Warum mit Luhmann keine Gesellschaft zu machen ist
von Kusanowsky
Eine interessante Irritation über die Luhmannsche Systemtheorie findet sich im Blog bei Postdramatiker.
Welchen „Kardinalfehler“ findet man in der Betrachtung bei Postdramatiker? Es handelt sich nur um den ganz normalen Bagatellfall eines Beobachtungsdefizits: nicht nur mit Luhmann ist keine Gesellschaft zu machen; sie ist überhaupt mit niemandem zu machen.
Die Problemstellung einer Gesellschaftstheorie bei Luhmann ist, wie man eine Theorie entwerfen kann, die Normalität für unwahrscheinlich hält und nicht etwa die normalen Zustände für verbesserungsbedürftig. Die bei Kant gestellte transzendentaltheoretische Frage nach der Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis wird dazu zunächst sozialepistemologisch erweitert, indem man fragt: Wie ist soziale Ordnung möglich, wenn doch soziale Situationen durch eine zirkuläre Unfähigkeit zur Selbstbestimmung, mithin durch Kontingenz, gekennzeichnet sind? Und zwar doppelt: Ego muss sein Verhalten in Abstimmung mit Alter wählen und Alter zugleich mit Ego, ohne, dass beide wissen, können, was im anderen vorgeht: Ego und Alter beobachten ihr Verhalten wechselseitig als kontingent, als jederzeit anders möglich, und dennoch entsteht soziale Ordnung. Der entscheidende Punkt ist dabei, dass soziale Ordung als genauso normal wie unwahrscheinlich erscheint, nämlich dann, wenn sie beobachtbar wird.
Der klassische Kontingenzbegriff stammte zunächst aus der Schöpfungstheologie und machte Theorien über die Perfektion der Welt möglich. Wird die Welt als Schöpfung Gottes verstanden, so ist diese einerseits perfekt und andererseits kontingent, da der allmächtige Schöpfergott die Welt auch anders hätte erschaffen können. Dieser theologische Kontingenzbegriff ist abstrakt, logisch und modaltheoretisch, indem er gleichzeitig Notwendigkeit und Unmöglichkeit ausschließt. Luhmann schließt daraus aber nicht, dass der Kontingenz die Notwendigkeit eines Konsenses innewohnt, um auf dessen Basis zuverlässige Verhaltenserwartungen zu erreichen. Vielmehr abstrahiert er den Begriff auf seine modaltheoretische Grundbedeutung: Kontingenz ist immer im Spiel, wenn sich Handlungen aneinander orientieren, und Handlungen werden damit als Selektion aus einem Möglichkeitsspielraum erfahren. Sobald Ego und Alter sich aufeinander einlassen, entsteht ein soziales System, das, wenn auch immer kontingent, so doch nicht beliebig funktioniert. Das Problem der doppelten Kontingenz muss entsprechend nicht erst gelöst werden, damit Kommunikation funktioniert – wie Parsons annahm – sondern: die Kommunikaiton ist die Lösung für das Problem der doppelten Kontingenz, und eine Möglichkeit ist dann die Autokatalyse sozialer Systeme.
So betrachtet ist es angesichts der selbstreferentiellen Geschlossenheit von Systemen unwahrscheinlich, dass Kommunikation überhaupt zustandekommt. Kommunikation besteht aus operativ organisierten Zuschreibungsprozessen, aus Fremd- und Selbstzurechnungen: Ego versteht, dass Alter eine Information mitgeteilt hat und kann ihm diese dann als Mitteilungshandlung zuerkennen. Wenn man davon ausgeht, dass sich die Gesellschaft durch Kommunikation selbst produziert und beides zirkulär voneinander abhängt, kann die Frage der Entstehung und Morphogenese von Gesellschaft, also von Kommunikation, nicht mehr von einer Ursprungsannahme abgeleitet werden. Darum gilt: niemand kann Gesellschaft machen. Für eine so formulierte Theorie der Gesellschaft hat das auch die Folge, dass es keinen erkenntnistheoretischen Außenstandpunkt gibt, sondern nur noch die Möglichkeit, in Form von Kommunikation in der Kommunikation, also autologisch in der Gesellschaft zu beobachten und zu beschreiben. Damit verändert eine jede Gesellschaftstheorie die Gesellschaft, da sie selbst nur als Kommunikation die Beschreibung ihres Gegenstandes herstellen kann.
„Wenn man davon ausgeht, dass sich die Gesellschaft durch Kommunikation selbst produziert und beides zirkulär voneinander abhängt“ – kann man das? Wird aus der Masse der Kommunikationen „die Gesellschaft“ entstehen? Oder ist „die Gesellschaft“ der Außenblick des Beobachters auf das Kommunikationsgeschehen? Und damit letztlich ein gestalterischer, „poietischer“ Akt?
Anders gefragt: Ist die Verfallenheit an das Gewese der Alter/Ego-Kommunikation nicht etwas anderes als der Ent-Wurf hin auf Gesellschaftliches, das voraussetzt, dass man das kommunikative Gewese unter dem Aspekt des Gesellschaftlichen beobachtet? Eine Außenposition im Inneren der Gesellschaft.
„Eine Außenposition im Inneren der Gesellschaft.“ – Genau. Aber das finde ich eigentlich schon gar nicht mehr den interessanten Gedanken. Sondern: welchen Beobachtungsstandpunkt nimmt man ein und welches Beobachtungsschema verwendet man, wenn an das Auftreten des so markierten Unterschieds, also eine dieser Markierung zugeordnete Unterscheidung beurteilen will. Peter Fuchs betont immer noch die Radikalität der Luhmannschen Theorie, aber wie und warum musste die gemäßigte Variante zum Paradigma werden? Denn die gemäßte Variante nimmt ein Realitätskontinuum an: soziale Systeme bestehen aus psychischen Systemen, psychische Systeme bestehen aus biologischen, biologische aus chemischen und chemische aus physikalischen. Ich bin einverstanden mit dem Verusch, dieses Kontinuum in Frage zustellen. Aber das erklärt nichts, sondern setzt nur die subjektphilosophische Tradition fort, die einen Gedanken, einen Ansatz, eine Theorie durch eine vermeintlich bessere ersetzt. Ich nenne das: das faustische Herausforderungsmodell säkularer Gelehrsamkeit. Aber, und andersherum: warum und unter welchem Bedingungen kann oder muss eine weniger radikale Theorieanlage genügen? Durch welche Empirieform entsteht ein „Sender-Empfänger-Modell“? Und ich nehme an, dass diese spezifische Form sich nicht von derjenigen Form unterscheidet, durch welche beispielsweise das Wissen und die Nichtexistenz Gottes beschreibbar wird, Archäologie, Urherberrecht, Demokratie oder das Bruttosozialprodukt. Man kann sich natürlich dazu indifferent verhalten und das machen, was das Interview mit Peter Fuchs zeigt: nämlich eine Inszenierung, welche die Kamera nur als Dokumentationsverfahren sieht, dessen Produkt über Internet durch ein Verbreitungsverfahren kopiert wird, heißt: Fortsetzung subjektphilosophischer Performativität durch Irritation über die Ergebnisse massenmedialer Dokumentverbreitung, was im Falle der Wissenschaft heißt: Gespräch über Schrift- und Humandokumente; der Denker und seine Gedanken… Und vielleicht ist diese Art der Inszenierung noch nicht trivial genug.
Das Subjekt? Gleich dem Dokument Ergebnis bestimmter Operationen (z.B. Erziehung,polizeiliches Verhör, Urheberschaft). Das Vorhandensein von Subjekten ist ebenso abwegig wie das Vorhandensein von Gesellschaftlichkeit oder Gesellschaft. Beides fragile Ergebnisse poietischer Akte. Beide also „machbar“. Als Konstrukte. Oder Dokumente, die den Prozess ihrer Genese zu verschleiern versuchen. Faust? Einigen wir uns auf Prometheus.
»Aber das erklärt nichts, sondern setzt nur die subjektphilosophische Tradition fort, die einen Gedanken, einen Ansatz, eine Theorie durch eine vermeintlich bessere ersetzt.«
Man könnte auch einfach sagen: Den Beobachter ontologisiert. 6, setzen. Aber das wäre wenig taktvoll. Trotzdem möchte ja mitgeteilt werden, dass eine »gemäßigte Variante« der Theorie sozialer Systeme (reduktionistischer) Unsinn ist – ebenso wie unterm Strich ein »halbradikaler Konstruktivismus (›dort, wo’s nicht weh tut‹)« oder »ein bisschen Wahrheit« nicht überzeugen können. Wer aus einem Spencer Brown’schen Re-entry eine Wir/Ich-Differenz zimmert und das Ergebnis dann für inkompatibel mit der eigenen Meinung hält oder als inkommensurabel damit bezeichnet, muss wohl oder übel noch einmal nachrechnen. Denn dass aus einer falschen Prämisse alles weitere abgeleitet werden kann, ist Wissen aus der ersten Sitzung des Logik-Grundkurses… Beobachtungsschema hin oder her: zurück zu den Unterscheidungen!
@sebastian „Denn dass aus einer falschen Prämisse alles weitere abgeleitet werden kann, ist Wissen aus der ersten Sitzung des Logik-Grundkurses“ – falsche Prämissen? Damit fangen wir mal an. Folge der Anweisung: Setze eine falsche Prämisse! Nächste Anweisung: Formuliere Unsinn! Und: Sprich die Unwahrheit! — selber 6, und jetzt erst setzen. Da man so nicht weiter kommt, wird hier die Frage gestellt: Wie kommt man in die Sackgasse? Und nicht: welche Unterscheidung macht eine Sackgasse? Denn durch eben diese Unterscheidung (Sinn/Unsinn, wahr/unwahr, richtig/falsch, Sein/Nichtsein) ist man hineingeraten, und will mithilfe derselben wieder hinaus? Frech faustisch: Da steht ich nun ich armer Tor…? Aber woher und warum die Vermeidung unsinniger, unwahrer, falscher Sätze, Schlüsse und Prämissen? Empirisch ist das noch genauso wenig je geglückt wie Widerspruchsfreiheit, Ehrlichkeit und Authentizität.
Nein, es wird im Interview nicht ontologisiert, sondern es wird nur die Kamera paradox ignoriert; sie wird nicht einmal ignoriert. Die Inszenierung scheitert an ihren eigenen Ansprüchen. Sie ist nicht einmal radikal, weil sie einfach nur der Unterscheidung von referenzierbar/nicht-referenzierbar folgt und die Nichtreferenzierbarkeit von Systemen als ihr angeblich empirisches Defizit betrachtet. Man setzt sich einen dunklen Raum und spekuliert über die Realität des Lichts, indem man sagt: es sei empirisch gar nicht sichtbar, weil ja alles dunkel ist. Zum Totlachen.
Ich bezog mich auf Herrn Postdramatiker, nicht das Interview mit Peter Fuchs.
Und sonderlich frech finde ich die »faustischen« Fragen nicht. Sackgasse hin oder her: Spekulation ersetzt die Lektüre nicht.
Und die Lektüre ersetzt nicht die Spekulation darüber, durch welche Unterscheidung das Studium der Lektüre als weiterhelfend in Erwägung gezogen werden kann. Du bleibst also dabei? Die Leküre gibt Auskunft darüber, was darin dokumentiert ist? Also Fortsetzung der Bibelstunde?
@Kusanowsky: Statt Scharadespiel. Ich bleibe dabei: Triff eine Unterscheidung, benenne den Kontext! Schlicht und einfach.
Und das hat der Postdramatiker gewissermaßen sogar gemacht, ich halte das Resultat allerdings für nicht plausibel. Eben wegen des unternommenen Ontologisierungsschrittes, den ich nicht mitgehe. Dort wird der Schritt dann als »Tatsache« präsentiert. Das kann man unter oben genannter Prämisse problemlos machen – und die Immunisierungsstrategie wird ja zugleich mitgeliefert (»Es ist halt meine Beobachtung. Ich kann nicht anders«). Ob Luhmann oder seine Leser diesen Schritt mitgehen würden? Da hege ich Zweifel – und Spekulation ist ja erlaubt (»In general, what is not allowed is forbidden«, Kap. 2, Forms taken out of the Form). Generell gelte dann wohl aber: Andersverstehen ist ja kein Skandal. Und für Bibelstunden bist Du ja wohl eher der Spezialist, Dr. Faustus! Anders: wie findet man den schnellsten Weg in die Sackgasse?
Warum bloß „eine Theorie entwerfen (…), die Normalität für unwahrscheinlich hält“?
Warum sich wundern: „Ego und Alter beobachten ihr Verhalten wechselseitig als kontingent, als jederzeit anders möglich, und dennoch entsteht soziale Ordnung.“?
Tun sie das denn?
Es mag sein, daß Handlungen eine „Selektion aus einem Möglichkeitsspielraum“ sind, aber sie werden normalerweise eben nicht als solche „erfahren“ – solange man sich über sie keine Gedanken macht.
Die Kompetenz zum gesellschaftlichen Handeln befindet sich jenseits der Unterscheidung von Kontingenz und Erwartbarkeit.
@sebastian – „Schlicht und einfach.“ und dieses „schlicht-und-einfach“ immunisiert sich selbstverständlich nicht gegen das kommunikative Vexierspiel der Kontextverschiebung? Nein, das „schlicht-und-einfach“ ist geradezu überkomplex darauf spezialisiert? Dass eine solche Maßregel trotz der gänzlichen Unüberschaubarkeit noch Vertrauen binden kann ist empirisch gesehen bemerkenswert, weil es zeigt, dass die Verkettung der Kommunkationen vielleicht doch nicht von solcher Fragilität ist, die ein tagtägliches „helfen, retten, schützen“ bemerkbar macht. Wie auch immer: „wie findet man den schnellsten Weg in die Sackgasse?“ – Schlicht und einfach. Triff eine Unterscheidung, benenne den Kontext! Immer noch die einfachste Art sich verständlich zu machen auch dann, wenn empirisch Verständlichkeit (im Unterschied zu Verstehen) nirgendwo zu finden ist.
@stephan „aber sie werden normalerweise eben nicht als solche „erfahren“ – Das mag sein, und das könnte man merkwürdig nennen und fragen, wie und wodurch diese so erfahrbare Normalität entsteht. Unter welcher Vorausssetzung ist Gedankenlosigkeit erwartbar? Doch nicht, wenn etwas ganz Normales geschieht? Und wenn doch, wie könnte Normalität gedacht werden wenn im Normalfall niemand nachdenkt?
Nö, würde ich nicht merkwürdig nennen. Gedankenlosigkeit ist erwartbar, ihre Voraussetzung ist die Fähigkeit (von Akteuren) zu sozialem Handeln (die weiter aufzudröseln eine Aufgabe der Soziologie ist).
Aber wenn Luhmann (ohne Akteure) antworten würde, daß die Normalität durch die in Erwartungsstrukturen kondensierte Vergangenheit (durch die Wiederholung gleichsinniger Kommunikation, bla bla) erwartbar ist, dann würde es mich nicht befriedigen. Denn ich werde das Gefühl nicht los, daß da genau der Bereich als irrelevant wegdefiniert wurde, in dem man reichhaltige Antworten zu bekommen mit guten Gründen vermuten kann: Der Akteur, das Individuum, der Mensch usw.
@kusanowsky, #comment-892
Hm.
Was mich ja wirklich irritiert, ist die wiederholte Beobachtung, dass du Aussagen als normativ aufzufassen scheinst, die mir in einer solchen Verwendung niemals in den Sinn kämen. Von ihrem Gebrauch in Blogkommentaren mal ganz abgesehen. Ein Beispiel: »Schlicht und einfach« – das ist keine Maßregel. Sondern Programm. Und als solches immunisiert es tatsächlich nicht – sondern steht, wie jedes Programm, zur Disposition. Vielleicht ist es am Ende eine Frage des Geschmacks, der Präferenz des Theoriedesign oder – schlicht und einfach! – des Denkens. Am Ende sind diese produktiven Missverständnisse aber auch nur empirische Daten zur Validierung des Foerster’schen »Hermeneutischen Prinzips«. Geschenkt.
@sebastian – und was mich wirklich irritiert, dass du offensichtlich nicht mit Kommunikation rechnest, wenn du einen Kommentar absetzt, denn in dem Fall ist alles unentschieden: Maßregel oder Programm? Durch Kommunikation gemachter eindeutiger oder mehrdeutiger Unterschied? Immunisierung als etwas durch Kommunikation zu Vermeidendes oder nicht zu Verhinderndes? Kommunikation, die Gedachtes ermitteln soll? Du ahnst es ja: „Am Ende sind diese produktiven Missverständnisse aber auch nur empirische Daten“ – genau. Sie sinds am Ende nur und ausschließlich. Man könnte sagen: schlicht und einfach, aber soooo einfach ist alles eben nicht. Solches aber erwartbar zu halten auch dann, wenn einsichtig ist, dass es so einfach gar nicht geht, hängt an einer spezifischen Struktur, die sich durch die Dokumentform vermittelt: Sequenzialität, Kausalität, Identität, Linerarität, massenhaft vermittelbar und differenzierbar. So entfaltet sich ein beobachtbare Welt, die sich als das erweisen muss, was man von ihr erwartet zu sein. Und wenn sie diese Einfachheit durchkreuzt? Weil nämlich alles immer alles ganz anders kommt?
@Klaus: Die Hemmschwellen der Kommunikation müssen trotzdem
überwunden werden, wenn man Luhmann nicht zum Ramschladen machen möchte. Da hilft es auch nichts, wenn man zur Plausibilisierung seiner eigenen Theorie, oder wie auch immer du sie in ihrer Form als Performat beobachten möchtest, seine Kommunikationen mit möglichst viel semantischen Unklarheiten auflädt. Das hat etwas Verzweifeltes. Und selbst wenn man mitgehen würde: darf man dann hinter dem sprachlichen Versteckspiel nicht wenigstens etwas mehr als die üblichen Trivialitäten erwarten?
Anschluss: zurück zu den Unterscheidungen!
@unterscheidung Kommunikation kann nur funktionieren, wenn sie eine Bedingung erfüllt, nämlich die Bedingung, weiter zu gehen und keine andere. Jeder andere Versuch, die Kommunikation unter andere Bedingungen zu stellen führt entweder zum Abbruch der Kommunikation oder zur Vernachlässigung dieser Bedingung. Natürlich ermöglicht die Kommunikation auch Klarheit, Logik, Rationalität, aber all das ist nicht die Voraussetzung. Das gilt auch für die Bedingung, es müsse „semantische Klarheit“ erkennbar sein. Diese Forderung hat keinerlei eigene Klarheit, denn Semantik ist nicht stabilisierbar. Dass aber das Durchhalten semantischer Stabilität erwartet werden kann, hängt mit der Evolution von Strukturen zusammen, die die Instabilität von Semantik gleichsam nach unten abrundet und so als stabil in Erscheinung treten lässt. Es ist die Dokumentform, die solche Strukturen entwickelt. Kommt durch Beschleunigung und Ausdifferenzierung, maßgeblich durch Massenmedien, ein immer komplexer werdendes Netzwerk an Sinnverweisungsmöglichkeiten zustande, so kann die Forderung nach „semantischer Klarheit“ nur noch in einem höchst unwahrscheinlichen Fall beobachtbar sein, nämlich dann, wenn ein Kommunikatonssystem höchst selektiv und empfindlich auf eine ganz bestimmte Umwelt reagiert.
Der Einwand, die Lumannsche Theorie könne zu einem Ramschladen verkommen, zeigt immerhin, wohin die Reise geht. Man kann sich die Mühe machen, das aufhalten zu wollen, aber die Kommunikation entscheidet darüber, ob es gelingt. Und es spricht nichts dagegen, dass bestimmte Systeme eine gleichsam esoterische Binnendifferenzierung entwicken, die es ihnen ermöglicht, so etwas Orthodoxie sicherzustellen. Aber alle Orthodoxie wird immer teuer erkauft, nämlich mit Verlusten an Komplexität von Empirie.
»Du ahnst es ja: „Am Ende sind diese produktiven Missverständnisse aber auch nur empirische Daten“ – genau. Sie sinds am Ende nur und ausschließlich. Man könnte sagen: schlicht und einfach, aber soooo einfach ist alles eben nicht. Solches aber erwartbar zu halten auch dann, wenn einsichtig ist, dass es so einfach gar nicht geht, hängt an einer spezifischen Struktur, die sich durch die Dokumentform vermittelt: Sequenzialität, Kausalität, Identität, Linerarität, massenhaft vermittelbar und differenzierbar.«
Du wirst lachen: ja, das ahnte ich tatsächlich. 😉
@Klaus: Genau, dass Kommunikation weiter geht, ist das Entscheidende. Dazu gehört, laut Luhmann, dass sie motiviert wird. Das wiederum erfordert die Überwindung von Hemmschwellen, zu denen auch Chance auf Verstehen gehört. (Vgl. Die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation, um den Diskurs hier endlich auch mal mit einem Verweis auszustatten, der über die persönlichen Glaubenswelten der Beteiligten hinausgeht.) Es geht nicht um irgendwelche (normativen) Forderungen, und ebensolche deinen Kommunikationspartnern fortwährend zu unterstellen, ist eine Form von Pathologie.
Kommunikation ist und war immer schon ein performativer Akt, wenn Information, Mitteilung und Verstehen selektiert werden. Das spielt sich aber auf einer anderen Ebene ab, als die Veränderung(smöglichkeit) des Trägermaterials. Ich würde schließlich (oder auch schlicht und einfach!) bei dem bleiben, was sich empirisch beobachten lässt. Ich kann nirgendwo sehen, dass sich die wahrnehmbare mediale Form, auf deren Grundlage Kommunikation (in diesem Fall als Verstehen) möglich wird, so verändert, dass sie das Verstehen nicht mehr mit ausreichend Wahrscheinlichkeit versorgt.
Einige gute Hinweise bezüglich dieser Frage findet sich auch bei E. Esposito.
@unterscheidung „Das wiederum erfordert die Überwindung von Hemmschwellen, zu denen auch Chance auf Verstehen gehört.“ Verstehensleistungen werden immer durch die Kommunikation erbracht sobald Anschlussfindung passiert, nämlich als Nachtrag durch Nachtrag. Alles was kommuniziert wird, wird entsprechend durch Nachtrag ermittelt; und sobald genügend Komplexität als verfügbar ermittelt werden kann, steigt die Chance auf Verstehen ständig an; dazu gehört auch die Anreicherung mit Differenzen von Klarheit/Unklarheit, Konsens/Dissens, Missverständnisse und dergleichen. Auch die Beobachtung von Unterstellung ist eine Unterstellung, die kommunikativ ermittelt werden muss, wodurch Erwartungen darüber entstehen, was schon erwartet wurde noch bevor dies sich kommnunkativ erhärtete. Auch funktioniert Kommunikation nicht pathologisch, sondern Pathologien sind in diesem Fall Zurechnungsstrategien, die sich, insbesondere durch ein Dispositiv, das Massenmedien ausbilden, gut eignen, um Entmutigungen zu erproben und um zu schauen, ob Geringschätzung, Denunziation, Diffamierung ausreichen könnten, um Stabilitäten rekursiv zu erhärten. Und wenn das gelingt, entstehen auch Hemmschwellen, die eine geringe Meinung von Verstande anderer Menschen fast zur Selbstverständlichkeit werden. Darum der Hinweis auf die Überwindung von Hemmschwellen. Sie entstehen als Umkehreffekt aus dem Dispositiv der Massenmedien (Motivation zur Partizipation, Entmutigung, Hemmung, Motivation zur Partizipation usw).
„Kommunikation ist und war immer schon ein performativer Akt“ – richtig. Allerdings darf die Frage gestellt werden, warum, unter welchen Bedingungen solche Einsichten als theoretisch gewinnbringend erkannt werden können. Dies nicht zu erkennen muss doch erklärbar sein! Die Antwort lautet, dass das Dokument als Massenkopie verteilt die Beobachtung von Konnektivität blockiert. In sogenannten Interaktionssystemen, in denen der Unterschied von Anwesenheit und Abwesenheit nicht relevant ist, weil er immer schon als die Situation konstituierend in Erscheinung tritt, kommt diese performative Ebene deutlich hervor. Aber sobald der Umgang mit Dokumenten überall und ständig, in jeder Situation relevant wird, wird auch die Performativität der Interaktion von der Dokumentform überformt. (Bekannte Redensart: ohne Zeugen ist man der Dumme.) Dokumente sind gleichsam Dauerzeugen, die zur Strukturierung von Wiederholungsroutinen ideal geeignet sind. Aber die Dokumentform und die aus ihr resultierenden Strukturen hatte schon immer ihre Defizite (z.B. Manipulation) mitbeobachtet, allerdings mussten sich alle Ergebnisse immer wieder der Dokumentform unterwerfen. Wenn aber diese Dokumentform durch einen anhaltenden Zerrütttungsprozess ihre sie ermöglichende Struktur immer zweifelhafter macht, ist eine Kommunikationstheorie immer wahrscheinlicher, die das dann berücksichtigt und etwas als Neuigkeit verkaufen kann, das immer schon im Spiel war. Und weiter: Was geschieht nun, wenn Dokumente durch ihre immer schnellere digitale Produktion und Distribution aufeinander beziehbar werden und durch Erzwingung von Konnektivität ihr Verhältnis von Original und Kopie verlieren? Dann werden Wiederholungsequenzen zur Konsistenzprüfung immer unwahrscheinlicher, Dokumente verlieren ihre Zeugenschaft, oder müssen, um ihre Zeugenschaft zu retten, andere Formen bilden, um Wiederholungssequenzen wieder einzurichten. Das geschieht durch Simulationen, die Manipulation nicht als Problem, sondern als Lösung benutzen. Die Wahrscheinlichkeit von Anschlussfindung, von Verstehensleistungen wird dadurch nirgendwo gemindert. Sondern andersherum: die Wahrscheinlichkeit des Abbruchs von Kommunikation wird immer geringer.
@unterscheidung Zum Stichwort Motivation: Bei Luhmann wird die Motivation zum Mitmachen durch symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien hergestellt. Dabei unterscheidet er zwischen Funktion, Leistung und Reflexion, je nach Beobachtungsstandpunkt. Die Leistung eines Kommunikationsmediums besteht darin, dass es hochunwahscheinliche Kombinationen von Selektion und Motivation ermöglicht (Gesellschaft der Gesellschaft, S. 320f). Die Funktion besteht in der Überwindung der Unwahrscheinlichkeitsschwelle. Jedermann muss motiviert werden, extrem spezifische Selektionen durch irgendeinen anderen reflektierend hinzunehmen. Und ich verstehe Kusanowsky dahingehend, dass er sagt, dass eine solche Betrachtung nur durch bestimmte kommunikative Voraussetzungen möglich wird, die durch Verbreitungsmedien hergestellt werden:
Bei http://bit.ly/ceA665 heißt es: „Seit den Anfängen von Verbreitungsmedien, spätestens aber seit dem 18. Jahrhundert, erhalten sie das Merkmal „all-inkludierend“ – für alle – und keiner kann sich mehr einer Weltbetrachtung entziehen, die durch die massenhafte Verbreitung von Dokumenten aller Art zustande kommt. Die Möglichkeit der All-Inklusion ist schon von Anfang an durch eine Paradoxie gekennzeichnet, die besagt, dass Medien alle adressieren und zugleiche jeden Einzelnen. Diese Paradoxie verschärft ein Problem, das für Kommunikation allgemein gilt, dass nämlich ihr Gelingen unwahrscheinlich ist.“
Insofern kann ich den Standpunkt nachvollziehen, der besagt, dass soziale Systeme auch ganz andere Beobachtungsweisen erzeugen können wie bei Facebook z.B., wenn ein Netzwerk sich in ein Massenmedium einschiebt. Das Internet macht doch jeden Tag deutlich, wie sehr die Gewohnheiten ins Wanken geraten. Warum zeigst du so eine Widerspenstigkeit gegen eine andere Betrachtungweise?
@ Jeremias – Ich vermute, dass solche Widerspenstigkeiten ganz normal sind. Gewöhnlich rechnet man das auf Idiosynkrasien zu. Interessant ist aber wie aufdringlich und hartnäckig das Dispositiv ist, das Massenmedien erzeugen, eben: Masse. Massenmedien habe so eine Art Quantifizierungsqualität, die sich in Imperativen ausdrückt wie: Fasse dich kurz, mache dich verständlich, sei genau, sei präzise und dergleichen. Das liegt an der spezifischen Filterkonfiguration, welche Quantitäten als Qualitäten behandelt, was dazu führt, dass die Ergebnisse immer individualisiert werden. „Du kannst dich nicht verständlich machen“, „du bist verantwortlich“, „du bist jetzt dran“ usw. Man denke etwa auch an den Gedanken der Demokratie, demzufolge ein Mehrheit wahrscheinlich bessere Einsichten zustande bringt als eine Minderheit, weshalb eine Mehrheit bestimmen sollte, was als nächstes geschehen sollte. Die Meßbarkeit von Quantitäten, die durch Massenmedien selbst wiederum ermittelt werden müssen, lässt sich in allen Funktionssystemen wiederfinden, natürlich in den Berechnung von Statistiken, Erhebungsmethoden in der Soziologie oder in der Schule wo ein „Notendurchschnitt“ etwas Meßbares symbolisiert. Eine Skepsis an dieser Quantifizierungsqualität ist übrigens auch immer mitgeteilt und ist natürlich auch über Massenmedien verbreitet worden. Man denke dabei an elitär-snobistisches Haltungen, an Einwande gegen politischen Populismus, die ja selbst enorm populistisch sind; die Abwehrhaltung gegen Moden, die selbst in modischen Perioden wiederholt wurden usw. Auch sind sogenannte Verschwörungstheorien das Ergebnis eines Dispositivs, das von Massenmedien geprägt ist, aufgrund der Alternativlosigkeit, der Abschneidung von Kontigenz von der durch sie ermöglichten Routinen der Wiederholung eines spezifischen Dispositivs.
Tja. Jetzt ist es schwierig, sich für eines der vielen hier gefallenen und in gleicher Weise geeigneten Stichworte zur Herstellung von Verbindung zu entscheiden. Man könnte bewusst auf die Herstellung von Verbindungen verzichten; man könnte es auch mit Humor versuchen, z.B. mit Blick auf die dem Kommentator namens »Unterscheidung« weiter oben angebotene Nachhilfestunde zu den symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien (der diese vermutlich nicht nötig hat). Ich habe mich aber für folgendes Zitat von Kusanowsky (aus #comment-932) entschieden:
»Was geschieht nun, wenn Dokumente […] ihr Verhältnis von Original und Kopie verlieren? […] dann werden Wiederholungsequenzen zur Konsistenzprüfung immer unwahrscheinlicher, Dokumente verlieren ihre Zeugenschaft«
Das erinnert nicht zufällig an systemtheoretische Befunde zu Konflikten, Störungen, Viren oder Witzen. Und sicher ebenso wenig zufällig hat sich im Netz ein ganzes Kurzweil-Genre um die (dann doch gar nicht so seltenen) Fälle der Beobachtbarkeit des Beobachtens durch eben jene Dokumentform, von der Kusanowsky spricht, etabliert (»Photoshop Disasters« wäre so ein Beispiel; alles ordentlich dokumentiert und archiviert, nebenbei gesagt). Ob solcherlei Empirie und Hypothese dann im Anschluss zu Teleologie und/pder Euphorie berechtigen, ob gar »die Wahrscheinlichkeit des Abbruchs von Kommunikation […] immer geringer« wird, sei einmal dahingestellt. Die Form der Ironie leistet in diesem Sinne funktional etwas ganz Ähnliches, nur in postmodern–feiger Ausführung. Aber das ist eine andere Frage. Zurück: Bürokratie! Dokumentform!
Wir beobachten also ein Zurückweisen der »Simulation«. Nebenbei – und das ist entscheidend! – ein gemächliche Anpassung an die Herausforderungen des computerisierten Alltags im Zeichen evolutionärer Unausweichlichkeit (der Psychologe mag sich an die Trias von Abhängigkeit, Gegenabhängigkeit und Autonomie erinnern). Es geht dabei wieder um die Übung der selektiven Handhabung, die vorsichtige Etablierung von Verfahrensregeln und -routinen; das alles ganz im Sinne der spezifisch-dokumentarischen Epistemologie, wenn man Kusanowskys Dokument/Simulation-Sprachspiel bemühen möchte. All das ist übrigens tagein, tagaus zu beobachten (und wird in der gemeinen Bloglandschaft als »Kontrollverlust« gehandelt). Das ist aber nur die halbe Wahrheit – wie immer, wenn auf Einheit statt Differenz gesetzt wird. Und hier glaube ich Kusanowsky zu verstehen: Das alles immer ganz anders kommt, ist die neue Erwarbarkeit. Moment und aber – ist das wirklich so neu? καταστροφή! Bei all dem ist die Unterscheidung von Neu und Bekannt hier m.E. durchaus zu vernachlässigen. Evolution bringt mit sich, dass das Althergebrachtes eben nicht ad hoc ersetzt wird, häufig nie (es leben immer noch Einzeller oder Reptilien und auch das Reden ist vom Schreiben und vom Buchdruck nicht verdrängt worden, ungeachtet aller kulturpessimistischen Prophezeiungen).
Dass neue gesellschaftliche Hauptverbreitungsmedien neue gesellschaftliche Formen der Bewältigung des somit zuhandenen Überschusssinns hervorbringen, hat Niklas Luhmann immer betont und Dirk Baecker tut das noch heute mit ungeheuer Vehemenz. Dass man mithin mehr mit Rekursivität als mit Linearität beschäftigt ist, kann als weiteres bescheidenes Indiz gelten: Die Form der Form ist der Schlüssel.
Schlicht und einfach.@Jeremias: es ist durchaus bezeichnend, dass du erklären musst, was Klaus meint und ich schon vermutet habe (da aus seinen Ausführungen ein Verstehen nicht sicher möglich war 😉 dass es aber im Zeitalter des Internets dennoch möglich (und zugleich notwendig ist), zeigt wiederum seine dir zustimmende Antwort.
Tragisch ist nur: dass er sich (für mich) ganz offensichtlich in die Idee verrant hat, dass keiner außer ihm selbst die dem Internet entsprechende Beobachtungsleistung vollbringen kann. Das ist schade, wo er sich doch so die Möglichkeit verbaut, zu verstehen, dass seine theoretische Position gar nicht so weit von meiner entfernt ist – bis auf die Begründung für den Zustand und die Beobachtung der Lösung des Problems durch die Gesellschaft.
Man sollte die Wertschätzung für andere nicht verlieren, Klaus. Um Gadamer sinngemäß zu zitieren: es ist sinnvoll mit der Vermutung zu beginnen, jeder würde etwas wahres sagen.
@sebastian – Tatsächlich kann ich all deinen Überlegungen zustimmen, und zwar nicht deshalb, weil sie „stimmen“, „wahr“ oder überprufbar, „wissenschaftlich“ wären; und schon gar nicht, weil ich „gut“ finde, was du schreibst. Ich versuche einen anderen Ausgangspunkt: gewöhnlich nehmen wir an (und ich sage absichtlich „wir“ um nicht zu nennnen, wen ich meine) es seien Soziologen, die die Gesellschaft erforschen, Sozialwissenschaftler aller Forschungsrichtungen. Und die Annahme ist, dass die Soziologie der Wissenschaft eine Spezialkompetenz in Fragen der Sozialen Welt beanspruchen darf. Diese Kompetenz ist gleichermaßen ein Raubzug der Wissenschaft (verstanden als faustische Kulturgebärde der Selbstermächtigung) wie eine Geschenkleistung der Gesellschaft an die Soziologie – ein evolutionäres Ergebnis von gegenseitigen Beobachtungen. Dieses Ergebnis entstand unter der Voraussetzung der Annahme eines Austausches identischer Differenzen, was das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft angeht. So enstand funktionstypisch der Gegenstand des Sozialen im Unterschied zu anderen Gegenständen der wirklichen Welt, nämlich Ökonomie, Politik, Religion, Kunst, Geschichte, Bewusstsein usw. Luhmann, auch Latour haben damit Schluss gemacht. Soweit ist alles Proseminar. Müsste man denn als höheres Semster nicht anschließend anfangen darüber nachzudenken, was denn eine Soziologie noch leisten könnte im Unterschied zu anderen Wissenschaften? Weil doch alle sozialen System nur Soziales in Erfahrung bringen, und nicht etwa Ökonomie etwas Ökonomisches im Unterschied zu etwas Sozialem. Das heißt, dass auch die Ökonomie Sozialforschung betreibt, zwar mit anderen Mitteln, aber das machen alle anderen auch, z.B. auch die Informatik. Politiker, Pfarrer, Marketing-Manager betreiben Sozialforschung. Ist es deshalb ein Wunder wenn Mark Zuckerberg plötzlich mit „Social Media“ kommt? Und wenn das geschieht was dann? Erst mal bei bei Spezialsoziologen anrufen und fragen, ob das so in Ordnung ist? Ob das richtig definiert wurde? Aber was könnte wundern? Z.B. wenn man eben diese unangerufenen Spezialsoziologen dabei beobachten kann, wie sie auf Spezialkompetenzen beharren, wie @unterscheidung noch meint begreiflich zu machen, nämlich verhindern zu können, dass aus der Luhmannschen Theorie kein Ramschladen wird, dass also keine systemtheoretischen Differenzen unlegitimiert in die Umwelt der Soziologie diffundieren dürften. Etwas Ähnliches wenn auch nicht ganz so platt argumentiert, gilt für Baecker, Fuchs und Esposito, die als Wissenschaftbeamte (Dienstboten einer staatlichen Exekutive) eine Wissenschaft der Sozialen Welt lehren und meinen, sie bräuchten sich nicht belehren zu lassen. Der traditionelle faustische Habitus der Gelehrsamkeit jedenfalls kennt nichts Soziales (also Gegenseitigkeit der Erfahrungsbildung), sondern Gedankenkraft, Urheberschaft, Authentizität, Wahrheit, Reputation, Widerstand gegen eine aufdringlich unaufgeklärte Welt außerhalb des Studierzimmers (Labor, Bibliothek und Hörsaal eingeschlossen). Natürlich lernen die Einzelmenschen jeden Tag ganz viel, auch Wissenschaftsbeamte, aber die Ergebnisse werden als wissenschaftlich-soziologisch geliefert und nicht als ein Gegenseitigkeitsverhältnis von Raub und Geschenk, also als Ergebnis eines sozialen Prozesses. Geschähe dies aber so, dann möchte möchte mir mal jemand erklären, warum Leistungen noch immer zugerechnet werden und zur Vermerhung von Reputation gentuzt werden. Antwort? Na ja, so sagen unsere Spezialsoziologen: so funktioniert die Wissenschaft. Es ist es so wie es ist. Diese Spezialsoziologie ist Rechtfertigungstheorie. Früher nannte man das Ideologie zur Rechtfertigung von Dingen, die man nicht ändern will.
Und jetzt kommt „social media“. Und alle soziologische Theorie über die Entfaltung der Wirkmächtigkeit von Verbreitungsmedien werden über den Haufen geworfen. Nicht? Nein und zwar deshalb nicht, weil man einfach wiederholt, was schon tausendmal wiederholt wurde: „Dass neue gesellschaftliche Hauptverbreitungsmedien neue gesellschaftliche Formen der Bewältigung des somit zuhandenen Überschusssinns hervorbringen, hat Niklas Luhmann immer betont und Dirk Baecker tut das noch heute mit ungeheuer Vehemenz.“ Die Soziologen erklären uns eine Welt, die sie immer weniger stehen können. Sie sind keine Informatiker, keine Ökonomen, keine Marketing-Experten und keine Schauspieler.