Wozu Systemtheorie und Niklas Luhmann?
von Kusanowsky
Wer Zeit mitbringt, wer eine längere Zug- oder Autofahrt hat mag sich gern diesen Podcast anhören
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Zeit leider nicht, aber dunkle Erinnerung an Luhmann, der zwar manchmal schräge, aber sinnvolle Ansätze hatte. Es gibt halt nicht wirklich Menschen mit Emotionen, nur Systeme, etc. Würde man sich seine Theorie intensiver ansehen, könnten viele Probleme auf ganz nüchterne Art gelöst werden. Guter Tipp!
@Klaus Löst die Systemtheorie wirklich Probleme? Wenn, dann nicht gezielt oder habe ich das falsch verstanden?
Achso, die Folge gibt’s natürlich auch als mp3: http://sowistammtisch.podcaster.de/download/sowi08_luhmann.mp3
Die Systemtheorie könnte man als eine Art Schöpfungstheorie ansehen: Wie ist Gesellschaft möglich? Wie findet sie ihre zu ordnenen Angelegenheiten? Wie findet die Gesellschaft die Probleme, die sie lösen muss, ohne, dass sie dies müsste? Dass es aber dennoch geschieht, ist sehr erstaunlich und ein Wunder. Die konventionelle Schulsoziologie ist primitiv – sie glaubt ernsthaft, den Menschen die Verwunderung über die Schöpfung der Gesellschaft austreiben zu können. Sie kann das versuchen, weil sie es sich unter primitiven Bedingungen bequem machen kann – sie lässt sich von Staatsgewalt aushalten, eine Bequemlichkeit, von der auch die Luhmann-Jünger Gebrauchen machen. Die Soziologie macht von einem Recht auf Indifferenz Gebrauch und nennt das ihre besondere Leistung.
Ich denke immer, es geht doch dabei viel mehr um die Haltung, als um irgendeine ‚Theorie‘. Das ist ja das Pradoxe, dass Luhmann lediglich die Möglichkeiten erforscht, die ihm die Kybernetik bietet und daraus dies Theorie entsteht. Die Theorie selbst ist aber Ergebnis eines erratischen Prozesses. Sie ist ein Monument eines dokumentierten Prozesses. Und so wie ich es verstehe sagt Luhmann das auch – es geht um den Prozess. Das Werden und eben nicht um die Erkenntnis eines Genies, die dann als Wahrheit goutiert werden kann. Im Grunde sagt die Systemtheorie, seht her, was alles geht, wenn man anfängt anders zu denken. Und dafür macht Luhmann Werbung. Im besten Kantschen Sinne. Deswegen ist die Art und Weise einer ‚Luhmann Exegese‘ ein asbolutes Paradoxon. Es hat den Anschein, dass die Systemtheoretiker ihren eigenen Guru nicht verstehen. Die Systemtheorie wird eine Orchidee bleiben, aber wir kommen nicht weiter, wenn wir uns wissenschaftlich mit Systemtheorie beschäftigen, anstatt uns besser systhemtheoretisch mit der Forschung zu beschäftigen.
Eben darin besteht die Bequemlichkeit einer Soziologie, die sich auf eine Bürokratie verlassen will. Sie kann ihre Wissenschaft als abgeschlossene, als fertige Schöpfung betrachten und kann unter dieser Voraussetzung auch noch zugeben, dass alles auch anders möglich ist, solange nur sichergestellt ist, dass es nicht anders geht, dass nichts anderes geschieht.
Dass es aber nur anders geht, wenn man etwas anderes macht und dass man etwas anderes nur machen kann, wenn es auch anders geht, wird von der Wissenschaftsbürokratie mit dem Recht auf Indifferenz beantwortet: es gäbe nun mal die Unterscheidung von Empirie und Theorie und das sei nun mal so.
Darin spricht sich die Bequemlichkeit der Soziologie aus, die ein Recht auf Indifferenz in Anspruch nimmt, indem sie es unterlässt, die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit von Wissenschaft zu stellen, weil sie es sich leisten kann, diese Frage für geklärt zu erachten: Bedingung der Möglichkeit von Wissenschaft und Soziologie seien erstens: erkenntnisfähige und aufgeklärte Menschen, die zweitens das Wissens aus sich heraus herstellen, die dann auch Träger des Wissens sind und drittens, die schließlich ihr Handeln rechtfertigen können. Das ist die erste Wahrheit jeder Soziologie, die sich auf Staatsgewalt verlassen kann. Und die letzte Wahrheit lautet; jeder hat eine andere Meinung über die objektiven Tatsachen der sozialen Welt. Alles andere ist ein intransparenter und nicht mehr erklärungsbedürftiger Kampf um richtige Wahrheit. Dass auf diese Weise mehr Wahrheit vernichtet als hergestellt wird, lässt sich nicht mehr kommunizieren.
Die erste und letzte Wahrheit wird vorhersehbar durchdiskutiert, womit der Eindruck entsteht: so geht es und nicht anders. Die Wissenschaft der Soziologie sei eine abgeschlosene Schöpfung und alles, was das in Frage stellen könnte, wird exkludiert, wir entmutigt, also irgendwie aussortiert, womit garantiert ist, dass die Unterscheidungsroutinen unverändert bleiben können. Folglich werden die Unterscheidungen indifferent wiederholt.
Eine Erklärung für Gesellschaft kann unter dieser Voraussetzung nicht mehr gefunden werden, und braucht auch nicht mehr gefunden zu werden, weshalb es die Soziologen dann dabei belassen, soziologische Literaturkenntnis zu ventilieren. Denn irgendwas muss ja machen, wenn man keine Sorgen mehr hat.
Ganz ohne Reiseuntätigkeit gewählt.
Danke für über zwei Stunden gute Unterhaltung, „aus der Wildnis, für und über die Zivilisation.“
Hätte gern mitdiskutiert.
Trotzdem werde ich ab und zu Frau Lehmann, die Herren Baecker, Nassehi und Co.nochmal lesen.
Weil komplex ist, was oszilliert ?!
Bin halt von der individuellen Ausstattung her eher Schwierigkeitssucher
Gewiss, Schwierigkeiten, aber welche? Einen bürokratischen Hürdenlauf wählen, um dann heraus zu finden, dass das Gespräch mit jenen, die diesen Hürdenlauf auch bestanden haben, ein Gespräch wie jedes andere ist, bei dem mit Wasser gekocht wird? Soziologen unterhalten sich vorzugsweise mit anderen Soziologen und versprechen sich gegenseitig, auf der richtigen Seite der Vernunft zu sein, den besseren aufklärerischen Standpunkt zu vertreten. Sie haben das unbezweifelbare Recht, sich als Richter in eigener Sache vorzustellen und entscheiden vorhersehbar zu ihrem Vorteil. Und wenn alles nicht so läuft wie erwartet ist die Politik, der Minister, der Kapitalismus, sind die falschen Experten schuld. Die Wissenschaft hat immer gewonnen, weil für sie immer schon entschieden ist, was wissenschaftlich ist und was nicht. Eben das macht Wissenschaftlichkeit inkommunikabel, weil jede Differenz leicht absorbiert werden kann.
Man kann damit einverstanden sein, muss man aber nicht. Meine Überlegung ist: suche Schwierigkeiten da, wo wenig Folgewirkungen vorhersehbar sind; suche Schwierigkeiten da, durch die die Bedingung der Möglichkeit von Soziologie zwar auch ein Recht auf Indifferenz zulässig ist, aber im Augenblick seiner Inaspruchnahme Rat- und Hilflosigkeit zurück lässt; suche Schwierigkeiten da, wo Verschanzungen, Schutzwälle und Schutzschirme der Bürokratie nicht wirksam sind, sondern da, wo du jederzeit von jedem wilden Troll angefallen werden kannst, wo es keine Notwendigkeiten gibt, wo keine Zwangsenteignungen von Einkommen zur Finanzierung der Wissenschaft passieren, wo keine Anträge auf Wahrheit gestellt oder genehmigt, wo keine Formulare ausgefüllt und wo keine albernen Jodelpiplome ausgestellt werden. Versuche unter dieser Voraussetzung einmal zu erklären, wie Kommunikation, wie Wissenschaft, wie Soziologie, wie Gesellschaft noch möglich sein sollte. Versuche so mal zu erklären und zu zeigen, wie ein Leben in Gesellschaft gelingen kann.
Eigentlich geht das nicht. Aus diesem Grunde kann man die Wildnis des Internets ablehnen, aus dem selben Grunde aber auch neugierig betrachten.