Notizen zur Bildschirmfesselung 1
Friedrich Nietzsche über die Emergenz des Bewusstseins:
Was weiß der Mensch eigentlich von sich selbst! Ja, vermöchte er auch nur sich einmal vollständig, hingelegt wie in einem erleuchteten Kasten, zu perzipieren? Verschweigt die Natur ihm nicht das Allermeiste, selbst über seinen Körper, um ihn, abseits von den Windungen der Gedärme, dem raschen Fluß der Blutströme, den verwickelten Fasererzitterungen, in ein stolzes, gauklerisches Bewußtsein zu bannen und einzuschließen! Sie warf den Schlüssel weg: und wehe der verhängnisvollen Neubegier, die durch eine Spalte einmal aus dem Bewußtseinszimmer heraus und hinab zu sehen vermöchte . . .
Friedrich Nietzsche: Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn. In: Werke in drei Bänden, München o.J., 3. Band, S. 310.
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Und Peter Sloterdijk:
Und wenn Heraklit sagt, es sei unmöglich, zweimal in denselben Fluß zu steigen, mag dies vielleicht beiläufig auf die irreversible Strömung des Werdens hinweisen – so hat man das Diktum in bequemer Analogie zu »alles fließt« oft gelesen. In Wahrheit erinnert der dunkle Satz an eine tiefere Irreversibilität: daß nämlich, wer einmal aus dem Wasser gestiegen ist, nicht mehr zu der ersten Art des Schwimmens zurückkehrt. Mit der Emergenz des Bewußtseins von der Gewohnheitsnatur menschlichen Verhaltens ist die Schwelle erreicht, die, sobald sie sichtbar wird, auch schon überschritten werden muß. Man kann die Gewohnheiten nicht entdecken, ohne zu ihnen auf Distanz zugehen – anders gesagt, ohne mit ihnen in einen Zweikampf zu geraten, in dem ermittelt wird, wer Herr im Ring sei.
Peter Sloterdijk: Du musst dein Leben ändern. Über Anthropotechnik. Frankfurt/M. 2009, S. 300.