Differentia

Tag: Reputation

Aufsatz: Luthers Absage an das Mönchsgelübde @TiniDo @frachtschaden @openmedi

Hier habe ich einen Aufsatz verlinkt, der die längere Fassung eines Vortrags ist, den ich auf einer ‚interdisziplinären Fachtagung‘ für Theologie in Saarbrücken am 4. Dezember 2015 gehalten habe. Mir wurde heute per e-Mail heute mitgeteilt, dass „aufgrund der nicht nur inhaltlichen, sondern auch konzeptionell und stilistisch sehr deutlichen Distanz zu den übrigen Beiträgen“ mein Beitrag für die Tagungspublikation „nicht geeignet“ ist.
Aus meinem Beitrag geht dezidiert hervor, dass ich die Bereitschaft habe, mich für den Fall, dass ich mich in allem irre, belehren zu lassen. Aber das geschieht nicht.
Man erkennt daran, wie wichtig der Konformitätsdruck an den Universitäten geworden ist. Renitenz ist nicht reputationsfähig. Dass man ja, wenn solche Widerspenstigkeit auffällig wird, das Gespräch auch fortsetzen könnte, um nachzuweisen, dass der Kandidat unwissenschaftlich argumentiert, darum inkompetent und nicht reputationsfähig ist, kommt nicht mehr in Frage. Es wird exekutiert und das Gespräch beendet. Mit welchem Recht? Ganz einfach: bekommst du den Stempel hier nicht, dann bekommst du ihn woanders. Irgendeinen wirst du sicher finden, der dir einen Stempel gibt. Das stimmt, was aber den gleichen Verdacht bestätigt. Woanders könnte dieser Beitrag konform sein, was aber eigentlich nicht in meinem Sinn ist. Denn wissenschaftliche Wissensproduktion braucht nicht Gleichschritt, sondern Widerständigkeit (also Beobachtung). Aber das geht nicht mehr, Widerständigkeit ist an den Universitäten sehr schwer kommunikabel zu machen. Und außerdem gilt: Publizieren kann man inzwischen alles, jederzeit und überall. Es fehlt dann der Stempel. Aber fehlt es dann auch an Wissenschaft?

Luthers Absage an das Mönchsgelübde
Über den Versuch, die Zurechnungsfähigkeit der Person zu verhindern
Dieser Beitrag versucht aus soziologischer Perspektive zu zeigen, was Erziehung in der modernen Gesellschaft leistet und wie sie zustande kommen konnte. Erziehung leistet die Herstellung von zurechnungsfähigen Personen und konnte deshalb zustande kommen, weil eben dies spätestens seit der Frühen Neuzeit noch einmal versucht und seitdem mit unzureichenden Mitteln verhindert werden sollte.

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Ist Karriere in der Wissenschaft ein Glücksspiel?

Autopoiet hat einen Artikel über die Jagd nach Reputation in der Wissenschaft gepostet. Der Artikel bezieht sich vor allem darauf, dass seit neuerer Zeit Wissenschaftler an den Universitäten nicht mehr bereit sind, ihre Texte Verlagen zur Publikation zu überlassen.

Was aber bewegt Forscher, dieses lange Zeit wenig hinter­fragte Verfahren plötzlich auszusetzen oder sich sogar mit Hilfe eines öffentlichen Boykott-Aufrufs dagegen zur Wehr zu setzen?

Möglicherweise geht es bei diesem Boykott um etwas ganz anderes. Der Selbstauskunft der Wissenschaftler nach, könnte es um eine Emanzipation gehen. Die Karrierebedingungen von Wissenschaftlern sind inzwischen durch zwei Merkmale charakterisiert: 1. Reputationsgewinne werden zunehmend nur noch minimal messbar, was damit zusammenhängt, dass die Intransparenz der Beförderungskriterien auch aufgrund einer immer dichter werdenden Konkurrenz zunimmt. Das führt dazu, dass 2. eine Karriere eigentlich nur noch Zufallscharakter hat.
Karriereplanungen dürften nur die Ausnahme sein, nämlich dann, wenn sich in Einzelfällen sehr stabile Gunsterwartungen ereignen. Doch das dürfte nur selten vorkommen. Der Regelfall dürfte dürfte ein chaotischer und unvorhersehbarer Verlauf sein, dessen Endresultate eigentlich einem Gewinnspiel gleich kommen.
Unter dieser Voraussetzung ist Reputation das einzige, worauf es ankommt.  Die „Wissenschaftlichkeit“ von Ergebnissen für Karrierentscheidungen kann deshalb keine übergeordnete Rolle spielen, weil diese Wissenschaftlichkeit 1. kaum noch definierbar und 2. jederzeit diskutierbar ist und sein muss. Für das Zustandekommen eines Produkts, nämlich einer Publikation, ist die Wissenschaftlichkeit immer schon gesichert, denn das Produkt selbst ist ja schon eine, wenn auch minimale Entscheidung über einen Reputationsgewinn. Was aber darin geschrieben steht, kann gar nicht so einfach gemessen werden, denn: wer soll diese gigantische Textflut lesen, geschweige denn beurteilen? So ist es gerade die Textflut, die sicher stellt, dass Kriterien von Wissenschaftlichkeit gar nicht mehr so wichtig sein können. Je länger eine Publikaitonsliste ist, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass im Falle einer Entscheidung für eine Stellenbesetzung andere Kriterien als Lektüreerfahrung eine Rolle spielen.

So kommt die Wissenschaftlichkeit von Wissenschaft deshalb immer leichter zustande, weil alle Unwissenschaftlichkeit an jeder Stelle und zu jedem Zeitpunkt von Entscheidungsfindungen schon aussortiert ist.

Die Kommunikation über Wissenschaftlichkeit ist dann gleichsam nur der beobachtbare Monitor der Selektionen, aber nicht ihre Struktur. Die Struktur der Selektion ist chaotisch, zufällig und wird nur nach erfolgter Entscheidung über Beförderung, Bewilligung von Forschungsmitteln und Publikation von Ergebnissen durch diese Selektionen in eine Ordnung von Gewohnheiten überführt, der gar keine Regelmäßigkeit des Zustandekommens unterliegt. Es gibt einfach zu viele Risiken, die es unmöglich machen, sich auf Regelerwartungen zu verlassen. Diese Risiken beziehen sich auf Gremienentscheidungen von Stellenbesetzung, Einladungen zu Tagungen und Kongressen und auf die Finanzierung von Forschungsprojekten.

Und in dem Maße wie dieser Zufallscharakter offenbar wird, wird auch offenbar, dass es keinen Grund mehr gibt, anderen Verfügungsrechte über eigene Leistungen zu überlassen. Der Selbstauskunft nach könnte es sich um Emanzipation handeln. Aber das dürfte nur die eine Seite der Sache sein.

Wie wäre die andere Überlegung, dass dieser Boykott anzeigt, dass sich das Übungssystem der Wissenschaft anderen Problembehandlungsroutinen zuwendet, die darin bestehen könnten, den Umgang mit sog. „sozialen Netzwerken“ einzüben? Wenn Reputationsgewinne minimal werden, so auch die Reputationsverluste, wenn man etwas ganz Unwissenschaftliches tut, nämlich: selbst veröffentlichen. Daran dürfen sich streng genommen keine Kriterien für Wissenschaflichkeit knüpfen. Da aber diese Kriterien immer fragwürdiger werden, werden auch die Verstöße gegen Selbstverständlichkeiten immer weniger riskant.

Die Wissenschaft erkennt langsam, wie wenig selbstverständlich ihre Routinen sind. Es wird erkannt, dass nicht nur alles auch ganz anders möglich ist, sondern, dass alles auch tatsächlich anders gehen kann, wenn man nur etwas anderes macht. Daraus ergeben sich keine besseren Reputationsgewinne, aber auch keine schlechteren mehr.

Ob an dieser Überlegung etwas dran ist?

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