Der Name des Gehirns
von Kusanowsky
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Die Redaktion der ehemaligen Satirezeitschrift Pardon – die heute keiner mehr kennt – hatte in den 60er Jahren Auszüge aus dem bekannten Roman „Mann ohne Eigenschaften“ unter dem Namen eines unbekannten Autors an verschiedene Verlage geschickt, verbunden mit der Anfrage, ob es möglich wäre, den gesamten Roman zu veröffentlichen. Das Anliegen wurde aus Gründen mangelnder literarischer Qualität abgelehnt. Infolge dieser Blamage haben die Verlage gelernt, dass nicht die literarische Qualität dem Verkaufserfolg voraus geht. Vielmehr kann die literarische Qualität erst dann beurteilt werden, wenn ein Text viele Leser gefunden hat. Hat ein Text aber genügend viele Leser gefunden, dann hat der Verlag nicht mehr so große Probleme mit dem Verkaufserfolg. Seitdem werden unverlangt eingeschickte Manuskripte nicht auf ihre literarische Qualität hin beurteilt, sondern auf die Chancen eines Verkaufserfolgs. Und die sind meistens sehr gering. Also werden Manuskripte unkommentiert zurück geschickt. Aber bitte Porto beilegen, sonst: Ablage P.
Kein Soziologe, aber auch kein Biologe würde ernsthaft die Frage stellen, welcher Autor für ein Gehirn verantwortlich sei. Selbstverständlich können Hirnforscher sehr viel über ein Gehirn herausfinden, aber zu welchen zuverlässigen Ergebnisse würden sie kommen, wenn sie nicht wüssten, dass ein Gehirn das eines jungen oder alten Menschen wäre? Wenn sie weder wüssten, welches Geschlecht, welche Sprachfähigkeit, welche körperlichen Ausstattungen – wie z.B. Sehfähigkeit, Lähmung, Intelligenz und dergleichen – sie ihm zuordnen können? Selbstverständlich könnte man, würde man männlichen und weiblichen Gehirnen einem Pornofilm aussetzen, sehr viel darüber heraus finden, wie männliche und weibliche Gehirne darauf reagieren. Aber was könnten die Forscher heraus finden, wenn die Zuordnung eines Geschlechterunterschieds, wenn die Zurodnung über Seh- und Hörfähigkeit, wenn die Zuordnung über Altersunterschiede der Analyse der Daten nicht voraus ging? Was wäre, wenn ein Affengehirn darunter wäre, das als das Gehirn eines Kindes ausgeben wird? Was wäre also, wenn die Forscher Gehirne anstelle von sozialen Zuordnungen erforschten? Sie kämen zu dem Ergebnis, dass sie dann sehr viel über Gehirne wissen, aber über Menschen nur wüssten, dass sie ein Gehirn haben.
Das Gehirn ohne Eigenschaften würde sehr, sehr langweilig wirken.
Aus diesem Grunde muss die Hirnforschung sich etwas ausdenken, um der Ablage P. für ihre Forschungsergebnisse zu entkommen.
Gute Gehirnforscher haben stets einen Plan B zur Hand. Und der lautet: Seele.
Siehe: https://www.amazon.de/Das-Gehirn-Organ-Ideengeschichte-Neurobiologie/dp/3050023996
Eine wahrhaft passender Kategorientanz ums goldene Forschungsbudget. Denn der Name des Gehirns ohne Eigenschaften – wer kennt ihn nicht? – lautet: Seele.
PS Du hast den Nagel wirklich auf den Kopf getroffen. Das Redaktionsbeispiel gefällt mir sehr gut.
Was kann man über Menschen wissen, wenn man Knochenforschern die Knochen von Menschen zur Erforschung überlässt? Über Knochen wird man sehr viel und sehr viel Genaues herausfinden, z.B. all das und noch viel mehr. Aber über Menschen wird man nur wissen, dass sie Knochen haben, wofür man, wollte man nur das wissen, diese ganze Forschung nicht bräuchte.
Gewiss könnte man nach der Erforschung bestimmter Knochen eines Menschen etwas über die Lebensgewohnheiten eines Menschen heraus finden, ob er Sportler war, ob er Knochenbrüche hatte, ob er Knochenkrankheiten hatte, welche besonderen Ernährungsgewohnheiten er hatte usw. Dann könnte man etwas, aber nicht alles über einen Menschen, und gewiss nichts über den Menschen wissen.
Wenn man aber nicht einmal weiß, ob es sich bei bestimmten Knochen um Knochen von Menschen handelt oder um Knochen von Tieren, die denen von Menschen sehr ähnlich sind, dann wird man nicht einmal etwas über Affenmenschen wissen können, weil man dann nicht einmal weiß, ob’s Affen waren.
Das selbe gilt, wolle man der Forschung die Organe von Menschen überlassen oder die Stoffwechselvorgänge oder die Zellteilungsvorgänge in der Muskulatur. Die Medizin beispielsweise ist deshalb so erfolgreich in ihrer Wissensproduktion, weil sie über Menschen fast nichts, über Karies und die Gebärmutter aber ziemlich viel weiß, weil keiner dieser Forscher glauben würde, etwas besonderes über Menschen zu wissen, wenn er seinen Stuhl oder seinen Nasenschleim untersucht.
All das leuchtet jedem Laien ein. Weil das so ist, spricht nicht viel dagegen, Hirnforschern des Gehirn von Menschen zu überlassen, denn es kann ja sein, dass diese Forschung auch sehr erfolgreich sein wird. Nachdem sie sich aber nun mit Gehirnen befasst haben und einiges sehr Interessantes über Gehirne wissen, behaupten manchen dieser Forscher zugleich, etwas besonderes über Menschen zu wissen; und manche wissen plötzlich sogar etwas über „den Menschen“. Den hat zwar noch kein Gehirn gesehen, was aber diese Forscher nicht davon abhält, trotzdem etwas über den Menschen zu wissen. Das Gehirn dieser Forscher wundert sich über nichts. Das hat es mit Magen, Knochen und Gehörgang gemeinsam.
Die Forscher untersuchen also einen wirren Zellhaufen im Schädelknochen eines Lebewesens, von welchem das Gerücht geht, es sei der Schädelknochen eines Menschen. Und wenn diese Forschung nur großzügig genug gefördert wird, dann wird man bald im Gehirn gewiss auch seinen Menschen wiederfinden. Man muss nur danach suchen.