Rassismus: Stigmatisierung, Logik und Mengenlehre – gibt es einen Ausweg? @Eierspeisin @huflaikhan

von Kusanowsky

Folgende kurze Berichterstattung der Rheinischen Post vom 15. Januar 2016 ist interessanter als es zunächst scheint. In der Berichterstattung heißt es:

Die Stadt Bornheim bei Bonn verbietet männlichen Flüchtlingen, das städtische Hallenbad zu nutzen. Grund sind Beschwerden über sexuelle Belästigungen. (Herkunft)

Zunächst dürfte klar sein, dass diese Maßnahme gegen geltendes Recht verstößt, dass sie eine klare rassistische und nicht statthafte Maßnahme ist. Denn auch wenn 99.000 männliche Flüchtlinge jeden Tag und unaufhörlich Belästigung betreiben würden, kann man einem einzigen von 100.000 aus diesem Grund nicht den Zutritt zum Schwimmbad verwehren. Das muss nicht weiter erläutert werden. Diese Auffassung wird zwar nur von einer Minderheit der Bevölkerung geteilt, sie gehört nicht zum alltäglichen Standard im Menschenzoo der Gesellschaft, aber es ist klar, auch wenn der niederträchtige Wunsch nach rassistischer Dikriminierung in der Bevölkerung sehr weit verbreitet ist, dass solche Regeln gar nicht statthaft sein können, weil man daraus nur weitere Gründe für rassistische Diskrimierung ableiten kann. Die Ergebnisse wären vorhersehbar: Judensterne, Apartheid, Verbot von Rassenmischung und dergleichen Abscheulichkeiten mehr. Dass es dazu kommen würde, ergibt sich notwendig. Denn: um die Differenz, die durch Stigmatisierung entsteht, aurechtzuerhalten, müssen die Maßnahmen der Stigmatisierung differenziert werden, um immer noch erkennen zu können, mit wem man es zu tun hat, wenn als Reaktion auf Stimatisierung eine Destigmatisierung passiert, so dass es sein kann, dass die Differenz verschwindet.

Das ist Rassismus: Man weiß gar nichts von einem unbekannten Menschen, aber über ihn sehr viel. Dass so etwas der Niedergang allen zivilisatorischen Vertrauens führt, muss nicht expliziert werden, weil es gesellschaftliche Erfahrung darüber, nicht nur im deutschsprachigen Raum, genügend gibt.

Allein, es hat alles nichts gebracht. Rassistische Maßnahmen gibt es weiterhin, wird es weiterhin geben und treffen weiterhin auf Akzeptanz. Der Lösungsvorschlag, dass eine antirasstische Aufklärung und Erziehung helfen könnte, ist dummes Zeug, weil ein Antirassismus eben nur nur die Stigmaerkennung moralisch differenziert. Das rassistische Beoachtungsschema bleibt durch Antirassimus intakt und wird durch diese Art der Aufklärung und Erziehung nur in Erinnerung gerufen und auf Dauer gestellt. Antirassismus ist Rassismus wie jeder andere auch.

Welche andere Lösung könnte vielleicht weiter helfen? Wie wäre es mit folgender Überlegung, von welcher ich natürlich annehme, dass sie kaum jemand wirklich ernst nehmen wird, weil sie zuviel Anstrengung des Nachdenkens darüber erfordert, wie sie weiter zu differenzieren wäre:
Die Gemeinsamkeit eines Rassismus und eines Feminismus ist, dass in beiden Fällen eine Stigmatisierung entlang der Unterscheidung von sozialen und natürlichen Personenmerkmalen gelingt. Soziale Personenmerkmale seien angeblich durch soziales Handeln veränderbar, soziale Personeneigenschaften seien also Konformitätsfähigkeit, was für natürliche Personenmerkmale nicht in gleicherweise gelten würde: man kann durch soziales Handeln zwar einige Köpermerkmale konformitätsfähig gestalten, aber nicht alle und vor allem nicht solche, die durch die Beobachtung des Stigmas besonders ins Auge fallen: Hautfarbe, Anatomie und dergleichen.
Dass diese Unterscheidung in natürliche und soziale Personeneigenschaften gegenstandslos ist, wird zwar einerseits gesehen, von manchen Feministinnen eher als von Antirassisten, allein, auch Feministinnen scheitern daran, dass Problem zu bewältigen. Denn tatsächlich: ob ein soziales oder natürliches Personenmerkmal zum Anlass für Stigmatisierung genommen wird, ist gar nicht entscheidend, sondern: der Verdacht, der einer Person entgegengebracht wird, das Vorurteil, die Absicht, unbekannte Menschen zu disqualifizieren aufgrund der Annahme, man wisse über sie sehr viel, ohne etwas von ihnen zu wissen, ist das soziale Problem. Es macht einen Unterscheid aus, ob man von Menschen etwas weiß oder über sie.
Der soziale Vorgang der Stigmatisierung stellt her, dass man über sie etwas kann, ohne auch nur das geringste von ihnen zu wissen. Das gilt auch für den Fall, dass ein Verdacht, so unberechtigt er immer sein mag, ausgesprochen wird: „Alle Neger sind dumm.“ – Wer so einen solchen Verdacht auspricht, dem wird gewöhnlicherweise der Verdacht entgegengebracht, dass man über ihn nun wisse, dass er ein Rassist ist, weil von ihm bekannt geworden ist, dass er so spricht. Dass das gar nicht stimmen muss, ergibt sich, wenn man auf das Vorurteil achtet, wenn man also darauf achtet, was man über einen solchen Menschen wissen kann, also auf etwas, das nicht von ihm mitgeteilt, das von ihm nicht mit Sinn versehen wurde, wie z.B. die Hautfarbe. Denn wenn ein Neger sagt, dass alle Neger dumm sind, dann wird auf einmal etwas anderes erkennbar, nämlich eine Variante des klassischen Lügner-Paradoxons und schon ist der Verdacht auf Rassismus in ein logisches Problem der Mengenlehre überführt: „Manche Neger sind dumm, aber nicht alle.“ (Und der Antirassist wird nun, um das rassistische Beobachtungsschema zu retten, die Wortwahl „Neger“ zum Anlass nehmen, eine Stigmatisierung aufrechtzuerhalten, damit der Rassismus weiter funktioniert)

Es wird in dem Fall also aus dem Problem des Rassismus ein Problem der Logik und der Mengenlehre gemacht. Das heißt: man verzichtet auf humanistische Zudringlichkeit, auf moralische Belehrung und verlegt sich auf logisches Nachdenken über das Kontingenzverhältnis von zählbaren Mengen, die man verschieden ordnen kann. Das interessante ist nun, dass das selbe nicht geschieht, wenn ein Nicht-Neger sagt, dass alle Nicht-Neger dumm sind. Man wird fragen: was weiß ich über den, der so spricht? Was kann ich über ihn schon wissen, noch bevor ich betrachte, was ich von ihm weiß? Denn egal, ob man über den Sprecher weiß, dass er ein Neger ist oder nicht, wird man immer annehmen, es sein ein rassistisches Anliegen zu beurteilen und keins der Logik oder der Mengenlehre. Denn ist der Sprecher ein Neger, dann ist er ein Rassist, weil er alle Nicht-Neger disqualifiziert. Ist der Sprecher ein Nicht-Neger, dann wird er disqualifiziert, weil er mit der Negation die gegenteile Möglichkeit zum Bedenken freigibt.

Dass aber in jedem Fall nur eine Sache der Logik, der Statistik und der Mengenlehre vorliegt, wird nicht so leicht akzeptiert. Warum? Weil man meint, die humanistische Zudringlichkeit, mit der Disqualifiktion hergestellt und moralische Konformität gefordert wird, sei irgendwie natürlich, sei selbstverständlich, sei normal, sei unverzichtbar und sei darum immer schon gerechtfertigt. Aber das stimmt gar nicht. Die Unterscheidungen humanistischer Zudringlichkeit oder moralischer Belehrung sind genauso kontingent wie die der Logik, der Mengenlehre und der Statistik und liefern darum niemals eindeutige und zufriedenstellende Ergebnisse, wenn es darum ginge, widerspruchsfreie Regeln zur Einhaltung zu empfehlen. Und weil das ignoriert wird, werden mit humanstischer Zudringlichkeit Regeln aufgestellt, die der Logik, der Mengelehre und Statistik entspringen, die aber genauso wenig widerspruchsfrei sind, wie Mengenlehre, Logik und Statistik selbst. Ergebnis ist die fortwährende Wiederholung von moralischen Regeln, die niemand einhalten kann und die folglich, wenn Gewaltmaßnahmen nach dem selben Schema der Moral beurteilt werden, in Gewalt münden. Das Bestehen auf humanistische Zudringlichkeit ist  die Quelle der Gewalt.

Ein Ausweg könnte vielleicht gefunden werden, wenn man sich fragt, warum Feminismus, der ja auch Stigmatisierung vornimmmt und von humanistischer Zudringlichkeit geprägt ist, nicht in Gewalt führt. Was unterscheidet Feminismus von Rassismus in der Weise, dass das Scheitern feministischer Belehrung, Erziehung und Aufklärung  nicht zur Gewalt führt, obgleich hier eine ähnliche moralische Borniertheit vorliegt? Die Antwort ist, dass Femimismus zwar Stigmatisierung betreibt, aber diesen ausschließlich als Selbststigmatisierung vorsieht, was dazu führt, dass Feministinnen sich immer nur als unschuldige Opfer der dämonischen Machenschaften anderer feiern und darum niemals gewaltätig werden können, oder jedenfalls legt sich ein Feminismus in Sachen Gewalt immer eine Belastung auf, die nur schwer wieder abzuwerfen ist.

Daraus könnte man lernen, dass man Selbststigmatisierung mit einem Verzicht auf moralische Zudringlichkeit kombiniert, um die Quelle der Gewalt in die Möglichkeit zu überführen, soziale Realität nicht als Menschenprobleme aufzufassen, auch dann nicht, wenn man einen billigen Grund hat zu der Annahme, von Problemen des Menschseins jederzeit betroffen zu sein.

Was wäre also, wenn man Fremdstigmatisierung, wie sie von Rassismus betrieben wird, in Selbststigmatisierung überführt und zugleich darauf verzichtet, daraus eine moralische Position der Überlegenheit zu machen: „Ja, ich bin ein Mann, ich bin ein Flüchtlinge und jeder darf grundlos, der will, mich der zivilisatorischen Unzuverlässsigkeit verdächtigen.“ Ernsthaft gefragt: woran könnte mich das hindern, wenn ich davon betroffen wäre? Ich behaupte ganz ernsthaft: Ich würde Eintritt in das Schwimmbad bekommen und ich würden keinen Konflikt provozieren, keinen Rechtsstreit suchen, führen oder gewinnen. Aber ich käme in das Schwimmbad hinein.

Glaubt das jemand?