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Tag: Textsimulation

Textsimulationen als Internetperformate

 

Was rechtfertigt, mit Blick auf das Internet, die Umstellung auf sogenannte „Performate“? (Herkunft

 

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Wenn Luhmann Recht hat mit seiner Analyse, dass die Realität der Medien, ihre reale Realität, in ihren eigenen Operationen besteht, so ergibt sich daraus die Überlegung, dass die reale Realität der Medien als die in ihnen ablaufenden, sie durchlaufenden Kommunikationen beschrieben werden kann. Konsequent bedeutet das, dass in den von der Kommunikation erzeugten massenmedial verbreiteten Dokumenten ständig Unbeobachtetes der Kommunikation am Werke ist, das jeglicher Interpretation erst dann zugänglich ist, nachdem eine Explikation durch Beobachtung stattgefunden hat, wodurch zugleich das so gewonnene Wissen im Augenblick seiner Publikaktion zerstört wird, weil alle Explikation sich ebenfalls dokumentieren muss, um beobachtbar zu sein. Das heisst auch: alles, was als Manipulation aufgedeckt wird, wird in der Dokumentform als Manipulation wissbar und und unterliegt damit derselben spezifischen Operativität. Es gibt keinen Ausweg. Und durch den so stattfindenden Prozess eines ständig fortschreitenden Zurückverweisens von Dokumenten auf Dokumenten verschwindet alle Dokumentalität in der Entgrenzung ihrer Möglichkeit. Schon der Buchdruck enthält also die Möglichkeit von Performaten. Aber solange die Dokumentstruktur alle Realiät durch ihre Unterscheidungsverfahren überzieht, entfalten sich Performate nur latent. Es gibt sie nicht, solange die dokumentarischen Unterscheidungsverfahren diese seltsamen Schleifen durchlaufen. (Ausführlicher  – und für den individuellen Geschmack präziser – hier.) 

Ein Buch wird durch die sukzessive Folge seiner Seiten immer linear gelesen. Das Internet erlaubt dagegen eine Hyperstruktur. Von einem Satz kann man nicht nur zu jenem gelangen, der, wie in einem Buch, diesem folgt, sondern es ergeben sich mehrere Möglichkeiten. Je mehr Verknüpfungen möglich sind, umso mehr potentielle Lektüren sind akualisierbar. Dadurch ergibt sich für Texte ein anderes Beobachtungsschema. Der Leser verbleibt damit nicht mehr als passiver Rezipient des Produktionsprozesses von Texten. Es können Verbindungen hergestellt werden, die den Autoren nicht bewusst waren und die erst durch den Leser entstehen. Diese Textstruktur ist identisch mit der Struktur eines Netzes, durch das dieser Text entsteht. Nicht mehr die eindeutige Folgerung eines Sachverhalts aus einem vorhergehenden Argument prägt dann eine Argumentationsweise, sondern die Anschließbarkeit eines Textpartikels an einen anderen stehen im Mittelpunkt der Betrachtung. Im Kontext der Simulierbarkeit von Dokumenten rückt an die Stelle von Geschlossenheit der Argumentationen die Beachtung der Anschlussfähigkeit und Vernetzbarkeit. Alle Argumentation entzieht sich so der Dokumentierbarkeit und erscheint performativ als Simulation, die ihrerseits als Wechsel der medialen Struktur durch das Internet in Erscheinung tirtt. (Ausführlicher hier.)

Bereits mit der Verwendung automatischer Gliederungsprogramme wie sie in Textverarbeitungen möglich sind, ergibt sich der Effekt, den Text graphisch auf der Bildschirmoberfläche zu repräsentieren. Das galt zunächst nur für den Schreiber des Textes, da man noch gewohnt war, den Text als Dokument aufzufassen und die Nachbearbeitung über den Umweg eines Dokumentendrucks vorzunehmen. Das vernetzte Hypertextsystem des World Wide Web radikalisiert diese Verfahrensweise, indem die Dokumentform für Leser und Schreiber aufgebrochen wird. Der Schreibende gestaltet auf dem Bildschirm ein netzartiges Gefüge, ein rhizomatisches Bild seiner Gedanken. Dieses Bild ist vielgestaltig, assoziativ und komplex. Es besteht aus einer Pluralität unterschiedlicher Pfade und Verweisungen, die der Lesende zu individuell variierbaren Schriftbildern formt, die sich aus dem Zusammenspiel zwischen der offenen Struktur des Textes und den Interessen und Perspektiven des Lesenden ergeben.
Hermeneutische Vollzüge und interpretatorische Prozesse, die sich bei der Lektüre gedruckter Texte allein im Bewußtsein des Lesers vollziehen, werden unter Hypertextbedingungen als Lektürespuren sichtbar, die den Text beim navigierenden Lesen auf der Software-Ebene mitkonstitutieren. Das hypertextuelle Gesamtgeflecht von Icons, digitalen Bildern, Audio- und Videosequenzen sowie linearen Texten läßt sich auf diesem Hintergrund als eine bildhafte Struktur, d.h. als Textsimulation beschreiben. Der Hypertext wird damit in einem in einem Umsetzungsprozess zwischen dem abwesenden Leser und dem abwesenden Autor, welcher die entsprechenden Links in den Text eingebaut hat, erst hergestellt. Durch diese Interaktion auf der semiotischen Ebene vollzieht sich die Verbildlichung der Schrift und damit die Simulierbarkeit von Texten. (Ausführlicher hier)

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Die Simulation von Text- und Bilddokumenten im WWW 2

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Tatsächlich beginnt die Beobachtung von Schrift unter den Bedingungen des Hypertextes Eigenschaften und Aspekte in sich aufzunehmen, die man traditionell Bildern zugeordnet hat. So ist das Lesen und Schreiben im World Wide Web von der visuellen Gestaltung, Performanz und ästhetischen Organisation bildhaft arrangierter Schriftzeichen nicht zu trennen. Ein Hypertext setzt sich aus fragmenntarisierten Texten zusammen, die durch Verschiebung auf andere Kontexte eine in sich sinnvolle Szene darstellen und zugleich signifikante Übergänge in andere Szenen und Kontexte anbieten, zu denen relevante Verweise bestehen. Die Situierung des Textes, die taktile Auszeichnung einzelner Zeichenkomplexe als anklickbare Links, die variabel gestaltbare Struktur des Texthintergrundes oder die Möglichkeiten, Buchstaben in Bewegung zu setzen und in graphische Szenen einzubetten – das alles sind Aspekte dessen, was hier zusammenfassend als Simulation von Textdokumenten bezeichnet wird.
Mit einer an das dokumentarische Beobachtungschema orientierten Unterscheidung von Hypertextualität und dem Virtualität könnte man außerdem die Möglichkeit einer medienspezifischen Transformation im Arrangement der Zeichen kaum noch verstehen. Einer solchen Unterscheidung zufolge zeichnet sich das Hypertextuelle durch den Vorrang der Schrift aus und das Virtuelle durch die Dominanz von Bildern. Mit der Enfaltung des World Wide Web entstehen aber zwischen Schrift und Bild komplexe Verflechtungsverhältnisse, die möglicherweise immer noch – gerade durch ihre konkurrente Koexistenz – als unterschiedliche Zeichensysteme erkennbar bleiben, indem sie miteinander um Aufmerksamkeitsrelevanz im Simulationsraum des vernetzten Computers kämpfen und so in ihren internen Basisbestimmungen unverändert bleiben. Natürlich ist dabei der Unterschied zwischen Hypertextualität und Virtualität nicht gleichzusetzen mit dem Unterschied von Schrift und Bildern. Anderseits aber bleibt doch festzustellen, dass selbst in Fällen, in denen Bilder etwa in Multimediapräsentationen als Zeichen fungieren, diese so beobachtbaren Zeichen immer noch als Zeichen erkennbar bleiben.
Auffällig ist dabei nur, dass die unter analogen Medienbedingungen eingespielte Evidenz der traditionellen Bedeutung von Begriffen wie Bild und Schrift relativert werden müssen, um die sich vollziehenden Veränderungen erklärbar machen zu können. Denn durch die Simulationsverfahren entstehenden Möglichkeiten der Verbildlichung von Schrift kommt noch eine zweite, die umgekehrte Möglichkeit in Betracht, die der Verschriftlichung des Bildes.
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