Differentia

Tag: Kausalität

Die Loveparade des Jörg Kachelmann #duisburg #kachelmann

Während man in Duisburg nach dem GAU – der Größten Anzunehmenden Unzucht – der Loveparade immer noch mit einer Selbstverständlichkeit, als wolle man einen Elefanten in einem Heuhaufen wiederfinden, nach einem Schuldigen sucht, wird im Kachelmann-Prozess schon wieder einer gesucht. Die Frage nach dem Schuldigen muss beantwortet werden; es steht zuviel auf dem Spiel. Und man irrt, wenn man meint, es ginge in beiden Fällen nur um Recht und Unrecht. Auf Recht und Unrecht muss alles jedoch reduziert werden, weil alle anderen möglichen und genauso berechtigten Differenzen die Leistungsfähigkeit aller Komplexitätsverarbeitungsroutinen vollends überlasten würden, ist doch schon die Frage nach Recht und Unrecht, wenn sie auch mit aller Selbstverständlichkeit gestellt wird, gerade mit einer Wahrscheinlichkeit zu entscheiden, die der baldigen Ankunft von Außerirdischen sehr nahe kommt.

Aber sei’s drum. Wo gehobelt wird, wo geravet und gepimpert werden darf, da müssen auch Späne fallen dürfen.

Interessant deshalb in diesem Zusammenhang lediglich die Feststellung der Tatsache einer umgekehrten Parallelität beider Schauprozesse. Denn um Schauprozesse handelt es sich; nicht im konventionellen Sinne, mit dem öffentliche Gerichtsverfahren bezeichnet werden, bei denen die Verurteilung des Beklagten bereits im Vorhinein feststeht. Im Vorhinein steht hier etwas anderes fest, nämlich die Beweisbarkeit von Geschehnissen durch sozial-strukturierte Prozesse (also nicht nur juristische im engeren Sinne); sie steht auch dann fest, wenn – wie im Falle Duisburgs – der Elefant im Heuhaufen partout nicht gefunden werden kann, während im Fall Kachelmann dem Schuldigen höchst raffinierte Versteckmethoden unterstellt werden müssten, um seine nur schwer wiederauffindbare Idenität einigermaßen gut erklären zu können, wollte man denn anders nicht einfach nur die moralische Integrität der Beischlafenden grundsätzlich in Frage stellen.

Für beide Fälle kann die selbe Frage gestellt werden. Fehlt es an Beweisen?

Im Fall Duisburg dürfte gerade die Tatsache, dass es eine Vielzahl an Beweisen gibt, Schrift- wie Bilddokumente, öffentlich zugängliche genauso wie aktenmäßig verborgene, die die Sache enorm schwer machen, weil nicht einmal ein einziges dieser vielen Dokumente auch nur eine Frage eindeutig beantworten kann: Was beweist das alles? Was ist darin zu lesen, zu sehen, zu ermitteln, das weiterhelfen könnte? Ferner ist es gerade die Vielzahl aufeinander verweisender Dokumente, die ihren Wahrheitsgehalt gegenseitig einschränken und relativieren.

Genau andersherum im Fall Kachelmann. Es gibt nicht einen Beweis, der von einer Tat sprechen könnte, also müssen Beweise, sobald ein Verdacht – der ja nicht selbst auf einem Beweis beruhen kann – berechtigt scheint, erzeugt werden durch Gutachten, Sekundärzeugen, Glaubwürdigkeitsvermutungen von Experten aller Art.

Daher meine Rede von „Schauprozessen“: Im ersten Fall ist es gerade die Kompelxität von Beweisen, die doch eigentlich beweisen müsste, dass man nichts von dem beweisen kann, was bewiesen werden soll. Im zweiten Fall ist es eben der Mangel an Beweisen, der das selbe beweisen müsste.

Aber egal, Schwamm drüber, es geht ja gar nicht um Beweise, sondern um das Verfahren. Und vielleicht geht es nicht einmal um das Verfahren; es geht vor allen Dingen darum, durch Schauprozesse dieser Art das Problem nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, das ehedem als Lösung entstanden ist, als die Vermutung der Beweisbarkeit reflexionsverstärkende Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte, weil mittelalterliche Restbestände von Routinen der Abweichungsvermeidung in ihrer Trivialität nicht mehr auszuhalten waren. Inzwischen hat sich dieses Verhältnis umgekehrt. Schauprozesse dieser Art sind Trivialprozesse, was insbesondere durch die massenhaft verbreiteten Kenntnisse im kritischen Umgang mit Dokumenten aller Art erklärbar wird.

Werbung

Technik als Medium und Form

Für die Beschreibung dessen, was sich mit dem Internet ändert, kommt man nicht daran vorbei, auf Technik als Sachverhalt zu verweisen, der alle Kontingenz auf ein überschaubares Maß an Möglichkeiten reduziert. Für Technik gilt zunächst, was für alle Sachverhalte in der Welt ebenfalls gilt, dass sie auf Beobachterkonstruktionen beruht, die sowohl auf Realitäten des Systems wie auf Realitäten der Umwelt bezogen sind. Das führt zu der Frage, was Technik als Form bedeutet; und dabei geht es um die Leistung von Technik für das Erwartbarmachen sozialer Vollzüge. Und man kommt auf die Frage, was Technik als Medium bedeutet, denn in diesem Zusammenhang geht es um Technik als externe Voraussetzung der selbsterzeugten Komplexitätssteigerung der Gesellschaft. Insofern kann man die Form der Technik als eine funktionierende Simplifikation im Medium der Kausalität beschreiben; als Medium ist Technik genauso wie Sprache eine evolutionäre Errungenschaft und damit eine irreversible Voraussetzung für die Schließung der Gesellschaft als eines sozialen System.
Verwendet man den Kausalitätsbegriffs  – wie er sich erfolgreich durch die Empirieform des Dokumentschemas herausgebildet hat, erscheint Kausalität als ein Beobachtungsartefakt. Das Kausalschema beruht auf der Konstruktion eines Beobachters, der Sachverhalte in der Welt mit einer bestimmten zeitlichen und sachlichen Ordnung versehen will. Diese Überlegung ergibt sich aus der Frage, wie aus der unendlichen Fülle von Ursachen und Folgen diejenigen identifiziert werden können, denen ein erwarteter Effekt zugeschrieben werden kann. Wichtige Bedingungen, die an einen Kausalitätsbegriff gestellt werden, erfüllt etwa der „kontrafaktische“ Kausalitätsbegriff. Er besagt, dass eine zeitliche Asymmetrie zwischen einem „verursachenden“ Ereignis A und einem „verursachten“ Ereignis B besteht, das aktive „menschliche“ Bewirken eines Ereignisses und eine sachliche Asymmetrie zwischen zwei Ereignissen. Der kontrafaktische Kausalitätsbegriff bedeutet, dass ceteris paribus das nachfolgende Ereignis B nicht ohne das vorausgehende Ereignis A hätte stattfinden können und dass die zeitliche Reihenfolge von Ereignissen ein Resultat der Intervention – man könnte auch sagen: von Beobachtung – ist. Das zeigt, dass in der Beobachtung  – sei es der Wissenschaft oder des alltäglichen Handelns – bestimmte Ursachen und Wirkungen selegiert, alle anderen aber ausgeschlossen werden. Dies bedeutet, dass mit Kausalität eine nach zwei Richtungen hin offene Unendlichkeit gemeint ist – eine Unendlichkeit von vorauszusetzenden Ursachen und eine Unendlichkeit von weiteren Wirkungen. Diese Unendlichkeit wird über Technik auf eine überschaubare Menge von Ursachen und Wirkungen eingegrenzt.
Um den beobachtungsbestimmten Selektivitätscharakter von Kausalität zu erfassen, kann der Begriff der Kausalität über die Medium/Form-Differenz erschlossen werden. Da Beobachtung immer die Funktionsweise eines Systems voraussetzt, muss man Medien als Eigenleistungen beobachtender Systeme verstehen, mit denen sie eigene Unterscheidungen ausarbeiten, erinnern, modifizieren, um sich selbst zu orientieren. Medien sind in diesem Sinne selbsterzeugte Angebote, mit denen Systeme ihre Umwelt strukturieren. Raum und Zeit werden entsprechend als Medien der Messung und Errechnung von Objekten erkennbar und nicht, wie bei Kant, als Formen der Anschauung. Mit den Begriffen Messung und Errechnung sind nicht kulturell eingeführte Maßstäbe gemeint, sondern es geht um den Bezug auf die neurophysiologische Operationsweise des Gehirns. Einerseits sind nämlich Raum und Zeit immer schon abgestimmt auf die quantitative Sprache des Gehirns, andererseits kann das Bewusstsein und erst recht die Kommunikation dies Errechnen nicht nachvollziehen. Medien sind lose Kopplungen von Elementen, die Formung als enge Kopplung zulassen. Eine bestimmte Klasse von Form/Medium-Beziehungen, nämlich diejenigen, die die selbstreferentielle Schließung des Gesellschaftssystems betreffen, bearbeiten das Verhältnis von Kommunikation und Materialität als kommunikative Differenz. Die Strukturierung der Umwelt von Systemen im Medium der Kausalität – also über die Erwartung von Ursache-Wirkungs-Beziehungen – vollzieht sich schließlich über die Form von Technik.

Technorati-Tags: , , ,

%d Bloggern gefällt das: