Politik für Fortgeschrittene
von Kusanowsky
Ein beeindruckendes Interview. Tilo Jung rutscht ganz nah an seinen Gast heran, er unterbricht, stellt sich dumm, schwätzt blöd daher, duzt ihn und versucht gelegentlich, journalistisch sachlich interessiert zu wirken, ohne sachlich interessiert zu sein.
Der Stil dieses Interviews zeichnet sich nicht etwa durch einen Mangel an Professionalität aus. Vielmehr besteht die Professionalität darin, auf Professionalität zu verzichten, um den Interviewten in Verlegenheit zu bringen, ihn zu verunsichern, ihn zu stören, seine Geduld und Schlagfertigkeit zu testen. Aus welchem Grunde tut er das?
Politiker möchten sich gern als bürgernah, als menschlich normal, als freundlicher Mensch von Nebenan beschreiben, Journalisten wiederum beschreiben sich als vom Wähler beauftragt, um Politikern kritische Fragen stellen zu dürfen. Beide geben vor, sich für die Masse der nicht Anwesenden und nicht Beteiligten zu engagieren, woraus sie ihre Rechtfertigung beziehen. Das bekannte Wechselspiel besteht in dem Versuch, dem entmüdigten, weil medial nicht eingriffsberechtigten Publikum zu dienen.
Aber das Wechselspiel zwischen Politik und Journalismus sabotiert solche Versuche ständig, weil Journalisten ein ähnliches Problem haben wie Politiker: Die Produkte beider Seiten sollen für viele wählbar, bzw. käuflich sein, wobei die strenge Regel gilt, dass Politik nicht käuflich sein darf und Journalismus nicht staatstragend, dabei ist es gerade die Strenge dieser Regel, die jeden Zweifel an ihr befördert.
Eine jede Inszenierung, durch die sowohl Politiker als auch Journalisten beobachtbar werden, muss darum aus einem fiktiv gedachten Mittelwert des Darstellens- und Berichtenswertem einen Allgemeinwert machen, um jeweils die allein fiktive Größe „des Wählers“, bzw. „des Lesers“, „des Zuschauers“ erreichen zu können. Das ist mit vielen Risiken verbunden, weil sowohl Politiker als auch Journalisten auf kapitalintensive Machtapparate angewiesen sind: Politker brauchen Parteien, Journalisten Sendeanstalten oder Verlage.
Diese kapitalintensiven Machtapparate müssen sich ständig um sich selbst kümmern, müssen unterhalten werden und benötigen dafür dringend die Rechtfertigung ihrer Existenzberechtigung durch Verweis auf andere und anderes. Politiker engagieren sich für Wähler, Journalisten für Rezipienten und daraus resultiert das bekannte Wechselspiel, weil beide Seite ähnliche Problemsituationen zu bewältigen haben: sie müssen für Abwesende und Unbeteiligte produzieren, weil sie auf deren Partizipatíonsbereitschaft angewiesen sind, ohne, dass sie partizipieren könnten. Denn durch das bekannte Spiel wird genau die Instanz ausgeschlossen, um die es eigentlich geht.
Das Wechselspiel zwischen Journalismus und Politik gleicht daher eher einem routiniertem Ping-Pong-Spiel, das genauso von Sprech- und Schreibautomaten aufgeführt werden könnte.
Was wäre nun, wenn in dieses ausbalancierte Wechselspiel ein Ungleichgewicht Eingang findet? Wenn also ein Journalist anfängt, sich nicht mehr an die bekannten Regeln zu halten? Tilo Jung tut dies, ohne dabei selbst öbszön zu wirken. Vielmehr setzt er sich der Lächerlichkeit aus; er gibt mit seinem Verhalten jeder Kritik statt und sabotiert sie dadurch, weil jede Kritik an seinem Interviewstil genauso leicht und daher unprofessionell zu fomulieren ist wie dieses Verhalten selbst. Tilo Jung mangelnde Professionalität zu unterstellen ist genauso naiv und dumm wie diese Art der Professionalität.
Dabei dient die Selbstbeschreibung als „Jung & naiv“ nur als Tarnung, weil vermutlich junge Leute damit auch nicht viel anfangen können. Jung & naiv ist nur eine Maske, um auf dem Wege der selbst eingestandenen professionellen Unfähigkeit des Journalisten die Konturen der Professionalität des Politikers für das Publikum in Erscheinung treten zu lassen.
Denn tatsächlich: was sollte man von einem Politiker in Erfahrung bringen können, was sollte er noch sagen, das nicht auch von einem Sprechautomaten gesagt werden könnte? Das Verhalten des Journalisten durchkreuzt die gewohnten und automatisierten Sprech- und Schreibautomatismen des Journalismus und macht damit den Politiker auf ungewohnte Weise beobachtbar.
Der Journalist kann das versuchen, weil er keinen kapitalintensiven Machtapparat hat, auf den er Rücksicht nehmen muss. Er hat youtube.
Zweifellos wirkt der Journalist lächerlich, unprofessionell. Das würde er nicht bestreiten. Aber beobachte mal den Politiker!
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Man lese hier einmal wie professionelle Schreibautomaten diesen Interviewstil kommentieren:
„Schön blöd“ (Süddeutsche Zeitung)
In der Tat sehr bemerkenswert. Ich beobachte seit Wochen den Wahlkampf recht intensiv und bin schon auf etliche Sprechschablonen geeicht. Hier würde ich der SZ widersprechen, dass „der Erkenntnisgewinn gegen null tendiert.“
Der Erkenntnisgewinn liegt in der Beobachtung der Wechselbeziehung zwischen Politiker und Journalist. Das Besondere dabei ist ein leichtes Aufschmelzen der Selbstreferenz.
(siehe dazu: „Auswirkungen des Internets auf die journalistische Praxis und berufskulturelle Normen“
Klicke, um auf ZHAW_Schlussbericht_Auswirkungen_des_Internets_auf_die_journalistische_Praxis_und_berufskulturelle_Normen.pdf zuzugreifen
und insbesondere das Kapitel ‚Das Dilemma der Selbstreferenz‘).
Bin mal gespannt, ob auch andere den Sinn des naiven Unsinns sehen.
PS Eine Aufwertung des Videos erfolgt übrigens durch die Aktivierung der automatischen Untertitel. Nicht nur der Part über ‚die schlechte Regierung des Sudan‘ ist erheiternd.
Tilo Jung bietet seinen Gästen ein diablolisches Spiel an, das „Narrenfreiheit“ heißt und nicht ganz ungefährlich ist. Denn lassen sich seine Gäste nicht darauf ein, so machen sie sich lächerlich, weil sie gleichsam das Konzept missachten, also die Maske, mit der sie auf diese Weise beobachtet werden. Lassen sie sich aber darauf ein, so laufen sie Gefahr sich lächerlich zu machen, weil sie ihre eigene Professionalität missachten.
Für Politkberater ist so etwas eine knifflige Nuss. Interessant übrigens, dass sich ein Politiker wie Steinbrück überhaupt darauf einlässt.
Diese Art des Journalismus ist solange ganz harmlos, solange ihn keiner imitiert. Geschieht dies aber, wird es gefährlich, weil jede Nachahmung nicht einfach nur Kopie, sondern immer auch ein Kommentar des Vorbilds und Differenzierung durch Variation ist. Eine Differenzierung setzt dann beide Seiten unter Beobachtungsdruck: der Journalist, weil er seine Narrenfreiheit nutzen muss und nicht einfach ablegen kann und Gefahr läuft, sich dadurch selbst einen neuen Sprech- und Verhaltensautomatismus anzugewöhnen; und der Gast, weil er nicht einfach seinen normalen Sprechautomatismus beibehalten kann. Ändert er ihn aber, so kann es sein, dass auch der Journalist seinen Automatismus ändert. Die Ergebnisse können dann für beide Seite höchst überraschend sein, erst recht, wenn so etwas live gespielt wird.
Eigentlich handelt es sich nicht um einen Journalismus, der Informationen durch Anfertigung von Dokumenten massenmedial vermittelt, sondern um ein selbstreferenzielles Schachspiel; ein Journalismus, der ohne Internet gar nicht möglich wäre. Eine echte Innovation.
Bislang haben Politik und Journalismus immer nur Ping-Pong miteinander gespielt. Das Spiel besteht aus Partnern, die sich gegenseitig den Ball so zu spielen, dass jeder ihn bekommen und zurück spielen kann.
Was hier anfängt ist eher Tischtennis, nämlich: das bekannte Rollenspiel zu kündigen und mit Täuschungstricks zu arbeiten um es einem Gegenspieler zu erschweren, den Ball noch zu bekommen.
Ja, „selbstreferetielles Sprachspiel“, kann man so sagen. Mann kann aber auch spätpubertäres Spiel mit Ironie- und Ironie-Ironie sagen, das allein den Zweck hat, daß der Möchtegernjournalist, der sich auf einer weiteren Metaebene als besonders kritisch glaubt, sich selbst darstellen kann.
Ja klar, vielleicht ist sein Konzept auch nicht sein Konzept.
Dieses Interview zeigt, dass die Gesprächsführung auch für Tilo Jung riskant ist. Trittin ist dieser Art der Gesprächsführung besser gewachsen. Das mag damit zusammenhängen, dass er nicht einer Volkspartei angehört, er es also nicht jedem recht machen muss. Trittin kennt seine Wähler besser. Er hat bessere Chancen, seine Komptetenz für „seine Wähler“ zu zeigen und provoziert damit den Journalisten sehr viel besser dazu, seine eigene zu beweisen. Die nur dumme und nur blöde Ansprache geht jetzt nicht mehr so leicht. Es zeigt sich nun, dass der Journalist der Situation nicht so gut gewachsen ist.
Daraus kann man auch die Vermutung einer Parteilichkeit des Journalisten ableiten.
@vanforte @FrederikFischer
Scrollt mal diesen Tweetwechsel nach unten:
http://120sekunden.com/2013/08/hitler-gleich-google-irrer-twitter-streit-um-journalismus-kommerzialisierung-und-blogger/
Sie setzen die Diskussion fort, ohne Aussicht auf Erlösung. 140 Zeichen hat jeder, aber keiner hat genügend Zeit, Argumente zu formulieren. Die Journalisten bedrängen sich gegenseitig mit 140 Zeichen langen Schlagzeilen, um Argumente auszutauschen, von denen keiner der Beteiligten etwas wissen will. Und sie setzen dieses Spiel beharrlich fort.
Sie führen sich gegenseitig in die Gefangenschaft einer spezifischen Form der Dummheit, die ich so definieren würde: der Versuch, die eigene Kompetenz zu beweisen unter der Voraussetzung, dass die Kompetenz aller anderen auch jederzeit erkennbar sein kann, führt dazu, dass alle ihre Kompetenz verlieren, wenn sie nicht rechzeitig aufhören, ihre Kompetenz zu beweisen.
Daraus könnte man den Schluss ziehen: verzichte auf den Beweis deiner Kompetenz und beschäftige dich mit der Datenbasis des Kompetenzvertrauens aller anderen.
Zudem sind Blogger analog zu ihrem stärkeren politischen Engagement auch wesentlich häufiger als Journalisten Mitglied in einer Partei. Unter jenen befragten Publizisten, die ausschließlich als Zeitungsjournalisten tätig sind, ist kein einziges Parteimitglied. Dagegen besitzt ein Drittel der Publizisten, die ihre Artikel ausnahmslos auf Blogs veröffentlichen, ein Parteibuch. Ein gesamtgesellschaftlich betrachtet überdurchschnittlich hoher Wert, zählen doch die sieben größten deutschen Parteien (CDU, SPD, CSU, Linke, FDP, Grüne und Piraten) zusammen „nur“ ca. 1.340.000 Mitglieder, womit etwa jeder sechzigste Deutsche Mitglied einer Partei ist.
[…] nun eine Partei selbst umfassend zu berichten, kommt dies einem Frontalangriff gleich. Ziel: das Selbstverständnis politisch Medienschaffender. Die wiederum reagieren mit Angriff, Rückzug oder Schock, so eine […]