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Tag: Überfall

Medieninnovation als Überfall 6 schöpferische Zerstörung

Maschinensturm, Zerstörung eines Webstuhls (1812) Wikipedia

Am Anfang war die Immunreaktion. Bildersturm – Maschinensturm – Shitstorm. Man darf nicht darüber nachdenken. Und allen, die es dennoch tun, sei angelobt: Es macht nichts.  Einfach weiter machen. Das stört kaum jemanden.

Aber im Ernst: Am Anfang war das Nichtwissen über die Zukunft. Am Anfang steht das Weitermachen wie bisher, weil man sich etwas anderes nicht vorstellen kann? Die Maschinenstürmerei des späten 18. und des frühen 19. Jahrhunderts war bereits ein Zitat. Zitiert wurde der Bildersturm der Reformationszeit, aber es ging nicht mehr um das Seelenheil eines gnadenbedürftigen Sünders; jetzt ging es um Rechte: Wenn schon nicht mehr Untertan, der unfrei ist und zu gehorchen hat, dann ein gleichberechtigter Bürger, der mitbestimmen darf.

Das ging aber nicht. Märkte erfordern Organisation. Wenn eine Gesellschaft alles, was sie produziert, zum Tausch anbietet, dann müssen auch alle Beteiligten etwas haben, das sie tauschen können. Aber wo sollen sie das her haben? Organisation (und ihre Durchsetzungsfähigkeit) kann nicht geplant werden.

Am Anfang war also die Tat, die Widertat, die Aktion?

Dass auch der Maschinensturm, von dem bald eine organisierte Sozialdemokratie nichts wissen wollte, eine fortschrittliche Sache ist, zeigt sich daran, dass mit ihm Organisation wahrscheinlicher wurde. Die frühen Maschinenstürmer hatten Maschinen zerschlagen und die Menschen am Leben gelassen. Schöpferische Zerstörung.

Am Anfang ist die Kreativität des sozialen Sinns von Medieninnovationen.

 

Fortsetzung folgt.

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Die Medieninnovation als Überfall 1 Unschärfe

Die erste bekannte Fotografie (Nicéphore Niépce 1826, retuschierte Fassung), Wikipedia

Am Anfang war die Unschärfe. Etwas genaues ist auf dieser Fotografie nicht zu erkennen. Wer auch immer vor 200 Jahren die Absicht hatte, ein bildgebendes Verfahren zu enwickeln, das nicht der Handwerkskunst der Malerei bedurfte, wollte keine Genauigkeit der Abbildung erreichen. Denn wäre es auf Genauigkeit angekommen, hätte es keinen Grund geben, die Fotografie zu erfinden.

Es ging nicht um Genauigkeit, sondern um das Verfahren und um die Spielerei, um das Experiment. Wer und warum auch immer wenig später eine Tagszeitung in großen Mengen drucken und auf der Straße verkaufen wollte, konnte nicht die Absicht haben, über die Welt zu informieren. Denn: worüber sollte berichtet werden? Was sollte man schreiben? Was sollte man zeigen? Die Annahme, es passiere doch genug, von dem man berichten könnte, kann getroffen werden, wenn es viele Tageszeitungen gibt. Wie also fängt man an? Ein guter Anfangsversuch war die Selbstreferenz der sogenannten Zeitungsente: eine sensationelle Geschichte erfinden, sie drucken und am nächsten Tag darüber berichten, wie sie rezipiert wurde. Beispiel: The Balloon-Hoax von Edgar Allan Poe. Auch hier ist die Ungenauigkeit der Informationssituation der initiierende Anfang. Und vor allem: die Berücksichtigung der Meta-Ebene. Erst danach konnte gelernt werden, Dinge zu veranstalten, damit darüber in der Zeitung berichtet wird. Auch eine Zeitungsredaktion muss informiert werden. Sonst geht es nicht.

Die Unschärfe liefert die Anlässe, die Beschäftigung aufzunehmen und weiter zu treiben. Der Selbstbezug verhindert den Prozess nicht, sondern stößt ihn an. Selbstreferenz ist ein „Freiblocken“ der Kommunikation.

Sprache kann nicht mit Verständlichkeit beginnen, sondern wird wohl mit Geschrei und Gestammel angefangen haben, also mit Geschrei wegen des Geschreis.

Medieninnovationen sind idiotisch, sind eine Abwendung von der Kontinuität einer immer schon sinnhaft geprägten Welt und eine Zuwendung zum Abbruch und die Weiterbeschäftigung mit diesem Abbruch. Deshalb funktionieren Medieninnovationen als Überfall, der eine prekäre Unterscheidung durchsetzt: Weiter wie bisher? Oder anders als bekannt?

Am Anfang ist die Unschärfe und die Verfremdung, die Sabotage von Wiedererkennbarkeit.

Fortsetzung

 

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