Differentia

Monat: Mai, 2016

Neues vom Yeti – paranoische Fiktion und soziale Standardisierung, ein Beispiel @jdierberg @frachtschaden

Wer sich für ein Beispiel zu der Frage interessiert, was ich mit der Unterscheidung von paranoischer Fiktion und sozialer Standardisierung meine, mag gern diese Arte-Dokumentation über die Legende vom Yeti angucken. Mich fasziniert an der Dokumentation wie versucht wird, das Sprechen über diese Yeti-Legende zu ordnen, was deshalb so schwer ist, weil alle Versuche, eine Ordnung herzustellen, auf komplizierte Hindernisse treffen, die durch diese Versuche selbst erst hergestellt werden und die einerseits nicht einfach dazu führen, diese Legende als ein Märchen abzutun, die andererseits aber die Ordnungsfindung so stark erschweren, dass kaum ein Beweis als ausreichend erscheint, um die Existenz dieses Yetis bestätigen zu können. Es ist also weder so, dass es den Yeti gibt, noch ist es so, dass es ihn nicht gibt. Das Problem kann also nicht an irgendeiner anderweitigen „Realität“ liegen, sondern liegt im realen Prozess der sozialen Standardisierung, also im Prozess einer Ordnungsfindung selbst begründet.

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Transzendentaler Vermeidungsirrtum (nach Auskunft von Theodor W. Adorno)

Dieses kurze Video ist ein Ausschnitt aus einer längeren Rede von Theodor W. Adorno, in welchem die Möglichkeit der Utopie analysiert und erklärt wird, wie ihre Verhinderung zustande kommt.
Der transzendentale Vermeidungsirrtum besteht in der durch nichts begründeten, in einer durch keine Empirie überprüfbaren Aussage, dass alle Menschen in sich den Wunsch nach Befreiung bergen, auch dann, wenn sie darüber selbst keine Auskunft geben können. Der Gelehrte weiß also über andere etwas, das diese nicht immer über sich selbst wissen können; er kennt eine für alle gültige „Menschenwahrheit“ – Woher er sie kennt? Nun, er beschreibt sich selbst Menschen, der zur Auskunft geben kann, alles Entscheidende über sich selbst zu wissen, das darum auch für alle anderen Menschen gilt.
Ob er sich darin irrt oder nicht ist völlig egal, entscheidend ist, dass er jene Macht (hier die Staatsmacht) in Anspruch nehmen darf, um ihre dämonische Zudringlichkeit zurück zu weisen, ohne welche der Gelehrte selbst aber kaum so sprechen könnte wie er spricht. Dass dies gelingt, liegt in der Vermeidungssstruktur begründet. Wo gemäß der Subjekt/Objekt-Unterscheidung Gesellschaft als Problem zwar entdeckt, aber mit dieser nicht erklärt werden kann, wird das Problem umgangen, indem man von einer Menschenwahrheit spricht, die auch ohne ihre Aussprechbarkeit durch den Gelehrten ihre Gültigkeit hätte. Denn tatsächlich gilt für den Gelehrten, was für alle anderen auch gilt: er ist durch die Gesellschaft (in seiner Wortwahl: durch den „Angreifer“, in anderer Wortwahl: durch einen Beobachter) korrumpiert und macht seine Sache zu seiner eigenen. Aber dies darf er mit keinem Wort zugeben.

Auch dass Menschen überhaupt gar keine Möglichkeit haben, irgend etwas Entscheidendes in Fragen der Herstellung und des Fortbestands von Gesellschaft zu leisten, kommt für den kritischen Soziologen überhaupt nicht in Frage.

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