Differentia

Monat: November, 2011

Hat die Systemtheorie einen normativen Nutzen?

Ich glaube dass die Luhmannsche Systemtheorie ihren normativen Nutzen darin hat, dass man mit ihr erkennen kann, wie die Bombe funktioniert, die es zu entschärfen gilt. Die Systemtheorie ist wertfrei wie die Bau-Anleitung der Bombe. Aber wenn man sich durch die Bombe bedroht fühlt, dann gibt sie einem gerade erst die Möglichkeit zu erkennen, welche Kabel man mehr oder weniger sorglos durchschneiden kann. (Ndee Hawkman, 30. November 2011)

Bemerkung: Wertfrei wie eine Anleitung zum Bombenbau? Aber dann doch auch so wertfrei wie eine Bombe, möchte ich sagen.

Das Wort „Bombe“ wurde wie viele andere militärische Begriffe wohl während des Dreißigjährigen Krieges aus dem Französischen (bombe) entlehnt und geht über lat. bombus letztlich auf das lautmalerischegriechische Wort βομβος zurück, das „dumpfes Tönen, Sausen“ bedeutet. Quelle Wikipedia

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Die Metamorphosen des Trolls

Eine Bemerkung zur aktuellen Diskussion von Thorsten K.:

Um zu einigen Gedanken der Trollproblematik zurück zu kehren: Die Überforderung der Kommunikation durch Trolle und deren Metamorphosen könnten wir mit Durkheim als eine Situation der wahgenommenen Anomie kennzeichnen, in der Verwirrung über soziale und/oder moralische Normen herrscht, in der diese Normen unklar sind und – hier ja vor allem – in der die Gruppe nur sehr begrenzte und/oder überhaupt keine Filter besitzt sowie Stoppregeln, um sich selbst zu regulieren. Gleichzeitig eine Variation der Münchhausen-Paradoxie..der Sumpf, die Haare und das Selbst. Anomie war bei Durkheim als Erklärung für „abweichendes Verhalten“ beschrieben worden (wobei abweichend wieder diese merkwürdige Ontologie einer stabilen Beobachtung voraussetzt, mit der wir Heute so unsere Schwierigkeiten haben), als dessen extremste Form der Selbstmord beobachtbar wird. Man bräuchte also eine Anomietheorie der Trollkommunikation, in der Selbstmord eine der möglichen Verläufe darstellt, und zwar sowohl für den Troll wie auch für die Gruppe insgesamt oder sogar – im Super-GAU Szenario – der Exodus für eine „Kommuikationskultur“ als soziale Form.

Zu klären wäre dann, ob der Troll einen egoistischen Selbstmord oder einen altruistischen Selbstmord begeht, ob er sich wie ein Alkoholabhängiger, dessen Selbstkybernetik (vgl. Bateson, Ökologie des Geistes) aus dem Ruder läuft, in der Kommunikation verliert oder ob es nicht vielmehr so ist, dass dessen Selbstmord letztlich für die Gruppe funktional ist, also die Gruppe in diesem Fall nur die Troll-Rolle definiert, sie besetzt um sich anschließend durch die Beobachtung des Trolls „selbst zu finden.“ Wenn es ein egoistischer Selbstmord ist, dann ist die Aufforderung „sei kein Troll“ oder „don’t feed the trolls“ in etwa so hilfreich wie wenn eine Gesellschaft dem Alkoholiker zuruft „höre auf Alkoholiker zu sein“ oder wenn sie versucht, das Alkoholismusproblem durch Verkaufsverbote abzuwürgen… (während der Prohibition wurde mehr Alkohol getrunken als vorher, weil die knappe Verfügbarkeit und der „Regelbruch“ selbst noch als Anreiz funktionierten, der den Schwarzmarkt boomen ließ sowie das soziale Prestige der Regelbrecher, die heimliche Verehrung der Regeltreuen etc.)

Robert K. Merton ist auch ganz interessant in diesem Kontext, denn der hat Durkheims Anomiekonzept mit dem Begriff der Dissoziation verbunden: ein Auseinanderbrechen kultureller Ziele/Projektionen einerseits und dem Zugang bestimmter sozialer Schichten, heute vielleicht eher zu dazu notwendigen Mitteln andererseits, die er mit fünf Reaktionsweisen in Verbindung bringt: Konformität, Innovation, Ritualismus, Rückzug und Rebellion. Vielleicht kann man in der Trollkommunikation viele dieser Verhaltensweisen beobachten, die Frage wäre dann, ob sich die Kommunikation auf einen oder vielleicht zwei dominate Reaktionen begrenzen lässt. Dann wäre das Phänomen sozial erwartbar und man könnte „Bearbeitungsroutinen“ anwenden, die dem Moderator oder einem Blog-Owner zufällt, oder ob sich diese Reaktionen notwendig selbstreferent hochschaukeln … dann wird es tatsächlich inflationär bis zum Exodus.

(1) Der Alkoholiker kämpft mit den Unannehmlichkeiten der Nüchternheit bis zu einem kritischen Punkt, an dem er die Erkenntnistheorie der ‚Selbstkontrolle‘ völlig zugrunde gerichtet hat. Dann betrinkt er sich – weil das System stärker ist als er und er sich ihm ebensogut ausliefern kann (2) Er arbeitet weiter wiederholt daran, betrunken zu werden, bis er beweist, daß es ein noch größeres System gibt. Dann begegnet er der Panik, ‚am Ende zu sein.“ (Gregory Bateson, 1972: Ökologie des Geistes, Suhrkamp: S. 427)

 

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