Einschließung und Inhaftierung. Warum es #Stalking gibt 1
von Kusanowsky
Warum gibt es Stalking? Die Frage könnte man denkbar einfach beantworten: übel gesinnte Mitbürger, vielleicht auch psychisch ungesunde Teilnehmer der Gesellschaft, lassen sich auf eine nähere Beziehung zu anderen Mitbürgern und Teilnehmern des gesellschaftlichen Miteinanders, für welche die Annahme einer üblen Gesinnung oder psychopathologischen Deformierung nicht gilt, ein, verwickeln sich in unauflösbare Beziehungsprobleme, können dann aufgrund ihrer psychischen Disposition das Ende der Beziehung nicht akzeptieren und betreiben hartnäckige Nachstellungen, von denen man weiß, dass dies für die davon Betroffenen zu einer erheblichen Einschränkung ihres gewöhnlichen Alltagslebens führt, weshalb solche Konflikte mit dem Mittel der Strafgesetzgebung vernünftig geregelt werden sollten, damit man sie juristisch leicht bereinigen kann.
Dieses Stalking, seine so erklärte Herkunft und bevorzugte Behandlung, fügt sich ein in die bekannte gesellschaftliche Praxis ihrer Selbstbeschreibung, demzufolge Subjekte sich durch ihr Handeln in Kommunikation verstricken, die dann, wenn sich ganz unerfreuliche Entwicklungen ergeben, versuchen, sich durch Handlung daraus zu befreien und welche schließlich, wenn sie merken, dass dies gar nicht so einfach gelingt, nach einer übergeordneten Gewaltinstanz rufen, die selbverständlich Partei für die unschuldigen und wehrlosen Opfer ergreifen soll. Und wird festgestellt, dass dies auch nicht so einfach ist, werden Berater aller Art ausgesucht, Rechtsanwälte, Ärzte, Sozialarbeiter oder Freunde, die für viel oder wenig Geld Betroffenheit spenden oder eine Art von Hilfe anbieten, deren Ergebnis meistens nur darin besteht, dass das alles auch nicht ausreicht, dieses Stalking und seine üblen Folgen aus der Welt zu schaffen. Flankiert wird das ganze durch massenmediale Berichterstattung, deren Hauptmerkmal darin besteht, den Opfern Betroffenheit zu bekunden und den Tätern defizitäre Charaktereigenschaften zuzuschreiben.
Auch das ist keine geeignete Lösung für das Problem. Aber egal. Auf diese Weise kann jedenfalls glaubhaft werden, dass mindestens das Problem schon bekannt sei: der Täter stellt es her und das Opfer erleidet es. Wenn auch sonst alles sehr kompliziert ist, ausgerechnet für die Erklärung der Herkunft des Problems gilt das nicht, weshalb man logisch an die Lösung die gleichen Erwartungen richten könnte: es soll alles ganz einfach sein! Dass alle Erfahrung eigentlich dafür spricht, dass, wenn die Lösung nicht leicht zu finden, dann auch das Problem vielleicht ein anderes ist, kann deshalb nicht so leicht akzeptabel sein, weil diese Erfahrung nicht so leicht akzeptabel ist. Der Simplikativ ist der Normalfall der Gesellschaft.
Versuchen wir also eine andere, durchaus kompliziertere Erklärung für die Herkunft des Problems, die vielleicht die Möglichkeit eröffnet, dass das Problem leichter zu lösen ist als es zunächst scheint.
Stalking ist ein interessanter Grenzfall, der zeigt, wie inkompetent Menschen plötzlich sind, wenn die Hilfe von Organisation wegfällt. Organisation leistet etwas, das Menschen selbst nicht leisten können, nämlich Kommunikation verlässlich herzustellen. Und je verlässlicher eine Organisation funktioniert, um so wahrscheinlicher kann deshalb die Annahme plausibel werden, es gäbe erfolgreiche Methoden der Kommunikation. Gemeint sind damit Methoden der Manipulation der Situation ohne Gewalt. Denn die Ergebnisse von nackter Gewalt, erst recht, wenn sie überraschend verübt wird, sind vorhersehbar. Aus diesem Grund wird Gewalt als unschicklich betrachtet: nicht, weil damit Menschen zuschaden kommen, sondern weil sie eine Weltsicht zerstört, nämlich die, dass die bewusste Handlung Kommunikation garantiere. Tatsächlich gelingt das nur im Ausnahmefall, nämlich wenn Gewalt unerwartet passiert, wenn man also deshalb sagen könnte, dass Gewaltkommunikation auf eine Ursache zugerechnet werden kann, also auf einen Täter. (Ganz nebenbei: aus diesem Grund ist die nackte Gewalt immer noch die schnellste und verlässlichste Methode zur Abwehr eines Stalkers.)
Wo sich Organisation nicht nur als aufdringlich, sondern als begehrenswert erweist, kann niemand mehr so einfach darüber informiert werden, dass die Organisation das System ist, das kommuniziert. Denn Kommunikation heißt nicht Handlung, sondern Verstehen von Handlung infolge von Information und Information über Information, die durch Handlung nicht garantiert werden kann. Denn wenn es so wäre, wäre es so. Aber was dann? Die fehlende Antwort auf diese Frage ist das, was soziale Realität konstituiert, nämlich ein Mitwirkungs- und Verständigungszusammenhang, der umso besser funktioniert, je besser er seine Kontingenz reflektiert, der eigenselektiv die andere Seite dessen, was bereits gewusst wird, zum Anhaltspunkt dafür nimmt, es mit Handlung noch einmal zu versuchen.
Kommen Methoden der Kommunikation in Betracht, wie z.B. in der Lebensberatung, Mediation, soziale Arbeit, Psychotherapie oder Seelsorge, dann nur, wenn durch das Einschließungsmilieu die Rollen, Machtverhältnisse, Erwartungen und Risiken bereits verteilt sind, wenn sich alles Entscheidende schon geordnet hat, wenn also eine Struktur schon operiert, die Chancen zur Handlung vorhersehbar verstehbar macht. Das gelingt in der Regel durch eine Asymmetrie der Beziehung, durch eine Verknappung von Ressourcen infolge von Ressourcenbesatzung und Aufmerksamkeit und, was nicht unterschlagen werden sollte, durch Vertragshandeln, wozu eine Honorarzahlung oder mindestens eine Gehaltszahlung gehört. Denn Vertragshandeln ist ein durch Organisation bereits kontrolliertes Handeln, das sich selbst, je verlässlicher die Organisation funktioniert, um so einfach blind setzen kann. So werden dann Erwartungen an verlässliche Methoden der Kommunikation plausibel. Die Störung wird zwar reflektiert, aber nur sofern die Störung selbst kontrollierbar wird. Das Raffinement von Methoden der Kommunikation besteht also darin, die Kontingenz eines Mitwirkungs- und Verständigungszusammenhangs soweit zu dehnen, das praktisch alles thematisierbar ist um auf diese Weise ein Thema in seiner Anschlussfähigkeit zu vernichten, nämlich, dass Methoden der Kommunikation nur verlässlich sind, wenn die Kommunikation von Methoden verlässlich ist. Innerhalb der Organisation funktioniert das vorhersehbar. Und alles, was diese Vorhersehbarkeit beenden könnte, ist durch Einschließung schon ausgeschlossen.
Deshalb sind diejenigen, die von Stalking betroffen sind, um so dämonischer erschrocken, weil es jetzt darauf ankäme, verlässlich ohne Organisation zu handeln. Organisation erschwert Gewalt um darüber beeindrucken zu können, dass es verlässlich ohne Gewalt geht, obgleich Gewalt, wenn auch nicht angenehm, so doch eine verlässliche Verfahrenweise ist.