You just have internet access
von Kusanowsky
Als Nachtrag zu dem Podcast Twitterradio Folge 5 mit Moritz Klenk und als Kommentar zu den daran sich anschließenden Kommentaren ist dieses Video gedacht
Das letzte Video zu diesem Thema: Internet und Zettelkasten, Teil 2.
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Hallo Klaus,
danke für die Antwort. Einige Gedanken dazu:
Die Ausgangseinschätzung, Neue Dinge seien zu erwarten, weil etwas als Neu in Erscheinung tritt, dessen Verstehen Lernprozesse notwendig macht, teile ich.
Bezüglich neuer Bedingungen bin ich nicht sicher, inwiefern die These, dass die Bedingungen, die zu dem „You Just Have Internet Access“ dazu kommen müssen lediglich gering, oder weniger wichtig sind als woanders.
Ich gestehe zu, dass sicher in einem Unternehmen oder an der Universität hierarchische Strukturen bekannt sind, die ganz explizit die Bedingungen der Chancen von Adressen unterscheidbar machen sollen.
Vielleicht gelten auch bei Kommunikation über das Internet wirksam werdende hierarchisierende Strukturen, die uns weniger bekannt sind.
Wie Du es auch schon sagst, die Wahrscheinlichkeiten für Aufmerksamkeitsgewinne unterscheiden sich.
Neben Tilo Jung finde ich auch Tim Pritlove, das Bildblog Projekt und vor allem zahlreiche „Youtuber“ interessant, die sich von einer neuen Form des Berufes ernähren können (Podcaster, Blogger, Computerspieler).
Eine übergreifende Eigenschaft solcher Phänomene scheint mir in einem hohen Unterhaltungswert aus Zuschauerperspektive zu bestehen, für den Menschen bereit sind, etwas zu bezahlen.
Etwa in Form von Aufmerksamkeit für Videoanzeigen.
Bei Youtube etwa werden die Produzenten nicht bezahlt, wenn eine Anzeige weggeklickt wird. Vorspulen geht auch nicht. Offensichtlich gibt es also für die geldverdienenden Youtuber genügend Menschen die die Bereitschaft aufbringen Werbung zu sehen.
Neben Werbung gibt es dann noch Spenden, teilweise in unterschiedlichen Kombinationsformen mit kleinen Goodies und/oder Extra-Inhalten.
Das ist erstmal noch keine sehr berauschende Aussicht, insbesondere wenn man sich überlegt, wie unterhaltsam Wissenschaft sein müsste, um dadurch finanzierbar zu machen und welche Implikationen sich damit für den Inhalt ergeben. In welche Richtung sonst könnte sich das symbolische Kapital von Wissenschaft entwickeln?
Wobei dann noch immer die Frage geklärt werden muss, was Wissenschaft unter dieser Bedingung eigentlich noch sein kann. Wahrheit kann es so einfach nicht sein. Ordnung überzeugt mich auch noch nicht. Ordnung erschiene mir zu sehr als eine bürokratische Übung ohne Möglichkeit zu begeistern.
Wie Du sagst, erstmal geht es nur darum eine Adresse zu haben, was man dann damit macht ist sehr frei. Man müsste eigentlich nur noch das Internet erfinden.
Frohe Ostern!
Gruß
Michael
„Das ist erstmal noch keine sehr berauschende Aussicht, insbesondere wenn man sich überlegt, wie unterhaltsam Wissenschaft sein müsste, um dadurch finanzierbar zu machen und welche Implikationen sich damit für den Inhalt ergeben. In welche Richtung sonst könnte sich das symbolische Kapital von Wissenschaft entwickeln?“
Was du feststellst ist, dass diese social media Technologie gegenwärtig fast ausschließlich zu Unterhaltungszwecken nutzbar ist. Das stimmt. Das liegt eben daran, dass Unterhaltung auch mit geringem Organisationsaufwand gelingt: Straßenmusik z.B. Das schließt auch ein, dass diese Kommunikationen sich an Unverbindlichkeit orientieren und aus diesem Grund eher erfolgreich sind als solche, die sich konzentriert mit Sachlichkeit befassen. Und vor allem gelingt Unterhaltung deshalb sehr leicht, weil sie nicht problemlorientiert funktioniert. Wissenschaftliche Problemorientierung könnte aber heißen, relevante Probleme erst in Erfahrung zu bringen, aka Produktion von Hypothesen.
Für diesen Fall gilt, dass jede Art von Wissenschaft immer genau solche Probleme in Erfahrung bringt, die sie unter der Bedingung ihrer Möglichkeit lösen kann. Im Fall der modernen Wissenschaft würde ich, wenn auch verkürzt gesagt, dies auf den Problemerfahrungsprozess transzendentaler Subjektivität zurechnen. Dafür wurden die Sicherheiten einer Staatsbürokratie benötigt, weil die Kontingenz der wissenschaftlichen Argumentation selbst keine Sicherheiten herstellt. So kommt es, dass die Wissenschaft heute ihre bürokratischen Probleme zwar kennen, aber nicht mit eigenen Mitteln lösen kann. Sie kann sie nicht erforschen, weil nach Maßgabe ihrer Empirizität solche Probleme immer schön als gelöst erscheinen und alle verbleibenden Defizite werden dann auf die Umwelt zugerechnet werden, vor allem auf die Politik.
Eine Wissenschaft ohne Bürokratie (gemeint ist: ohne Organisationszwänge) hat gegenwärtig keine besonders relevanten Probleme, die auch ohne Organisationszwang gelöst werden könnten. Nicht der entscheidende, aber ein wichtiger Grund ist, dass eine nextscience auch keine Inklusionsleistung erbringen kann.
Lieber Michael,
hier noch eine schöner Zusammenstellung, die zeigt, auf welche Probleme eine Wissenschaft stößt, die verwaltungsfähige Texte produziert
…während sich die nicht verwaltungsfähige Texte produzierende Wissenschaft mit dem Problem herumschlagen könnte, wie man Hagenbuttenmarmelade oder Birnenlikör oder Bücher verschenkt.Oder mit dem Problem, wie man die Veröffentlichung von Überlegungen organisiert und schon vorher mit dem Problem, wie man die Explikation von Überlegungen organisiert.
I am not a scientist.
I am not a sociologist.
I am not human.
I just have internet access.
18:40
„Und dann würde mir eben nur einfallen, dass, (wenn man darüber nachdenkt,) […] eine Wissenschaft ohne Bürokratie vielleicht dann ungefähr so anfangen müsste, wie der Tilo [Jung] das tut: […] Keine Bedingungen stellen.
Und das heißt dann nämlich auch, keine Bedingungsprüfung oder keine Kontrolle über die Einhaltung dieser Bedingungen zu erwarten. Also: Das ist ja eben auch das, was bei Tilo auch passiert. […] Dadurch, dass [@TiloJung] nichts verkauft, dass er keine Verträge eingeht, hat er nicht zu prüfen, ob diese auch eingehalten werden.
Denn das ist eben genau das, was diese Organisationssysteme so monströs macht: Diese ganze Bedingungsprüfung, die in Organisationen stattfindet — das gilt für Industrieunternehmen genauso wie für Bürokratien — […] die Kosten für die Bedingungsprüfung müssen mit erwirtschaftet werden […] und [dadurch entsteht ein hoher] Verschleiß. [… Komplikationen, Verschleiß und Mehraufwand in bürokratisch organisierten, hierarchisch geordneten] Organisationssystemen, weil alles tausendmal kontrolliert werden muss – weil die Bedingungen [unter denen Arbeit möglich wird] geprüft werden müssen.
[…]
Und dann kann ich mir nur vorstellen, dass Wissenschaft ohne Bürokratie – wenn überhaupt – dann eben auch nach diesem Verfahren funktioniert.
Also:
You are not deep.
You are not an artist.
You are not an intellectual.
You are not a crtic.
You are not a poet.
Und dann … und so weiter…
You are not a scientist…
Du bist kein Soziologe.
Du bist kein Genie.
Du weißt nicht viel.
Du kannst nicht viel.
Du hast eben nur Internet-Zugang.
[You just have internet access.]
“
Andy Warhol meinte einmal:
„Art is what You can get away with.“
Vielleicht gilt das für alles Andere auch:
Criticism is what You can get away with… ?
Journalism is what You can get away with..?
Poetry is what You can get away with… ?
Science is what You can get away with. ?
😉
Diese Perspektive trifft es vielleicht am besten…
Das ist es eigentlich worauf der aktuell erlebte Paradigmenwechsel der Medienevolution hinaus läuft.
Abbau von Bürokratie, Hierarchien, Teilnahmebedingungen, Inklusionshürden und flexible Ad-hoc Organisationsstrukturen…
Am Ende geht es vielleicht nur darum, ob man mit dem, was man gerne machen möchte oder was man für sinnvoll hält, genügend Zuspruch und positive Resonanz erzeugen kann, damit man sich dabei auch irgendwie wohl fühlt, keine Prügel kassiert und möglichst auch keine Katastrophen verursacht…
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„Das Landgericht kommt zu dem Ergebnis, dass es legal sei, Werbung auf frei zugänglichen Webseiten zu blocken. Nach Einschätzung der Richter besteht kein Vertrag zwischen Nutzer und Verlag, der die Nutzer zur Konsumierung der Werbung verpflichten würde.“
Verlage bieten ihre Inhalte im Netz an und stellen nun fest, dass sie nicht die Möglichkeit haben, ihre Bedingungen durchzusetzen, weil zwischen den Verlagen und den Lesern nun gar kein Vertragsverhältnis mehr besteht.
Bleibt noch die Frage übrig, warum sie versuchen, auf gerichtlichem Wege Recht durchzusetzen anstatt auf Lernbereitschaft umzustellen.
Die Antwort könnte lauten, dass diese Verlage in ein Bedingungsgefüge verstrickt sind, durch das dieser Weg versperrt bleibt. Ein Verlag ist ein Industrieunternehmen, das in Kunden- und Lieferbeziehung infolge erfolgreichen Vertragshandelns gleichsam eingesperrt ist. Auch ein Verlag oder eine Sendeanstalt ist damit ein „Einschließungsmilieu“ (Foucault), das nicht nur Personen inkludiert, sondern auch sich selbst. Dass es sich so verhält, wird in dem Augenblick offenbar, in dem sich die Bedingungen ändern, ohne, dass diese Änderung wiederum mit bereits entwickelten Strukturen des gesellschaftlichen Lernens oder der Förderung einer entsprechenden Lernbereitschaft verbunden ist.
So bleibt diesem Einschließungsmilieu nur der Rechtsstreit, oder wie im Fall des Leistungsschutzrecht, der Machtkampf. Beides hilft nicht weiter und steigert die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwann doch gelernt wird, wie es gehen könnte.