„Nächste Gesellschaft“ – Produkt soziologischen Schrotthandels

von Kusanowsky

„Auf der einen Seite der intellektuelle Schrotthandel, der sich um ein Recycling von Ideen bemüht und seine Bedarfsartikel nur noch durch die Firmennamen ‚Neo’ und ‚Post’ unterscheidet. [Fn. 367 Man kann in dieser Form zum Beispiel über die ‚postindustrielle‘ Gesellschaft reden, obwohl ganz offensichtlich industrielle Produktion nach wie vor existiert und sogar mehr als zuvor unentbehrlich ist. Durch den offensichtlichen Unernst einer solchen Rede kann man sich der Kritik entziehen; denn man sagt zugleich, daß man nicht meint, was man sagt, sagt aber nicht, was man meint, wenn man sagt, daß man nicht meint, was man sagt. Man könnte die Hinweise leicht vermehren: Neomarxismus, Poststrukturalismus, Neofunktionalismus, Neokonservativismus oder mit Sachbezeichnungen: neue soziale Bewegungen, neuer Individualismus, neue Medien.]“

Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt/M. 1997, S. 1096.

Die Fortsetzung der Aufzählung der Produkte dieses soziologischen Schrotthandels fällt nicht schwer: „Neue Gesellschaft“ bei Bruno Latour, „Zweite Moderne“ bei Ulrich Beck und „Nächste Gesellschaft“ bei Dirk Baecker. Nicht zu vergessen sind natürlich die inflationären Gesellschaftsdiagnosen: Erlebnisgesellschaft, Risikogesellschaft, Informationsgesellschaft,  Mediengesellschaft, Freizeitgesellschaft, Wissensgesellschaft, Computergesellschaft, Netzwerkgesellschaft.

Mit Schrotthandel ist gemeint, dass das unnütze Gerede und Geschreibe nicht etwa abgestellt wird, wenn man herausfindet, dass es nicht weiterhilft, sondern es wird recycelt: es wird wieder und wieder herausgefunden, dass es nichts weiter bringt als Formen der Kommunikation in Erinnerung zurufen, die noch niemand vergessen hat. Verstehbar ist das auch als die unausgesprochene Weigerung, etwas verändern zu wollen, weil man nicht aussprechen darf, dass niemand an der Gesellschaft etwas ändern kann. Dieser Schrotthandel verdeckt damit erfolgreich, dass es auch anders geht, dass eine „nächste Gesellschaft“ möglich ist.