Vortrag: Datenschutz und Datenklau – die Exklusivität sozialer Strukturen #Linz
von Kusanowsky
Hier die Ankündigung eines Vortrags auf dem Open Commons Kongress 20. – 21.05. 2014 in Linz:
Es findet eine große Überwachung und Ausspähung statt. Nicht nur Geheimdienste sammeln Daten und werten sie aus, auch Konzerne, Marktforschung und viele weitere. Allgemein steht dies unter dem Vorbehalt, dass Daten geschützt werden müssten, da ein nicht legitimierter Zugriff auf Daten, ihre Sammlung, Verknüpfung, Auswertung und Weitergabe für einzelne Personen unvorhersehbare und schädliche Folgen haben könnten, die sie nicht hätten verhindern können.
Wenn dieser Vorbehalt stimmt, so muss man daraus nicht den Schluss ziehen, dass Daten geschützt werden müssten. Es müssen Personen geschützt werden. Der Einwand, dass ein solcher Schutz nur durch einen Datenschutz sicher gestellt werden kann, weil es allein Daten sind, die über Personen Auskunft geben, ist nur plausibel, solange Daten exklusiv behandelt werden und Strukturen dieser Exklusivität in gesellschaftliche Misstrauenensverhälntisse eingelassen sind. Und nur solange Daten als exklusiv behandelt werden, können Daten irgendwelche Wahrheiten über Personen verraten, weil ihre Verknüpfung, Interpretation und Weiterverwendung durch Exklusivität limitiert wird, was eine Voraussetzung dafür ist, Folgewirkungen zu rechtfertigen oder Rechtfertigungen als Zumutungen zu verstehen.
Daraus ergibt sich, dass die Strukturen der Exklusivität das Problem sind und nicht der Aussagegehalt von Daten.
Soziale Strukturen der Exklusivität, durch die sich der Aussagegehalt von Daten ergibt, haben keine beliebige Normalität und können sich ändern.
In dem Vortrag möchte ich versuchen zu zeigen, wie dieser gegenwärtig ablaufende Veränderungsprozess beobachtet werden kann.
Anfangen möchte ich mit eine Steckbrief vom Ende des 18. Jahrhunderts, der in der Schweiz verbreitet wurde. Gesucht wurde damals ein Mann wegen einer Strafttat. Der Text des Steckbriefes lautet:
„Hans Rudolf Weber, Streckschneider genannt, von Menziken, im Distrikt Kulm, Kantons Aargau, bey 67 Jahren alt, ist von besezter (gedrungener) Statur, ohngefähr 5 Schuh 6 Zoll Bernmaaß hoch, hat ein grobes und blaßes Angesicht, graue, hart am Kopfe abgeschnittene Haare, auch graue Augenbrauen, graue Augen, eine dike eingedrückte Nase und einen großen Mund. Er trägt alte, mit Lappen besezte zwilchene Pantalons, einen alten zwilchenen Kittel, ein altes rothes Leiblin und über dasselbe ein Camisol von
halbbaumwollenem Tuche, alte, zerrißene wollene Strümpfe und sehr schlechte Schuhe mit Schnallen von verschiedener Façon.“
https://twitter.com/kusanowsky/status/462665714152001536
Es kommt in diesem Text auf die genaue Beschreibung der Kleidung des Gesuchten an. Warum war die Beschreibung der Kleidung so wichtig?
Der Steckbrief stammt aus vorindustrieller Zeit. Es gab noch eine Ständegesellschaft. Der größte Teil der Bevölkerung konnte nicht einfach über Kleidungswechsel verfügen. Kleidung war Handarbeit und darum teuer. Für die meisten Menschen war es unüblich, über mehrere „Datensätze“ von Kleidung zu verfügen.
Das heißt, dass Kleidung ein Datensatz war, der über eine Person Auskunft gab, weil aufgrund der sozial geregelten Verfügbarkeit/Nichtverfügbarkeit von Kleidung eine Struktur der Exklusivität entstand.
– Bestimmung dieser Struktur – >
„Struktur der Exklusivität“ bedeutet:
Weil damals bekannt war, dass die in dem Steckbrief bezeichnete Person nicht so einfach über andere Kleidung verfügen konnte, war es für jede andere Person, die diesen beschriebenen Datensatz wahrnahm, beinahe ausgeschlossen, dass es sich in dem Fall um eine andere Person als um die Gesuchte handelte.
Das schloß Irrtum natürlich nicht aus, machte ihn aber unwahrscheinlich, wenigstens war Irrtum unter diesen Bedingungen der Exklusivität behandelbar.
Das heißt: die Person wird durch eine Struktur der Exklusivität infolge eines Datensatzes der Kleidung identifizierbar.
Interessant ist nun, dass erst, wenn diese Struktur der Exklusivität zerfällt, erkennbar wird, wie sehr die Möglichkeit der Identifkation ein sozial geregelter Zusammenhang der Zuordnung von Daten und Personen ist und außerhalb einer solchen Struktur gar keine Notwendigkeit hat. Nur deshalb konnte eine Identifkation im 18. Jahrhundert gelingen, nicht weil Auskunft über Person und Auskunft über Datensätze übereinstimmten, sondern weil eine Struktur der Exklusivität trotz einer Differenz zwischen diesen Auskünften einen Irrtum erschwerte. Und gerade weil es sich um eine Differenz handelt, kann diese Identifikation unter anderen Bedingungen, nämlich unter der Bedingungen industruieller Produktion von Kleidung, ihre Verbilligung, unter der Bedingung eines Anstiegs von sozialer Moblität und Fragmentierung des öffentlichen Raumes nicht mehr gelingen. In dem Fall ist Kleidung kein Datensatz mehr, der über Personen Auskunft gibt.
– Warum Kleidung für uns heute kein zu schützender Datensatz ist ->
Wenn wir Kleidung als Datensatz immer noch verwenden können, dann geht es heute durch eine andere Struktur der Exklusivität.
Warum können wir uns für einander der Wahrnehmbarkeit der eigenen Kleidung aussetzen? Warum verlangen wir für die Wahrnehmung für Kleidung keinen Datenschutz?
Der Grund dafür ist, dass für uns im Normalfall ausgeschlossen ist, dass nur eine Person ein exklusives Urteils- und Bestimmungsrecht über die Bedeutung von Kleidung einer anderen Person hat. Für uns gilt: jeder kann jeden ob seiner Kleidung beurteilen und bewerten. Und da wir dies von einander wissen, ist für uns Kleidung nur eine Frage des Geschmacks und nicht ein Datensatz, der über die Identität von Personen Auskunft gibt. Entsprechend wird durch Geschmacksfragen geregelt, wer mit wem spricht oder weiter sprechen möchte.
Aus diesem Grund kommt für uns hinsichtlich der Kleidung kein Datenschutz in Frage.
Hätten wir aber den Fall, dass jemand über meine Kleidung exklusiv urteilen dürfte (wie ein Gutachter bei Gericht), hätte ich Grund mich zu fürchten, weil ich nicht weiß zu welchem Ergebnis derjenige kommt und welche Konsequenzen das für mich hat. In einem solche Fall müsste ich Datenschutz beantragen. Nicht etwa, weil ich mich ob meiner Kleidung selbst verdächtigen wurde, sondern weil ich nicht weiß, wessen man mich verdächtigen kann.
Entsprechend entsteht Datenschutz als Problem durch Nichtwissen.
– Datenschutz und Exklusivität von Wissen ->
https://twitter.com/kusanowsky/status/462874287863771136
Aufsatz: Exklusivität und Öffentlichkeit. Über Strategien im literarischen Feld. Von Walther Müller-Jentsch
Ausgehend von der prekären Profession des Schriftstellers in der modernen Gesellschaft wird in diesem Beitrag zunächst die Frage aufgeworfen, durch welche Mechanismen jemand zum Schriftsteller wird. Die generelle Antwort lautet: im Modus der Anerkennung durch das Publikum und/oder die Schriftstellerkollegen. Die Erfahrung weist literarischen Novizen einen erfolgversprechenden Weg zur Anerkennung durch den Zusammenschluß zu Schriftstellerbünden. Nicht nur als ein Medium der Sozialisation fungieren Künstlergruppen; sie sind in ihren latenten Funktionen ein Substitut für jene fehlenden professionspolitischen Organisationen, über die andere bürgerliche Professionen typischerweise verfügen. Sowohl die Assoziierung der Autoren wie deren kollektives Vorgehen in der literarischen Öffentlichkeit lassen sich als Strategien im literarischen Feld darstellen. Unter dem Gesichtspunkt unserer Fragestellung thematisieren wir Bourdieus Theoriekonzept des literarischen Feldes und seine historischen Analysen, bevor wir mit dem Vergleich zweier einflußreicher literarischer Gruppierungen, dem George-Kreis und der Gruppe 47, aufzeigen, mit welchen unterschiedlichen, ja diametral entgegengesetzten Strategien Autorengruppen „symbolische Gewinne“ erwirtschaften, die ihnen nicht nur zur Anerkennung, sondern auch zur Dominanz im literarischen Feld verhelfen. Ein bemerkenswertes Ergebnis ist, daß die „verkehrte Ökonomie“ des literarischen Feldes sowohl Exklusions- wie Inklusionsstrategien honoriert
http://www.zfs-online.org/index.php/zfs/article/viewFile/1244/781
Jäger, Hans-Wolf (Hg.): „Öffentlichkeit“ im 18. Jahrhundert. Göttingen 1997.
Inhalt:
* Johannes Kunisch: Absolutismus und Öffentlichkeit
* Ursula E. Geitner: Vom Trieb, eine öffentliche Person zu sein. Weiblichkeit und Öffentlichkeit um 1800
* Hans Felten: Theater und Publikum. Das italienische Beispiel
* Astrid Grieger: Kunst und Öffentlichkeit in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
* Johannes Weber: Deutsche Presse im Zeitalter des Barock. Zur Vorgeschichte öffentlichen politischen Räsonnements
* Karl Tilman Winkler: Publikum und Tagesschrifttum am Beispiel Englands im 18. Jahrhundert
* Manfred Tietz: Die spanische Presse im Zeitalter der Aufklärung
* Öivind Larsen: Johann Clemens Tode und die dänisch-norwegische Popularmedizin im 18. Jahrhundert
* Erich Schön: Publikum und Roman im 18. Jahrhundert
* York-Gothart Mix: Über die ästhetische Erziehung des Dilettanten. Die literarische Öffentlichkeit, die Klassizität der Poesie und das Schema über den Dilettantismus von Fr. Schiller, J. W. Goethe und L. H. Meyer
http://www.wallstein-verlag.de/9783892442745-oeffentlichkeit-im-18-jahrhundert.html
Binsenweisheit aller Statistik, dass Daten nicht für sich sprechen. Es muss immer etwas voraus gehen, durch das Daten, ihre Sammlung, Verknüpfung, Auswertung und Interpretation möglich werden. Vorausgesetzt sind immer Theorien, Beobachtungen, Hypothesen und ihre Bewertung, die Kriterien für Erhebung, Sortierung und Deutung liefern. Diese Voraussetzungen können durch statistische Verfahren nicht gewonnen werden.
Das bedeutet: alle Statistik ist epistemologisch naiv.
Das ist kein Vorwurf an Statistiker, sondern etwas, das Statistiker, die etwas von ihrem Fach verstehen, jedem selbst zur Auskunft geben, der es wissen will. Das bedeutet auch, dass Statistik keine Wissenschaft ist. Entsprechend kann man, was Statistiker jederzeit zugeben, mit Statistik sehr viel Blödsinn produzieren, was übrigens unser Alltagserfahrung entspricht.
Wenn man die Einsicht eines Voraussetzungsreichtums für Datengewinnung und Datenauswertung akzeptiert, dann darf man auch fragen, woher diese Voraussetzungen, die Theorien, Beobachtungen, Hypothesen und Bewertungen eigentlich kommen, wenn man sich nicht der Naivität überlassen möchte, dass sie einfach gegeben sind. Woher kommen Gegebenheiten?
Nun handelt es sich dabei um eine alte Frage, die vornehmlich von Philosophen zwar ständig behandelt, aber genauso schlecht beantwortet werden. Dass diese Fragen von der Philosophie schlecht beantwortet werden kann man daran erkennnen, dass nach Durchlauf einer Diskussionsrunde diese Fragen wieder neu gestellt werden.
Die Antworten der Philosophie genügend niemals, was vielleicht daran liegen kann, dass die das Problem nur ungenügend erfassen.
– Gegebenheiten sind Ordnungsresultate >
Wie kann man, wenn also weder Statistik noch Philosophie die Frage beantworten können, woher die gegeben Voraussetzungen kommen, darüber nachdenken?
Mein Vorschlag lautet:
Gegenbenheiten sind Ordnungsresultate, die auch aus gesellschaftlichen Strukturen der Exklusivität entstehen; das sind Ergebnisse, die ohne solche Strukturen nicht zustande kömmen könnten.
Dabei behandle ich Exklusivität als eine Kategorie [im Sinne von N. Hartmann, Aufbau der realen Welt, Einleitung] , die nicht als etwas Unbedingtes voraus gesetzt ist. Vielmehr sind Kategorien nach Hartmann etwas Bedingtes, das infolge von Strukturänderungen Verweisungen auf die Kontingenz von Ausgeschlossenem hervorbringt.
Außerdem verweisen Strukturänderungen immer auch auf neue Möglichkeiten. Die neuen Möglichkeiten, um die es in diesem Fall geht, sind digitale Daten, ihre Verwendung und ihr Nutzen.
In dem Maße wie wir sie zu nutzen lernen, lernen wir auch die sozialen Verhältnisse kennen, die diese Möglichkeiten anliefern. Auch das zeigt, das Datenverwendung keine Selbstverständlichkeit ist, sondern immer eingelagert in gesellschaftliche Verhältnisse der Produktion von Wissen.
Was ist in unserem Fall dasjenige, das wir als ausgeschlossen voraussetzen können?
https://twitter.com/kusanowsky/status/463252416176353280
Für uns ist Nichtwissen um die Sammlung, Verwendung, Verknüpfung und Auswertung von Daten aller Art vorausgesetzt. Wir wissen, dass wir Daten hinterlassen, wir wissen vielleicht auch noch um den Unterschied von absichtlich und unabsichtlich hinterlassen Daten. Aber das war es auch schon.
Keiner von uns – was auch für Datensammler gilt – ist gut darüber informiert, was andere über uns wissen, wissen können, wissen wolllen, wissen dürfen oder wissen werden.
Dieses Nichtwissen ist soziale verteilt und ist die Voraussetzung dafür, dass Fragen gestellt, Hypothesen aufgeworfen, Vermutungen angestellt und Bewertungen vorgenommen werden.
– Nichtwissen ist Ordnungsresultat >
Nichtwissen ist ein Ordnungsresultat, das für die Wissensproduktion umso wichtiger und interessanter wird, je schwieriger es ist, sich der Akzeptanz des Nichtwissens zu widersetzen.
Niemand kann einfach das Nichtwissen um die Verwendung von großen Datensammlungen beiseite schieben.
Daraus kann man zwei Konsequenzen ableiten:
1. Aufgrund dieses Nichtwissens kann man Angst und Hoffnung stimmulieren. Hoffnung wird von Big-Data-Verkäufer verbreitet („Eine Welt ohne Zufall“), die Verbreitung von Angst dagegen wird von Journalisten und kritischen Intellkteullen bevorzugt.
2. Die zweite Möglichkeit ist auf die Akzeptanz von Nichtwissen mit Lernbereitschaft zu reagieren.
Ich selbst wähle die zweite Möglichkeit.
In diesem Zusammenhang sind die Forschungen von Stefan Pforte sehr interessant:
http://opencommons.public1.linz.at/oc14-malen-nach-zahlen-datenjournalismus-live-und-in-farbe
– Wie ich die Forschung von StPf. beurteile >
Transkription http://bit.ly/QmkvWE
Da der Vortrag in Linz nicht aufgezeichnet wurde, habe ich für alle Abwesenden, die es interessiert, nur das Vortragsmanuskript anzubieten.
Man findet es unter diesem Link:
Klicke, um auf exklusivitat-sozialer-strukturen.pdf zuzugreifen
Der digitale Dämon von Bernd Rheinberg
Ein Dämon geht um in unserer schönen neuen Welt. Er zeichnet sich aus durch besondere Kräfte: Er kann nicht nur sehen, was wir denken und tun; er kann auch erkennen, was wir denken und tun werden. Die Zukunft ist seine Passion und sein Metier. Aber er selbst ist alt, er begleitet den Menschen schon sehr lange. Doch nun sind ihm neue Fähigkeiten zugewachsen. Und das verändert alles – nicht zu unseren Gunsten.
https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2014/mai/der-digitale-daemon