Differentia

Tag: Genie

„Ich behaupte, dass …“

„Ich behaupte, dass es morphogenetische Felder gibt.“ (Rupert Sheldrake)

Der faustische Gelehrte ist ein selfmade-man. So jedenfalls könnte man die Selbstbeschreibung des modernen Wissenschaftskonzepts in einem Satz zusammenfassen: Das Genie bezwingt innere und äußere Widerstände, läutert und klärt sich auf und informiert sich durch sich selbst über sich selbst, über die reale Gestalt seines verborgenen Ichs. In dunkler Stube und Abseits des irren Lärms der anderen entledigt es sich seiner selbstgemachten Irrtümer, kommt schließlich aus der Einsamkeit und aus der Fremdheit weit entfernter Berge in die Welt der Menschen, die seinesgleichen sind, zurück und beginnt über seine Lehre zu sprechen mit dem Satz: „Ich behaupte, dass …“

Nach Maßgabe dieser Selbstbeschreibung, die von mir hier etwas parodistisch verkürzt wurde, hatte das faustische Gelehrtentum, also das moderne Wissenschaftskonzept, ab dem 17. Jahrhundert seine besten Erfolge erzielt und sich infolge seines Erfolgs in soziale Strukturen verwickelt, die einerseits die Erwartungen auf subjektive Genialität beförderten und andererseits zugleich dafür sorgten, die Erwartungen auf Genialität abzusenken. Das hängt mit der Risikokalkulation des Wissenschaftskonzeptes zusammen. Denn der Satz „Ich behaupte, dass“ verspricht Wahrheit und muss es zulässig machen, sich jeder möglichen Kritik auszusetzen. In dem Maße, wie das Wissenschaftskonzept erfolgreich wird, wird auch jede mögliche Kritik erfolgreich, was dazu führt, dass das Genie eher die Bereitschaft zeigt, die Fremdheit entfernter Berge zu meiden und sich der Zudringlichkeiten der Ordnung, die durch Wissenschaft entstanden sind, zu beugen, auch dann, wenn diese Ordnung überall ihre Risse deutlich macht. Ein vortreffliches Ausweichmanöver besteht schließlich darin, auf eigene Genalität zu verzichten und diesen Verzicht als Konformitätsregel konspirativ zu empfehlen.

Das alte Verfahren transzendentaler Konspiration (Zusammenwirken ohne Absprache) hatte ehedem doppelt kontingent die Möglichkeit symbolisch unterschoben, dass man gemeinsam klüger werden könne, wenn man sich nur, jeder für sich, seines eigenen Verstandes bediene. Nachdem nun in der Wissenschaft die damit verknüpften symbolischen Verhaltensmuster der Habitualisierung fraglich geworden sind, ist nicht zugleich auch die soziale Struktur dieser transzendentalen Konspiration verschwunden. Stattdessen wurde nur das Verfahren anders symbolisiert: „Keiner ist mehr klüger als jeder andere“, womit die Wissenschaft sich über ihre Zeit, die längst gekommen ist, noch retten kann.
Dass es so ist, kann man an der Habitualisierung eines Wissenschaftlers erkennen, der diese Zusammenhänge ignoriert, indem ganz altmodisch weiter macht, wie dies Rupert Sheldrake tut: „Ich behaupte, dass es morphogenetische Felder gibt.“ Das Gelächter über diesen Satz gilt nicht dem Mann, sondern der Fraglichkeit des Wissenschaftskonzepts, dessen Lächerlichkeit sich offenbart, sofern man es nur ernst nimmt.

Aus diesem Grund behaupte ich, dass die Lehre von Rupert Sheldrake der Wahrheit entspricht.

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„Dass Lesen Geld kostet, ist ein Übel …“ #urberheber #literatur #massenmedien

Dass Lesen Geld kostet, ist ein Übel, dessen Notwendigkeit es immer neu zu beweisen gilt.

Diesen Satz findet man nicht etwa beim Postillion geschrieben, sondern in der Deklaration einer Gruppe deutschsprachiger Schriftsteller, die darin ihre Übellegungen zur Rettung ihres literarischen Schaffens angesichts der Textflut des Internets zum Ausdruck bringen. Diese Deklaration kann man in einer „einerseits-andererseits“- These zusammen fassen: einerseits haben nun auch die Schriftsteller herausgefunden, dass nicht nur die Menge verfügbarer und lesbarer Texte gestiegen ist, sondern auch die Menge möglicher Leser und dass es daher keinen Grund gäbe sich, sich der Verbreitung digital vefügbarer Texte weiterhin entgegen zu stellen. Andererseits aber wollen diese Schrifsteller nicht ihre Bemühungen aufgeben, von ihren Lesern einen Obolus einzunehmen, weil das Lesen nämlich Geld koste und damit ein unverzichtbares Übel sei, dass immer wieder hergestellt werden müsse, damit die Schriftsteller von irgendwas leben können.

In dieser Widerspenstigkeit zeigt sich genau das Schicksal einer trivial gewordenen faustischen Genialität. Das Zustande kommen des modernen Geniekonzepts zeichnete sich dadurch aus, dass es ein Ersatz für das Fehlen einer Erklärung hinsichtlich einer sozial er- und vermittelten Beobachtbarkeit von Schriftstellern darstellte. Weil der soziale Zusammenhang der Literaturproduktion, der insbesondere im Zugang zu Massenmedien durch Verlage lag, nicht reflektiert wurde, entstand die Annahme  einer persönlichen Genialität, die es vermöge, die Werke aus sich selbst heraus heraus zu erschaffen. Denn die Schreiber waren über Verlage organisiert und damit auf einem Markt adressierbar, die Leser jedoch nicht, woraus sich eine Struktur ergab, die auf das Schreiben und das Lesen notwendig angewiesen war, die aber nur das Schreiben – die gebündelte Hinterlassung Schriftzeichen auf Papier – als zurechenbare Operation berücksichtigte, wohingegen das Lesen, das genauso unverzichtbar ist, nirgendwo zugerechnet werden konnte. Das hatte zur Folge, dass der Schreiber als Genie in Erscheinung trat, weil die Struktur es nicht zuließ, den sozialen Produktionsprozess doppelseitig zu reflektieren. Irgendwelche Leser waren zwar irgendwie notwendig und mussten immer schon irgednwo vorhanden sein, damit herausgefunden werden konnte, wer was geschrieben hatte. Aber Leser waren nicht erreichbar und darum auch nicht honorierbar, weshalb nicht erkennbar wurde, dass die Leser einen ganz erheblichen Teil der Prominenzsteigerung von Schreibern erbrachten. Daher das Genie. Es musste offensichtlich ein Zauberkünstler sein, der es Kraft seiner Genialität vermochte, die Menschheit mit großartigen Werken zu beglücken. Die Zauberkunst bestand darin, die sozialen Erfolgsbedingungen des Zustandekommens zu ignorieren und ihre Bedeutsamkeit für die Erklärung des Zustandekommens von Literatur zu vermeiden. Literatur wird sozial produziert. Die Einsamkeit des Schreibers ist keine soziale Situation, auch nicht die Einsamkeit eines Verlagsbüros, die Einsamkeit einer Buchhandlung oder die Einsamkeit eines Lesers. Erst ein soziales Geschehen verbindet diese Einsamkeiten zirkulär und macht sie auf diese Weise relevant.

Der Glaube an ein Genie war nur die Möglichkeit, diesem Zirkelgeschehen in der Reflexion auszuweichen, was übrigens eine Bedingung dafür war, dass der Zirkel überhaupt zustande kommen konnte. Er musste an dieser Stelle wie an jeder anderen angefangen werden, damit er sich schließen konnte. Der Zirkel musste gleichzeitig von vielen Stellen begonnen werden. Das bedeutet, dass er immer schon geschlossen war, wenn damit angefangen wurde. Denn wie sonst hätte jedes notwendige Elemente mit jedem anderen in Verbindung treten können, wäre Unerreichbarkeit die Voraussetzung gewesen?  Weil aber Erreichbarkeit immer schon voraus gesetzt war, konnte der Zirkel einerseits geschlossen und andererseits von jeder Stelle aus ignoriert werden.
Wenn überhaupt etwas zaubern kann, dann ist das die soziale Alchemie der Kommunikation. Das Geniekonzept ist aber asozialer Herkunft. Besser gesagt: seine Herkunft war die sozial akzeptierte Rechtfertigung seines asozialen Ursprungs.

Aus der oben genannten Deklaration geht nun hervor was passiert, wenn diese soziale Vermeidungsstrategie nicht mehr durchhaltbar ist. Es wird behaupet: „Dass Lesen Geld kostet, ist ein Übel, dessen Notwendigkeit es immer neu zu beweisen gilt“ – womit noch einmal der Versuch gewagt wird, die Vermeidungsstrategie zu rechtfertigen, und dies, obwohl die Erfolgsbedingungen für eine gelingende Rechtfertigung nach eigener Auskunft gar nicht mehr gegeben sind. Denn was diese Deklaration zwar andeutet, aber nicht gründlich durchdenkt ist, dass die Unterscheidung zwischen Lesern und Schreibern ihre Relevanz verloren hat. Jeder schreibt, der schreiben will und schreiben kann, was für den Leser genauso gilt.

Und das heißt, dass nicht nur Lesen etwas kostet, sondern auch das Schreiben. Aber beides ist gar kein Übel, sondern ist eine Notwendigkeit, die sich immer wieder einstellt, wenn Literatur produziert wird.

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