Wie gut, dass es Hasskommentare gibt … #trollforschung
Die Kommentarspalten auf Medienwebsites sind eine für alle Beteiligten oft frustrierende Angelegenheit: Für Journalisten (Autoren und Redakteure), die angesichts des abgesonderten Unrats zunehmend resignieren und die Kommentarfunktion auf ihren Seiten am liebsten abgeschafft sehen würden. (Herkunft)
Wie gut, dass es Hass- und Pöbelkommentare in Onlineforen und Blogs gibt. Das Gute daran ist, dass alle Schreiber, gemeint sind auch diejenigen, die sich schriftlich über Hasskommentare beschweren, durch diesen Hass und diese Pöbleien einen Grund zum Nachdenken dafür finden, weshalb sie überhaupt etwas schreiben. Denn noch bevor man fragt, was dieser Hass soll, warum er geäußert wird und warum er besser unterbleiben sollte, so könnte man auch mal fragen, was denn alles andere eigentlich soll und warum das nicht genauso gut unterlassen wird.
Warum werden massenweise ellenlange Artikel über alles möglich verfasst? Warum wird berichtet, kommentiert, zugestimmt, widersprochen, zusammengefasst, wiederholt usw.? Warum werden denn überhaupt Texte via Internet verbreitet? Und warum hört niemand einfach damit auf? Warum soll das Verbreiten von Texten normal sein, aber nur die Verbreitung von bestimmten Texten, nämlich solche, die als Hasskommentare auffallen, sollten ungewöhnlich sein?
Das eingangs dokumentierte Zitat (und der sich daran anschließende Text) zeigt jedoch sehr deutlich, dass diesen Hasskommentatoren sehr viel Dankbarkeit gebührt. Sie machen ehrenamtlich und ohne Aussicht auf Reputation, Karriere und Honorar darauf aufmerksam, wie wenig selbstverständlich Kommunikation per Internet ist. Was kein Soziologe mit Kompetenz, Reputation und lebenslangem Gehalt und mit noch so intelligenten Argumenten plausibel machen kann, wird durch den Schwarmüberfall von Hasskommentaren perfekt erledigt: Jeder Hasskommentar, worauf immer er sich beziehen mag, ist von einem Subtext unterlegt, von einer geheimen Botschaft, die lauten könnte: „Warum bewegt dich das was du hier und jetzt liest? Und warum empört dich das? Warum bemerkst du nicht die anderen Kommentare, die doch viel weniger empörend sind?“
Das zeigt, dass es keineswegs normal ist, dass sachlich, nüchtern, skeptisch, vernünftig und moralisch einwandfrei argumentiert wird und alles davon verschiedene entspreche dem Gegenteil. Denn es muss ja nicht nur geschrieben, sondern auch gelesen werden. Und dass der Leser eines Textes gründsätzlich unschuldiger wäre als der Schreiber eines Textes, hat noch niemand plausibel darlegt, was damit zusammenhängt, dass so etwas auch gar nicht plausibel zu machen ist: Wer das liest was andere verfasst und hinterlassen haben, damit andere es lesen, tut nichts, das weniger empörend wäre als das, was andere schreiben, damit andere es lesen.
Es ist keineswegs so, dass das Schreiben und Hinterlassen von Texten eine bewusste und zielgereichtete Tathandlung wäre, wohingegen das Lesen, also die bewusste Irritation der eigenen Wahrnehmung, nur der Ausdruck für eine unschuldige Operleistung ist, gegen die man nichts machen könnte. Lesen ist vielmehr eine sehr bewusste und sehr zielgerichtete Irritation der eigenen Wahrnehmung und ist keineswegs nur ein passives Erleben der Welt, die von anderen zuvor erschaffen wurde. Und noch weniger ist die schriftliche Bekanntgabe der eigenen Empörung, die genauso auf einen Leser angewiesen ist, eine gerechte Wiedergutmachung für den Tort, den man der eigenen Wahrnehmung zufügt.
Der Zirkus. um den es hier geht, ist kein linerarer Vorgang, der durch einen Ursache-Wirkungszusammenhang in Gang kommt, sondern ist operativ geschlossen: lesen für mich und schreiben für andere, was für mich genauso wie für jeden anderen gilt. Nur durch einen Zirkel ergibt sich die Kommunikation, und nicht durch voraussetzunglose Ursachen.
Das wiederum heißt dann, dass es nicht reicht, Hass zu schreiben, er muss auch gelesen werden. Und wird nun die Leseerfahrung weiterkommentiert, kann man nicht mehr erkennen, dass dieses Kommentieren von Kommentaren vernünftiger, sachlicher und moralisch besser wäre als alles Vorhergehende, was für alles nachfolgende genau so gilt.
Tatsächlich ist beides sehr normal, sowohl die Sachlichkeit wie die Unsachlichkeit. Aber nur eine Hälfte wird problematisiert und verwünscht, gleich so, als sei die andere Hälfte normalerweise kein Problem. Annehmen kann so etwas nur, wer meint, dass das alles sehr selbstverständlich sei.
Und durch die Trolle wird nun der Beweis erbracht, dass das alles gar nicht so einfach ist, wie eine naive Weltsicht es gern hätte.
Die Trolle tragen bei zu Entnaivisierung der Kommunikation. Und niemand dankt es ihnen.
Das sei hiermit nach geholt: Liebe Hasskommentatoren: Pöblen, hassen, schimpfen, beleidigen – bitte weiter machen! – Wenn es einen Weg geben sollte, die Welt zu verbessern, dann gibt es auch immer einen anderen.