Differentia

Tag: Selbstbeschreibung

Von der Selbstthematisierung zur Selbstbeschreibung

Abgesehen von den daraus resultierenden Irritationen hinsichtlich der Neuorientierung von Zurechnungsstrategien könnte dann aber dennoch der Weg von der Selbstthematisierung in die Selbstbeschreibung gegangen werden. Der erste Schritt kommunikativer Selbstbeschreibung besteht darin, den kommunikativen Kontext zu distinguieren und zu typisieren: Kommunikation in der Vorlesung, im Seminar, in der Mensa, in der Kneipe usw. Für die Bewusstseine, die mit ihren Wahrnehmungen benötigt werden, hat sich – das wäre der zweite Schritt – die Beschreibung eingespielt, dass die jeweiligen Gruppenzugehörigkeiten aus den entsprechenden Teilnehmern besteht. Sie werden auf diese Weise gegenständlich, nämlich als Akteure aufgefasst, denen herauspräparierte Teile der Kommunikation als ihr Handeln zugerechnet werden können. Die tatsächliche Kompliziertheit des interdependenten Geschehens wird durch diese Art der Selbstbeschreibung deshalb extrem vereinfacht, weil mit dem Schema des Akteurs die tatsächliche Verschlungenheit gleichzeitig zirkulärer Abläufe in die Überschaubarkeit eines gleichsam finalen, also kausalen Geschehens umgedeutet werden kann. Handlung erscheint in dieser Sicht als etwas, das der Akteur von sich aus mitbringt und nicht als etwas, das ihm von der Kommunikation, aus ihrem Kontext heraus nachträglich zugerechnet wird. Die auf dieser Beschreibungsgrundlage sich einspielende Semantik der Akteure muss als eine notwendige Selbstsimplifizierung betrachtet werden, ohne die ein sozialer Alltag nicht vorgestellt werden kann. Sie ist funktionsnotwendig. Zugleich lässt sich jedoch auch feshtalten, dass die Akteurssemantik als funktional erforderliche Selbstvereinfachung im Widerspruch steht zu anderen Funktionserfordernissen des sozialen Lebens. Die Paradoxie der Selbstvereinfachung taucht also wieder auf. Und zwar in Form der Frage, auf welche Weise eine Mehrzahl von Akteuren bzw. die Pluralität der von ihnen repräsentierten Intentionen zu einem Sozialgefüge integriert werden kann.

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Selbstreferenz und Selbstbeschreibung

Gerade dieser Zusammenhang spielt für die Zirkularität des Wissens eine große Rolle, gelten diese Vorbehalte doch nicht nur für die Wissenschaft allgemein, sondern für alle andere sozialen System ebenfalls. Das aber ändert nichts daran, dass die Ausdifferenzierung und Evolution von Systemen nur durch Selbstreferenz zustande kommt kann, das heißt dadurch, dass die Systeme in der Konstitution ihrer Elemente und ihrer elementaren Operationen auf sich selbst Bezug nehmen. Sie müssen, um dies zu ermöglichen, eine Beschreibung ihres Selbst erzeugen und benutzen. Sie müssen dazu systemintern mindestens die Differenz zwischen System und Umwelt als Orientierung und als Prinzip der Erzeugung von handlungsrelevantem Wissen über die Umwelt verwenden können. Systeme haben somit Grenzen, welche die Doppelfunktion der Trennung und der Verbindung zwischen System und Umwelt übernehmen. Diese Eigenheit von Systemen steigert die Möglichkeiten der Verarbeitung von Komplexität, die über andauernde soziale Anschlussfindungen abläuft.

Diese Doppelfunktion läßt sich anhand der Unterscheidung von Element und Relation verdeutlichen. Jeder komplexe Sachverhalt beruht auf einer Selektion der Relationen zwischen seinen Elementen, die er benutzt, um sich zu erhalten. Durch Selektionszwang und durch Konditionierung von Selektionen lässt sich auch erklären, dass sich in einer Mehrebenenanordnung aus einer Unterschicht von sehr ähnlichen Einheiten wie beispielsweise weniger spezialisierter, also sehr ähnlich organisierter Einheiten sehr verschiedenartige Subsysteme bilden können. Die Elemente müssen, wenn die Grenzen scharf gezogen sind, entweder dem System oder der Umwelt zugerechnet werden. Relationen können dagegen auch zwischen Systemen und Umwelt bestehen.
Ein soziales System differenziert sich demnach in ungleiche soziale Teilsysteme, die mitunter nur existieren können, wenn sie für die gesamte Operativität eine exklusive Funktion erfüllen. Die Ausdifferenzierung jeweils eines Teilsystems für jeweils eine Funktion bedeutet, dass diese Funktion für dieses System Priorität genießt und allen anderen Funktionen vorgeordnet wird. Durch die Erfüllung der Primärfunktionen lösen die Teilsysteme spezifische, auf die eigentliche Leistungserstellung bezogene relevante Probleme, deren Durchführung sie exklusiv übernommen haben, und entlasten dadurch die anderen Systeme. Über die Lösung von Problemen und die Durchführung entsprechender Entscheidungen bestimmen die Teilsysteme selbst, sie operieren weitgehend autonom oder systemtheoretisch ausgedrückt: selbstreferentiell und autopoietisch.

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