Gibt es ein Medium für #kzu? 2
von Kusanowsky
zurück / Fortsetzung: Ein Medium macht eine Welt verstehbar, ohne, dass das Medium selbst verständlich sein müsste. Die Verstehbarkeit einer Welt schlägt sich nieder in ihrer sozial konstruierten Empirizität, die aufgrund ihrer, wenn auch brüchigen Plausibilität, ihrer differenziert entwickelten Strukturen der Anschlussfähigkeit, ihrer weitgehend sichergestellten Erfüllung von Erwartungen, einschließlich der Erwartungen auf das Scheitern von Erwartungen, und die aufgrund ihrer Durchsetzungsfähigkeit das Medium ihrer Produktion in der Kontingenz seines Selbsterfahrungsprozesses gleichsam verschluckt und es auf dem selben Wege, allerdings auf der anderen Seite seiner Operativität, aufdeckt, es offenbart. Ein Medium produziert eine Welt, und setzt sich infolge seines Erfolges durch eine empirisch gewordene Welt außer Funktion.
In etwas anderer Fassung tauchte ein nicht ganz unähnlicher Gedanke bereits bei Hegel auf, dort verstanden als dialektischer Selbstentfaltungsprozess des absoluten Weltgeistes, welcher allerdings einen Weltenzustand der Erfüllung in Aussicht stellte. Um einen Irrtum handelte es sich dabei nicht, auch nicht, insofern Marx diesen Ansatz übernommen und mit einem dialektischen Materialismus kombiniert hatte. Um einen Irrtum handelt es sich deshalb nicht, weil ein Medium, das eine Welt verstehbar macht, sich nicht über sich selbst täuscht. Es ändert nur infolge seines Selbsterfahrungsprozesses die Erfahrungsbedingungen, sowohl diejenigen, durch die seine Welt verstehbar wird, als auch diejenigen, durch die es selbst verständlich werden könnte.
Spätestens dann, wenn das Medium seine Selbstverständlichkeit empirisch macht, das heißt, sobald es in seiner Kontingenz bemerkbar wird, hat es seine Funktion als das Aprori allen empirisch gewordenen Seins erfüllt und wird unter veränderten Bedingungen wieder unsichtbar. Es ändert eine geänderte Welt. Ein Medium operiert als Veränderung von Veränderungen.
Diese Überlegung wird vorerst eine Notiz bleiben, aber man erkennt, worum es geht, nämlich um eine uralte Frage. Es geht um ein Verhältnis von Werden und Vergehen, eine Frage, die sich noch niemals unverändert gestellt hat und darum keine Antwort unverändert lassen kann.
Fortsetzung folgt.
Das Sein will sein.
Die Frage nach Werden und Vergehen ist tatsächlich uralt. Heraklit war – nach dem wenigen Überlieferten – der Meinung, dass das unveränderliche Sein eine Illusion sei. Parmenides – von dem ebenso wenig überliefert ist – glaubte im Gegensatz zu Heraklit, dass jede Veränderung eine Illusion sein müsse. Der Effekt dieser beiden Extrempositionen ist aber immer, dass man den Sinnen als vermeintlichem Medium der Erkenntnis nicht trauen könne.
Diese Frage wird von Hegel durchaus in veränderter Form gestellt, indem der Endzustand der Geschichte als einer und unveränderlicher dasteht, während der Verlauf der Geschichte bis dorthin sich als ein Werden und Vergehen darstellt. Ob das Ganze nun ein geistiger oder materieller Ablauf sei, ist eigentlich nur ein Effekt der nachcartesianischen Moderne, die so geflissentlich zwischen res cogitans und res extensa untescheiden will.
Insofern hast Du natürlich recht, wenn Du die Moderne als eine Linse(Medium) betrachten willst, die den Problemfokus auf Geist und Materie verengt. Genau dieses Problem möchte Martin Heidegger ja auch in „Sein und Zeit“ unterlaufen, indem er nur noch vom „In-der-Welt-sein“ spricht. Seine ganzen eigenartigen Wortbildungen haben einzig das Ziel, die Sprache, die vom Subjekt-Objekt-Dualismus kontaminiert ist, gegen eine zu tauschen, die in seinen Augen der Ungeteiltheit des „In-der-Welt-seins“ besser entspricht.
Es ist also schlicht falsch, wenn Du behauptest, dass man sich diese Frage nie in unveränderter Weise gestellt hat. Es bewirkte nur einfach nichts und das scheint ja das wesentliche Kriterium zu sein, wenn ich Deine Ausführungen richtig verstehe. Insofern bleibt mir nichts, als weitere Fragen zu stellen:
Wie soll eine Neuthematisierung von Werden und Vergehen zu wirksamen Veränderungen führen?
Wie verhindert man, dass dabei nicht abermals ein infiniter Regress entsteht, der die Resultate der Veränderung nicht abermals zu Disposition stellt?
Und zuletzt: Warum auf einmal Ontologie?
„Es geht um ein Verhältnis von Werden und Vergehen, eine Frage, die sich noch niemals unverändert gestellt hat und darum keine Antwort unverändert lassen kann.“
Ich würde diesen Satz so interpretieren, dass sich die Frage nach dem Verhältnis von Werden und Vergehen immer in veränderter Weise gestellt hat: „eine Frage, die sich noch niemals unverändert gestellt hat.“ Noch nie ist alles so geblieben wie es war, gilt auch für die Problemfassungen der Philosophie: es war also schon immer so dass … Du bemerkst die Paradoxie?
„Wie verhindert man, dass dabei nicht abermals ein infiniter Regress entsteht, der die Resultate der Veränderung nicht abermals zu Disposition stellt?“
Das weiß ich nicht und mache mir darüber keinerlei Gedanken. Warum auch? Das denkbar Mögliche hat das sozial Machbare noch nie ungebührlich behindert.
„Und zuletzt: Warum auf einmal Ontologie“
Weil ich mich weigere, das Verfassen von Texten als ein korrektes Ausfüllen von Formularen aufzufassen.
Mit anderen Worten: Du verhältst Dich indifferent zu den Bedingungen der Möglichkeit einer solchen Beschreibung, wie Du sie vorlegst.
Was ist die entscheidende Bedingung der Möglichkeit?
„Dass etwas ist und nicht vielmehr nichts“
Es ist an dieser Stelle zunächst einerlei, ob man von einer ontologischen oder einer operativ wirksamen Differenz ausgeht, denn in beiden Fällen ist die Bedingung ihrer Möglichkeit immer auch auf der anderen Seite einer Unterscheidung zu finden. In ontologischer Hinsicht könnte man das Sein dann selbst als die Einheit des Verschiedenen auffassen, mithin das Sein als die indifferente Bedingung aller Differenzen konzpieren. Das Sein wäre damit zugleich Sein und Nichtsein.
Empirisch zeigt sich aber, dass es auch anders geht, dass also eine ontologische Differenz keine beliebige Bedingung hat, sondern angepasst ist auf gesellschaftlich eingerichtete Unterscheidungsverfahren, durch die deutlich wird, dass, wenn es so geht, auch anders gehen muss, weil es sonst nicht ginge.
Aber wie auch immer man solche Überlegungen weiter differenzieren kann, immer lässt sich Differenz und Referenz unterscheiden, was allerdings bei der Veranschlagung einer ontologischen Differenz nicht sehr leicht fällt. Denn Sein kann jederzeit auch auf Nichtsein referieren, aber Nichtsein referenzieren kann es nicht.
Eine operative Differenz hätte diese Schwierigkeit nicht. Sie würde die Einheit des Verschiedenen im operativen Vollzug der Beobachtung einsehen und müsste sich nicht auf ein „Immer-schon“ allen Seins, also auf ein ontisches Aprori verlassen, sondern würde das Apriori in der Gleichzeitigkeit aller Möglichkeiten wiederfinden. Die Bedingung dieser Möglichkeit wäre die Beobachtung selbst, der es nicht gelingt, sich selbstreferentiell indiffereriend zu verhalten.
Dass etwas ist, hängt also von der Gesellschaft ab. Schon allein deswegen fällt es mir schwer, Dich nicht für jemanden zu halten, der Gesellschaft einfach an die Leerstelle setzt, die der Tod Gottes hinterlassen hat. Differenzen zu konstatieren, sagt weiterhin nichts sachhaltiges. Es setzt einfach wieder nur Differenzen als seiend. Eine weitere Leere wird für den ersehnten Rückzug ins Altbekannte in Kauf genommen.
Gesellschaft ist nichts Seiendes und ist darum auch die Möglichkeit des Nichtseins. Sie ist in ihrem kommunikativen Vollzug Gesellschaft und sie ist der operative Selbstvollzug aller ihrer Möglichkeiten und nicht etwa die Selbstbestimmung nur bestimmter, eigenartiger Möglichkeiten, die ihre Sachhaltigkeit gegen jede Alterität favorisieren. Gesellschaft ist, weil sie ohne Nichtsinn operiert, für alles sinnhafte Referenzieren zugänglich und entzieht sich damit eines jeden Versuchs, ihre Realität außerhalb eines sozial konstituierenden Sinns differenzlos zu konstruieren. Allenfalls stellt sie ihre eigene Indifferenz, weil eigentliche Indifferenz dar und muss dies notwendigerweise tun, um als die entscheidende Bedingung ihrer Möglichkeit zu fungieren. Dass es auch Denker gibt, die etwas anderes zur Kommunikation erfolgreich anbieten, ist damit ein- und nicht ausgeschlossen.
Von einer Sehnsucht ins Altbekannte kann man reden, wenn man selbst nichts Sachhaltiges zu sagen hat. Aber man erkennt, die soziale Funktion des Widersinns: immer eine nächste Differenz zu referenzieren. Das allein ist die Sache der Gesellschaft.
Liest sich für mich wie ein Glaubensbekenntnis. Die Gesellschaft ist nichts Seiendes und doch kann man ihr Eigenschaften und Tätigkeiten zuschreiben. Man muss an sie glauben, weil sie alle Handlungen erzeugt und sich nicht selbst zeigt. Mir bleibt nur Amen zu sagen.
„Liest sich für mich wie ein Glaubensbekenntnis.“ Die Beobachtung dieser Art von idiosynkratischer Widerspenstigkeit ist das, was diese Art von Kommunikation besonders auszeichnet. Sie macht die Zulässigkeit all dessen beobachtbar, was sich sinnhaft als Möglichkeit im Verhältnis zu allem anderen, das genauso hätte kommunikabel werden können, durchsetzt. Und sie lässt die strengen Limitationen aller Sinnselektion erkennen. Wo die Kapazitäten erschöpft sind, aktiviert sich eine Semantik der Geringschätzung, die sehr gut geeignet ist, dem Scheitern von Erwartungen die Übergabe der Zumutung des Weitermachens folgen zu lassen.
Worunter die Menschen auch immer Leiden mögen, die soziale Welt ist das einzige, was stets unschuldig zurück bleibt.
„Um einen Irrtum handelt es sich deshalb nicht, weil ein Medium, das eine Welt verstehbar macht, sich nicht über sich selbst täuscht. Es ändert nur infolge seines Selbsterfahrungsprozesses die Erfahrungsbedingungen, sowohl diejenigen, durch die seine Welt verstehbar wird, als auch diejenigen, durch die es selbst verständlich werden könnte.“
Spannender Ansatz auch für die Theologie, wenn man die Christengemeinde mit Karl Barth als Spezialfall der Gesellschaft versteht.
„die Leerstelle (…), die der Tod Gottes hinterlassen hat“ ist _eine_ mögliche Sichtweise des Phänomens. Es gibt andere, z.B. „Christus hat das Reich Gottes gepredigt, aber gekommen ist die Kirche“: Was, wenn Jesus selbst Gott getötet hätte und an seine Stelle die (seiner Zeit noch nicht: Christen-)Gemeinde gesetzt hätte? Ich sehe unglaublich viele Parallitäten zwischen der „Gesellschaft“, die, „weil sie ohne Nichtsinn operiert, für alles sinnhafte Referenzieren zugänglich“ ist und „sich damit eines jeden Versuchs [entzieht], ihre Realität außerhalb eines sozial konstituierenden Sinns differenzlos zu konstruieren“, und der Christengemeinde als Spezialfall dieser Gesellschaft, insofern die Mitglieder der Christengemeinde eine Teilmenge der Gesellschaft sind, als auch eines „populus in populo“ (um den pietistischen Slogan der „ecclesiola in ecclesia“ aufzugreifen), also einer eigenen Gesellschaft. Beispiele für letzteres finden sich vom Investiturstreit bis hin zur „Bekennenden Kirche“ im „3.Reich“. Die Christengemeinde könnte man sogar als Referenz für das oben beschriebene Phänomen verstehen und verwenden, dass ein Medium (hier: der Glaube) eine Welt verstehbar macht und zugleich konstruiert.
Man könnte weiterhin behaupten, dass Kirche die #kzu allererst erfunden hat. Die Feier der röm.-kath. Messe bzw. des prot. Gottesdienstes ist ja im Wesentlichen genau das. Und im engeren Sinne sind auch „Glaube“ oder „Gebet“ eine #kzu, denn Gott ist eine BlackBox, weshalb man unbeschadet vom Tode Gottes sprechen kann, ohne das Konstrukt „Gott“ damit aufgeben zu müssen.