Der Lernpessimismus der Wissenschaft 3
von Kusanowsky
zurück / weiter:
Der kognitive handicap der Wissenschaft besteht darin, dass sie, soweit und so ausführlich sie sich auch immer auf die Kontingenz ihrer Differenzen einlassen will, dennoch von einer Voraussetzung ausgehen muss, die ihre Bedingtheit nicht weiter überprüfen kann: Es käme auf Beweise an, wenn man etwas behaupten und begründen will. Dass es aber auf Beweise ankommt, kann man zwar behaupten und begründen, aber nicht beweisen. Es käme auf das bessere Argument an. Wer aber – wie ein Professor – Richter in eigener Sache ist, wer also selbst darüber entscheiden darf, ob die eigenen Argumente die besseren sind, kann keine besseren Argumente mehr formulieren. Wer stets davon ausgeht, über die entscheidenden Voraussetzungen der Urteilsbildung bereits ausreichend informiert zu sein, kommt nach Prüfung sämtlicher Differenzen nur zu dem Ausgangspunkt zurück: Wenn schon klar ist, was klar ist, dann müssen die Unklarheiten irgendwo anders herkommen.
Daraus ergibt sich der Lernpessimismus der Wissenschaft: Es gibt angeblich keine weitere erkenntnisfördernde Instanz als das menschliche Urteilsvermögen und eben diese Instanz sei besonders bei den Herren Professoren mit besonderen Privilegien ausgestattet, sie sei nämlich unabhängig. Während alle anderen der niederen Tätigkeit des Gewerbetriebs und der Konkurrenzkämpfe ausgesetzt sind, seien die Großgrundbesitzer der wissenschaftlichen Wahrheit von diesem Spiel befreit; oder sollten dies sein.
Der Lernpessimismus der Wissenschaft entsteht durch dieses handicap, das für alle Wissensproduktion ein Selbstschwächung darstellt. Tatsächlich ist das System der Wissenschaft vollständig korrumpiert, nämlich durch sich selbst. Für den Alltag eines Professors heißt das, dass er einfach nicht zugeben muss, wovon er entscheidender Weise abhängig ist. Dieses Zugeständnis verweigern zu dürfen, nennen wir nicht länger die Freiheit von Wissenschaft und Forschung, sondern ihre Vollnarkose.
Die Freiheit der Wissenschaft und Forschung wird durch die Zwänge der Wissenschaft und die Nöte der Forschung selbst abgeschafft. Schwächung entsteht, wenn man das, was man schlechterdings zugeben kann, niemals zugeben wird. Die SPD wird niemals zugeben, dass sie keiner mehr braucht; die Bundeswehr wird niemals zugeben, dass sie keine Feinde mehr hat; die Zentralbank wird niemals zugeben, dass sie ungedecktes Geld in Umlauf bringt und die Wissenschaft wird niemals zugeben, dass sie bloß ihre Vollnarkose verwaltet.
Soll ein neuer Anfang gefunden werden, muss man woanders hingucken.
Du unterstellst, dass ein Professor letztinstantlich über die Wahrheit seiner Aussagen entscheidet. Aber steht die Wissenschaft nicht in einem Diskurs, indem sich gie Gültigkeit (sic!) einer These bewähren muss? (Ein Diskurs kann nicht die Wahrheit einer These erweisen, aber alle Teilnehmer können sich auf die These einigen, und damit hat sie Gültigkeit). So dass durch die „Wissen(schaft)sgemeinschaft ein gewisser Legitimationsdruck entsteht?
Das stimmt. Aber auf der Basis von Aussprache, Diskussion und Verständigung ist das nicht möglich, Stichwort: Professorengremium – diskutieren bis der Arzt kommt. Das Wissenskonzept kennt soziale Realität nur als objektiverbares Phänomen, und kann darum immer nur alles, was durch Objektivierung sichtbar wird, als Beurteilungsgrundlage nehmen: Handlung, Absicht, Meinung, Subjekte. Aber das, was all das als Kontingenzphänomene auswirft, nämlich die Kommunikation selbst, also ihre Eigensinnigkeit, kann nicht gesehen, also nicht objektiviert werden. Deshalb läßt sich ein Professorengremium nur vom Zeitdruck beugen, nur durch Erschöpfung seiner Humanressourcen. Sonst nicht.
Vielleicht gehe ich von einer Idealvorstellung von Wissenschaft aus, aber IMHO ist Wissenschaft wie die Kunst ein „Betrieb“, der den geschlossenen Kreis des Professorengremiums übersteigt bzw. mehr Akteure kennt als nur die Professoren (Fachpublikationen, Kongresse, die Universität). Ich frage mich, ob sich dieser ganze Apparat unter „Kommunikation“ zusammenfassen lässt. Ich weiß aber auch nicht, wie man es anders beschreiben kann. Vielleicht mit den Sloterdijkschen „Blasen“?
Ja, der Einwand ist zutreffend. Ich hatte nicht zwischen Wissenschaft und Fachwissenschaft, zwischen Wissenschaft als Funktion der Gesellschaft und Universität als Organisation in der Gesellschaft unterschieden. Und natürlich ist ein Professorengremium größtenteils bedeutungslos.
„Ich möchte vermuten, dass der Finanzdruck, der in den Universitäten auf die Wissenschaft ausgeübt wird, eine notwendige Rosskur ist, die gebraucht wird, um die Wissenschaften von ihren selbst gemachten Zwängen zu befreien. Selbstgemacht sind ihre Zwänge, da es …“
https://differentia.wordpress.com/2016/06/02/jodeldiplom-der-wissenschaft/#comment-17933
Wenn eine Gehorsamsübung als Kundendienst umgeschult werden soll, kommt sowas heraus:
Studierende wollen nicht unterhalten werden
https://www.sueddeutsche.de/bildung/studium-professoren-studenten-1.4186452