Differentia

Monat: Februar, 2017

Bitte um Hilfe: Kennt jemand diese Roman- oder Filmerzählung? #zeitreise

Kennt jemand die folgende Roman- oder Filmerzählung, inkl. Varianten und Abweichungen? Für Hinweise wäre ich sehr dankbar.

Hauptperson: Ein junger Physiker, Mitte 30, promoviert, Angestellter in einem Verlag für wissenschaftliche Literatur, liiert, keine Kinder, fleißig, sympathisch, zuverlässig, engagiert und neugierig. Spezialinteresse: theoretische Physik.

Bei einem Spaziergang allein auf einer abgelegenen, menschenleeren Straße passiert ihm ein Unfall, den er gar nicht bemerkt. Und zwar überschreitet er einen „Raum-Zeit-Graben“, wodurch der 3 Tage in die Vergangenheit zurück gestoßen wird. Das heißt: die Kontinuität seiner Raum-Zeit-Wahrnehmung wird gar nicht merklich beeinträchtigt. Er überschreitet diesen Graben ohne Störung, ohne Widerstand, ohne auffällige Irritation und kommt im selben Augenblick drei Tage vorher am selben Ort wieder an. Die Landschaft, das Wetter, die allgemeine Stimmung hat sich nicht wesentlich verändert. Als er nach Hause kommt fallen ihm zwar einige Ungereimtheiten auf, wie z.B. dass er Termine verpasst, dass er den Wochentag verwechselt, dass er einige Deja-vu-Erlebnisse hat usw. Aber in allen Fällen rechnet er sich all das als Fehlleistungen seiner Wahrnehmung zu. Zwar fällt ihm diese Häufung von Fehlleistungen auf und er wundert sich auch darüber, aber er findet für alle diese Dinge eine scheinbar natürliche Erklärung: Schlecht geschalfen, Stress, Überarbeitung, zu wenig Erholung, schlechter Kreislauf, allgemeine Unruhe oder eben nur ganz normale Fehlleistungen, wie sie ab und zu jedem Menschen passieren können. Merkwürdig ja, aber alles nicht sehr schlimm.
Am nächsten Tag schaut er spät abends noch Fernsehen. Beim Zappen bleibt er zufällig bei einem Film hängen, der die Science-Fiction-Geschichte einer Zeitreise erzählt. Er findet diese Geschichte irgendwie dumm, aber entwickelt dennoch eine Faszination dafür. Dumm erscheint ihm diese Geschichte deshalb, weil erzählt wird, dass die Hauptfigur in der Film-Geschichte in ihre Vergangenheit zurück reist und dabei alles, was ihr widerfahren war, noch einmal erlebt. Dumm scheint ihm das deshalb zu sein, weil er sich nicht vorstellen kann, dass das Leben wie ein Film funktioniert, den man vor und zurück spulen könnte, ohne, dass sich dadurch etwas entscheidendes an der Verkettung der Zusammenhänge ändert. Nach diesem Film aber beginnt er darüber nachzudenken, wie man sich einen Rückfall in die eigene Vergangenheit wohl vorstellen könnte.
Dieser Gedanke fasziniert ihn in den folgenden Tagen und Wochen derart, dass er sich in eine Paranoia verwickelt. Einerseits malt er sich in seiner Fantasie im Detail aus, wie so ein Rückfall passieren könnte, wenn er ihm selbst widerführe, andererseits bemerkt er aber sehr wohl, dass es sich nur um eine Fantasie handelt, die ihn gleichwohl nicht mehr loslässt. Das führt dazu, dass er sich zurück zieht und allein bleibt, nicht mehr zur Arbeit geht, sich nicht mehr mit seiner Freundin trifft, die Arbeit verliert und allgemein in einen Zustand der innerlichen und äußerlichen Verwahrlosung übergeht. Er verliert sein normales und sonst sehr regelmäßig und störungsfrei verlaufendes Leben.
Zwar bemerkt er dies, aber er versichert sich seines Verstandes, indem er zugibt, dass er längst einem Wahnzustand verfallen sei, aber innerhalb dieses Wahnzustandes versteht er sehr gut und sehr genau, was mit ihm passiert ist. Er kommt nämlich zu der Überzeugung, dass ihm so ein Rückfall in seine eigene Vergangenheit tatsächlich passiert ist. Er weiß zwar nicht wann und wie genau, aber alles scheint ihm darauf hinzudeuten, dass er 3 Tage wiederholt hat.
Er erholt sich von seinem Wahn schließlich, indem er erkennt, dass dies ganz gewiss passiert ist, aber er ist sich auch sicher, dass ihm das niemand glaubt. Und er will das auch niemandem glaubhaft machen, weil der Unterschied zwischen Realität und Fiktion ihm ohnehin nicht mehr wichtig ist. Warum sollte er also andere davon überzeugen?
So nimmt er sein Leben wieder auf, findet wieder eine Arbeit, versöhnt sich mit seiner Freundin, sie heiraten und werden glücklich. Außerdem fängt er an, über das Erlebte zu schreiben, indem er Texte verfasst, die eine Mischung aus Romanfiktion, Autobiografie und theoretisch-philosophischen Abhandlungen darstellen. Tatsächlich wird er als Autor bekannt, er publiziert und trifft bei Lesungen Menschen, denen er diese Geschichte erzählt. Er tut dies, obwohl er nicht daran glaubt, dass ihm jemand das glauben würde, weil es ohnehin sehr unwahrscheinlich ist. Es passiert aber genau das Gegenteil. Einige Menschen glauben ihm diese Geschichte, obwohl sie zugeben, dass sie auch nicht wissen, warum sie so etwas eigentlich glauben wollen. Denn tatsächlich: Beweisen kann man das nicht, aber trotzdem wird’s geglaubt.
Das wundert ihn so sehr, dass er dies wiederum nur schwer glauben kann. In diesem Zusammenhang fällt ihm nun der Bericht über einen wissenschaftlichen Aufsatz in die Hände, in welchem das Phänomen eines solchen „Raum-Zeit-Grabens“ physikalisch beschrieben und erklärt wird. Bei der Recherche stellt er fest, dass dieser Artikel unter seinem Namen und den Angaben zu seiner Person veröffentlicht wurde. Er überprüft das und stellt fest, dass tatsächlich verschiedene Zeugen unabhängig voneinander sehr verlässlich darüber Auskunft geben, dass er selbst diesen Aufsatz verfasst. Es gibt also eindeutige Beweise dafür, dass er selbst der Autor ist, hat daran aber keine eigenen Erinnerungen.

Ende.

 

 

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Faktengebrauch: Ordnungsfähig oder störungsfähig? 1 @adloquii @BKasslatter

Statt sich in idiotischer Hinsicht mit der Frage zu befassen, welche Fakten richtig und welche wichtig sind, kann man, statt Faktenkenntnis durchzusetzen, die Durchsetzungsfähigkeit von Handlung beobachten. Das geht, indem man zwischen Ordnungsfähigkeit und Störungsfähigkeit von Information infolge von Handlung unterscheidet und darauf achtet, ob und wie das eine oder andere für die Kommunikation besser geeignet ist. Aus diesem Grund ist es wichtig, auf Erwartungen zu achten, die das eine oder andere nahelegen oder vermeiden, um dann entweder entsprechende Erwartungen zu bestätigen oder zu enttäuschen.

Ein einfaches Beispiel zeigt, was damit gemeint ist. Nämlich eine Prüfungssituation. Wenn in einem Multiple-Choice-Test vier Optionen vorgeschlagen werden, von denen nur eine richtig ist, dann stellt sich die Frage, um welche Erwartungen es geht. Gewöhnlich geht es um Bestehen oder Nichtbestehen der Prüfung, weshalb der Kandidat eine solche Antwort bevorzugen würde, deren Ordnungsfähigkeit die besseren Chancen hat, ein Bestehen der Prüfung zu bewirken. In dieser Situation würde also eine Antwort, die sich nicht in ein vorgeschriebenes Schema von richtig und falsch einsortieren lässt, als nicht ordnungsfähig erweisen. Da aber dieser Mangel an Ordnungsfähigkeit zugleich dem Kandidaten immer und ohne Ausnahme vorhersehbar zum Nachteil ausgelegt wird, bestätigt dieser Mangel an Ordnungsfähigkeit zugleich Erwartungen, die auch an den Kanditaten gerichtet sind, wodurch die Antwort auf diese Weise dann doch wieder geordnet würde. Anders ausgedrückt: jede Antwort, egal ob richtig oder falsch, ist immer ordnungsfähig. Denn: auch Nichtbestehen der Prüfung ist ein erwartbares Ergebnis. Darum ist in diesem Fall die Störungsfähigkeit einer falschen Antwort gleich null. Das liegt daran, dass in dieser Situation eine Vorschrift voraus geht, die immer eine Regel der Ordnungsfindung festlegt: Wenn richtig, dann bestanden, wenn falsch, dann nicht bestanden.

Der Ordnungswert einer Antwort hat in einer solchen Situation niemals zugleich einen Störungswert. Aus diesem Grund sind solche Prüfungssituationen trivial und eigentlich für Maschinen besser geeignet als für Menschen. Dass Menschen dennoch solchen Prüfungssituationen unterzogen werden, hängt mit Chancen der Objektivierbarkeit von Handlung zusammen. Handlungen sind umso besser objektivierbar, je weniger unvorhersehbare Handlungsfolgen erwartet werden. Gibt es ausschließlich vorhersehbare Handlungsfolgen, so entspricht diese Handlungsfolgenarmut einer sehr gut geregelten und kontrollierbaren Situation. Man kann dann von Objektivität sprechen und diese wiederum in der Wahrheit der jeweiligen Sache wiedererkennen und zurechnen. Das bedeutet auch, dass jede Handlungsfolge, weil erwartbar, auch gerechtfertigt werden kann, weil Strukturen der Rechtfertigung (früher: Autorität) ebenfalls nach einem Schema von richtig und falsch geordnet werden. Das bedeutet aber auch, dass solche Ordnungen beinahe vollständig immunisiert sind und jede Störungsfähigkeit vollständig absorbieren, was erst recht gelingt, wenn wie im Fall der Wissenschaftsbürokratie, auch Störung wie Protest und Widerstand, im Erfahrungshorizont des Systems selbst memoriert sind und damit selbst wiederum die Ordnung der Bürokratie bestätigen.

Fortsetzung folgt.

 

 

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