Die Schädlinge der Wahrheit
von Kusanowsky
Die Wahrheit über die Sokalisierung der Wissenschaft. Dieser Artikel befasst sich mit der Frage, warum die Sokalisierung der Wissenschaft dringend notwendig ist.
Bertrand Russell schrieb 1930 über Schädlinge der Wahrheit:
„Es ist klar, daß ein Mensch mit einem Hang zum Verbrechen daran gehindert werden muß, Verbrechen zu begehen, aber das gleiche gilt für einen Menschen, der an Tollwut leidet und die Leute beißen will, obwohl ihm niemand moralisch dafür verantwortlich macht. Ein Pestkranker muß bis zu seiner Heilung eingesperrt werden, obwohl ihn niemand für verworfen hält. Das gleiche sollte für einen Menschen gelten, der an einem Hang zum Fälschen leidet. Es sollte aber in dem einen Fall der Gedanke einer Schuld ebensowenig vorhanden sein wie im anderen. All das ist nichts als gesunder Menschenverstand …“
Russell, Bertrand: Hat die Religion nützliche Beiträge zur Zivilisation geleistet. In: ders. Warum ich kein Christ bin. Über Religion, Moral und Humanität. Reinbek bei Hamburg 1968, S. 35-56. (Erstmals veröffentlicht 1930). Zitat S. 50.
Dieses Zitat steht bei Bertrand Russell im Zusammenhang mit Erläuterungen zu der Frage, ob es eine menschliche Willensfreiheit gibt, und, da Russell diese Frage verneint, er folglich Auskunft darüber geben muss, wie mit Fälschern verfahren werden sollte, die ja, gemäß seiner Auffassung, aufgrund eines vollständig kausalen Kontinuums von biologischen, psychologischen und soziologischen Tatsachen dazu kommen, die Unwahrheit über sich selbst oder über ihre Dokumente zu äußern. Seine Wendung lautet: der Fälscher ist nicht schuldig, sondern er ist in gleicher Weise wie ein Patient mit einer ansteckenden Krankheit nur ein Schädling, also einer, der die Wahrheit, beziehungsweise die Wahrheitsfindung beschädigt und darum abgesondert werden sollte. Und es genügt Russell die Wahrheit dieser Aussage auf den „gesunden Menschenverstand“ zuzurechnen, womit nur ein Zugeständnis an die Naivität dieser Auffassung ganz ungeniert zum Ausdruck gebracht wird. Diese Auffassung anders formuliert lautet: es gibt ein selbstverständliches Recht der Wissenschaft allen widerlautenden Komplikationen aus dem Wege zu gehen. Das heißt, sich von allem unbeeindruckt zu zeigen, das Zweifel an der Wahrheit dieser Auffassung plausibel macht.
Was sich in diesem Zitat ausspricht scheint mir der nirgendwo sonst so deutlich ausgesprochene Konsens einer akademischen Wissensform zu sein, deren Unverschämtheit nicht weiter überboten werden kann. Die Unverschämtheit besteht darin, ein Recht auf Dummheit in Anspruch zu nehmen, das von dieser Wissensform selbst aber nicht garantiert wird. Denn Dummheit kann sie sich dauerhaft nicht leisten; und das Recht, wirksam die Illusion über Menschenwahrheit als das Apriori aller Urteilsfähigkeit zu garantieren, kann sie nicht glaubhaft machen ohne die Schutzmacht eines Staates, der sich mit Gewalt durchsetzt.
Sollte ich mich darin nicht irren, dass es einen solchen unverschämten Konsens innerhalb der akademischen Wissensform gibt, dann gibt es keinen Grund mehr sich über sie zu empören oder zu belustigen, weil sie sich aufgrund dieser Naivität dauerhaft in die Selbstmarginalisierung treibt. Sollte ich mich aber irren, dann wird sie an allen Versuchen von Fälschern, Wirrköpfen und allen anderen Sokals nicht den geringsten Schaden nehmen.
Darum muss die Wissenschaft sokalisiert werden.
Ich frage mich noch immer, ob – außer einem mehr oder minder berechtigten Unmut über die Institutionen der Wissenschaft – noch irgendetwas sinnvolles aus deinen Tiraden zu ziehen sei.
Welchen Sinn etwa soll der Begriff der Wissenschaft noch haben, wenn er die Bezugnahme auf die Wahrheit ganz fahren lässt? – Und überhaupt: Musst Du nicht selbst eine Form von Wahrheit in Anspruch nehmen, wenn dein Befund auf den Zusammenhang zwischen dem „Apriori aller Urteilsfähigkeit“ und der Staatsgewalt hinausläuft?
Des Weiteren: Sokal hat gezeigt, dass sich die Bildung eines Fachjargons in die vollkommene Inhaltslosigkeit von Aussagen verlaufen kann. Was soll in der Folge nun der Schlachtruf nach der Sokalisierung der Wissenschaft beinhalten? Dass man der Wissenschaft zeigt, dass sie mit ihrem angestaubten Wahrheitsbegriff abzischen kann?
Nehmen wir einmal an, dass man sich noch in anderen Disziplinen außer der Philosophie um den Begriff der Wahrheit schert (,was ich bezweifele): Was bliebe ihr denn außer der Widerspruch? – Würde sie der Kritik zustimmen, müsste sie ja zumindest der Kritik einen gewissen Wahrheitsgehalt zumessen.
Aus der daraus resultierenden Grundlagenkrise wird sie doch niemals Einsicht in ihre eigene Nichtigkeit gewinnen, sondern – wie immer – gestärkt hervorgehen.
An deiner Stelle würde ich vom Begriff der Wissenschaft ganz ablassen. Der hat doch bloß einen ehrwürdigen Klang. Und was mit seinem Gebrauch angeschleppt kommt, wird man in tausend Jahren nicht mehr los.
Was dir schwer fällt zu verstehen ist, dass die Wissenschaft keineswegs eine abgeschlossene Schöpfung ist. Du kannst nicht begreifen, dass die moderne Wissenschaft mit der modernen Gesellschaft zugleich entstanden ist, und sich jene, genau wie diese auf dem Weg ihrer Differenzierung, im Prozess ihrer Selbstentfaltung und in der Evolution all ihrer Möglichkeiten in Erfahrung gebracht hat. Mit diesem Selbsterfahrungsprozess ändern sich zugleich die Erfahrungsbedingungen ihrer Möglichkeit.
Und weil du das nicht nachvollziehen kannst, wäre es nicht das schlechteste, dich um andere Dinge zu kümmern. Es wäre sehr vernünftig von dir, dich auf deine Selbstverständlichkeiten zurück verweisen zu lassen. Tue das, was du kannst und bleib dabei.
Alles andere erfordert Lernbereitschaft und eine Forscherneugier, der du nur nachgeben kannst, sofern dir die entsprechenden Bedingungen bekannt und selbst nicht erforschungsbedürftig sind.
Ich bitte dich aufrichtig: tue was du kannst, und unterlasse alles, womit du nicht zurecht kommst.
Modern ist der Ball, den man wirft, an ’nem Seil, an ’nem Stock, der im Boden steckt, und der Schwung, mit dem sich der Ball mit dem Seil schließlich um den Stock wickelt.