Über die Empirizität der modernen Welt
von Kusanowsky
Im Anschluss an die Diskussion bei autopoiet zum Artikel „contre mspro“ möchte ich einmal versuchen, ein in der Diskussion zutage getretenes Problem, nämlich die sogenannte „Krise der Buchdruckkultur“, etwas weiter aufzuspannen. Dringend und zum wiederholten Male möchte ich die Analyse der Warenform bei Karl Marx zur Lektüre empfehlen:
„Eine Ware scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, daß sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken.“ http://www.textlog.de/kapital-fetischcharakter.html
Es lohnt sich, das in aller Ruhe zu lesen. Es geht dabei um die Frage, unter welcher Voraussetzung die bürgerliche Gelehrsamkeit die Welt versteht, die sie mit ihren Mitteln hervor bringt; und die Antwort lautet: sie versteht ihre Welt gemäß dieser Mittel, oder so: das Modell, die Theorie, die Erklärung, gemeint ist hier insbesondere ihre ökonomische Theorie, die die bürgerliche Gelehrsamkeit für die Welt erfindet, setzt sie mit der Welt gleich, die so erklärt werden soll. So verifiziert sie durch ihre Erklärungen nur ihre eigenen Unterscheidungen und scheitert damit irgendwann an der wachsenden Komplexität der Welt, die gemäß dieser Unterscheidungen als Ergebnis eines Wachstumsprozesses erfahrbar wird.
Eine wichtige Unterscheidung ist die zwischen der Privatheit der Arbeit, bzw. des Produktionsprozesses („Privatarbeit“) und die Erscheinung der Produktionsergebnisse in der Öffentlichkeit des Marktes. Von dort, also von der Öffentlichkeit aus gesehen, sind die Produkte für die bürgerliche Gelehrsamkeit „Wunderdinge“, deren Herkunft nicht anders als durch „natürliche“ Zusammenhänge erklärt werden kann. Der Grund ist einfach: Die bürgerliche Klasse unterscheidet privat/öffentlich und richtet ihre ganze Gesellschaft darauf hin ein, was bedeutet, dass der private Raum, gleichviel ob als Fabrik oder als Studierstube, öffentlich nicht zugänglich ist. In diesen privaten Räumen findet angeblich nichts Soziales statt, sprich: die „Arbeit“ findet nur in der Abgeschiedenheit statt, welche etwa durch eine Eigentumsordnung garantiert wird, die diese Unterscheidung ebenfalls benutzt, und entsprechend wird die Herkunft der Dinge, sobald die Ergebnisse durch Tausch zugänglich werden, erst in dem Augenblick der sozialen Beobachtung unterzogen, sobald sie ökonomisch relevant werden. Vorher nicht.
Daher beispielsweise die Erfindung der Urheberschaft. Irgendwo müssen die Ideen ja herkommen. So kann nur diejenige Person in Frage kommen, die öffentlich auf ihre Ideen ansprechbar ist. In ihrem privaten Raum ist sie es nicht. Was im privaten Raum stattfindet, kann sozial, bzw. ökonomisch nicht ermittelt werden; deshalb müssen dann als Erklärungsgrund die spezifischen und herausragenden Fähigkeiten von Menschen reichen. Daher erklären sich die Schwierigkeiten bei Urheberrechtsstreitigkeiten, die dadurch entstehen, dass niemand genau beweisen kann, was im privaten Raum geschehen ist: das Geschehen dort ist für den bürgerlichen Juristen nicht sozial beobachtbar.
Und weil die bürgerliche Gelehrsamkeit keine andere Möglichkeit der Erklärung hat, müssen für die zu erklärenden Phänomene „fantastische“ Erklärungsgründe gefunden werden, die als „natürlich“ erscheinen müssen, damit man sie als empirische Realität behandeln kann.
So erfindet die Gelehrsamkeit Personen, Erfinder, Urheber, Genies, aber auch Begriffe von Natur, Gesetz und Vernunft, welche sowohl als Erkenntnismittel verwendet werden, um die Welt erklären zu können, welche aber selbst in den Erklärungsgründen hineingeschrieben und dann re-verifizierend durch Verbreitung sozial abgerufen werden. So ensteht für die Gelehrsamkeit Theorie und Gegenstand durch den gleichen Schöpfungsprozess, der maßgeblich die Unterscheidung privat/öffentlich reflektiert, ohne die Reflexion gleichwohl durchrechnen zu können. Das geht nicht, weil die Hälfte der Welt privat verbleibt.
Was wir nun unter dem Stichwort „Krise der Buchdruckgesellschaft“ diskutieren möchten ist nichts anderes als das, was mit der Industrialisierung passiert ist: die bürgerliche Welt geriet seitdem aus den Fugen, weil mit Arbeitsteilung und serieller Produktion alles, aber auch wirklich alles in dieses Schema hinein genötigt wird. Und weil kein Ausweichen möglich ist, geht der Prozess in die immer komplexer werdende Differenzierung. Und diese Komplexität ist nunmehr „unser“ gegenwärtiges Ausgangsproblem geworden. Wir sind die Erben dieses Prozess und fragen uns unter veränderten Bedingungen, wie wie damit zurecht kommen sollen.
Und immer noch – so könnte man sagen – verwenden wir die Schemate der bürgerlichen Gelehrsamkeit, wenn wir danach fragen, wie diese Komplexität möglich geworden ist, wo sie her kommt, wie sie entstehen konnte. Allerdings, so müsste man hinzufügen, haben wir enorm schlechte Chancen, diese Unterscheidungen, dies gilt insbesondere auch für die Unterscheidung „privat/öffentlich“, noch durchzuhalten und durchzusetzen. Bündig formuliert: möglicherweise können wir bald aus dem Scheitern klug zu werden, aber das geht erst, wenn die sozialen Kapazitätern für den Aufbau weiterer Komplexität vollständig überlastet sind. Sind sie es schon? Ich vermute: noch nicht.
Erkennen kann man dies beispielsweise an der aktuellen Diskussion bei @autopoiet.
Diese Diskussion, ihr Anlass, ihr Gegenstand und das Verfahren, durch das sie betrieben wird, scheint von Subjekten geprägt, die sich in der Diskussion der Kritik aussetzen und auf diese Weise die Diskussion fortsetzen: man betreibt Kritik und Gegenkritik. Aber woher kommt das zu diskutierende Problem? Gewiss würde man sagen: durch die Fortsetzung der Kommunikation. Aber schaut man darauf, wie sich Kritik und Gegenkritik rechtfertigen, wie sie also durch Kommunikation als gerechtfertigt erscheinen, dann stellt man fest, dass die Kritik langsam ihre Überzeugungskraft verliert, weil die die Plausbilität der Gründe zerfällt.
So schreibt autopoiet über einen Artikel von mspro bei Telepolis: Es handelte sich um
eine schräge aber lesenswerte Bricolage, die so oder ähnlich sicherlich schon das eine oder andere Mal als Blog-Artikel aus der Feder Seemanns zu lesen war. Das alles wäre nicht weiter bemerkens– oder beklagenswert, würde der Autor in seinem Artikel nicht mit großer Geste elementare Erkenntnisse ambitionierterer Forschung zur Computergesellschaft … beiseite wischen und durch eine Form von Text ersetzen, die zwischen Deskription und Normativität oszilliert, an entscheidenden Stellen kategorial fehlerhaft ist und … übermäßige Textlektüre zweifelhaft erscheinen lässt. In dieser kurzen Antwort möchte ich den Artikel nicht en détail kritisieren, dafür ist er in weiten Teilen auch zu assoziativ.
Die Begründung ist beeindruckend: sie reflektiert ihre unzureichende Überzeugungskraft, ohne rhetorisch auf Kritik zu verzichten. Und man kann feststellen, dass in der Gegenkritik eine ähnliche Position formuliert wird:
Zunächst: der Text — das ist richtig — war nicht als wissenschaftlicher Text, vielleicht sogar als betont unwissenschaftlicher, zumindest als kühner, utopischer Spinnertext gedacht. Es war schließlich ein Vortrag auf der Openmind, wo es — nach meiner Interpretation — um das möglichst frei Herumspinnen geht.
Interessant ist hier, wie sich eine Regel einzuspielen beginnt, die es zulässig macht, dass trotz aller Defizite, die sowohl da als auch dort eingestanden werden, die kritische Diskussion fortgesetzt wird. Für den „genialen Urheber“ des 19. Jahrunderts, was gewiss auch noch für manches trivial-faustische Genie dieser Tage gelten dürfte, wären solche Argumente höchst unerträglich: sie fangen an, sich gegenseitig auf Spinnerei zu einigen. (Siehe dazu: „Der Umgang mit Verbreitungsmedien zerstört die Grundlage, durch welche sich Verbreitungsmedien als anwendbar bewähren können.“ Die Zerrüttung der Dokumentform)
Was fehlt eigentlich noch, um den Gegenstand der Kritik verschwinden zu lassen? Denn der Gegenstand der Kritik ist ja hier die Meinung des anderen. Die Vermutung muss natürlich lauten, dass der Gegenstand verschwindet, wenn die Meinung des anderen verschwindet. Aber wie könnte das geschehen? Durch die Zerstörung der Entstehungsbedingung, welche die Herstellung von Meinung als subjektiven Prozess versteht, der sozial unzugänglich ist: gemeint ist damit der private Raum.
So ist es ein ganz normaler Treppenwitz, dass jemand wie mspro, der eine versponnene „post-privacy“-Utopie verbreiten will, nichts andere kann als die Bedingungen zu ignorieren, durch die der private Raum der Ideenfindung verloren gehen könnte. Man könnte ja gleich dazu übergehen, Texte kollaborativ, assoziativ und öffentlich zu schreiben. Da aber niemand wissen kann wie das geht, muss immer noch Kontra gegeben werden, wenn irgendjemand Pro sagt.
Mit dem öffentlichen und auch offen kollaborativen Texten hat Sascha Lobo ein paar Erfahrungen gesammelt. Einen Text (ich weiß nicht mehr wofür) konnte man wenige Minuten vor Abgabedeadline öffentlich bei der Entstehung beobachten, allerdings ohne eingreifen zu können. Einen anderen, für die Wirtschaftswoche, hat er mit allerlei Mitteln versucht öffentlich zu crowdsourcen.
Ich will jetzt nicht für Sascha sprechen, aber ich vermute, dass der Mehraufwand an Transaktionskosten einer solchen Aktion, das Ergebnis (noch) nicht rechtfertigt. Aber die Transaktionskosten sind ja eben der entscheidende Punkt der durch die evolution der Query und Moores Gesetz weiter und weiter gesenkt werden.
Derzeit ist das Blog (und für kleine Einwürfe Twitter) für meine Zwecke noch das beste Werkzeug, des „gemeinsamen Denkens“, aber das wird sich sicherlich ändern.
Interessant, ist dass „Kritik“ als ursprüngliche Technik der Buchkultur unter den neuen Umständen nicht obsolet wird, sondern zur konstruktiven Feedbackschleife geriert. Vorsicht ist aber geboten, wo man sich partout nicht einigen kann. Ich denke, es wird auch notwendig, dass man lernt, bestimmte Denkrichtungen, wenn man sie nicht mitgehen will, für sich konsequent auszublenden. Was heute ebenfalls grudsätzlich besser möglich ist.
Ich kann nur so frei schreiben weil ich weiß, dass, wer sich darüber aufregt, selber schuld ist.
„wer sich darüber aufregt, selber schuld ist.“ – damit wäre der konventionelle Subjektivismus formuliert. Man hat einfach keine andere Erklärung für das Zustandekommen der Kommunikation als den Willen von Menschen, die selbst Schuld sind, wenn geschieht, was kein Mensch herstellen kann: Kommunikation. Aber davon abgesehen, kann ich deine Vorbehalte natürlich deshalb verstehen, weil sie notwendig vorgetragen werden müssen, solange so etwas Versponnes wie „post-privacy“ nur als eine gute Idee verstanden wird, die von genialen Subjekten formuliert wurde. Das Subjekt, das sich auf diese Weise ob seiner Fähigkeiten von sich selbst beeindruckt zeigt, verweist, sobald man es auf sein Scheitern aufmerksam macht, auf eine nächste Unterscheidung, hier die Unterscheidung von Theorie und Praxis: post-privacy wäre demnach nur eine theoretische Idee, deren praktische Defizite durch einen Appell an ein utopisches Vorstellungsvermögen kompensiert werden müssten. Da der „geniale Urheber“ offensichtlich auch nicht so recht weiß, was er mit seinen eigenen Spinnereien anfangen soll, verlegt er die Beobachtung und Findung von Akzeptanz auf Verstärkungsversuche: Utopie!!!!! Das soll dann helfen. Und wenn es auch nicht hilft, weiß man schon wer schuld ist. Dass aber die Verbreitung von Hoffnung nur funktioniert, wenn auch Angst verbreitet werden kann, scheint offensichtlich nicht mehr von Relevanz zu sein. Denn nur wer kräftig Angst machen kannn, kann auch Hoffnung machen. Aber das klappt nicht so richtig, weshalb es mit der Utopie auch nicht mehr klappt. T(r)oll auch: man erklärt sich indifferent, wenn man das bemerkt und macht einfach weiter.
Tatsächlich gibt es für die Erprobung assoziologischer Verfahrensweisen ein guten Ansatzpunkt, nämlich den hier: https://www.zettels.info/de/default.asp?zs=0
Dieses Verfahren ermöglicht hoch selektive Verknüpfungen, das zwar allen Ansprüchen der faustischen Gelehrsamkeit und des genialen Subjekts gerecht wird, also immer noch Ergebnisse des Studiums in der Einsamkeit der privaten Abgeschiedenheit ermöglicht, aber darüber hinaus ist es auch ein „social network“, jedoch ohne diesen kommerziellen Klimbim. Nur: ich kenne erst zwei weitere Menschen, die diesen Spielraum an Möglichkeiten eigentständig durchrechnen wollen. Alle anderen wollen immer noch subjektive Meinungen diskutieren, von welchen keiner mehr erklären kann, wo sie eigentlich herkommen, weil alle Erklärungen angeblich auch nur subjektiv sind. Da muss vielleicht erst ganz viel zusammenbrechen bis man damit aufhören kann.
„Da muss vielleicht erst ganz viel zusammenbrechen bis man damit aufhören kann.“
Allerdings. Ich wiederhole das nur ungern: Referenzierbarkeit/Arbitrarität. Wenn letztere latent mitläuft, so dass mit allem gerechnet werden muss, beschleunigt sich nur die Taktzahl. Grund zur Be-Unruhigung? Verzeih‘ das schlechte Wortspiel: bestimmt/unbestimmt!
Aber ist Arbitrarität nicht immer schon mit im Spiel? Nur durch die Dokmentform als Form der Erfahrungsbildung wird sie als unzulässiges Phänomen beobachtbar, als Devianz, Betrug, Lüge, Manipulation, als okkulte Möglichkeit der Welt usw. Insofern läuft sie immer mit; und eigentlich müsste man soziale Realität erklären können, wenn man meint, sie könne ausgeschaltet werden. Ausgeschaltet wird aber immer nur ihre Anschlussfähigkeit; insofern verbleibt sie immer als andere die „andere Seite der Welt“, welche, um nicht gänzlich in Irrigkeiten zu verfallen, durch Referenzierbarkeiten „irgendwie“ rationalisiert und damit in den Kreis des „empirisch machbaren“ zurück geholt wird: Der Wille Gottes, die Triebkäfte der Natur, die transzendentale Kraft der Vernunft, die politische Ökonomie, das Unbewusste, das Latente. Deshalb heißt es auch bei Arthur Schopenhauer in „Die Welt als Wille und Vorstellung“: Der Wille sei die andere Seite der Welt. Oder bei Nietzsche später: „Hinter deinen Gedanken und Gefühlen, mein Bruder, steht ein mächtiger Gebieter.“ Und man kann annehmen, dass es sich dabei nicht nur um irgend welche säkular-metaphysischen, marxistischen, poetischen, irrationalen Spekulationen handelt, sondern um Versuche, ein in Erfahrungskonstrukt nach Maßgabe der Dokumentform dauerhaft stabil zu halten, was empirisch eben nicht funktioniert.
Könnten wir dann annehmen, dass wir seit Luhmann den Kommunikationsbegriff als das nehmen, was die andere Seite der Welt ausmacht? Denn das, was was geschieht, wenn Kommuniaktion geschieht, entzieht sich allen menschlich-empirischen Möglichkeiten. Aber was wäre, wenn es sich dabei dann nicht um Metaphysisches handelt, sondern um das, was die „Be-unruhigung“ notwendig antreibt. Und was wäre, wenn Algorithmen so gut entwickelt wären, dass nirgendwo mehr bestimmte Antriebsmuster des Nachvollzugs kondensieren können, weil alles in den Fluss zurück kommt, aus dem es heraus fließt?
»um nicht gänzlich in Irrigkeiten zu verfallen, durch Referenzierbarkeiten „irgendwie“ rationalisiert und damit in den Kreis des „empirisch machbaren“ zurück geholt wird«
So die übliche Taktik, genau. Das steht zur Disposition, wenn wir das richtig sehen. Die Folgen sind
a) schlicht unabsehbar
b) ungeheuerlich
c) folgenreich
d) ___________ (user generated content)
e) unwahrscheinlich, aber nicht zu verhindern
„nach Maßgabe der Dokumentform dauerhaft stabil zu halten, was empirisch eben nicht funktioniert.“
Interessieren würde mich, wie ein Begriff von Empirie (oder ein Begriff von Begriff; ein Begriff von „Daten“) angelegt sein müsste, der vom Dokumentschema nicht länger ausgesteuert wird.
Ihr „es funktioniert nicht“ muß sich als Sinnesdatum dokumentieren, wiederholbar und damit referenzierbar einem Sensorium einschreiben, um für sich Empirie beanspruchen zu können.
Liefe alles darauf hinaus, dass das, was sich fortwährend wiederhol- und referenzierbar sensorisch dokumentiert und damit Empirie „ausmacht“ nichts anderes wäre als die Unmöglichkeit jeglicher Dokumentation (und damit jeglicher Repitition und Referenz)?
[…] zirkuliert – auch viel härter angegangen wird und gar als Beleg für den Untergang der Buchkultur herhalten […]
„Interessieren würde mich, wie ein Begriff von Empirie (oder ein Begriff von Begriff; ein Begriff von „Daten“) angelegt sein müsste, der vom Dokumentschema nicht länger ausgesteuert wird.
Ihr „es funktioniert nicht“ muß sich als Sinnesdatum dokumentieren, wiederholbar und damit referenzierbar einem Sensorium einschreiben, um für sich Empirie beanspruchen zu können.“
Diesen Einwand sollte man ernst nehmen, insbesondere dann, wenn man sich mal wieder ein paar Gedanken zur Funktion von Kommunikation machte. Oder anders gefragt: wenn Zurechnung nicht mehr klappt, wieso sollte dann gerade Herr Müller sein Bewusstsein für die strukturelle Kopplung zur Verfügung stellen. Es könnte dann genauso gut jemand anderes machen und dann möglicherweise überhaupt niemand mehr. Man sollte das Bewusstsein mit seinen Eigenwerten nicht so einfach ausklammern, wenn man nicht ein schon erreichtes Komplexitätsniveau wieder unterschreiten möchte. System/Umwelt ist nicht nur eine Anfangsunterscheidung, sondern die Einheit einer Differenz.
Aber von Einwänden hat sich die theoretische Perspektive, die hier – soweit sie sich expliziert – durchscheint, schon sehr lange distanziert. Denn Einwände erscheinen immer als zurechnungsfähige Beiträge, die der utopischen Überwindung einer irgendwie zurechnungsfähigen Kommunikation natürlich niemals gerecht werden können.
Ein Verzicht auf solche Konflikte – eben das wird ja offenbar auch im Text selbst vorgeschlagen – blendet aus, dass die Sprache selbst durch die binäre Codierung in Ja-/Nein-Fassungen von jedem Sinn eine Ablehnungsmöglichkeit jeder Kommunikation vorsieht und das aus gutem Grund: man könnte sich einfach irren oder aber bewusst täuschen. Und es ist eigentlich eine Ironie, dass eben auch und gerade diejenigen, deren Hoffnung bezüglich der universalen Manipulation keine Zweifel kennt, diesen medialen Strukturen trotzdem nicht entkommen, wenn sie hier kommunizieren, dass man es anders machen sollte.
Dokument/Manipulation und Referenzierbarkeit/Arbitrarität sind kontingente Unterscheidungen, die aber gerade deshalb als Selektionen erkennbar werden. Die These lautet: gerade weil es Zurechnung von Mitteilung, Chancen auf Akzeptanz (wie auch immer sie heute hergestellt werden) und Gefahren von Ablehung gibt, werden die Wahrnehmungsberichte der Autoren hier und überall sonst motiviert.
Das letzte Wort hat einer der großen Meister, der referenziert wird, weil Referenzierbarkeit eben immer noch und weiterhin möglich ist: Es könnte alles auch immer anders sein, aber genau deshalb müssen wir uns auf irgendetwas einigen.
„aber genau deshalb müssen wir uns auf irgendetwas einigen.“ müssen „wir“ wirklich? Und wenn wir uns weigern? Und wenn wir uns sogar weigerten, uns auf Dissens zu einigen?
1. „Oder anders gefragt: wenn Zurechnung nicht mehr klappt“ – ja was wäre dann? Mir ist noch niemand begegnet, der das behauptet, befürchtet oder in Erwägung ziehen wollte. Nein stimmt nicht: Jetzt ist es passiert: irgendjemand, der glaubt, anonyme Zurechnung durchhalten zu können und sich so gleich nach Kräften darum bemüht, diese Anonymität zu unterlaufen, in dem er an verschiedene Leute verschiedene e-mails verschickt, um über Kusanowsky Geringschätzung zu verbreiten, glaubt, dass eine Trollerei dieser Art, die darin besteht, sich demütig an Scholastizismen zu halten und sie gleichzeitig performativ zu unterlaufen, unkommentiert bleiben könnte. Man sollte Herrn Bolz einmal mitteilen, dass einer seiner Mitarbeiter im Internet herumtrollt. Herr Bolz jedenfalls macht es, wenn auch wenig professionell, aber immer hin mutig und richtig, indem er selbst im Internet herum trollt. Man könnte davon ja lernen. Aber was ist wichtiger: die eigene Wichtigtuerei und die Weigerung, nichts Gutes mehr aus eigenem Antrieb zu tun, es sei denn man wird dafür mit irgend etwas belohnt, oder dem Erkenntnisdrang jenseits von berechnender Spekulation nachzugeben? Wer jedenfalls so herum trollt kommt nicht weiter. Junger Mann: Großspuriger akademischer Bluff funktioniert in Internetzeiten nicht mehr. Also: unterwirf dich den Anforderungen einer Wissenschaftsbürokratie und steh stramm, wenn es darauf ankommt. Oder trolle im Internet herum, aber dann bitte so, dass die Ansprüche einer Wissenschaftsbürokratie immer noch erfüllt werden können.
2. „Man sollte das Bewusstsein mit seinen Eigenwerten nicht so einfach ausklammern“ – darum geht es ja nicht. Es geht um die bekannte Unterscheidung empirisch/transzendental für deren Anschlussfähigkeit die moderne Gesellschaft eine Bewusstseinsreferenz eingeführt hat. Es stünde demnach im Vermögen des Bewusstseins, sein Wahrnehmungsvermögen von seinem Denkvermögen zu unterscheiden und dem Denken die Möglichkeit zuzurechnen, das Problem des Apriori der Wahrnehmung als gelöst zur Verfügung zu stellen. Demzufolge wäre empirisch, was man wahrnimmt, aber wahr wäre, was kognitiv dabei heraus springt. In diesem Blog geht es um die Frage, unter welchen Bedingungen diese Unterscheidung empirisch/transzendental auftauchen musste. Sie musste im detuschen Idealismus auftauchen, nach dem Frage nach dem „Ding an sich“ für das Bewusstsein als unklärbar erachtet wurde; und die Herkunft des Problems, also das Rätselraten um das „Ding an sich“, wurde dann wieder auf ein Bewusstsein zugerechnet, das sich seiner Vernunft nur unzureichend bedient. Tatsächlich aber konnte mit dieser Unterscheidung nur eine Problemstelle erfolgreich ausgeklammert werden, die bei Luhmann dann in einer anderen Fassung wieder zurück geholt. Das Ding an sich, bei Schopenhauer schließlich mit dem Willen identifiziert, über den ein Bewusstsein keine Macht hat und damit die Transzendentalphiolosphie auf eine Psychonalyse hinführte, taucht bei Luhmann schließlich als Problem der Kommunikation auf. Wichtig: Kommunikation als Problem, und nicht etwa wie Trivial-Rationalisten meinen möchten als Lösung für Menschen, die vernünftig nachdenken können. Und darum stellt sich die Frage nach dem Unterschied von empirisch/transzendental noch einmal, aber jetzt anders: empirsch ist, was beobachtbar ist. Und insonfern können auch soziale Systeme Erfahrungen machen. Der kategorisch-scholastische Ausschluss dieser These ist denn eben nur die Negation, die auf das Gegenteil aufmerksam macht und auf sie auf diese Weise einschließt. Eine andere Frage ist dann nur, wie diese soziale Erfahrungsbildung funktioniert, wie sie sich durch Schemagebrauch erhärtet und durch Erhärtung Erfahrung formiert wird.
Und sobald man die Bereitschaft zeigt zu verstehen wie das geht, sind solche Scholastizismen – „aber genau deshalb müssen wir uns auf irgendetwas einigen“ – nur noch ein Fall für ein Wissenschaftsbeamtentum, das nur geringe Möglichkeiten hat, sich den operativen Verschiebungen in seiner Umwelt anzupassen. Denn die Organisation läßt nur eindeutige Entscheidungen zu: Beförderung ja oder nein, ich oder du. Und die Regeln der Entscheidungsfindung sind entsprechend hoch intransparent, weil eine eindeutige Entscheidung gefunden werden muss, obgleich theoretisch keine Eindeutigkeit zu finden ist. Durch Organisation wird entsprechend alle theoretisch mögliche Kontingenz in den verfilzten, verlogenen und intriganten Routinen der Karriereschleimerei aufgerieben. Daher auch die Verteidigung der Scholastik: die Verteidung macht darauf aufmerksam, dass immer noch etwas gerechtfertigt werden muss.
»wenn Zurechnung nicht mehr klappt, wieso sollte dann gerade Herr Müller sein Bewusstsein für die strukturelle Kopplung zur Verfügung stellen«
Gute Frage. Eine mögliche Antwort (der zugegebenermaßen die empirische Basis fehlt – was aber, wenn man das schnell hinterherschieben darf, generell problematisch bei der Verwechslung von zukünftiger Gegenwart mit gegenwärtigen Zukünften ist): Die Konfirmation von Referenzierbarkeit durch Referenzierbarkeit im Kontext von Arbitrarität. Um das Operieren von Projekten, Missionen, Arbeiten, Forschungszusammenhängen, kurz: Systemen auch weiterhin zu ermöglichen. Funktional ähnlich: Karriere- oder Reputationserwartungen steigern oder garantieren (was man wahlweise durch die Anzeige von Arbitrarität aufrechterhalten kann, beispielsweise durch Pseudonymisierung in Blogkommentaren).
Und: Natürlich [sic!] ist das eine kontingente Unterscheidung. Wie auch sonst und woher der Verdacht, sie könnte es nicht sein?
„und woher der Verdacht, sie könnte es nicht sein?“ Organisation trifft Entscheidung, das heißt auch, dass ohne Organisation keine Entscheidung möglich ist. Die moderne Gesellschaft ist nun mal funktional so differenziert, dass Exkulsion in allen Funktionssystemen stattfinden muss, welche sie selbst nicht garantieren können. Deshalb brauchen Funktionssysteme wie die Wissenschaft Organisation und damit Unterbrechung kontingenter Fortsetzung von Kommunikation. Das heißt auch, dass ein Zwang zum Konsens allen Theoriedispositionen zum Trotz vorrangig behandelt werden muss, weil andernfalls keine Entscheidung gefunden werden könnte. Kontingente Unterscheidungen sind darum nur in der Theorie der Kommuniktion statthaft. Für die Praxis der Kommunikation gilt immer die Rücksichtnahme auf die nächst mögliche und, ja vielleicht auch nützliche Entscheidungsstufe. Das ist nun mal so. Das hat auch Luhmann selbst so gesehen. Deshalb empfehle ich das Buch „Organisation und Entscheidung“. Da steht alles drin, was durch die Wissenschaft in der Praxis buchstabengetreu interpretiert werden muss. Sonst kommt man nicht weiter.
Lieber Nachdenkl.ich,
Du argumentierst (bzw. referenzierst) m.E. um den zentralen Punkt herum. Funktionssysteme brauchen Kontingenzreduzierung, klar. Aber die Empirie (und das schließt die Empirie kontingenter Unterscheidungen ein) zeigt, dass dieser Ausschluss von Kontingenz mehr und mehr verloren geht (erste Stichworte, die aber wohl zu kurz greifen, wären „Entdifferenzierung“ oder „Interdependenzunterbrechung“; mein bescheidener Versuch, das Problem in einem Schlagwort zu beschreiben wäre „dysfunktionale Differenzierung“). Deswegen stellt sich die Frage, wie wissenschaftliche Beobachtung im Kontext von nicht-wissenschaftlicher Umwelt künftig möglich sein wird, wenn die Struktur der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft zur Disposition steht (schon mal ein Drittmittelprojekt zum Beantragen weiterer Drittmittelprojekten beantragt? Ja?). Die Antwort kann jedenfalls nur bedingt Statthaftigkeiten oder Klassiker zitieren.
A = A? Luhmann selbst wäre wohl erschreckt.
Der Punkt ist genau der – und Gott sei Dank! – sind wir trotz, ja gerade wegen des Vorwurfs des Um-den-Punkt-herum-argumentierens und der falschen Zuschreibung von vorangegangenen Beiträgen (es funktioniert trotzdem! 😉 ) sehr nahe dran: Entdifferenzierung steht einer Beschreibung zusätzlicher Differenzierung, Manipulation einer Beschreibung von trotz allem notwendiger Kontingenzreduktion gegenüber. Und das genau ist der Punkt, an dem dann die unterschiedlichen Begründungen einrasten, an dem sie vorgetragen und kritisiert, geschärft oder aber verworfen werden (müssten).
Ganz offensichtlich kommt man aus einem solchen Modus einfach nicht heraus. Sonst wäre ja eine Kritik des Um-den-Punkt-herum-argumentierens auch gar nicht mehr möglich oder sinnvoll. Der Vorwurf ist also das Argument, das mir wiederum reicht um zu fragen: ist der zur Diskussion stehende theoretische Versuch der einzig mögliche oder hat auch er seinen blinden Fleck?
Aber vielleicht ist die Kommentarfunktion eines Blogs auch nicht das geeignete Mittel für solche Diskussionen. Vielleicht bedeutet Bloglesen ja auch wirklich: sei derselben Meinung oder hör zu und halte die Klappe. Vielleicht wäre Mail-Kommunikation besser, weil sie sich normalerweise nicht in der Öffentlichkeit eines Blogs vollzieht und damit auch weniger zu Angriff und Verteidigung neigt. Das geht natürlich nur, wenn nicht Mail-Kommunikation nachträglich und selektiv auf weitere Adressaten ausgedehnt wird, weil es dann dazu kommt, dass nicht alle die gleichen Informationen haben. Und dann wird Verstehen – wie immer Manipulation sonst darauf einwirken mag – wirklich schwierig.
„Aber die Empirie (und das schließt die Empirie kontingenter Unterscheidungen ein) zeigt, dass dieser Ausschluss von Kontingenz mehr und mehr verloren geht“
Anhand welcher objektiver, referenzierbarer Sachverhalte dokumentiert sich dieses Verlorengehen? (Wie kann sich ein Verlorengehen überhaupt zeigen? Zeigen könnte sich dann wohl ja nur, dass es sich etwas nicht mehr zeigt. Zur Erscheinung kommen würde das Ausbleiben.)
Da sich mir die Evidenz der Behauptung verschließt, würde ich um einen kurzen Nachweis bitten, wie und wo es sich ihrer Meinung nach zeigt.
„Und dann wird Verstehen – wie immer Manipulation sonst darauf einwirken mag – wirklich schwierig.“ – Ja, das stimmt. Entsprechend müsste neben einer Systemtheorie, die zwischen Verstehen und Nichtverstehen nicht unterscheiden kann, weil ja beides Anschlussfindungen sind, die die Kommunikation fortsetzen, eine Systempraxis eingeführt werden, deren Stabilität nach vorgegeben Regeln gewährleistet wird, in dem man Appelle an Demut und Aufforderung zur Vermeidung von Selbstüberschätzung in der Weise standardisiert, dass jedesmal, wenn Regelverstöße in der Systemhierachie von zuständigen Stellen gemeldet werden, eine Sanktionierung nach mathematisch berechneten Modellen durchgeführt wird. Denn nur so kann gewährleistet werden, dass die Schwierigkeiten des Verstehens und alle Wege der manipulativen Umgehung des Verstehens kontrolliert und damit vermieden werden können. Für eine Systemtheorie wäre dann Verstehen und Missverstehen kein Problem, weil ja die Kommunikation weiter geht. Für eine Systempraxis müsste das dann nur halbiert werden; und man müsste festlegen, dass Nichtverstehen nicht statthaft ist und mit Sanktionen geahndet wird. Der Clou wäre dann, dass sowohl die Theorie wie die Praxis nach Maßgabe der selben theoretischen Grundlagen praktisch durchgesetzt würde. Dann wird Verstehen, obwohl es theoretisch schwierig ist, praktisch ganz leicht.
Damit kommt man ganz bestimmt weiter.
„Großspuriger akademischer Bluff funktioniert in Internetzeiten nicht mehr.“
Einsichten wie diese waren dereinst der Grund, weshalb ich anfangs über deine Beiträge auf differentia gestolpert bin. Ich bin nämlich zu sehr, sehr ähnlichen Überzeugungen gekommen. Wir unterscheiden uns allerdings grundsätzlich in dem, was Bluff für uns ist. Deshalb magst du Bolz nicht, und ich finde, dass er einer der besten Lehrer ist, den man sich wünschen kann. Es ist eigentlich tragisch und komisch zugleich: zumindest in der Forderung nach radikaler Freiheit des Denkens – woher ihre Motivation auch immer kommt – stimmt man ja eigentlich überein. Nun ja.
Wie kommt es zu dieser deutlichen und tiefen Abneigung gegen organisierte Wissenschaft? Woher die Sicherheit, bestimmte Dinge als rein und ausschließlich karrieristisch zu charakterisieren? Ein Mitarbeiter von Hr. Bolz trollt im Internet und man sollte ihm das mal sagen …ist das deine ernstgemeinte Reaktion auf den – zugegeben stellenweise pampig formulierten – theoretischen Einwand? Woher die Sicherheit, dass Incognito-Mitdiskussion Feigheit bedeutet? Wenn du Trollkommunikation so leicht erkennen kannst und selbst für dich in Anspruch nimmst, der einzige oder einer von wenigen zu sein, der Nicht-Troll ist, wieso gehst du dann auf die Troll-Ebene der Kommunikation und bleibst nicht einfach großzügig auf der Informationsseite? Komm‘ schon!
Selbst wenn du mit allen Vorwürfen an das von dir sogenannte Wissenschaftsbeamtentum Recht hast: müsste man nicht nachgerade aus der Perspektive, die du einzunehmen versuchst solche Strukturen als notwendigen Teil einer für dich vergangenen gesellschaftlichen Epoche akzeptieren, ohne normativ zu werden? Natürlich: man verteidigt sich, wenn man angegriffen wird. Aber elegant ist das ja nicht gerade, wenn man die Position eines Super-Beobachters einzunehmen gedenkt.
Was ich einstmals versucht hatte zu formulieren war (du bist nicht weiter darauf eingegangen): wir beteiligen uns beide mit Beiträgen zum selben Thema und inhaltlich denken wir an zentralen Stellen in dieselbe Richtung. Was die Begründung angeht, versuchen wir vollkommen unterschiedliche Wege. Ich finde immer, dass die Abarbeitung an anderen Positionen sich nicht anders als günstig auf das eigene Denken auswirken kann. Deshalb habe ich auch trotz der ehrlichen Abneigung gegen deinen „assoziativen Stil“, wie er einst von jemandem bezeichnet wurde (vermutlich von einem, der dir dann nur meine und nicht auch seine gehässigen Kommentierung über dich weitergeleitet hat 😉 ), mich immer wieder von deinen Texten irritieren lassen. Und ob du es glaubst oder nicht: du hast damit indirekt meine Position geschärft. Womit ich allerdings einfach nach wie vor nichts anfangen kann, will und werde, ist eine zur Schau getragene Überlegenheit, die sich beispielsweise darin zeigt, wie du auf Kommentare reagierst. Und du musst anhand der Kommentarhistorie schon zugeben, dass das nicht mein persönliches Problem ist, das, wenn es so wäre, ja denn auch zu Recht niemanden interessieren würde, sondern dass diese Art immer wieder aufstößt.
Das Problem, dass ich darin sehe, ist durchaus so gemeint, wie ich es zu formulieren versuchte: man schließt sich auf diese Weise ab gegenüber jenen Einwänden und Kritiken (wie niveauvoll oder -los sie auch immer in der eigenen Einschätzung sind), die gerade für das eigene Denken so wichtig sind.
Und in diesem Zusammenhang nehme ich die gesamte Verunglimpfung, die in meiner Kommunikation mit dir oder über dich gefühlt oder offen enthalten war, entschuldigend zurück. Das ist sehr ehrlich gemeint (trotzig dem Wissen darum, wie inkommunikabel Ehrlichkeit ja ist). Eine Angriffslust tut, so zügellos man ihr im Affekt nachzugeben bereit ist – man sieht es an solchen Entwicklungen überdeutlich – der Sache einfach Unrecht. Ich bitte das aber nicht fälschlich als Rückzug der geäußerten sachlichen Kritik zu verstehen: Überlegenheit statt Demut ist in meiner Welt trotzdem keine Option. Ich bin überzeugt, dass man auch über das Zeitalter des Internets sehr kluge Sachen denken und sagen kann, ohne gegen die großen Köpfe sein zu müssen. Oder anders: die großen Köpfe sind die großen Köpfe der Gutenberg-Galaxis. Ihr Denken mag heutzutage oder vielleicht auch erst in Zukunft ungeeignet sein, die gesellschaftlichen Probleme plausibel zu erfassen, weil ihre Erfahrungen vielleicht einem schon zu ihrer Zeit nicht mehr voll funktionstüchtigen Dokumentschema unterworfen waren oder vielleicht, weil sie sich trotz oder gerade wegen der Kontingenz der Sinnselektionspotenziale von entwickelten Eigenwerten des wissenschaftlichen Funktionssystems nicht lösen konnten. Aber deshalb sind es trotz allem noch große Köpfe, an denen sich abzuarbeiten niemandem schadet. Deshalb auch die Lektüreform des Kolloquiums.
Wenn du diese Nachricht – und du musst mir diese Befürchtung nach allem jetzt einfach zugestehen – auch wieder in den Ordner „Trollkommunikation“ ablegst, dann soll er sich doch zum Teufel scheren!
Lieber Stephan Frühwirt: ich kenne dich persönlich nicht und weiß gar nicht, was du von mir willst. Noch nie habe ich dir irgendwelche e-Mails geschrieben, noch an andere über dich, oder habe mich ansonsten traschtend über dein Verhalten gegenüber anderen geäußert. Auch habe ich bislang nur wenig von dir gelesen, und das wenige war höchst unspektakulär. Woher und warum eigentlich deine verschiedenen Mitteilungen per Facebook, per Mails an Leser dieses Blogs und per Trollkommentare an dieses Blog, in welchen es dir darauf ankommt, Geringschätzung zu äußern? Wer bin ich denn? Du kennst mich doch gar nicht! Und nur aufgrund einiger Blogartikel von mir, die du nicht einmal sehr grundlich gelesen hast, weißt du genau, wen ich mag, wen ich nicht mag, worüber ich mir sicher bin, wogegen ich etwas habe, wie ich drauf bin, was ich kann und was ich nicht kann. Mein Güte! Meinst du nicht, dass du es mit deiner Selbstüberschätzung etwas übertreibst? Wäre etwas Demut angesichts all dieses Nichtwissens vielleicht eher angebracht? Hmm? Demut tut gut. Aber wem? Dir nicht, was? Und wenn doch, na dann danke für die Aufmerksamkeit.
Apropos Verstehen/Nichtverstehen. Was ich nicht verstehe:
Woher die Exklusivität der Unterscheidung von großen Köpfen und aktuell-suchender Theoriearbeit? Von assoziativer Verfestigung im Netz und bürokratischer Strenge in der Abgeschiedenheit der eigenen Schreibstube? Auf welche Schwierigkeit antwortet diese rigide Binarisierung?
Woher die Idee, irgendein auf Unterscheidungsgebrauch basierender Theorieversuch (also: irgendein Theorieversuch) habe keinen bllinden Fleck? Auf welche implizite(n) Vorannahme(n) oder zuschreibung(en) rekurriert eine solche Vermutung?
Woher die Annahme, alle könnten gleiche Informationen haben, wenn Information doch der Unterschied ist, der bekanntlich einen Unterschied macht? Wieso vorgebliche Theoriearbeit so hart mit tatsächlicher Praxis kontrastieren?
Und wieso Orthodoxie predigen, wenn Luhmann höchstselbst die Klassikerauslegung hochgradig suspekt war – so suspekt sogar, dass er „in jedes Buch mindestens einen Unsinn hineinzubringen“ versuchte? Dass er potentielle Grashüter systematisch verhindern wollte?
@Sebastian Woher die Unterscheidung „von assoziativer Verfestigung im Netz und bürokratischer Strenge in der Abgeschiedenheit der eigenen Schreibstube?“ Damit wäre ein Punkt angesprochen, von dem ich glaube, dass er mich etwas angeht, weil er wieder wieder zum Thema gehört. In dem Artikel habe ich versucht zu erklären, dass die Unterscheidung von privat/öffenltich eine Unterscheidung ist, die sich als Ergebnis eines Modernisierungsprozesses heraus gebildet hatte und mit welcher schließlich dieser Modernisierungsprozess durch ein Gelehrtentum beschrieben wurde, das für sich – weil es durch den selben Modernisierungsprozess entstanden ist – diese Unterscheidung benutzte, um sich entfalten können. Schon die wilheminische Ordinarienuniversität zeichnete sich dadurch aus, dass die Wissenschaft gleichsam mit öffentlichen Mitteln, in öffentlichen Räumen und mit öffentlicher Bedeutung privat besetzt und organisiert wurde. Diese Privatheit bestand in der Vorstellung eines Ordinarius als Träger des Wissens und Entscheider in allen Belangen; er war sozusagen ein funktionaler absolutistischer Feudalherr der Wissenschaft. Seine besondere Genialität entstand ähnlich wie ein Fabrikprodukt, in dem der Produktionsprozess privat vonstatten geht und nur die Ergebnisse öffentlich zugänglich werden. Der Eindruck der Genialität entsteht ja, wenn man sich wundert und sich fragt: Wo hat er das nur alles her? Die Antwort: von seinen „Mitarbeitern“, nicht selten auch Studenten, die bienenfleißg Texte produzieren und darin Quellen zusammen tragen. Aber dieser Findungs- und Verknüpfungsprozess ist privat, geheim, öffentlich nicht zugänglich. Das letzte prominente Beispiel ist Luhmanns Zettelkasten. Auch darin erkennen wir noch immer den Geniekult, obgleich er natürlich längst – auch in der Wissenschaft – trivial geworden ist, z.B. als Institutionslisierungsphänomen der Klassiker-Exegese. Dies scheint mir von Stephan Frühwirt nicht beobachtet zu werden. Zwar weiß er, dass Soziologie auch eine Wissenschaft der Wissenschaft ist. aber die Routinen bleiben bei ihm so wie die Gesellschaft sie entwickelt hat: Subjekt, Objekt, Person, Werk, privat, öffentlich, mein Beitrag und dein Beitrag usw.
Das könnte sich mit dem Netz ändern, indem nämlich nicht mehr fertige Texte, von denen niemand weiß wie sie zustande gekommen sind, einer Öffentlichkeit übergeben werden, sondern indem Texte unter Beteiligung vieler – wie früher auch – aber jetzt: öffentlich zugänglich produziert werden. Es würde gleichsam nur offenbar werden, dass der Produktionsprozess der Wissenschaft ein sozialer und kein genialer ist. Das war er früher auch, aber das Wissenschaftssubjekt konnte das so nicht erklären, sondern hatte nur die Möglichkeit, sich selbst als Genie zu beschreiben, dessen Fähigkeiten es aus sich selbst heraus entwickelt. Entsprechend wurden bürokratische Vorschriften erlassen, die Reproduktion dieser Routine sicher stellten.
Mir fällt in Kommentaren zu meinem Blog immer wieder auf, dass Kommentatoren erwarten, die Texte, die hier zu lesen sind, müssten fertig sein, bevor man sie zu lesen gibt, sie müssten vollständig sein, Begriffe müssten genau definiert und alles müsste ausführlich behandelt worden sein usw. Dieser Mangel wird ständig, das finde ich sehr interessant, auf die mangelnde Brauchbarkeit des Blogschreibens und der Blogdiskussionen zugerechnet. Auch das findet sich ja bei Stephan Frühwirt: die Verfahren der Wissenschaft erscheinen gleichsam als sakrosankt, und nur die Internetkommunikation scheint nicht geeignet, um der Wissenschaft gerecht zu werden. Wir sind dabei zu lernen, dass es sich andersherum verhält. Aber bis das gelernt worden ist, muss noch viel Trollerei betrieben werden. Und immerhin fängt nun auch der Wissenschaftsnachwuchs mit Trollerei an. Das ist ein gutes Zeichen.
„Wir sind dabei zu lernen, dass es sich andersherum verhält. Aber bis das gelernt worden ist, muss noch viel Trollerei betrieben werden. Und immerhin fängt nun auch der Wissenschaftsnachwuchs mit Trollerei an. Das ist ein gutes Zeichen.“
Ohne die Genialität dieses Gedanken ins Abrede stellen zu wollen:
Wenn man über alle wohlwollende Paternalität hinwegsieht, die jenen Worten einen unangenehmen, da professoral gediegenen, Beigeschmack verleihen, stellte sich doch rein sachlich die Frage, wie man dabei sein könne, etwas zu lernen, von dem man schon haargenau weiß, worin es besteht(„Wir sind dabei zu lernen, dass es sich andersherum verhält.“) Immerhin erschiene mir ein solches Lernen als das Unspannenste von der Welt.
Zweifellos muß einer Nicht-Übereinstimmung, einer Asynchronie der Zeit mit sich selbst Rechnung getragen werden, aufgrund welcher das, was erst noch kommt, bereits schon da ist (ohne da zu sein). Dann aber doch in einer „Gestalt“, die zu schemenhaft ist, als in einfachen Zielvorgaben gebannt werden zu können.
„Wenn ich klar und im voraus sehen würde, wohin ich ginge, dann würde ich, da bin ich ganz sicher, keinen Schritt mehr tun, um mich dorthin zu begeben.“ (Derrida, Punktierungen. Die Zeit der These, in: Bernhard Waldenfels (Hrsg), Einsätze des Denkens, Frankfurt/M 1997, S.22)
Allerdings.
Ich stimme Dir zu, möchte aber noch ein weiteres Beispiel aus der Kunst nachschieben (einerseits, weil ich das Beispiel just dieses Wochenende präsentiert bekam, andererseits, weil der Geniekult dort ja auch exzessiv betrieben wurde/wird):
Ben Lewis – The Great Contemporary Art Bubble http://www.youtube.com/watch?v=HeRJ0HqdbAs (man beachte insbesondere die Produktion der Streifenbilder „von“ Anselm Reyle). Mit Blick auf die Produktionsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb Luhmann selbst: http://sebastian-ploenges.com/blog/2011/mittelalterliche-textgepflogenheiten/ (preaching to the choir?). Und generell für einen produktiven Umgang mit Luhmanns Gedanken: Urs Stäheli – Sinnzusammenbrüche. Eine dekonstruktive Lektüre von Niklas Luhmanns Systemtheorie (anregendes Buch, lese ich gerade gemeinsam mit Freunden).
Eine Option: Nicht-Wissen, worin X besteht. Das heisst: Im Kontext von Nicht-Wissen mit Nicht-Wissen rechnen. Ich glaube übrigens (mittlerweile) auch, dass Systemtheoretiker da viel von Derrida profitieren können (vgl. den Stäheli-Verweis oben).
„Das heisst: Im Kontext von Nicht-Wissen mit Nicht-Wissen rechnen.“
(Radikalisierung:) „…ohne zu wissen, wie man rechnet.“ Denn ansonsten wär´s ja leicht.
Dieses „unroutinierte non-knowhow“ wäre zur Perfektion zu treiben.