Feminismus, Eifersucht und solche Sachen
von Kusanowsky
Kaum einer weiß, worum es wirklich geht, aber fast jeder fühlt sich angegriffen oder gar beleidigt!
Wenn in einem Text der Geschichtsschreibung des 22. Jahrhunderts mit einem Satz die Schwierigkeiten formuliert werden würden, die im frühen 21. Jahrhundert die Tagesordnung durcheinander brachten, so könnte er vielleicht lauten: „sie versuchten heraus zu finden, worum es wirklich ging, und weil das nicht funktionierte fühlten sich alle angegriffen und beleidigt.“
Das Zitat stammt von Julia Schramm aus dem Telepolis-Artikel „Einfach mal zuhören„, in dem es um den x-ten Versuch geht, das Problem der Eifersucht unter Mitgliedern der Piratenpartei vernünftig zu diskutieren. Natürlich geht es in dem Artikel nicht um Eifersucht, sondern um Feminismus; und nur, wenn man ganz unaufmerksam ist und nicht vernünftig diskutieren möchte, könnte man vermuten, dass der Feminismus nichts anderes ist als der Versuch, das Problem der Eifersucht in rationale Diskussionen zu überführen.
Dass diese Gleichsetzung verboten ist, ist erklärungsbedürftig. Das heißt, dass dieses Gleichsetzungsverbot nicht wirklich skandalös ist. Vielmehr müsste man sich die Frage stellen, warum die Affektkontrolle nicht mehr funktioniert, wenn dieses Verbot nicht eingehalten wird.
Natürlich hat man es mit Empfindlichkeiten zu tun, aber Empfindlichkeiten sind immer im Spiel, warum nicht auch in Diskussionen um Feminismus? Warum sollten ausgerechnet Ansprüche an ein affektfreies Gespräch in Fragen der Gleichberechtigung eine höhere Wertschätzung haben als in alle anderen Diskussionen, wenn nicht einmal relativ bedeutungslose Themen wie der Wetterbericht affektfrei kommuniziert werden können? Zu denken wäre dabei an die Affäre um den Wetter-Moderator Jörg Kachelmann, durch die es praktisch unmöglich wurde, dass ein unschuldiger Mensch noch im Fernsehen auftreten kann, weil diese Affäre ja deutlich zeigte, dass es in Fragen der Liebe und der Eifersucht eigentlich gar keinen unschuldigen Menschen gibt.
Trotzdem wird natürlich auch in einer Feminismus-Debatte die Forderung nach Sachlichkeit erhoben. Aber das geschieht in dieser Debatte wie in jeder anderen Diskussion; und meistens kann man beobachten, dass diese Forderung nur selten erfüllt wird. Man beobachte beispielsweise nur die Fachsimpelei zweier Automechaniker, die am Tresen freundschaftlich über den Einbau einer Einspritzpumpe diskutieren. Schon in so einem Fall ist von „Sachlichkeit“ bei aller Anstrengung und Konzentration nicht viel zu bemerken, was gewiss nicht nur an der Zuführung geistiger Getränke liegen kann.
Es wird also nach Rationalität verlangt. Das Argument, dass Rationalität eigentlich nur unwahrscheinlich zustande kommt, ist dabei völlig unbrauchbar, was daran liegt, dass es sich bei der Rationalitätssemantik um eine Kontingenzvermeidungsroutine handelt, die erfolgreich durchlaufen wird, wenn Kontingenz dadurch blockiert wird, dass alles, was an irrationaler Komplexität anfällt, auf unzureichende menschliche Verstandesfähgikeit zugerechnet werden darf; eine Verstandesfähigkeit, welche allerdings gebraucht würde, um der Komplexität aller Rationalität gewachsen zu sein. So muss das Versagen immer das Versagen aller anderen sein, was durch eine Subjektsemantik unterstützt wird, die es zulässig macht, Unabhängigkeit und Autonomie eines Einzlenen gegen die Zumutungen sozialer Verwicklungen in Anspruch zu nehmen, ohne gleichwohl verhindern zu können, ob solcher Verwicklungen in die Kritik zu geraten.
Die Semantiken, sowohl die Rationalitäts- wie die Subjektivitätssemantik, lassen ein Recht auf Indifferenz zu, das wechselseitig zugestanden wird. Raffiniert ist diese Routine deshalb, da dieses so gehandhabte „Recht auf Dummheit“ eben jene Hürde darstellt, die zu überspringen den Attraktor des Gesprächs ausbildet. Wer ein Recht auf Dummheit hat fühlt sich schnell genötigt, das Gegenteil – nämlich die Fähigkeit zur Vernunft – unter Beweis zu stellen. Und sobald sich ein Kommunikationssystem durch eine entsprechende Codierung operativ schließt, ist alle Kontingenz genauso unwahrscheinlich wie die Rationalität, die diese Kontingenz unterdrückt, da die Erwartungen auf Rationalität ständig enttäuscht werden. So bleibt nach dem Durchlauf dieser Routine nur der Versuch, es noch einmal zu versuchen.
Sobald aber solche Routinen eine gewisse Komplexität erreicht haben, ist es nicht mehr so leicht möglich, diese Komplexität auf Begriffe zu reduzieren, die durch die wiederholbaren Erwartungen an Rationalität ausgeschlossen werden. Eifersucht jedenfalls, so normal und unvermeidbar wie sie für Menschen ist, darf hier nicht als Begriff eingeführt werden, weil die Semantik und die Strategie ihrer diskursiven Entfaltung schon erfolgreich vermieden hat, darüber sprechen zu dürfen.
Der Hinweis, dass es sich bei Feminismus-Debatten nur um Rationalisierungsversuche der menschlichen Eifersucht handelt, ist dem entsprechend eine Affront, der um ein weiteres Mal nur die Erwartungen enttäuscht und sie damit als berechtigt in Erscheinung treten lässt, was dann – wie schon formuliert – nur dazu führt, dass Erwartungen an Rationalität durch diese eingeübte Routinen einfach wiederholt werden.
Der Hinweis übrigens, dass Eifersucht nicht nur im Geschlechterverhältnis eine Rolle spielt, wäre absolut zutreffend. Tatsächlich ist die Eifersucht ja nicht nur ein Beobachtungseffekt von sexualisierten Körpern, die auf andere sexualisierte Körper reagiern. Eifersucht scheint mir ganz allgemein das unvermeidbare Ergebnis aller Leiblichkeit zu sein, die sich in einer sozialen Umwelt organisieren muss, welche, um eine eigene operative Stabilität zu erreichen, auf Bedürfnisse des Leibes keine Rücksicht nehmen kann.
So wird Eifersucht, wie normal und erwartbar sie auch immer sein mag, als unzureichendes Erklärungsangebot zurück gewiesen, weil ein entsprechendes Zugeständnis es nicht möglich macht, sie durch Einrechnung zu berücksichtigen. Diese Rücksichtslosigkeit ist dann nicht nur ein Versagen von Menschen, sondern eine Stabilisierungsbedingung von Kommunikation. Denn: auf welche Empfindlichkeiten sollte man Rücksicht nehmen? Wie sollte man sie erklären können? Wie zur Sprache bringen? Und: wessen Empfindlichkeiten wären prominent, also zuerst und besonders zu beachten?
Die moderne Rationalitäts- und Subjektivitätssemantik lässt solche Rücksichten nicht zu.
Wie gesagt: Selbstwidersprüche können unmöglich vermieden werden, weshalb es „vielleicht“ vernünftig sein könnte, sie gar nicht erst zu unterdrücken. Es geht in dem Artikel gar nicht um „Sexismus und Feminismus“, sondern um die Beschreibung der Herstellung von Inkommunikabilität. Warum ist es unmöglich über Eifersucht als politische Angelegenheit zu diskutieren? Weil es einen Diskurs gibt, der solche Thematisierungsversuche erfolgreich vermeidet. Auch der Feminismusdiskurs nimmt ja – viel viele andere Diskurse – gleichberechtigt eine Rationalitätssemantik in Anspruch, durch welche vermieden wird, das Affektgeschehen beobachten zu können, bzw. durch welche es gelingt, die Beobachtbarkeit von Affekten als irrationale Umweltkomplexität auszuschließen. Gelingt beides, also: Affekte nicht zu beobachten oder sie, wenn sie doch beobachtet werden, als ungehörig auszugrenzen, so können aufgrund des anhaltenden Erfolgsdrucks solcher Vermeidungen und Ausgrenzung diejenigen Erwartungen, die auf Rationalität abstellen und daran ständig scheitern, nicht noch einmal genauso erfolgreich für die Strukturbildungen ganz anderer Art verwendet werden. Das ist auch der Grund dafür, weshalb sich eine Feminismus-Debatte als Anlass eignet, um eben dies zu thematisieren: gerade weil in diesem Diskurs das Emotionale und Irrationale eine besondere Prominenz hat, die mit keiner Wiederholung derselben Routine aus der Welt geschafft werden kann, steigt bei anhaltender Wiederholungsfrequenz die Wahrscheinlichkeit, dass diese Inkommunikabilitäten dann doch zur Sprache kommen können. Man kann solche Routinen, die ja immer auch Erregungsroutinen sind, nicht an Fällen diskutieren, die ein nur geringes Erregungspotenzial haben. So ist es gerade das Errregungspotenzial des Feminismus-Diskurses, das dazu geeignet ist, diese Erregungsroutinen auf eine weitere Beobachtungsebene zu heben. Wer weiß, vielleicht kann es gelingen, in einem politikwissenschaftlichen Seminar über Eifersucht als Problem der politischen Welt zu diskutieren.
Hallo Klaus, ich habe eine Verständnisfrage zum Satz: Wenn Du schreibst, dass gerade im Feminismus „das Emotionale und Irrationale eine besondere Prominenz hat, die mit keiner Wiederholung derselben Routine aus der Welt geschafft werden kann, steigt bei anhaltender Wiederholungsfrequenz die Wahrscheinlichkeit, dass diese Inkommunikabilitäten dann doch zur Sprache kommen können.“ Was ist hier für Dich entscheidender, die besondere Prominenz des Emotionalen im konkreten Fall oder die anhaltende Wiederholungsfrequenz? (Hintergrund: Ich würde eher letzteres betonen, womit das „Auftauchen solcher Störgeräusche“ an quantitative Bedingungen geknüpft wäre. Oder führt dieser Gedanke Deines Erachtens in die Irre?)
Nein. Gar nicht. Im Gegenteil. Je nach dem in welche Irre du nicht gehen möchtest 🙂
Worum es mir geht ist zu erklären, dass erst die Übertreibung, die vollständige Überlastung aller Kapazitäten des Erlebens und der Kognition dazu führen kann, dass etwas anderes als die Unterscheidung von Sachlichkeit und Emotionalität in diesem Diskurs anschlussfähig wird. Das kann natürlich auch auf den Zerfall dieses Diskurses hinführen oder dazu, dass diese konventionelle Unterscheidung sich schwerpunktmäßig auf einen anderen Diskurs verlagert. Wie auch immer, jedenfalls ist mit dem Kommentar von haiwen die Ausweglosigkeit beschrieben: „Beschweren sich Frauen über Sexismus von ihrem Standpunkt als Betroffene, drücken sie ihre Emotionen aus, wird ihnen das zur Last gelegt. … Verlagern sie die Diskussion auf die Sachebene, ist es anscheinend auch nicht recht.“ Stimmt. Was soll man machen? Die gegenwärtige Antwort lautet immer noch: weiter machen. Einer geht noch rein. Die Kapazitäten sind noch nicht erschöpft.
https://twitter.com/kusanowsky/status/407497286185275392
Julia Korbiks „Stand Up! Feminismus für Anfänger und Fortgeschrittene“ und „Tussikratie. Warum Frauen nichts falsch und Männer nichts richtig machen können“ von Theresa Bäuerlein und Friederike Knüpling. Beide Bücher haben den Anspruch, Schwung in eine Debatte zu bringen, die ihrer Ansicht nach falsch geführt wird – und hinterlassen bei der Lektüre vor allem das Gefühl tiefer Lähmung.
http://www.sueddeutsche.de/leben/verfehlte-feminismus-debatte-die-schreckliche-macht-der-fiktiven-horrortussi-1.1994072
Wer etwas Geduld und Freude am Nachdenken hat, mag folgenden Text lesen und genießen
http://www.reis.space/jekyll/update/2016/08/05/mutterschaft-logik-metapher.html
Die politische Zoologie der modernen Gesellschaft kennt viele Irrwege, der verlinkte Artikel führt dabei in eine der schönsten Ecken dieses Labyrinths.