Beobachte die soziale Informationssituation
von Kusanowsky
zurück / Fortsetzung: Wer sich grundlos für jeden ansprechbar macht – und mit der Nutzung von Twitter tut man das – kann damit rechnen, weil alle anderen das auch tun, von anderen grundlos angesprochen zu werden. Funktionieren kann das deshalb, weil die Anmeldung einer Adresse nirgendwo beantragt oder genehmigt wird. Auch wird keine Identität geprüft.
Das wiederum bedeutet, dass die Selbstbeschreibung einer jeden Adresse fragwürdig ist, weil kein fremdreferenzierbares Authentifizierungsverfahren durchlaufen wird. Einfach formuliert heißt das: niemand weiß genau, wer die Leute sind, was sie wollen, was die bewegt, was sie interessiert oder wovon sie gar nichts wissen wollen. Es gilt: Die allgemeinen Geschäftsbedingungen dieser Art von Kommunikation sind größtenteils unbekannt. Alle Adressen und keine ihrer Selbstbeschreibungen, wie sie aus den Profilangaben hervorgehen, sind selbstverständlich glaubwürdig. Das gilt für jede Adresse, auch für deine, meine und für die aller anderen. Wir haben es nicht in jedem Fall, aber in erster Linie mit Kommunikation zwischen Unbekannten (#kzu) zu tun.
Das hat zur Folge, dass die allgemeine Informationssituation eher schlecht als gut ist, eher unzuverlässig als zuverlässig, eher fragwürdig als gewiss, eher unklar als klar ist. Natürlich werden durch wiederholtes ansprechen Adressen miteinander bekannt, und durch Bekanntschaft wird Informstionssicherheit gestiftet. Trotzdem sind Mehrfachanmeldungen und Mehrfachbeteiligungen möglich und zulässig.
Wer also die soziale, statt nur die eigene Informationssituation zur Kenntnis nimmt, kann feststellen, dass im Fall von Hass und Beleidigung das selbe gilt: jeder kann das geschrieben haben, auch ich, auch du selbst oder irgendjemand anders. Daraus kann man nicht auf die Ernsthaftigkeit des Anliegens schließen.
Daraus folgt, dass man zwar erschrecken kann, wenn man plötzlich von Hass und Beleidigung überfallen wird. Daraus folgt aber keinerlei Klarheit darüber, womit man es zu tun hat. Denn die Beurteilung der sozialen Informationssituation geschieht mit der Frage: worüber bin ich und sind die anderen informiert, wenn solchermaßen informiert wird? Da die anderen auch nicht so genau wissen können, was das soll – der Beleidigte hätte dies auch selbst schreiben können – ergibt sich kein dringender Handlungsbedarf.
Wer das ignoriert, verliert seine Unschuld setzt die Trollerei fort.
Hat dies auf Der blog fuhriello macht das Fuhrwerk bekannt rebloggt.
Kommunikation verringert Unbekanntheit. Die prinzipielle Wechselbarkeit der Adresse ist kein Argument dagegen. Wer das ignoriert, hat vom Sozialen und von Kommunikation keine Ahnung.
„Kommunikation verringert Unbekanntheit.“ Wie entsteht Unbekanntheit, wenn nicht durch Kommunikation?
Falsch. Unbekanntheit „entsteht“ nicht durch Kommunikation, sondern wird durch sie sichtbar. Dann verringert sie sie.
Dein Unbekanntheitsbegriff ist wischiwaschi. Würdest du wissenschaftlich denken, hättest du ihn längst konkretisiert.
Warum funktioniert Trollerei? Antwort: die Leute üben nur. Sonst nichts.
Die Unordnung des Internets entsteht, weil massenweise unbekannte Menschen mit anderen unbekannten Menschen in Kontakt treten, ohne dass für die Kontaktaufnahmeversuche verlässliche Gründe vorhanden oder erkennbar sind. Das Durcheinander besteht nun nicht nur in der Beziehung der Leute zueinander, sondern auch in der Art und Weise wie über dieses Phänomen selbst gesprochen und geschrieben und wie darauf reagiert wird. Es tauchen irgendwelche Trolle auf, die aber eigentlich nur das tun, was alle anderen auch tun, nämlich: grundlos anderen, für die sie unbekannt sind, die eigene Meinung zu hinterlassen.
Wie wird darauf reagiert? Es wird mit der Freischaltung vieler weiterer Meinungen reagiert, die sich über andere freigeschaltete Meinungen empören. Und es wird nun viel darüber nachgedacht, wie man das alles verhindern kann. Wie verhindert man diese Trollerei? Was kann man dagegen machen?
Und es ist genau diese Frage, ihre ständige Wiederholung, ihre hartnäckige Verfolgung, die Selbstverständlichkeit, mit der diese Frage gestellt wird, die auf eine Routine der Gesellschaft verweist. Die Gesellschaft hat sich durch ständige Differenzierung von Verhinderungsmaßnahmen entwickelt. Die Verhinderung von Kriminalität hat nicht dazu geführt, Kriminalität abzuschaffen, sondern hat zu einer Professionalisierung sowohl der der Kriminellen als auch der Polizei geführt. Die Verhinderung von Arbeitslosigkeit hat niemals die Arbeitslosigkeit abgeschafft, sondern die Maßnahmen ihrer Behandlung verbessert. Die Verhinderung von Missständen aller Art, ob Korruption, ob Manipulation, ob Steuerhinterziehung, ob Betrug, Schwindel, Intrigen, hat nie dazu geführt, irgendetwas dergleichen abzuschaffen, sondern hat immer nur dazu geführt, dass man über solche Methoden besser informiert ist, was auch heißt, diese Methoden immer besser anzuwenden. Die Verhinderung von Meinungsfreiheit hat nie dazu geführt, Meinungen zu unterdrücken, sondern hat nur dazu geführt, dass sich immer mehr Menschen auf der ganzen Welt das Recht heraus nehmen, ihre Meinung zu äußern. Die Verhinderung von Spionage hat nur die Methoden der Spionage verbessert. Und alle Versuche, Kriege zu verhindern, haben zur Erfindung der Atombombe geführt.
Ich kann diese Aufzählung fortführen. Immer da, wo in der Gesellschaft etwas organisiert wird, ob in Familien, Nachbarschaften, Betrieben, in der Parteien, Behörden, Vereinen, Parlamenten oder sonst wo, werden zum allergrößten Teil Verhinderungen hergestellt. Und auf dem Wege des ständigen Scheiterns von Verhinderungsmaßnahmen aller Art prosperiert, wächst und entfaltet sich die Gesellschaft; und nicht selten auch zu unserem Nutzen, denn eine Wohlstandsgesellschaft gibt es ja nun wirklich.
Also: die Verhinderungsmaßnahmen aller Arten von Organisationen blockieren die Gesellschaft gar nicht, sondern bringen sie zum Erblühen. Der Reichtum der Gesellschaft ist das Ergebnis ständig scheiternder Verhinderungsmaßnahmen.
Und die Ergebnisse einer bestimmten Verhinderungsstrategie bekommen wir nun jeden Tag zu sehen, nämlich: es zeigt sich auch noch die Verhinderung von solchen Verhinderungsmaßnahmen. Und das geschieht durch das Funktionieren von digitalen Datennetzen. Das Internet ist sozusagen das Ergebnis einer gesellschaftlichen Übertreibung von Verhinderungsmaßnahmen, denn die Übertreibung besteht darin, auch noch alle Verhinderungsmaßnahmen zu verhindern. Woran kann man erkennen, dass das so ist? Das kann man daran erkennen, dass sich fast alle Diskussionen, sofern sie das Internet betreffen, um Fragen der Verhinderung drehen: Wie verhindert man die Verletzung der Privatsphäre? Wie verhindert man die Überwachung und Manipulation? Wie verhindert man Urheberrechtsverletzungen? Wie verhindert man Mobbing? Wie verhindert man Shitstorms? Wie verhindert man dieses Kostenlos-Kultur? Wie verhindert man Betrug und Schwindel? Wie verhindert man Missverständnisse? Wie verhindert man, dass irgendwelche Dinge schief gehen?
Nichts davon wird verhindert, aber jede Meinung darüber wird freigeschaltet und der Wahrnehmung Abwesender und Unbekannter überlassen. Es findet, so könnte man das nennen, eine große Freischaltung statt, die sich in einem großen Durcheinander niederschlägt.
Das ist, so möchte ich sagen, die Routine der Gesellschaft. Die Routine funktioniert dadurch, dass zur Wiederholung der Routine irgendein unhaltbarer Rechtfertigungsgrund gefunden werden muss, der nicht dazu führt, das zu Verhindernde zu stoppen, sondern der nur dazu geeignet ist, die Routine in Gang zu halten. Und im Falle der Internettrollerei lautet der Rechtfertigungsgrund: die charakterlichen Defizite irgendwelcher abwesenden, unbekannter und unerreichbarer Menschen sind die Ursache für dieses Problem. Weshalb es dringend angesagt sei, dagegen etwas zu machen.
Und wenn das so wäre, dann müsste die Lösung lauten: man müsste allen diesen Menschen begegnen, alle kennen lernen und alle erreichen können, um sie über Menschenvernunft und Menschenmoral zutreffend zu informieren. Das ist nicht nur außerhalb des Wahrscheinlichen, sondern auch außerhalb des praktisch Möglichen. Das ist dummes Zeug. Und jetzt: warum wird eben dieses dumme Zeug beinahe jeden Tag wiederholt?
Weil nämlich auf dem Wege des ständigen Scheiterns solcher Versuche die Gesellschaft die Möglichkeiten des Internets in Erfahrung bringt. Es wird also nicht die Trollerei verhindert, sondern es wird, wenn ich das verkürzt sagen darf, die Benutzung des Internets geübt. Und die Empörung über die Trolle ist nur eine symbolische Ebene, durch die Anlässe gefunden werden, die Kommunikation immer wieder fortzusetzen und das Trainingsprogramm am Laufen zu halten.
Frage: Warum funktioniert Trollerei? Antwort: die Leute üben nur. Sonst nichts.
Die Annahme, es ginge um Verhinderung und den entsprechenden Maßnahmen vorzuwerfen, dass sie nicht verhindern, ist ziemlich naiv. Du könntest ja mal zwischen Verhinderung und Umgang-mit unterscheiden. Wirst du aber nicht, denn dann würde deine Idee des Gesellschaftsaufbaus durch Verhinderungsmassnahmen nicht mehr funktionieren.
Aber was rede ich, du bist ja nicht an Argumentationen interessiert und wirst jede Kritik als Trollerei abtun, womit du verhinderst, dass du deine Überlegungen anzweifeln müsstest. Dein persönliches Wohlfühlinternet. Gratulation.