Hartmut Rosa: Resonanzerfahrungen, wie ich sie meine, haben immer eine leibliche Dimension, sie können aber auch digital ausgelöst sein. Etwa wenn mich ein Bild, ein Text im Internet berührt und ich eine Gänsehaut bekomme. Ich glaube nicht, dass Digitalisierung grundsätzlich falsch und schlecht ist. Das Problem ist, dass wir immer mehr medial und digital auf die Welt bezogen sind. Fast alles, was wir tun – arbeiten, spielen, kommunizieren, vielleicht sogar sexuelle Abenteuer suchen – läuft über den Bildschirm. Und die Interaktion mit der Welt geschieht über die immer gleiche Fingerbewegung am Smartphone. Da sehe ich schon eine Verkümmerung, weil es zunehmend nur noch diesen einen Kanal zur Welt gibt. Bildschirme sind dann so etwas wie Resonanzkiller. Wenn sie zwischen uns und die Welt treten, dann wird es schwer, leibliche Resonanzbeziehungen zu erfahren. (Link)
Ein sehr alter und sehr bekannter Einwand, genauso modern wie romantisch: es gibt irgendeine Art und Weise, wie sich Erfahrung für Menschen authentisch, unverfälscht, wirklichkeistreu und damit verlässlich bemerkbar macht; eine Erfahrung, die an die Unmittelbarkeit des Körpers gebunden ist und der auf diese Weise eine Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit verbürgt, womit zugleich Ansprüche auf Identität erfüllt werden und ein Vertrauen auf soziale Garantien hinreichend gewährleistet wird. Diese authentische Erfahrung ist damit nur die Imagination der ungestörten Information, welche sich als sehr allergisch gegen jede Beobachtung von Differenz verhält, indem sie sich unter der Bedingung gesicherter Lebensverhältnisse das Recht auf Indifferenz gestattet. Denn dieses Unbehagen hinsichtlich einer angeblichen Verfälschung oder Einengung der Realität durch Bildschirmwahrnehmung wird ganz unverdrossen über Bildschirme mitgeteilt.
Der Beobachter, der sich ganz ungeniert so verhalten kann, muss sich auf eine große Macht verlassen können, gemeint ist die Form seiner Vergesellschaftung, aka „moderne Gesellschaft“, eine Macht zu deren Zustandekommen er gar nichts beitragen kann. Die Gesellschaft selbst garantiert das Zerbrechen der andauernden Selbstparadoxierung des Beobachters durch das Recht auf Meinung und durch die sehr gefahrlose Zuordnung aller Irritationen auf andere und anderes. Der Beobachter nutzt ein gesellschaftlich produziertes Recht auf Illusion und sieht sich fortwährend von einer Gesellschaft bedroht und enttäuscht, die sich zu ihrer Gratisleistung selbst wiederum ganz indifferent verhält.
Das nenne ich eine soziale Form, die ob ihrer leicht zu nutzenden, weil trivial gewordenen Indifferenz keine Überlebenschancen hat.
Auszug aus: Max und Moritz von Wilhelm Busch
Hahn und Hühner schlucken munter
Jedes ein Stück Brot hinunter;
Aber als sie sich besinnen,
Konnte keines recht von hinnen.
In die Kreuz und in die Quer
Reißen sie sich hin und her,
Flattern auf und in die Höh‘,
Ach herrje, herrjemine!
Ach, sie bleiben an dem langen,
Dürren Ast des Baumes hangen,
Und ihr Hals wird lang und länger,
Ihr Gesang wird bang und bänger.
Jedes legt noch schnell ein Ei,
Und dann kommt der Tod herbei.
Diese Reime erzähen, dass der Tod durch soziale Verstrickung kommt.
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