Warum mit Luhmann keine Gesellschaft zu machen ist

von Kusanowsky

Eine interessante Irritation über die Luhmannsche Systemtheorie findet sich im Blog bei Postdramatiker.

Welchen „Kardinalfehler“  findet man in der Betrachtung bei Postdramatiker? Es handelt sich nur um den ganz normalen Bagatellfall eines Beobachtungsdefizits: nicht nur mit Luhmann ist keine Gesellschaft zu machen; sie ist überhaupt mit niemandem zu machen.

Die Problemstellung einer Gesellschaftstheorie bei Luhmann ist, wie man eine Theorie entwerfen kann, die Normalität für unwahrscheinlich hält und nicht etwa die normalen Zustände für verbesserungsbedürftig. Die bei Kant gestellte transzendentaltheoretische Frage nach der Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis wird dazu zunächst sozialepistemologisch erweitert, indem man fragt: Wie ist soziale Ordnung möglich, wenn doch soziale Situationen durch eine zirkuläre Unfähigkeit zur Selbstbestimmung, mithin durch Kontingenz, gekennzeichnet sind? Und zwar doppelt: Ego muss sein Verhalten in Abstimmung mit Alter wählen und Alter zugleich mit Ego, ohne, dass beide wissen, können, was im anderen vorgeht: Ego und Alter beobachten ihr Verhalten wechselseitig als kontingent, als jederzeit anders möglich, und dennoch entsteht soziale Ordnung. Der entscheidende Punkt ist dabei, dass soziale Ordung als genauso normal wie unwahrscheinlich erscheint, nämlich dann, wenn sie beobachtbar wird.
Der klassische Kontingenzbegriff stammte zunächst aus der Schöpfungstheologie und machte Theorien über die Perfektion der Welt möglich. Wird die Welt als Schöpfung Gottes verstanden, so ist diese einerseits perfekt und andererseits kontingent, da der allmächtige Schöpfergott die Welt auch anders hätte erschaffen können. Dieser theologische Kontingenzbegriff ist abstrakt, logisch und modaltheoretisch, indem er gleichzeitig Notwendigkeit und Unmöglichkeit ausschließt. Luhmann schließt daraus aber nicht, dass der Kontingenz die Notwendigkeit eines Konsenses innewohnt, um auf dessen Basis zuverlässige Verhaltenserwartungen zu erreichen. Vielmehr abstrahiert er den Begriff auf seine modaltheoretische Grundbedeutung: Kontingenz ist immer im Spiel, wenn sich Handlungen aneinander orientieren, und Handlungen werden damit als Selektion aus einem Möglichkeitsspielraum erfahren. Sobald Ego und Alter sich aufeinander einlassen, entsteht ein soziales System, das, wenn auch immer kontingent, so doch nicht beliebig funktioniert. Das Problem der doppelten Kontingenz muss entsprechend nicht erst gelöst werden, damit Kommunikation funktioniert – wie Parsons annahm – sondern: die Kommunikaiton ist die Lösung für das Problem der doppelten Kontingenz, und eine Möglichkeit ist dann die Autokatalyse sozialer Systeme.
So betrachtet ist es angesichts der selbstreferentiellen Geschlossenheit von Systemen unwahrscheinlich, dass Kommunikation überhaupt zustandekommt. Kommunikation besteht aus operativ organisierten Zuschreibungsprozessen, aus Fremd- und Selbstzurechnungen: Ego versteht, dass Alter eine Information mitgeteilt hat und kann ihm diese dann als Mitteilungshandlung zuerkennen. Wenn man davon ausgeht, dass sich die Gesellschaft durch Kommunikation selbst produziert und beides zirkulär voneinander abhängt, kann die Frage der Entstehung und Morphogenese von Gesellschaft, also von Kommunikation, nicht mehr von einer Ursprungsannahme abgeleitet werden. Darum gilt: niemand kann Gesellschaft machen. Für eine so formulierte Theorie der Gesellschaft hat das auch die Folge, dass es keinen erkenntnistheoretischen Außenstandpunkt gibt, sondern nur noch die Möglichkeit, in Form von Kommunikation in der Kommunikation, also autologisch in der Gesellschaft zu beobachten und zu beschreiben. Damit verändert eine jede Gesellschaftstheorie die Gesellschaft, da sie selbst nur als Kommunikation die Beschreibung ihres Gegenstandes herstellen kann.