Die Apokalyptik der Krise
autopoiet schreibt in Krisis und Alarmsignale als Hypertext:
Die Krise entwertet oder falsifiziert nicht die vorangegangenen Operationen (bzw. ↳Performate), sondern legt nahe, dass andere Anschlüsse geboten sind.
Die Problementwicklung der modernen Gesellschaft lässt nach und nach die Einsicht plausibler werden, dass kaum etwas anderes so normal ist wie die Krise, von Reformen abgesehen, deren ständige Wiederauflagen bald nichts mehr von dem übrig lassen können, was da einstmals reformiert werden sollte. Krise und Reform: beides hängt wohl mit einander zusammen und man könnte meinen, Reformen seien Ausgestaltung von Lernerfahrungen, die durch Krisen entstehen, als seien Krisen gleichsam Lernsituationen, die nahe legen, dass andere Vermutungen, andere Ansätze, andere Vorschläge geeigneter seien aus dem Schlamassel herauszuführen als alle vorhergehenden Versuche.
Tatsächlich kann man aber beobachten, dass das Gebot anderer Anschlussfindung keineswegs aus Krisen hinausführt; vielmehr erscheinen solche Gebote selbst nur ein Krisensymptom zu sein, die als Routinen zur Verstärkung der Problemerfahrung fungieren, nicht als deren Beseitigung, was sich empirisch in der Beobachtung niederschlägt, dass sich die Krisen auch dann wiederholen, wenn man heraus gefunden hat, wie und warum sie funktionieren. Über die Banken- oder Klimakrise gibt es zwar sehr viele verschiedene Meinungen, aber nur sehr wenige wirklich rätselhafte Geheimnisse, deren vorherige Enthüllung, Apokalypse im eigentlich Sinne, zweckdienlich weiterführend wäre. Woran kann das liegen?
Die Antwort wird von mir vermutet in der Form der Empirie, die nicht nur die Krisen auslöst, sondern auch Reformen. Beides, Krisen und Reformen ergeben sich durch die selbe Empirieform. Und wenn das stimmt ist klar, warum Reformen – also Gebote zur Anschlussänderung – keinen Ausweg aus der Krise zulassen, weil sie kein anders strukturierbares Wissen zu lassen. Die Probleme können auf diese Weise nicht gelöst, allenfalls gut verwaltet werden; und der Probelmaufstauungsprozess muss sich selbst überlassen bleiben. Soweit der Empire erster Teil.
Der zweite Teil bezieht sich auf die Beobachtung, dass mit dem Problemerfahrungsprozess zeitgleich immer auch ein Lösungsfindungsprozess entfaltet wird, welchen zu thematisieren allerdings schwierigste Hindernisse auferlegt sind. Denn die Vermutung liegt nahe, dass die Wahrscheinlichkeit einer Lösung steigt, wenn die Kontingenz des Problems die Einheit seiner Differenz verliert; wenn also etwas anderes als eine Differenz von Krise und Reform Urteilsbildungsprozesse und damit auch Formen der Empirie determinieren kann. Die Schwierigkeiten werden um so größer als der Lösungsfindungsprozess eben nicht nur ein anders geartetes Wissen möglich macht, dieses also gerade nicht revolutioniert, weil ja auch Wissen um Revolutionen selbst in jener Empirieform enthalten sind, die Krisen und Reformen auslöst. (Siehe dazu: Zur Metanoia moderner Systeme). Vielmehr scheinen mir soziale Sublimierungsprozesse, die von Individuen weder gewählt noch abgewählt werden können, darüber zu entscheiden, welche Probleme der Weiterbehandlung unterzogen oder dem Vergessen übergeben werden. Letzteres geschieht aber nur, wenn ein Ersatz schon vorher akzeptierbar ist, also etwas, das später als preadaptive advance bezeichnet wird. Soziale Systeme lassen sich erst auf einen Deal ein, ihre unlösbaren Probleme zu vergessen, wenn schon zuvor eine Lösung gefunden wurde, von welcher man noch nicht weiß, für welches Problem sie eigentlich geeignet ist. Das macht die Sache so schwierig: keiner investiert in Tankstellen und Autobahnen, nur weil ein Bastler den Viertaktmotor erfunden hat. Aber man hatte schon Petroleum raffiniert ohne wissen zu können, dass sich Tankstellen lohnen könnten.