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Tag: Heinz von Foerster

Ethik und Diabolik 2

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Die Annahme einer vorausgehenden Vereinbarung, eines Vertrages zwischen den Beobachtern scheint das Handicap zu sein, das bei Heinz von Foerster als Postulat voraus geht, was folglich zu der Frage nach der Rettung von Verantwortung führt. Sein Ergebnis ist damit eigentlich nur eine Variante der bekannten existenzialistischen Engführung von Jean-Paul Sartre: „Mit dieser Freiheit der Wahl haben wir die Verantwortung für jede unserer Entscheidungen übernommen.“ – In der Problemfassung bei Sartre heisst es: „Der Mensch ist verurteilt, frei zu sein. Verurteilt, weil er sich nicht selbst erschaffen hat, andererseits aber dennoch frei, da er, einmal in die Welt geworfen, für alles verantwortlich, was er tut.“ (*)

In beiden Fällen spielt die Annahme eine Rolle, das Subjekt könne wenigstens, wenn auch seine Existenzbedingungen für es selbst unverfügbar wären, so doch noch seine Entscheidung beurteilen und ihre Verantwortlichkeit garantieren. Es könne über seine Verantwortlichkeit verfügen, allein dadurch, dass es jede übernimmt. Aber was heißt das schon, wenn ich bekenne, dass ich alle Verantwortlichkeit übernehme, wenn die Übernahme nicht nur ein unverbindliches Bekenntnis sein sollte?

Tatsächlich zeigt sich aber, dass jede Entscheidung entweder kommuniziert wird, dann ergibt sich auch die Möglichkeit der Fraglichkeit, der Untauglichkeit, der Fahrlässigkeit, der Gebrechlichkeit und Unverantworlichkeit dieser Entscheidung, gefolgt von Sanktionen; und dann kann das Subjekt dafür gar keine Verantwortung übernehmen, bzw. muss sich darauf verlassen können, dass es geeignete Gegen-Sanktionsmöglichkeiten in Anspruch nehmen kann, um sich vor unzumutbarer Sanktion zu schützen. Oder die Entscheidung wird nicht kommuniziert, nun, dann ist sie auch nicht verantwortungsrelevant. Die Entscheidung unterliegt nicht der subjektiven Selbstbestimmung.

Die Entscheidung entsteht freilich nicht ohne das Zutun, ohne die soziale Mitwirkung und Anwesenheit des Subjekts. Sie entsteht auch nicht ohne ein Bewusstsein, das sich über seine Irrtumsfähigkeit irritiert, sich widerständig zeigt und vielleicht zögern möchte.
Aber wenn eine Entscheidung kommunikabel wird, entzieht sie sich durch diese Kommunkabilität der Verfügbarkeit des Subjekts, weil die Kommunikabalität einer Entscheidung nur zustande kommt, wenn alle Vorbehalte gegen Kommunikation fallen gelassen wurden.

Kommunikation als Fortsetzung der Kommunikation ist immer Freisetzung aller ihrer Möglichkeiten und zugleich auch immer die unvorhersehbare Vernichtung eines Großteils all dieser Möglichkeiten. Was soll ein einzelner Mensch dann verantworten können? Allenfalls könnte man noch die Unfähigkeit zur Vorsehbarkeit aller Folgemöglichkeiten verantworten. Aber dann stellt sich die Frage, ob nicht in dieser Hinsicht ein Bekenntnis zur Verbindlichkeit völlig ausreichen muss, welches darum genauso überflüssig ist, also: verbindlich und überflüssig.

Die Kommunikation von Entscheidung verhindert jedenfalls nicht die jede andere Alternative, sondern testet nur, ob sie sich nach Zeitverzug eine weitere Entscheidungssituation einstellen könnte, durch welche eine bestimmte Alternative noch einmal abgelehnt werden kann. Geschieht dies nicht, ist eine Alternative gar nicht vorhanden. Vielmehr zeigt sich empirisch, dass die Kommunikation von Entscheidung Alternativen gar nicht aussortiert, sondern ständig erweitert, denn Aussortiertes ist für ein System nicht anschließbar zu machen, oder könnte nur als Ausortiertes wieder einsotiert werden.

Bekanntes Beispiel dafür ist das ethische Problem des Tyrannenmodes. Mord ist grundsätzlich und prinzipiell ausgeschlossenen, und ist aus diesem Grund für den aufdringlichen Ausnahmefall dann doch wieder verhandelbar. Eindeutige Ergebnisse werden durch Verhandlung jedoch nicht hergestellt, vielmehr wird nur die Unhaltbarkeit des ganzen Für und Wider auf Dauer gestellt, ohne den Grundsatz des Tötungsverbotes außer Kraft zu setzen.

So bliebe als Objektivitätskriterium immer noch die letzte Möglichkeit der Sachzwangbehauptung, bzw., was nur eine Variante ist: die Festellung von Alternativlosigkeit, eine Behauptung, die durch Negation das Gegenteil ihrer Möglichkeit kommuniziert. Denn die Behauptung der Alternativlosigkeit lässt wenigstens noch die Alternative zu, nicht zu entscheiden. Außerdem kommt hinzu, dass das inflationäre Aufkommen von Sachzwangbehauptungen gar nicht eingebettet ist in einen Mangel an Alternativen, sondern in Unüberschaubarkeit und Zeitmangel. So ist die Behauptung der Alternativlosigkeit nur ein spezifischer Versuch, dem Problem der Verantwortlichkeit zu entkommen; „Alternativlosigkeit“ ist der letzte noch mögliche, aber undurchführbarer Rettungs- und Rechfertigungsversuch, ist Kommunikation von sozialer Gebrechlichkeit.

Fortsetzung folgt.

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Ethik und Diabolik 1

Wenn es darum geht, einen Ausweg aus den Paradoxien der Ethik zu finden, werden in der Fachliteratur häufig die Argumente von Heinz von Foerster zu Rate gezogen: „Nur die Fragen, die im Prinzip unentscheidbar sind, können wir entscheiden.“ (*)
Die Nichtentscheidbarkeit ergibt sich demnach aus empirischen und rationalen Aporien, die entstehen, wenn man von einer Subjekt-Objekt-Unterscheidung ausgeht und danach fragt, welche Seite der Unterscheidung für die andere unter welchen Bedingungen die erkenntnismäßige Voraussetzung bildet, basierend auf der Annahme, Erkenntnis beruhe auf Einheit. In diesem Fall, so Foerster, landet man stets bei unentscheidbaren Entscheidungsfragen.
Der Ausweg, so Foerster, könnte gefunden werden, wenn man die Paradoxien der Ethik durch eine Paradoxie der Wahl ersetzt, die bei von Foerster auf die Maxime hinaus läuft: „Handle stets so, daß die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird.“ – Tatsächlich hat man aber in jedem Augenblick immer nur eine Alternative. Daran ändert sich nichts, wenn man von Komplexität ausgeht, denn dann hat man auch nur die eine Alternative, nämlich die zwischen mehr oder weniger Komplexität als Folgewirkung zu wählen und muss sich, gemäß dieser Maxime, für mehr Komplexität entscheiden. Aber dann gilt wieder, dass jede Frage schon immer entschieden ist und sei es, sie sei dadurch entschieden, dass man die Paradoxie der Wahl zu wählen hätte.

Wollte man diesen Vorschlag von Heinz von Foerster aber dennoch ernst nehmen, so könnte man gleich zu einer Diabolik übergehen und sagen: sowohl die Paradoxie der Ethik als auch die Paradoxie der Wahl kann als Entscheidungsoption genommen werden, und zwar beide aufgrund ihrer Unentscheidbarkeit, ihrer Unvermeidbarkeit und – wichtig – aufgrund ihrer Verwechselbarkeit, Vertauschbarkeit und obendrein aufgrund ihres unausweichlichen und aufdringlichen Zwangs, eine Entscheidung zu treffen, welche man aber prinzipiell gar nicht  verantworten kann, weil die Folgewirkungen in jedem Augenblick gänzlich unbekannt sind und darum Verwirrung und Unklarheit als Folgewirkung eher in Aussicht stellen als Klarheit. So ist es gerade der Versuch, Klarheit herzustellen, der für den Fall des Scheiterns nach einer Zurechnungsinstanz sucht, eine entscheidender Grund für diese Aporien. Denn eine Zurechnungsinstanz kann immer gefunden werden, wenn eine Sanktionsberechtigung auf der einen Seite die Sanktionsbereichtigung der anderen Seite gar nicht bestreitet, wenn mithin Ansprechbarkeit auf Fehlleistungen garantiert ist. Denn gerade die Nichtbestreitung führt zur Anerkennung und zur Unterwerfung unter Entscheidungsverfahren, welche aber immer nur eine Entscheidung für einen Fall vorsehen und alle Revisionsversuche nur weitere Fälle und damit weitere Entscheidungssituation hervorrufen für die dann wieder das selbe gilt: eine Zurechnungsinstanz wird immer gefunden.

Was wäre nun, wenn diese Verlässlichkeit wegfällt?

Was würde passieren, wenn Entscheidungsverfahren von einer einseitigen Selbstsanktionierung durch Verzicht auf Sanktionierung disruptiv unterlaufen werden? Wenn also einseitig ein Einverständnis aufgekündigt wird ohne, dass diese Kündigung sanktionsfähig wäre? Wenn eine Vereinbarung, ein Vetrag gebrochen wird, der empirisch gar nicht abgeschlossen wurde, sondern nur als Fiktion die Aushandlung und Zuteilung von Sanktionsrechten determinerte? Was wäre, wenn eine Seite nicht mehr mitmacht, aber diese Unterlassung gegen keinerlei Bestimmungen, also auch gegen keine ethische Maxime verstößt?

Fortsetzung.

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