Differentia

Soziale Selbstporträts

Bei zeitonline gibt es eine höchst bedeutungslose Fotostrecke, die sogenannte „soziale Selbstporträts“ zeigt. Diese Fotostrecke ist so bedeutungslos, dass es nicht einmal lohnt, darüber wenig zu schreiben: Irgendwelche Leute auf der Welt fotografieren sich selbst und veröffentlichen das im Internet. Die Bedeutung der Bedeutungslosigkeit ergibt sich aus aus der Anonymität der gezeigten Menschen. Und man glaubt es kaum, man kann – wie alles andere auch – noch diese Selbstreferenzialität steigern. Wie dieses Bild zeigt:

Ein Mensch, den keiner kennt, gibt sich für Menschen, die er nicht kennt, als ein Mensch zu erkennen, den keiner erkennen kann.

Eine Paradoxie ist keine Paradoxie. Nur gut, dass das keiner merkt, denn das wäre paradox.

Die Glaubwürdigkeit der Glaubwürdigkeitsbestreiter #wulff

Die Affäre um den Bundespräsidenten Wullf wird in der Diskussion größtenteils als Politiker-Skandal markiert, nicht ohne gelegentlich auch darauf hinzuweisen, dass die Bild-Zeitung auf irgend eine Art und Weise darin verstrickt ist. Nur weiß man nicht genau, auf welche Weise. Die massenmediale Berichterstattung über die Skandalisierungsmethoden der massenmedialen Berichterstattung ist nicht sehr stark vertreten.
Und auch die Diskussionen im Netz konzentrieren sich größtenteils auf die Beobachtung einer Person und nicht darauf, dass die konventionellen Massenmedien ganz langsam ein Problem bekommen: sie müssen ihre Relevanz, ihre Vorrangigkeit gegenüber dem Internet herausstellen. Eine immer noch sehr gut funktionierende Beziehung zwischen Politik und Massenmedien kann dafür verwendet werden. Journalisten können ihre Privilegien intelligent ausnutzen, die vor allem darin bestehen, exklusiven Kontakt zu Politikern zu pflegen. Denn die persönlichen Gespräche haben den unschätzbaren Vorteil, dass Journalisten über mehr informiert sind als sie berichten müssen oder brauchen, was nicht selten vor kommt. Der Informationsgehalt von nicht publizierten Meinungen ist nicht geringer als der von publizierten, da ja vor allem die Ergebnisse von Tratscherei eine ganz besondere Informationsquelle darstellen: Tratscherei macht, dass alle etwas wissen, von dem keiner etwas weiß. Und ein Skandal kann dann erzeugt werden, wenn einer publiziert, was alle anderen Journalisten schon wussten, aber bislang nicht veröffentlichten. Wem das gelingt, kann einen Volltreffer erzielen.

Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Politikern steuert maßgeblich die Berichterstattung über den Bundespräsidenten. Ob er seine Glaubwürdigkeit behalten hat? Man könnte mal ganz naiv fragen, was man ihm vor diesem Skandal hätte glauben sollen? Der Bundespräsident hält Reden, geht auf Reisen und unterschreibt Gesetze. Worin besteht dabei das Glaubwürdigkeitsproblem? Dass das Amt eine moralische Instanz ist? Und wenn das so ist, ist darum schon die Glaubwürdigkeit des Amtsinhabers in Gefahr? Oder müsste man ihm mehr glauben als allen anderen, obwohl doch das Amt des BP ein ganz unpolitisches Amt ist? Der BP soll glaubwürdig sein? Was soll man ihm denn glauben, auch ohne, dass seine Glaubwürdigkeit beschädigt worden wäre? Er hat zwar viel zu sagen, aber doch nichts zu entschieden. Das Amt des BP ist dasjenige, dem das geringste Glaubwürdigkeitsproblem anhaftet.

Könnte es sein, dass es bei diesem Skandal weniger um die glaubwürdige Unglaubwürdigkeit eines unpolitischen Politikers geht, sondern mehr um die Probleme, die Journalisten langsam bekommen, da ihnen die Felle wegzuschimmen drohen? Kann es sein, dass es bei diesem Skandal, so sehr er sich der Sache nach auf eine Person konzentriert, doch eigentlich darum geht, dass Journalisten ihre eigene Glaubwürdigkeit heraus stellen, um auf diese Weise ihre Unverzichtbarkeit zu demonstrieren? Der Beweis der eigenen Glaubwürdigkeit kann hier auf dem Umweg der Beschädigung der Glaubwürdigkeit eines Politikers erbracht werden, welcher durch sich selbst seine Glaubwürdigkeit nicht beschädigen könnte, würde über diese nicht berichtet werden. So ist es konsequenterweise auch die Feststellung, dass es weniger die kleinen Geheimnisse des BP sind, die den Skandal ausmachten, sondern sein Umgang mit der Skandalisierung, welche in jedem Moment weiter getrieben wird, sobald der BP gehorsam und verzweifelt versucht zu retten, was gar nicht rettungsbedürftig ist. Bei jedem Versuch, seine Glaubwürdigkeit zu retten, wird sie fraglicher, weil die Journalisten andersherum den Mangel ihrer eigenen Glaubwürdigkeit gar nicht thematisieren. Warum sollten sie auch?

Aber das ist kurzsichtig. Denn auch Politiker wissen um die Tratscherei, also um die Meinungen nicht veröffentlichter Öffentlichkeit und sind nicht selten daran beteiligt, diese zu betreiben. Und wenn sich nun unter Politiker herumspricht, dass ihre Personen, ihr Ansehen, ihre Glaubwürdigkeit auf diese Weise von Journalisten verwendet wird, so könnten auch Politiker sich danach umschauen, ob sich für dieses massenmediale Geschäft eine Alternative anbietet. Denn warum sollen sich Politiker Journalisten ausliefern, wenn man per Internet jederzeit genauso so gut Berichterstattung in eigener Sache anleieren könnte? Gewiss, noch wissen Politiker nicht genau, was sie mit dem Internet anfangen sollten, was möglicherweise auch daran liegt, dass sie es hauptsächlich als Gegenstand von Gesetzesmaßnahmen betrachten, welche meist nur Verbots- oder Vermeidungsmaßnahmen sind.

Aber das Internet stellt auch Politikern die Möglichkeit zur Verfügung, ihre Meinungen, Vorhaben und Entscheidungsfindungsprozesse durch Umgehung von Massenmedien in die Kommunikation zu bringen. Und dass das Internet unseriös ist, kann man, seitdem ausgerechnet die Bild-Zeitung durch diesen Skandal an Seriösität gewonnen hat, nicht so einfach behaupten.