Warum die Überwachung weiter gehen wird
von Kusanowsky
Die staatliche Überwachung wird weiter gehen. Der Skandal der Überwachung wird einfach dadurch normalisiert, dass er durch gelegentliche Wiederbelebung in Erinnerung gerufen und dadurch zur Gewohnheit wird. Der Sinn besteht darin, das Gedächtnis zu trainieren: durch beständige Berichterstattung darüber, wie unhaltbar die Vorgänge seien, wird eine Erinnerung daran stabil gehalten, wie sie vernünftigerweise zu sein hätten. Der Skandal wird gebraucht, um vergessen zu können, wie soziale Lernerfahrungsprozesse ablaufen. Er wird gebraucht als Rechtfertigung dafür, die Beobachtung der sozialen Ereignishaftigkeit in Illusionen einer vernünftigen Gesellschaftsordnung zu überführen.
Durch Skandalisierung wird gerechtfertigt, sich nicht dem befassen zu müssen, mit dem man sich befasst.
Systemtheoretisch erklärt heißt, dass auf diese Weise die sozialen Systeme mehr Freiheit gegenüber ihrer Umwelt erhalten, auf die sie trotz allem angewiesen sind. Die Elemente sozialer Prozesse können sich umso besser miteinander koppeln, wenn die Strukturverkoppelung mit Umweltereignissen über Kontingenzsteigerung die Unwahrscheinlich mitsteigert, mit der Strukturbildungen Erwartungen produzieren, die auf Umwelteinflüsse zurückführbar sind. Weil niemand die bezeichneten Probleme lösen kann, müssen soziale Systeme sich auf Strategien einlassen, diesen Zusammenhang unbeobachtbar zu machen, indem das Scheitern des Gegenteils ständig skandalisiert wird. Das führt dazu, dass, wenn im überraschenden Fall dann doch irgendwelche Lösungen gefunden werden, kein Gedächtnis aufrufbar ist, das Auskunft darüber geben könnte, wie es passieren konnte.
So kann passieren, dass sich etwas ändert: wenn niemand gefunden werden kann, der es gemacht hat.
Die Skandalisierung dient gleichsam dazu, dass die sozialen Prozessse auf sich allein gestellt bleiben, ohne sich von ihrer Umweltbedingtheit ablösen zu können.
Genau so, wie wir uns an Unfälle und Katastrophen aller Art durch beständige Berichterstattung gewöhnt haben, so wie wir uns an Arbeitslosigkeit, Lebensmittelvergiftungen, Kriege, Reaktorunfälle, Hungersnöte, Kriminalität und Terrorismus gewöhnt haben – Angelegenheiten, über die man nichts wüsste, würde darüber nicht täglich berichtet – genauso wird den bekannten Sicherheitsrisiken durch Überwachung und Polizeiwillkür nur ein weiteres Sicherheitsrisiko hinzugefügt. Es verdichten sich die Sicherheitsrisiken, ohne, dass irgendeine Maßnahme geeignet wäre, auch nur ein einziges Risiko besser zu bewältigen.
Über Polizeiwillkür wird dann berichtet, sie wird skandalisiert, es wird Empörung mittgeteilt; es werden Maßnahmen besprochen und gefordert um Polizeiwillkür zu beenden. Es werden – ähnlich im Falle der Lebensmittelskandale – symbolische Aktivitäten entfaltet, mit denen man so tut, als ob man etwas tun könnte. Das geht solange weiter, bis der nächste Skandal eine Themenkarriere durchläuft und bis sich die Schleife nach bekanntem Muster wiederholt.
All das ist funktional von Bedeutung und hatte bislang außer der Funktion des Einübens ihrer Abläufe nur noch die Bedeutung, dass sich über die Irritation von Stimmung diese Abläufe reibungslos einrichten können. Aber um Stimmung zu irritieren sind Öffentlichkeit und die Resonanzfähigkeit von Kommunikationen nötig, inkl. aller verstärkten Maßnahmen um Öffentlichkeit noch herstellen zu können.
(Nur nebenbei: auf einem kleinen Nachbarschaftsfest mit vielleicht 20 Anwesenden musste eine Musikgruppe mit Verstärkeranlage auftreten, um die Wahrnehmung noch faszinieren zu können. Ein vorher auftretender Gesangschor ohne Verstärkeranlage schaffte es kaum, die laufenden Gespräche zu beenden.)
Das Internet erschafft nun die nicht notwendige Notwendigkeit, neue Übungsroutinen einzurichten. Und für Staaten stellt sich das Problem, eigene Übungsgegenstände zu finden, durch die ihnen so etwas gelingt. Diese Internetüberwachung ist damit nur der Versuch, das Neuland mit Hilfe bekannter Semantiken zu betreten, um erkennen zu können, wie es geht, bzw. weiter geht.
Die einen praktizieren das Raubkopieren, die nächsten verschickten Massenabmahnungen, andere trollen auf Blogs und Foren herum, wieder andere überprüfen Doktorarbeiten, experimentieren mit Hangouts usw.
Der Staat sucht sich nur die Überwachung als Übungsgegenstand, um geeignete Abläufe zu erforschen oder um heraus zu finden, dass die bekannten Abläufe noch funktionieren.
Klaus Kusanowsky schließt mit der Feststellung
„Der Staat sucht sich nur die Überwachung als Übungsgegenstand, um geeignete Abläufe zu erforschen.“ –
Seltsam, „der Staat“ weiß noch nichts davon …
Ist wohl etwas zu „überhöht“, diese Vorstellung, von Staat und dessen action-Gebaren und -Vermögen.
Wer sollte denn das sein: „Der Staat“ – bestenfalls so etwas wie „Der Markt“, mehr aber auch nicht:
Eine mittlerweile tradierte Verabredung zwischen Gruppen von Menschen, die diese unsinnigerweise als „System“ versuchen zu begreifen.
Da genau dies ständig mißlingt, weil dabei das System Gesellschaft (als soziale Erscheinung) unverständlicherweise permanent aufgefordert wird, zu versuchen, sich als ein völlig anderes (und andersartiges weil konstruktiv erstelltes a_soziales) System zu begreifen und daher nur Pseudo- oder falsche und daher sozial nutzlose innere Regularien verstreuen kann, da also das mißlingt, nehmen wir – wie oben treffend beschrieben – zwangsläufig als Mensch alle Maßnahmen zur Steuerung dieses sozialen Systems Gesellschaft (gleich zu wessen vor- oder Nachteil) nur wie Pfusch am Bau wahr – was es wohl auch ist.
Wohlgemerkt:
Den Pfusch am Bau halten Menschen (!) für erforderlich, sie (!) aber machen ihn – schlecht oder recht – und bewerten ihn – schlecht oder recht – Menschen, wie Klaus Kusanowsky, Berta Brahmer und andere – das „tut“ jedoch nicht:
„Der Staat“ –
der kann das nicht, wenn es nicht diese Menschen tun.
(vergleiche: „So kann passieren, dass sich etwas ändert: wenn niemand gefunden werden kann, der es gemacht hat“ – ?)
Deshalb, weil zu viele Menschen (noch) annehmen, „der Staat“, also eine tradierte über diverse Regelwerke konstruierte VERABREDUNG, könne irgendetwas tun, verhindern oder verändern, ohne dafür tatsächlich funktionell trächtige Akteure zu suchen, zu nutzen oder zu zulassen, genau deshalb wird wohl (oder übel)
„die-uberwachung-weiter-gehen“,
solange sie nicht allgemein konkreten Menschen als deren (!) Handlung und Entscheidung zu gerechnet wird und „man“ sich von allen Seiten auf etwas beruft, das weder einen Korpus noch eine konkrete Adresse hat, das lediglich als eigene Konstruktion in uns selber ein „zu Hause“ fand und finden kann, wie „MARKT“ oder „STAAT“ und das als „VRABREDUNG“ sich, wie überall, auch
ANDERS VERABREDEN LÄSST,
systemisch (nicht sytemtheoretisch) nutzbringend,
„Die Skandalisierung dient gleichsam dazu, dass die sozialen Prozessse auf sich allein gestellt bleiben, ohne sich von ihrer Umweltbedingtheit ablösen zu können.“ –
„Soziale Prozesse“ sind niemals „auf sich allein gestellt“, sie lassen dies auch niemals zu, weil sie damit ihren nur systemisch (organisch) erklärbaren Charakter des „Sozialen“ sofort verlören und damit verschwinden würden, weshalb die „sozialen Prozesse“ uns Menschen wie (im wörtlichen und im übertragenen Sinne) unsere eigene Haut (als Stoffwechselorgan und Schittstelle) wohl noch lange weiter beschäftigen werden, in dieser ihrer naturgebundenen und kultürlich bewegten systemischen Eigenschaft.
Dazu „erschafft das Internet nun“ nicht nur „die nicht notwendige Notwendigkeit, neue Übungsroutinen einzurichten“ sondern auch die Voraussetzungen neuer systemischer VERABREDUNGEN, solcher, die als „notwendige Notwendigkeiten“ Raum ergreifen.
Auch das wird wohl „weitergehen“ –
und sollte in derartig hochkarätigen Überlegungen wie dieser hier zumindest erwähnt werden
„Weil niemand die bezeichneten Probleme lösen kann, müssen soziale Systeme sich auf Strategien einlassen, diesen Zusammenhang unbeobachtbar zu machen, indem das Scheitern des Gegenteils ständig skandalisiert wird. Das führt dazu, dass, wenn im überraschenden Fall dann doch irgendwelche Lösungen gefunden werden, kein Gedächtnis aufrufbar ist, das Auskunft darüber geben könnte, wie es passieren konnte.“
Wenn das so ist, wie kann die Lösung dann als Lösung erkannt werden?
„Wenn das so ist, wie kann die Lösung dann als Lösung erkannt werden?“
Das geht, wenn Probleme, die niemand lösen kann, ersetzt werden durch Probleme, die noch wenig bekannt sind und deren Behandlung zur Differenzierung einer neuen Problemerkenntnis führen. Die Gesamtheit aller Differenzierungsoperationen, sofern sie einen Attraktor ausbildet und sich einfügen lässt in eine Semantik ihrer symbolischen Verarbeitung, hat den Charakter von Lösungen, die allerdings nur dazu dienen, voraus gehende Probleme in Vergessenheit geraten zu lassen: Probleme werden dadurch gelöst, dass sie durch andere Problem ersetzt werden.
Dies geschieht weder zufällig noch vorhersehbar, sondern ergibt sich aus Bedingungen, die selbst wiederum mit entstehen müssen.
Beispiel Datenschutz: Es wird behauptet, das Probelm bestünde darin, dass Daten unzureichend geschützt wären, weshalb die Lösung im Datenschutz liegen müsste. Tatsächlich stellt sich aber empirisch heraus, dass kein Datenschutz ausreicht, um Daten schützen zu können. Vielmehr ist der Datenschutz selbst Teil des Problems, da er eine Schutzfunktionen nicht wirksam herstellt, sondern alle Verhinderung von Schutzmaßnahmen nur flankiert, nur begleitet und damit entschuldigt hat. Die Datenschutzverstöße werden immer monströser. Der Datenschutz war damit nur Teil eines symbolischen Verarbeitungsprozesses (Wissensproduktion), durch den herausgefunden wird, dass Datenschtutz gar nicht notwendig ist, sondern nur eine Möglichkeit darstellt, um Vermeidungsstrukturen zu entfalten. Eine andere Möglichkeit der Entfaltung solcher Vermeidungsstrukturen ist die Einrichtung Geheimniskrämereien aller Art: Privatheit, Schweigepflichten, Spionage, Überwachung und dergleichen. Denn auch in diesen Fällen wird über den Umweg der Entfaltung von Vermeidungsstrukturen nur die Unvermeidlichkeit alles Wissbaren in Erfahrung gebracht: eine Welt ohne Geheimnisse, die allerdings über die Temporalität von Sachverhalten und ihren Beziehungen eine soziale Differenzierung herstellt, um dann feststellen zu können, dass die Welt, welche nicht als Geheimnis zur Welt kommt, nichts ist, worüber man etwas Genaues wissen könnte. Schließlich ist nur die Welt, die selbst kein Geheimnis ist, dasjenige, über das nichts bekannt werden kann.
Was wir gegenwärtig beobachten sind immer noch Versuche, bekannte Vermeidungsstrukturen erfolgreich zu reproduzieren. Aber die Monstrosität dieser Versuche kann die skeptische Einsicht zulässig machen, dass sie sozial notwendige Übertreibungsphänomene darstellen, um die Naivität entsprechender Beobachtungsstandpunkte aufzudecken: in gleichem Maße wie man feststellt, dass Datenschutz nicht mehr funktioniert, ablesbar an immer mehr und immer öfter vorgetragenen Forderungen nach besserem Datenschutz, wird man feststellen, dass auch die Überwachgung nicht mehr funktioniert, ablesbar daran, dass glaubhaft gemacht werden kann, alle würden überwacht. Diese Bigdata-Fiktionen sind wohl die letzten, seit dem 18. Jahrhundert in Mode gekommene Versuche, eine Welt ohne Zufall herzustellen, wobei zeitgleich die Bedeutung der Zufälligkeit für alle Wissensproduktion enorm zu genommen hat.
Die Welt immer komplizierter, was auch heißt, dass es immer komplizierter wird, bekannte Problembehandlungsroutinen zu durchlaufen. Und damit steigern sich die Chancen, andere Probleme zu suchen, die erst noch komplizierter werden könnten.
In dem Maße wie es immer komplizierter wird, an bekannten Problemen festzuhalten, wird es einfacher, sich auf unbekannte Probleme einzulassen.
Ein anderes Beispiel sind diese Plagiatsaffären in der Wissenschaft. Sie decken die Naivität der Regeln der sog. „guten wissenschaftlichen Arbeit“ auf. – Diese Diskussionen und ständigen Versuche, die Unterscheidung von Plagiat und Zitat durchzuhalten, führt nur zur Übertreibung und dann zu der Frage, wer das das eigentlich noch wissen will. Die Antwort lautet dann: ein kleiner Kreis von Wissenschaftsbürokraten, die den Kampf gegen die Langweile fortsetzen müssen, weil sie sonst nichts mit der Welt anzufangen wüssten.