Der Zeigefinger und seine Beziehung zum Nichtwissen
von Kusanowsky
Der Zeigefinger, Geschlechtsorgan des Experten, Weltverstehers und Besserwissers (komplementär: der Mittelfinger)
„Und um den Kapitalismus zurechtzustutzen ist nur eine Sache wichtig: weniger Konsum. Nicht anderer Konsum, sondern weniger Konsum.“
Das schreibt Meiko Lobo hier; und wie immer ist das der Weisheit letzter Schluss, wenn es darauf ankommt, aus den fürchterlichen Auswirkungen des Kapitalismus klug zu werden. Damit weniger produziert würde, müsste weniger konsumiert werden. Die Rechnung ist für Schlümpfe ideal zum Nachrechnen geeignet. Die Rechnung geht so: Weniger hier ist gleich weniger da. Weshalb, wenn alle am selben Strang ziehen, die Sache gewuppt werden kann. Kapiert jeder Schlumpf, sogar diejenigen, die in Mathe früher immer eine 5 hatten.
Wenn man den oben verlinkten Text durchgeht, wird jeder unerschrockener Beobachter in den dort aufgeschriebenen Sätzen einen ziemlich weltfremden Lernpessimismus feststellen. Der Lernpessimismus besagt, dass die hinlängliche Bekanntschaft mit den Problemen der industriellen Warenproduktion völlig ausreicht, um die Lösung zu kennen und zu propagieren. Weil zu viel konsumiert wird, muss weniger konsumiert werden, sagt der erigierte Zeigefinger und weiß Bescheid, weil er sich über alles Entscheidende ausreichend informiert weiß. Der Zeigefinger ist kein bisschen ratlos, hilflos oder machtlos, sondern ist aufgrund seiner Bekanntschaft und Vertrautheit mit der Welt nicht über sich selbst irritiert, weshalb es allein an der Welt da draußen liegen müsse, die Wahrheiten der unmittelbaren Evidenz endlich zur Kenntnis zu nehmen. Das gelingt vorhersehbar nicht, weshalb – so der Lernpessimismus – der Zeigefinger sich erneut aufrichtet um erstens zu sagen, was jeder wissen sollte und zweitens um zu schimpfen, sollte sich mal wieder zeigen, dass einer aus der Reihe tanzt. Das gelingt vorhersehbar gewiss, weshalb ganz unverdrossen das Spiel von vorne beginnt. Es gibt ja nichts wichtiges mehr zu tun.
Der Zeigefinger wird in die Höhe gestreckt, um Nichtwissen nicht zur Kenntnis zu nehmen, denn, so die von enorm vielen Vorurteilen belastete Weisheit, dann könne man ja gar nichts tun. Auf diese Weise rechtfertigt sich jeder Lernpessimismus von selbst: Wer immer schon weiß was zu tun ist, kann und will nicht mehr lernen, dass eben dies erst noch erlernt werden müsse. Probleme zu erlernen, sie in Erfahrung zu bringen, heißt eben noch nicht, auch schon gelernt zu haben, wie sie gelöst werden können. Wer Probleme erlernt hat, hat noch keine Lösungen gelernt.
Wo aber das ignoriert wird, bedeutet das, dass der Zeigefinger zur Menge der bekannten Probleme gehört. Auch das Erheben des Zeigefingers müsste eine Verzichtsleistung sein, um lernen zu können, wie die Gesellschaft Verzicht produzieren könnte. Wo der Zeigefinger dies aber nicht sehen will, kann er keinen Lernoptimismus gewinnen. Denn ein Lernoptimismus könnte heißen, dass niemand die Probleme lösen kann, was nicht heißt, dass es nicht geht, sondern nur, dass noch nicht bekannt geworden ist, wie es gehen könnte. Man könnte also, statt aussichtslos mit dem Zeigefinger zu wedeln, mit Nichtwissen anfangen und die Verminderung von Nichtwissen in Aussicht stellen, wenn man nur die Bereitschaft hätte zuzugeben, dass alles bekannt gewordene Wissen noch nicht ausreicht. Denn das bekannt gewordene Wissen reicht nur aus, um sich nicht über den Zeigefinger zu wundern.
Ein Lernoptimismus könnte dagegen anfangen, dem Zeigefinder, statt ihn auf Plausibilität zu befragen, zu misstrauen und könnte stattdessen auf die Kreativität von Lernprozessen setzen. Und – sollte wer einwenden, dass es dafür längst zu spät ist, dann gilt: Wenn es so ist, dann muss es wohl so sein.
Was aber, wenn nicht?
Wer nicht lernen will, muss weinen.
Hat dies auf Social Studies of Science rebloggt.
„Erst unerträgliche Hitze und katastrophale Dürre, jetzt Starkregen und vollgelaufene Keller: Die Wetterkapriolen der schon lange vorhergesagten Klimakatastrophe werden immer verrückter
In dieser Woche wenden sich namhafte Wissenschaftler mit einem Appell an die Weltgemeinschaft …“
https://www.heise.de/tp/features/Die-Erde-brennt-der-Mensch-pennt-4131955.html
Die Weltgemeinschaft hat keine Adresse, man kann sie nicht anrufen und eine Antwort gibt sie auch nicht. Das könnte den Verdacht nahe legen, dass es eine Weltgemeinschaft gar nicht gibt.
Auch aus diesem Artikel geht hervor, wie sehr der Zeigefinger stets Vorrang hat. Das Wissenskonzept selbst verhindert, aus den Schwierigkeiten klug zu werden, weil es immer heißt: wenn alle Tatsachen bekannt sind, sind auch alle Gründe für ihr Erscheinen bekannt, woraus sich immer ein Wissen darüber ergibt, was zu tun wäre, nämlich: an die Weltgemeinschaft appellieren und mit Macht etwas an den Gründen ändern, die zum Erscheinen der Tatsachen beitragen.
Aber die Weltgemeinschaft ist nirgends zu erreichen. Das Wissenskonzept legt in dem Fall Indifferenz nahe, empfiehlt also: Weitermachen wie bisher. Was in dem Fall heißt: Mit Weltuntergang drohen.
Das Wissenskonzept ist auf Machtkämpfe angepasst und mit Drohung wir jeder Machtkampf eingeleitet.
In dem Fall aber ist Machtkommunikation tatsächlich eine Behinderung. Da ist nämlich niemand, dem man drohen kann.
Vielen Dank für diesen Artikel, Klaus.
Wissen allein genügt allerdings nicht, um Wandel herbeizuführen.
Es braucht Durchführung.
Vor kurzem sah ich mich aufgerufen, die Kunst der Zusammenarbeit zu definieren.
Für mich besteht sie darin:
Die Kunst des Zusammenwirkens ist, gereiftes Wissen als Weisheit und gereifte Fähigkeit als Meisterschaft im gegebenen Moment zur Entfaltung zu bringen.
„Easy to learn – hard to excel.“
Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, Leiden durch Lernen zu überwinden.
Für mich erfolgreiche Erkenntnisse biete ich zur Nachahmung an.
„Inspect & adapt!“
[…] – Klaus Kusanowsky […]
[…] – via Klaus Kusanowsky […]