb. Man denke hierbei an das bekannte Katz-und-Maus-Spiel, wie wir es von Tom & Jerry kennen, oder auch, was ja nur eine Variante ist, von Sylvester und Tweety. Zunächst fällt dabei die Katze auf, die nicht nur männlich, sondern im visuellen Gedächtnis meistens weiblich codiert wird. Die Comicfigur Catwoman, obwohl sie ursprünglich als Gegnerin Batmans eingeführt wurde, ist in der Erzählung nicht eindeutig gut oder böse, vielmehr verfolgt sie ihre eigenen moralischen Vorstellungen. Teilweise kämpft sie daher auch an Batmans Seite, teilweise gegen ihn. Erzählt wird aber auch ein Liebesverhältnis zwischen beiden, eine Anspielung, die allerdings nur von Ferne an den Geschlechterkampf erinnern kann. Love is a battlefield – ein solcher Song ist, seit wir die Spottbilder kennen, die George W. Bush und Osama bin Laden innig vereint zeigen, nicht nur ein Discostampfer.

Alles kann dekontextualisiert werden und nur in diesem Kontext kommen die Geschichten der modernen Zeit zu dem Sinn, der ihnen innewohnt, weil die Grenzen der Vereinnahmung für die eine oder andere Sache längst nicht mehr unberührbar bleiben können. Und man dürfte gewiss nicht allzuweit ausholen, wenn man die intelligibile Ausnützung der Sprengkraft als den Urknall des Ausdifferenzierungsprozesses der Moderne nimmt. Damit sei nicht zuerst an die Experimente des Klosterbruders Berthold Schwarz erinnert, sondern mehr an die Zeit, als man den alltäglichen Umgang damit lernen musste, nachdem der Buchdruck erfunden wurde. Buchdruck und Sprengkraft sind schon immer nur durch ihre Verbandelung wirksam geworden, was bis heute nichts an seiner Gültigkeit verloren hat: die Feindbildpropaganda braucht das Massenmedium, und das Massenmedium braucht den Sprengsatz.

Aber erst die Gesellschaft, die ihre Erzählungen durch ständige Dekontextualisierbarkeit kontextiert, kann anfangen, dem Freund-Feind-Bildschema mit immer stärker Skepsis zu begegen. Auch wenn die Bilder, die von immerwährender Feindschaft erzählen, stets erhalten bleiben, so kann doch deutlich werden, dass die mit keinem Mittel zu bekämpfende Terrorangst anfängt, sich eine andere Seite als Gegenstück zu suchen. Die Rede ist dann nicht mehr von Angst und Hoffnung, sondern von Angst und Lust, auch so ein Zwillingspaar, das in der Verwobenheit der Geschichten und Bilder niemals unberücksichtigt geblieben ist.

Gerade, wenn man an Katzenbilder denkt, stellt man eine erotische Doppelcodierung von Angstfanatasien fest, die bei Salavador Dalí genauso erzählt wird, wie im visuellen Gedächtnis der Moderne überhaupt. Frau mit Tiger (1/2/3), Frau mit Panther (1/2/3; die unvermeidlichen Übertreibungen pornographisch-sodomisticher Bilder mag sich jeder im Web selbst herausssuchen), aber auch: die Frau als Katze. Damit wird nicht die Gefährlichkeit als Prinzip des Weiblichen erzählt, sondern umgekehrt: das Weibliche als das Prinzip des Gefährlichen, worin Unschuld genauso codiert ist wie die Verführung und Verführbarkeit.
Wie schon gesagt: modernen Bildern unterliegt die Zumutung ihrer ständigen Dekontextualisierbarkeit, weshalb Widersprüche nicht auffallen, ja im Grunde dadurch aufgehoben, oder besser: erklärbar werden. Man denke dabei etwa an den Zivilisationsmythos von „Die Schöne und das Biest„, ein Erzählstoff, der nur durch seinen Doppelcharakter als Vexierbild zum Tragen kommt. Ganz deutlich wird dies in der King-Kong-Erzählvariante, in der die Bedrohung durch das archaisch-dämonische in ihr Gegenteil umschlägt, also in eine romantische Vision zärtlicher Liebe und Verletzbarkeit, wenn das trotz seiner Gefährlichkeit unverdorbene Ungeheuer die Sprengkräfte der Zivilisation auf dem Gipfel seiner dämonischen Macht zu spüren bekommt.

Es scheint, dass die Berichterstattungen über die Terrorangst genau das sind, was ein besonnener Beobachter feststellen kann: Berichte über solche Fantasien, die in irgendwelchen verborgenen Ecken durchlebt werden. Der fantastische Gehalt dieser Berichte scheint sich dagegen eher in Grenzen zu halten. So zeigt sich auch in dieser Hinsicht ein Widerspruch, der keiner ist: dass die Omnipräsenz der Sprengkraft die Disziplinierung genauso sanktionieren kann wie die Hysterie. Und ob die Redensart wirklich stimmt, die besagt, man gewöhne sich an alles? Scheint nicht gerade die Terrorangst für ein fortwährendes Medienspektakel ein höchst willkommener Nervenkitzel zu sein, der, wenn auch ganz von allein gekommen, so doch wie gerufen erscheint?

Und wer möchte schließlich glauben, der Ruf ertönte nur scheinbar?