Das #Leistungsschutzrecht – ein apotropäischer Abwehrzauber

von Kusanowsky

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Das evolutionäre Merkmal der säkular-aufgeklärten Gesellschaft ist ein gleichermaßem hemmender wie forttreibender Implus, der in dem faustischen Kampf sein Sinnbild findet: das sogenannte moderne, autonome, sich selbst monumentierende Subjekt, mit sich selbst zwar nicht im Reinen, aber sich zutrauend, den Mächten gewachsen zu sein, ja, sie herauszufordern und sich jeder Wette der Kräfte als Einsatz hinzugeben, lässt sich, wenn auch niemals skrupellos auf magische Spielereien ein. Dies nicht als Spieler, sondern als Spielball das Spiel beherrschen und bezwingen zu können, ist das Projekt, um das es dabei geht. Souverän zu sein, ein Menschenrecht geltend zu machen, das nicht als jammervolles Schluchzen einer bedrängten Kreatur den Kräften flehend und bettelnd abgerungen wird, sondern welches trotzig stampfend die Kerkermauern nicht einrennt, sondern diese selbst humanisiert – das wäre gleichsam der zivilisatorische Befreiungsakt: nicht hinaus ins Freie zu kommen, sondern das Freie hier hinein zu bringen. Das wäre, auf eine Kurzformel, der säkulare Gesellschaftstraum, die moderne Zivilisationsideologie: Eine Unterscheidung von Innen und Außen nur Innen beherrschen zu können, auch wenn dies gegen jede Wahrscheinlichkeit ist. Der Doktor Faustus macht’s nur „against all odds„, ohne Rücksicht auf Verluste. Die Ballade der ewigen Liebe, die ihre Unwahrscheinlichkeit beharrlich ignoriert, ist inzwischen jedoch nur noch der triviale Rest eines ehedem mutigen Vorhabens. Geblieben ist ein unverbindlicher Applaus trotz der sich ständig steigernden Unverschämtheiten. Man denke an die Bankenkrise, ganz allgemein an „moral hazard„, der für den Industriekapitalismus kennzeichnend ist.
Wenn man solche Eingangsworte ob der gerade ablaufenden Diskussion um ein Leistungschutzrecht als allzu pathetisch und weitscheifig abtun möchte, so will man nicht verstehen, worum es dabei geht. Es geht – ich hatte es betont und weder Tim Bruysten, Jay Martin noch alle anderen in unserem Facebook-Thread konnten diesen Argument folgen – dabei um den Kampf um’s Kaptial, nicht um Firlefanz, um Nistplätze irgendeines Krötenkäfers. Es geht nicht um ein Symbol, um einen Popanz, der stellvertrend vorweggetragen wird. Liest man den Beitrag von Tim Bruysten bei wavetank genau, wird man zwar feststellen können, dass es dort wie woanders auch um etwas mehr geht als um eine Affäre. Dass wir nämlich wie Tim schreibt „als Gesellschaften auf Terra größere Anpassungsschmerzen beim Übergang in die neue Epoche haben, als je zuvor“, das dürfte wenigstens zeigen, warum es auch in weniger gehaltvollen Äußerungen geht: Etwas ganz Großes ist im Gange. Die dämonische Aufdringlichkeit der aufkommenden Phänomenen des Internets lässt aber die eingespielten Verfahrensweisen wie Sandkastenspiele erscheinen, wie das Gezeter von Zurückgebliebenen, welche den Zug verpasst haben, der von ihnen selbst bestellt wurde. Man betreibt demokratisch gesinnten Meinungskampf und möchte mitgeteilt wissen, dass das helfen könnte: Es wird vorgeschlagen, sich zu wehren und zwar mit der alles entscheidenden Vernunft der eigenen Argumente. Ist das nicht ein moral hazard sui generis? Dass man auf eine wie auch immer geartete Vernunft großen Wert legt und sich gegen die daraus resultierenden Folgen indifferent, also parasitär verhält?
Eben dieses Schema liegt auch der Forderung nach einem Leistungsschutzrecht zugrunde. Die Medienindustrie fängt an zu begreifen, dass alle Produktion gesellschaftliche Produktion ist, oder besser: auch sie versucht wie alle anderen diese Einsicht solange wie es nur irgend geht zu vermeiden, was letzlich heißt,  das so erzeugte Problem auf alle anderen abzuwälzen, was ja zum guten Ton gehört, weil es alle so machen. Das moral hazard-Phänomen entsteht immer, wenn versucht wird, ideologische Erwartungen mit empirischen zu verwechseln, wenn durch Vertauschung von Referenzen das Mögliche sich der Forderung nach Referenzvertauschung unterwerfen soll. Karl Marx nannte so etwas „falsches Bewusstsein“; in angepasster Wortwahl bezeichnet man das als die Kontingenz des System-Umweltverhältnisses. Man kann sich auch irren, gewiss, aber den Schaden will keiner. So hatte Tim in der Diskussion darauf bestanden, dass dieser Konservativismus der Verleger den Schaden nur noch steigern würde, weshalb sie ihn vernünftigerweis behalten sollten. Ist das zum Lachen oder zum Weinen?
Nicht weniger lächerlich ist das Bestreben der Verlage, die sich dem Prozess der schöpferischen Zerstörung zu widersetzen, weil kaum anders ihre Chancen auf Kapitalbildung und seine Bindung durchzusetzen wären. Sollten Bertelsmann-Journalisten ein Flattr-Knöpfchen anbieten wie Straßenmusikanten ihren Hut? Keiner hat eine Idee wie die gesellschaftliche Produktion von „Inhalten“ finanzierbar wäre, weil diese theoretisch gar nicht finanzierungsbedürftig sind. Aber wen interessiert das schon?
Also muss man irgend was machen. Im Beitrag von Jay Martin findet man eine brauchbare Empfehlung einer Beobachtungsposition im Krisenfall. In einer Anweisung der NASA für Astronauten heißt es: „Wenn du nicht weißt, was du machen sollst, mach einfach nichts.“ Und Jay, der eigentlich ganz intelligent einen weiterführenden Riecher zeigt, fängt sofort an, das Problem der doppelten Kontigenz durch Referenzvertauschung als Problemursache zu betrachten. Der NASA-Leitsatz könne nur dann funktionieren, so Jay, wenn ausnahmslos alle nichts tun, solange sie nicht genau wissen, was zu tun ist.“ Da man aber dies in dem Fall der Verleger-Kampagne nicht wissen könne, weil ja alle Beteiligten behaupten zu wissen, was zu tun wäre, muss man etwas tun. Hier haben wir ein hübsches Beispiel der double-bind-Verstrickung, die entsteht, wenn man versucht, der Anweisung zu folgen: „Tue nichts!“ – Denn was man dann auch immer tut steht im Widerspruch zur Anweisung. Denn es ist nicht möglich nichts zu tun, und darin finden wir schließlich den Anfangspunkt für das moral hazard Phänomen. Man wird einfach nicht klüger aus dem Schlamassel, den man selbst anrichtet und scheißt den anderen ein lebenlang ins Gehirn (@Siggi).
Der faustische Wille ist ein Widerwille, ein vertrauender Wille gegen das eigene Misstrauen. Und ich meine beobachten zu können wie sich dieser Kampfmut durch fortlaufende Trivialsierung in absurde Lächerlichkeit ausdehnt. Siggi Becker hat meine Betrachtung mich in dieser Hinsicht durchaus scharfsinnig verstanden:

Transhumanismus ist halt die Ideologie, die das faustische Subjekt noch weiter bis in alle pupertäre Lächerlichkeit zu retten versucht – was nicht heisst das es nicht geht – und Posthumanismus eben der Versuch aus diesen 6-Million-$-Man-Phantasien auszusteigen.