Kritik: Recht auf Störung, Recht auf Indifferenz #1968kritik #sowistammtisch
von Kusanowsky
Unter diesem Link findet man ein Podcast-Gespräch zwischen @r33ntry und @sms2sms über meinen Versuch deutlich zu machen, dass Internetkommunikation ein anderes Beobachtungsverhalten und andere Verfahrensweisen erfordert als diejenigen, die die moderne Gesellschaft mit den Mittel der Kritik erfunden, befördert und differenziert entwickelt hat. Dass meine Überlegungen nicht in jeder Hinsicht überzeugen können, dass sie auf Kritik stoßen, liegt in der Logik der Sache – Kritik ist erfolgreich eingeübt und strukturiert daher Erwartungen über ein Anschlussverhalten, die es schwer machen, etwas Anderes, Neues, Unerwartetes möglich zu machen.
Die Sache, um die es geht, ist mangelnde Erfahrung mit dem, worauf man sich einlässt, wenn man sich in diese Art der Kommunikation verwickelt. Also macht man erst mal so weiter wie bisher. Man übt Kritik auch dann, wenn diese Übung genügend oft vollzogen wurde, gerade weil man die Folgen vorhersehen kann: anschließend ist fast jeder über fast alles sehr verschieden informiert. Die Folge der Folgenlosigkeit zu erwarten ist sehr einfach und mitunter auch unverzichtbar.
Kritik in der modernen Gesellschaft heißt zum einen: sich auf Unruhe, Zudringlichkeit, Störung einzulassen, sie nicht zu verhindern, zu blockieren, ihr aus dem Wege zu gehen oder mit Gewalt zu beenden. Das war ein komplizierter und langer Prozess, wenn man etwa bedenkt, dass es in manchen Adelskreisen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts üblich war, das Duell zur Bereinigung von Beleidigungsvorfällen zu suchen.
Kritik heißt zum anderen aber auch Ermutigungen zur Herstellung von Störung zu produzieren, also Störung bewusst und absichtlich herzustellen. Beides zusammengefasst lässt sich mit einem „Recht auf Störung“ zusammenfassen.
Das Recht auf Störung ist eine soziale Standardisierungsleistung, die Strukturen der Empirizität einer Welt entwickelt hat, die sich völlig von derjenigen Welt unterscheidet, die Kritik mit Vorbehalten, mit Ängstigung oder Verbot bedacht hatte. Man denke dabei an Sachen wie Desoxyribonukleinsäure, Kaufkraft, Gleichberechtigung, Surrealismus oder künstliche Intelligenz. Dass solche Dinge empirisch werden konnten, ist nur durch einen Differenzierungsprozess möglich geworden, der nicht ohne ein komplementäres Recht auf Indifferenz auskommen konnte. Ein Recht auf Indifferenz ist aber nur die andere Seite des Rechts auf Störung, das in Anspruch genommen werden musste, um virulente Störungen ertragbar zu machen. Indifferenz wurde in dem Maße unvermeidlich, wie Störung normal wurde.
Beides hat die Differenzierungsform der Gesellschaft unter hoch unwahrscheinlichen Bedingungen stabilisiert. Denn jeder Durchlauf durch Routinen von Störung durch Handlung und Indifferenz des Verhaltens differenzierte die Strukturen der Kommunikation, führte nicht nur zur funktionalen Arbeitsteilung, sondern vor allem zu Attraktoren für solchen Selektionen, die Aufwandsteigerung empfehlen konnten: Höher, schneller, weiter – die Sucht nach Rekorden, der Einstieg in Überbietungswettkämpfen, überhaupt das, was man gewohnt ist „Leistungsgesellschaft“ zu nenenn, die Hyberbolisierung und Radikalisierung der Differenzierungsform – all das sind Entwicklungen, die sich nunmehr, wenn Internet hinzukommt, in den Wärmetod des Empiriekonzepts der modernen Welt auflösen.
Denn was wäre, wenn das Recht auf Störung und das Recht auf Indifferenz durch Internet nunmehr zusammenfallen? Wenn die Störung selbst indifferent wirkt, wenn Indifferenz selbst stört? Wenn die Gesellschaft sich Kritik nicht mehr leisten kann, weil sie es für nötiger erachtet, unbekannte Folgen der Kommunikation wichtiger zu nehmen als erwartbare und vorhersehbare Folgen?
Man kann der Frage aus dem Wege gehen, indem man ihre Relevanz leugnet. Muss man aber nicht. Man kann sich auch dann mit ihr beschäftigen, wenn ihre Irrelevanz empirisch gegeben ist.
Sagen wir mal, bei den letzten beiden Absätzen bin ich nicht mehr mitgekommen. Wärmetod des Empiriekonzepts? Wieso fallen Rechte zusammen? Wie bin ich indifferent, wenn ich kritisiere? Weil alle alles behaupten (können)? Weil jeder „senden“ kann? Weil alles egal ist? Aber Trolle machen doch jetzt geradezu Politik, wenn man den Tageszeitungen Glauben schenken darf. Und welche Kommunikationsfolgen es geben könnte, weiß ich auch nicht. Wenn der geschätzte Autor sich erklären möchte, würde ich mich über ein paar mehr Sätze freuen.
Gern. Jedoch würden mich zuvor deine AGBs interessieren. Meine lauten: Wer bist du und was willst du von mir?
Hmm, verstehe ich auch nicht. Das kann doch nicht alles ironisch sein? Ich habe keine AGB, ich bin ein Fragender und suche Antworten. Wenn das nicht reicht, nochmal danke für die Aufmerksamkeit und viel Spaß noch.
Du stellst also die Bedingung, dass ich keine weiteren Bedingungen stellen sollte?
Ich stelle Fragen. Dein Trollen scheint mir nicht zu helfen: Wir kommunizieren, aber sinnlos. Na gut, muss ich selbst überlegen. Mal sehen, wo das hinführt.
Du stellst Fragen unter der Bedingung, dass ich nicht fragen darf, was deine Fragen bedeuten? Und wenn ich dennoch so frage, hilft es dir nicht weiter. Verstehe. Ich würde dir ja gern helfen, aber eben nicht bedingungslos.
Wenn du den Begriff „Recht“ verwendest, dann eher in einem umgangssprachlichen Kontext. Richtig ?
Trotzdem ist dieser Begriff sehr durch die fachspezifischen Konnotationen belegt und ich weiß nicht, ob du deinen Anliegen einen Gefallen erweist in dem du juristische Assoziationen heraufbeschwörst.
Unsere überindividuelle Sprache und Schrift kümmern sich nicht immer um deine Intentionen.
Vorschlag, wie wäre es mit „kultureller Verdichtung“ als Notbehelf, Ablagerungen finde ich zu statisch für Kommunikationszusammenhänge
Robgak,
bitte nicht aufgeben! Für eine Beteiligung am Artikel, fehlt mir Wissen. Aber eure Kommunikation ist alles andere als sinnlos. Ich brauche sie!
Mir ist übrigens das Wer schnurz und ich halte es für einen tragischen Fehler, dass Herr Precht sein Buch nicht auf folgende Frage konzentrierte:
Was bin ich – und wenn ja, wieviel braucht die Welt davon noch?
Bitte vergiss nicht, dass die Art des Reagierens auf eine Frage wichtiger sein kann, als der erfragte Inhalt.
Wie definierst du Trollen?
@mengelwalter
Ja, der Einwand ist berechtigt!
Hallo, @ineitzke,
gut, also noch ein Anlauf. Du gibst mir im großen und ganzen vollständig Unrecht, ich nehme das erstmal dankend hin. Die Erkenntnis, daß Kommunikation immer auf Vorbehalten und Annahmen beruht, haben wir jetzt durch. Ich weiß nicht, was danach kommt, was explizit aufgestellte Bedingungen klarstellen und denke eigentlich, daß man nun zu den zuerst gestellten Fragen kommen kann. Und dann überlege ich halt selbst:
Die beide letzten Absätze möchte ich verstehen. Der ganze Blogpost gleicht einer abhebenden Rakete, erst langsam – in den ersten Absätzen – löst sich der Gedanke „Störung und Indifferenz – Kritik wird sinnlos“. Dann beschleunigt der Gedanke unter großem Tosen und eine riesige Wortwolke („hoch unwahrscheinlich“, „Wärmetod des Empiriekonzepts“) steigt auf. Man beachte die offenkundig irgendwie festgeklemmte Taste n bei „nenenn“, „Empiriekozepts“ und „numehr“. Ob die Rakete hinter dieser Wolke den Himmel erreicht hat oder explodiert ist, weiß ich nicht, dies will ich versuchen, aufzuklären.
Der Blogpost zeichnet ein, hmm, System, in dem Routinen von Störung und Indifferenz durchlaufen werden. Kritik und Schweigen, Kritik und Kritik der Kritik usw. Durch diese Routinen wird Kommunikation strukturiert, da bin ich noch ganz dabei, es gibt eingeübte Strukturen, in der Politik, in der Wissenschaft, vor Gericht zu sprechen. Das führt dann also zu Attraktoren, also Anziehungspunkten für „Selektionen die Aufwandssteigerungen empfehlen konnten“. Eine schwierige Stelle. Attraktoren sind Anziehungspunkte in einem System, zum Beispiel einem System, das evolutionären Prozessen unterworfen ist, Selektionen. Aber dann werden nicht die Selektionen zu einem Punkt gezogen, sondern die der Evolution unterworfenen Prozesse. Die Prozesse entwickeln sich durch Selektionen auf einen Punkt, an dem sie verharren. Das im Hinterkopf. Diese Vorgänge sollen nun also zu einer Sucht nach Rekorden, den Einstieg in Überbietungswettkämpfe (hier plötzlich ein n zuviel!) führen. Beobachten können wir, daß im Meinungskampf der Öffentlichkeit radikale Thesen mehr Aufmerksamkeit bekommen, als differenzierende, laut geht vor sorgfältig. Ob dieser Vorgang auch auf Wissenschaft und Justiz verallgemeinert werden kann, überblicke ich jetzt nicht. Die Evolution wie oben beschrieben läuft im Rahmen der zulässigen Kommunikation zwischen Störung und Indifferenz auf eine Hyperbolisierung der Differenzierungsform hinaus, also ok, da kann ich mir jetzt etwas dabei denken.
Auf diese Entwicklung kippen wir jetzt 20 Jahre Internet und wir gelangen zum Wärmetod des Empiriekonzepts. An dieser Stelle habe ich eine Woche geknabbert. Ich kannte bisher nur den Kältetod der Entropie, der hier wohl nichts zur Sache tut. Was ist das Empiriekonzept? Keine Ahnung! Der Plan, die Welt zu vermessen, die Idee, die Welt vermessen zu können? Was hat das mit Kommunikation zu tun? Wir äußern Kritik in Form empirischer Argumente? Wenn alle reden, zuhören, schreien, schweigen, brüllen, kreischen, mit Argumenten um sich werfen, schadet das dem Empiriekonzept? Heutzutage weiß man ja, mit einer Studie kann man alles beweisen, ok, da haben wir einen Ansatzpunkt. Das könnte gemeint sein. Doch andere Verfahren zur Welterkennung leiden doch dann denselben Wärmetod, oder? Ich stelle auch das zurück.
Letzter Absatz. Internet lässt Recht auf Störung und Recht auf Indifferenz zusammenfallen. Internet nehme ich mal als Möglichkeit für alle, zu senden und zu empfangen, eine ungeheure Vereinfachung. Das Störung indifferent wirkt, kann ich mir gut vorstellen. Im Rauschen des Twitterstreams liefern Katzenfotos nahezu null Information. Indifferenz stört? Schweigen, wo man reden muss? Hmm. Lass ich jetzt mal.
Der Satz von der Gesellschaft, die etwas für nötig erachtet, ist mir unerklärlich. Wer ist „die Gesellschaft“? Ein systematischer Zwang? Wieso kann sich die Gesellschaft plötzlich keine Kritik mehr leisten? Wir waren gerade doch noch beim Wärmetod durch sinnlose Dauerkritik. Gibt es jetzt doch noch eine Kritik, die sich die Gesellschaft leisten können muss? Der Blogpost regt, nachdem er drei Fragen stellt, abschließend an, „der Frage“ nicht aus dem Wege zu gehen, welcher Frage, kann ich nicht erkennen. Warum diese Fragen empirisch irrelevant sein sollen, sehe ich auch nicht. Das folgenlose Rauschen von Störung und Indifferenz müsste sich doch prima messen lassen.
Die Rakete kann ich nicht sehen, dabei bleibt es. Und ob sie explodiert ist oder das All erreicht hat sehe ich auch nicht.
Ach so, der Trollbegriff. Damit meine ich Leute, die auf ihre Empfänger in der einen Sache einwirken möchten, nicht indem sie zur Sache sprechen, sondern indem zu einer ganz anderen Sache sprechen. Das sind zum Beispiel die besorgten Bürger, die plötzlich alle ihr Herz für die Obdachlosen entdeckt haben und das ist Herr Kujanowsky, der an mir seine Kommunikationstheorien testet. Beachte: Ich sage nicht, daß Trollen als Argumentationsform nicht ok wäre, ich bezeichne es nur so.
So, jetzt habe ich noch einen Namensfehler eingebaut, ich knirsche mit den Zähnen und bitte um Entschuldigung! Mein mangelnder Respekt beschämt mich.
Hallo Robgak, vielleicht helfen diese Ausführungen in dieser Sache weiter: https://differentia.wordpress.com/2011/09/21/tricksen-tauschen-storen-betrachtungen-zur-internetkommunikation-1/
Den Klaus-Kusanowsky-Link von vorgestern Mittag habe ich noch nicht geschafft. Ich bitte um Nachsicht, falls dadurch in diesem Kommentar Unnötiges entstand, aber ich könnte sonst vermutlich erst nächste Woche reagieren. Korrektur meiner Rechtschreibfehler schaffe ich heute leider auch nicht.
Hallo Robgak,
danke! Auch für die Hinweise auf die leseflussbehindernden Vertipper. Ich verlinke ungern zum Duden, aber diese Prüfmaschine ist ziemlich gut und verdient mehr Nutzung.
Ich bekam in letzter Zeit in geschlossenen Benutzergruppen öfters den Hinweis, ich sei unsachlich und vermute als Ursache dafür zu maschinennahen Kommunikationsstil meinerseits, also extrem hohe Sachlichkeit die wegen ihrer Unüblichkeit vermutlich so stark unfreiwillig satirisch wirkt, dass die Empfänger ein ausgeprägtes Sachlichkeitsstreben für völlig ausgeschlossen halten oder diese Möglichkeit gar nicht erst erwägen.
Deshalb finde ich es interessant, dass du nicht oder nicht so wie ich es brav versuchen würde abzuarbeiten, auf folgende Frage eingehst:
»An dieser Stelle habe ich eine Woche geknabbert.«
Wie und womit? Ausschließlich mit Zugriff auf deinen Hirninhalt oder primär mit Internet-Nutzung?
Die folgende Frage X.1 möchte ich [noch] nicht beantwortet haben. Aber ich wüsste gern, ob die Antwort – falls sie ungleich Weiß ich nicht. lautet – einen Speicherwert größer Null hat. Anders formuliert: Bietet die Antwort eine Lehre, die sich auf ähnliche Knabber-Situationen in der Zukunft nützlich anwenden lassen könnte?
X.1
Ist das erreichte Knabber-Nutzen-Verhältnis den Fleiß bis zum letzten Tag wert gewesen?
»Wer ist “die Gesellschaft”?«
Tolle Frage!
Warum stoppst du nicht an dieser Stelle und wartest auf Antwort, sondern schiebst »Ein systematischer Zwang?« hinterher? Weil du so, wie ich mit dieser Frage, zeigen möchtest, dass du mitarbeitend mitdenkst, weil du es dir nicht zu einfach machen möchtest und glaubst, dass das unergänzte Stehenlassen der ersten Frage einen zu geringen Beantwortungsreiz dadurch setzt, weil es erfahrungsgemäß irgendwie von zu vielen negativ bewertet (als faul, dümmlich, …)?
»Der Blogpost regt, [..] an, “der Frage” nicht aus dem Wege zu gehen, welcher Frage, kann ich nicht erkennen.«
Ich weiß, dass es unter Menschen sehr üblich ist, indirekt zu kommunizieren (indirekt, andeutend, be- und umschreibend, Interpretationsabgründe öffnend). Als Existenzberechtigungen für diesen Stil fällt mir ein:
a) Mangel an Ausdrucksfähigkeit;
b) Sprachkunst (z. B. Ironie) zur Auslösung oder Steigerung bestimmter Gefühle.
Aber wenn a) und b) unwahrscheinlich sind, lösen solche Aussagesätze bei mir Interpretations- und Übersetzungsknabberei aus.
Warum formulierst du nicht wie folgt?: Welcher Frage soll man nicht aus dem Wege gehen?
» […] der an mir seine Kommunikationstheorien testet.«
Mein erster Verdacht für deine Reaktion war, dass genau dies dein erster Verdacht sein könnte. Mich stören gute Tests an und mit mir nicht.
Wie man Trollen vermeiden kann, habe ich übrigens noch nicht herausgefunden.
Hallo Robgak,
arbeitest du noch am nächsten Kommentar oder hast du beschlossen zu schweigen? Falls Letzteres zutrifft, bin ich sehr daran interessiert zu erfahren, was dich motivieren könnte mir oder uns deinen Hauptentscheidungsgrund zu verraten.