Politische Erfahrung 7
von Kusanowsky
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Ich hatte es schon viele male geschrieben und muss es wieder schreiben: Lernen ist politisch – und füge hinzu: aber nur dann, wenn die Ergebnisse unvorhersehbar sind, wenn also nicht bloß bereits Gelerntes erlernt, sondern das Zuerlernende selbst erst gelernt wird. Lernen ist ordnende Erfahrung. Lernen ist eine erratisch-paranoische Disziplin, keine Gehorsamsübung wie sie an Schulen und Universitäten praktiziert wird. Lernen heißt nicht, an den Schulen und Universitäten Formulare ausfzufüllen, sondern Irrtümer heraus zu finden. Lernen heißt, auf eine Zukunft warten, die die Bedeutung dessen schafft, was gegenwärtig bereits verstanden wird, was also bekannt wird, ohne zugleich erkannt zu werden.
Die Selbstwidersprüchlichkeiten, die damit verbunden sind, werden nicht logisch aufgelöst, sondern durch Handlung, die sich, gerade weil sie als soziales Handeln ihre Selbstbezüglich immer einschließt, als Performat referenzieren lässt. Ich lüge nicht, ich spreche (Michel Foucault).
Politisch nenne ich solche Versuche deshalb, weil es da nichts gibt, was zu fordern, zu verhindern, durchzusetzen oder zu vereinbaren wäre und trotzdem (oder gerade deswegen) dazu geeignet ist, Handlungen zu binden, ohne, dass diese Bindung der Nötigung oder der Verbrämung als Freiwilligkeit bedarf.
Ein solcher Begriff des Politischen entspricht einer sozialen Form des Handelns, die man in der Antike auf den Idioten zugerechnet hatte: Als idiotisch galt die Indifferenz hinsichtlich politischer Angelegenheiten. Hier jedoch wird das Verhalten des Idioten als eines verstanden, das auf die Korruptions- und Beleidigungsverhältnisse der Gegenwart reagiert, allgemeiner gefasst: es geht darum festzustellen, wie Beobachter durch geordnete Erfahrung traumatisiert (z.B. durch Aufklärung, Demokratie, Menschenrechte und die Erwartungen, die sich daran richten) und die infolge dieser Traumatisierung sich der Mittel berauben, die verwendet werden müssten, um sich aus dieser Traumatisierung zu befreien, indem sie etwa Meinungskämpfe betreiben und sich gegenseitig einen Vogel zeigen. An den Universitäten kann man z.B. beobachten, wie durch die massenweise Verteilung von Jodeldiplomen Intelligenz beleidigt wird. Damit wird eine wichtige Ressource blockiert, die aber gerade aufgrund der Krisenhaftigkeit der Gesellschaft dringend gebraucht würde, um aus dem Schlamassel klug werden zu können. Denn die permanente Beleidigung von Intelligenz motiviert ein pessimistisches Lernen: die entscheidenden Voraussetzungen für das Gelingen einer Wissensproduktion seien angeblich bekannt, jetzt müsse nur noch alles richtig verwaltet werden. Und die beobachtbare Tatsache, dass das gar nicht klappt, wird dann nur als falsche Entscheidungen der anderen apostrophiert und fertig ist die Laube.
Professoren stellen beispielsweise regelmäßig fest, dass viele Studierende gar nicht studierfähig sind, was stimmen kann. Ihre Lehrer haben versagt, was auch stimmen kann. Aber wer hat denn diese Lehrer ausgebildet? Und an dieser Stelle wird man dann von denselben Professoren zu hören bekommen, dass das ja alles gar nicht so einfach sei. Tatsächlich? Sapperlot.
Die Beleidigung von Intelligenz ist ein virales Geschehen, dem sich beinahe niemand mehr entziehen kann; aber wer es versucht, handelt idiotisch, nämlich indifferent gegen diese Beleidigungs- und Korruptionsverhältnisse, was offen gestanden gar nicht so einfach zu machen ist.
Die Voraussetzungen für das Gelingen solcher politischer Vorhaben können auf keinem Blatt Papier entworfen oder als Masterplan an die Wand gepinnt werden. Denn die Voraussetzungen sind selbst erforschungs-, erfahrungs- und erlernbedürftig, was nicht heißt, dass sie gänzlich außerhalb der bislang empirisch gewordenen Welt liegen, sondern im Bereich der Erfahrung bereits vorhanden sind, aber ungenutzt bleiben. Diese Voraussetzungen sind also nicht fernliegend und könnten einem Weltenkenner oder Experten schon bekannt sein, sondern sind naheliegend, aber für jeden nur mit Schwierigkeiten erreichbar.
Die Entdeckung dieser Voraussetzung ist keine Sache der logischen Rätselraterei, sondern gelingt, wenn man die Grenzen des modernen Wissenskonzepts untersucht. Die Grenzen sind da am wirksamsten, wo (11) Handlungskontingenz lediglich festgestellt, sie dann aber als Humankompetenz oder -inkompetenz der Wert- oder Geringschätzung überlassen wird, die damit also einer Ordnung überlassen wird, die sich längst durch sich selbst korrumpiert hat und unaufhörlich damit weiter macht.
(Am letzten Samstag konnte ich in Berlin anlässlich eines Besuchs in der Denkerei bei Bazon Brock beobachten, wie hartnäckig und aussichtslos dieses Spiel funktioniert)
Lieber Klaus, Du bringst es auf den wie stets anzweifelbaren Punkt. Schreib doch noch was über die Denkerei, damit ich weiß, dass ich nichts verpasst habe. Liebe Grüße und Keine Angst und kein Schuld.
Gern.
Als einer der Samstagsmärtyrer denke ich mit etwas Abstand, dass der Fall Brock vor allem auch ein Fall Sloterdijk (Islam!) ist. Nun schwanke ich noch, ob es sich lohnt, dem hartnäckig Aussichtslosen Zeit zu opfern. Doch während man Precht wegen vollumfänglicher Harmlosigkeit ignorieren kann, ist es bei den Rechtsintellektuellen wohl anders.
Das Happening in der Denkerei war ein lupenreines empirisches Praktikum, ein Kunstwerk der Intelligenz. Ich bitte darum, auf Verdächtigungen wie „Rechtsintellektuelle“ zu verzichten und stattdessen die Informationssituation als eine von Irrtümern geprägte aufzufassen. Ich habe von einem Recht auf Flucht Gebrauch gemacht, weil die Irrtümer nicht aufgedeckt werden konnten. Es mag einiges dafür sprechen, dass sich daran nicht so leicht etwas ändern lässt, aber eben auch darum wäre es angebracht, auf Verdächtigungen zu verzichten. Es sind zuviele Informationsslücken im Spiel; Verdächtigungen eignen sich nur dazu, diese Lücken zu vermehren und zu vergrößern.
„Lernen heißt, auf eine Zukunft warten, die die Bedeutung dessen schafft, was gegenwärtig bereits verstanden wird, was also bekannt wird, ohne zugleich erkannt zu werden.“
@ArpeCaspary schreibt:
Eine der Grundüberzeugungen Benjamins ist, dass wir – so wie theologisch die Argumentation mit dem Reich Gottes – also dem Paradies – verboten ist – politisch ebensowenig mit einer besseren Zukunft argumentieren dürften.Eine der Grundüberzeugungen Benjamins ist, dass wir – so wie theologisch die Argumentation mit dem Reich Gottes – also dem Paradies – verboten ist – politisch ebensowenig mit einer besseren Zukunft argumentieren dürften. Zukunft muss – nach Benjamin – entzaubert und damit jede Sekunde in ihr zur kleinen Pforte werden, durch die der Messias treten kann. Unsere schwache messianische Kraft müsse sich auf die Vergangenheit richten, also auf das Glück, das unseren Vorfahren wie auch uns entgangen sei. „Glück, das Neid in uns erwecken könnte, gibt es nur in der Luft die wir geatmet haben, mit den Menschen, zu denen wir hätten reden, mit den Frauen, die sich uns hätten geben können.“ Die „kämpfende, unterdrückte Klasse“ sei „die rächende Klasse“ und müsse sich „an dem Bild der geknechteten Vorfahren“ und „nicht am Ideal der befreiten Enkel“ nähren. Hier müssen wir innehalten und uns klar machen, dass Benjamin mit dem Begriff der Rache nicht dem Ressentiment das Wort redet, sondern einer Unversöhnlichkeit gegenüber allen, die uns einreden wollen, dass wir letztlich immer nur siegen und fortschreiten können, gegenüber allen, die behaupten, dass sie Deutschland, Frankreich, England, die Türkei oder Amerika wieder groß machen könnten. „Hie und da haben längst die besten Köpfe begonnen, sich ihren Vers auf diese Dinge zu machen. Gänzliche Illusionslosigkeit über das Zeitalter und dennoch ein rückhaltloses Bekenntnis zu ihm ist ihr Kennzeichen. Es ist das Gleiche, ob der Dichter Bert Brecht feststellt, Kommunismus sei nicht die gerechte Verteilung des Reichtums sondern der Armut oder ob der Vorläufer der modernen Architektur Adolf Loos erklärt: »Ich schreibe nur für Menschen, die modernes Empfinden besitzen … Für Menschen, die sich in Sehnsucht nach der Renaissance oder dem Rokoko verzehren, schreibe ich nicht.«
Das heißt, was in einer gerechteren Gesellschaft zu erwarten wäre ist keineswegs die Teilhabe an der weiteren Ausbeutung von Menschen und Natur, sondern eine gerechtere Verteilung unserer gemeinsamen Armut.
Ja, ich denke, das beschreibt die eschatologische – nicht Hoffnung – sondern Wachheit von Benjamin gut …