Das Rocker-Paradoxon ethischer Diskussionen

von Kusanowsky

Rocker bei einer Protestfahrt. Auch ein Rocker hat ein Recht auf Indifferenz. Foto: Wikipedia

Im Kulturblog von Dr. Webbear gibt’s eine leider wenig humorvolle Kurzabhandlung über das sogenannte „Rocker-Paradoxon„. Es beschreibt den Sachverhalt, dass freiheitsliebende Motoradfahrer mit strenger nonkonformistischer Haltung wenig dagegen einzuwenden haben, sich strengen Regeln eines Motorradclubs zu unterwerfen. Es handelt sich, so könnte man sagen, um einen konformistischen Nonkonformismus. Schade leider, dass diese Kurzabhandlung ganz unparadox nicht ausführlicher geraten ist, denn erst in dem Fall hätte das Paradoxon erklärt werden können, statt es, wie es in dem Posting geschieht, auf eine Weise zu entfalten, die dem Sachverhalt kaum gerecht wird, handelt es sich doch dabei weniger um eine spezielle Eigenart von Rockern. Tatsächlich handelt es sich dabei um eine genuin moderne Beobachtungsweise sozialer Realität, der man auch woanders begegnen kann, in Parteien, Sekten, Schulen, irgendwelchen Gruppen von Freigeistern, unter denen der strenge Grundsatz gilt: Hier herrscht Toleranz. Und wer hier nicht tolerant ist fliegt raus. Das ist etwas ganz Gewöhliches und wäre wohl nicht weiter erwähnenswert, wenn nicht gestern zuvor bei fxneumann ein Artikel gepostet worden wäre, der unter dem Titel „Der post-private Übermensch“ das Rockerparadoxon etwas auführlicher behandelt, ohne es gleichwohl zu benennen. Hier kommt das vergleichbare Paradoxon in den Worten zum Ausdruck: „Das radikale Recht des Anderen ist die Souveränität beim Filtern.“ Gemeint ist hier eine von mspro vorgeschlagene wenig überzeugende Lösung für ein Problem, das entsteht, wenn soziale Realität als eine Einseitenform beobachtet wird, die zweiseitig behandelt werden muss.

Bei dieser Einseitenform handelt es sich um eine sozial anschließbare Beobachtungsweise der modernen Gesellschaft, die das faustische Subjekt als Welt-Allversteher, als Bezwinger unheimlicher Gewalten, als Souverän seines Lebens auch dann noch als Mittelpunktfigur aller sozialen Realität betrachtet, wenn diese Subjektivität längst erschüttert wurde, durch die Psychonalyse genauso wie durch die Quantenphysik oder Etablierung demokratischer Verfahrensweisen. Trotz der Beschädigungen der Bewusstseinsfähigkeit durch die Psychoanalyse, trotz der Einschränkung der Rationalität durch die Quantenphysik und trotz aller Massenorganisationsverfahren, die das Subjekt lediglich zu einer statistischen Größe degradieren, als Wähler, als Kunde oder Konsument, beharren die Systeme auf diese Einseitenform, deren Legitimität begründet werden kann, sofern sie zweiseitig zugestanden wird, etwa als „das Recht des Anderen“. Gelingen kann dies, weil das „Ich“ durch Verweis auf das „Nicht-Ich“ jederzeit sich selbst als das „Nicht-Ich“ des „Nicht-Ichs“ beobachten lässt und damit eine Form findet, durch die eine selbstreferenzielle Indifferenz illusioniert werden kann, deren Herkunft auf eine Gesellschaft „da draußen“ zugerechnet werden muss, die sich durch beständige Reaktualisierung unerfüllter Versprechungen auszeichnet. Man redet vom Anderen und macht damit beobachtbar, dass die Identität ihre Ansprüche verteidigt, indem sie sich selbst als Alterität mitberücksichtigt. Konsequenterweise resultieren daraus Paradoxien wie die bekannte Parole: „Freiheit ist immer Freiheit der anders Denkenden, sich zu äußern“ – womit die Forderung an den Anderen gemeint ist, den Fordernden als Anderen zu respektieren. Auf diese Weise werden beständig Forderungen wiederholt, deren Erfüllung keiner sicher stellen kann, weil sich mit solchen Forderungen nur ein Egoistisches „Ich will“ durch eine Paradoxie maskiert.

Die bislang entwickelte Problembehandlungsweisen bestehen darin, solche Paradoxien ethisch zu diskutieren. Dazu gehört auch und insbesondere das „Ich will“ als unethisch zurückzuweisen. Denn wie könnte anders die Maskierung durchgehalten werden, wenn nicht bei Beobachtung des Scheiterns solcher Forderungen diese genauso naiv wie frech wiederholt werden? Dass aber ethische Forderungen als Frechheit, als Zumutung, als Bornheit ins Auge fallen, kann nicht argumentiert werden, weil damit jederzeit ein forderungstellendes, egoistisches Subjekt beobachtbar wird, dessen fragwürdige Urteilsfähigkeit durch fremdreferenzierte Illegitimierung selbstreferenzierbar legitimiert wird.

„Ich will!“ – Es ist leider auch nicht weiterführend, solche Naivität als Verlogenheit, als Doppelmoral zu denunzieren, wenn man auch zugeben muss, dass die daraus resultierenden Zumutungen, welche ja letztlich in der Forderung nach einem Recht auf Indifferenz bestehen, im Alltagsgeschäft der Lebensvollzugs nur schwer zu ertragen sind.