Findet Kommunikation statt? Über soziale und parasoziale Beobachtung 1
von Kusanowsky
Wenn du bei einem Bankautomaten Geld abhebst, dann findet zwischen dir und dem Automaten keine Kommunikation statt. Es handelt sich um Interaktion, die durch kein soziales System beobachtet wird. Es sind nur Interaktionen, die ein Hin und Her von Mitteilungen herstellen, vermittellt durch elektronische Signalverarbeitung. Dass es sich dabei um kein soziales System handelt kannst du feststellen, indem du versuchst, ob eine Änderungen der Bedingungen des Fortgangs kommunikabel ist. Das geht, indem du den Automaten anschreist, eine Pizza bestelltst oder ihn zum Tanzen aufforderst oder irgendetwas anderes versuchst. In allen Fällen kann das Schema der Fortgangs nicht unterbrochen oder gewechselt werden: Karte eingeben, Geheimzahl eingeben, Geldbetrag eingeben, Karte herausnehmen, Geldbetrag entnehmen, Ende – nur so und nicht anders geht es.
Soziale Systeme erfordern immer die Möglichkeit, dass es auch anders geht, dass Systeme auf Unversehbarkeiten, auf Überraschungen, auf irgendwelche Störungen reagieren können, ohne ihre Integrität zu verlieren. In jedem einfachen Gespräch kannst du so ewas beobachten und überprüfen: Ihr sitzt zu zweit in einer Kneipe. Im Laufe des Gesprächs sagst du: „Wollen wir woanders hingegen? Mir gefällt es hier nicht.“ Wie auch immer die Antwort lautet, wie auch immer das Gespräch weiter gehen mag, ob kompliziert oder nicht, ob zu deiner Zufriedenheit oder nicht, du wirst mindestens festellen, dass durch deine Frage eine Änderung der Fortsetzungsbedingungen kommunikabel wird, weil du bemerken wirst, dass zwischen der von dir erwarteten und der gegebenen Antwort immer eine Differenz bemerkbar ist, schon deshalb, weil deine Frage auf offene Möglichkeiten einer Antwort verweist, darunter auch die Möglichkeit, dass die Antwort lautet: „Nein, ich will hier bleiben.“ Diese Antwort hat, genau wie jede andere, keine ausschließliche Notwendigkeit und ist eine Reaktion der Kommunikation auf deinen Versuch, die Änderung der Fortsetzungsbedingungen zu kommunizieren. Auch mit der Ablehnung deines Wunsches wurde diese Änderung kommuniziert.
Denn mit der Kommunikation der Veränderung der Kommunikationssituation ist eine veränderte Kommunikationsituation entstanden. Vorher war für die Kommunikation die Lokalität kein Gesprächsthema, jetzt ist sie eins geworden und die Frage ist nun, von welcher Relevanz diese Veränderung ist. Um diese Relevanz zu testen, könntest du nun versuchen, das Thema komplizierter zu behandeln. Wie auch immer das geschehen mag: du kennst viele solcher Situationen und bist sehr gut darauf trainiert, mit solchen Situation klar zu kommen. Intelligenz ist zwar auch eine Bedingung dafür, dass du und wie du das lernen kannst und wie du lernen kannst, dass anderes aus solchen Situationen etwas lernen. Aber Intelligenz ist nicht die entscheidende Bedingung für die Kommunikablität von Veränderungsversuchen. Auch das läßt sich relativ einfach beobachten, wenn man mit Kindern zu tun hat. Ein erwachsener Menschen mag intelligenter sein als ein Kind, aber das heißt keineswegs, dass Erwachsene den sozialen Situationen besser gewachsen sind als Kinder, ein Beobachtung, die man an einem Sonntagvormittag auf jedem Kinderspielplatz beobachten kann. Das gilt auch für den Fall, dass man es mit intelligenten Automaten zu tun bekommt und hat Konsequenzen für die Frage, was man von intelligenten Automaten erwarten kann.
Hat dies auf wolfhilta rebloggt.
Interaktion ist demnach keine Form von Kommunikation, sondern … ?
Interaktion kann für ein soziales System dann als Kommunikation beobachtet werden, wenn Wahrnehmende sich gegenseitig als Wahrnehmende wahrnehmen und sich dabei gegenseitig zugleich unterstellen und solche Unterstellung erwarten können, dass der Wahrnehmung Egos immer mehr zur Verfügung gestellt ist als Alter mit Sinnbestimmung besetzt, dass also immer auch etwas mehr als nur das, was mit Sinnbestimmung versehen wurde, für die Kommunikation relevant und damit anschlussfähig ist. Typischer Fall ist das sog. „Geschmacksurteil“ bei der Habitusbeobachtung. Das begründet Anwesenheit. Anwesenheit ist nicht existenzialistisch gegeben, sondern konstituiert sich allein durch Interaktionen innerhalb eines sozialen Systems, das Anwesenheit zurechnet und diese Zurechnung durch Kommunikation zuordnen kann.
Interaktion mit Automaten könnte nur dann ein soziales System konstutieren, wenn das alles auch gelten würde. In dem genannten Beispiel über die Beschäftigung mit einem Bankautomaten handelt es sich aber um eine Art von Interaktionen, die nur ein allopoietisches System herstellen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Allopoiesis
Allopoietische Systeme haben keinen dritten Beobachter, keine dritte Instanz, keinen dritten Wert, bzw. keine dritte Differenz. Sie sind nicht selbstreferenziell geschlossen und haben darum keinen Bestand.
Wieso beobachtet man Interaktion, laut L eine Form der Kommunikation von Anwesenheit|Abwesenheit, wenn man gleichzeitig darauf abstellt, dass im Falle der beobachteten Interaktion keine Kommunikation zu beobachten sei?
Weil die Interaktion mit einem Automaten keine Änderung der Fortsetzungsbedingungen beobachtbar macht. Sollte ein Automat meine Anwesenheit beobachten können, dann müsste es möglich sein, diese Beobachtung zu irrtieren, zu stören, zu behindern, zu belästigen, zu erschweren, zu sabotieren. Aber kein Versuch das kommunikabel zu machen, gelingt. Interaktion mit einem Automaten ist Interaktion ohne soziales System und damit keine Kommunikation. Für soziale Interaktionssysteme gilt, dass die Kommunikation der Interaktion voraus geht; sie konstituiert Interaktion und macht Interaktion als Handlungsoperation beobachtbar, durch die Kommunikation fortgesetzt wird. Das soziale System geht aber der Handlung voraus und lässt sich nicht auf Handlung reduzieren.
Demnach gäbe es Interaktionssysteme, die Kommunikationssysteme wären, und Interaktionssysteme, die keine Kommunikationssysteme wären?
In diesem Sinne meine ich eben, dass man den Interaktionsbegriff besser auf spezifische Kommunikationsformen beschränkt und sich für „Interaktion“ mit Automaten und Steinen einen anderen Begriff ausdenkt.
Soziale Interaktionssysteme sind autopoietische Systeme und wir unterscheiden sie von allopoietischen Systemen (1), die wie triviale Maschinen einfach nur ab- bzw. zuende laufen. Die Abläufe trivialer Maschinen können nicht für ihre Reproduktion sorgen. Insofern sind die Handlungen eines Bankautomatennutzers die Handlungen eines Automaten. Menschen können sich wie Automaten verhalten, sie müssen dies aber nicht tun. Sollte es möglich sein, dass sich Automaten nicht wie Automaten verhalten, sondern wie autopoietische Systeme, dann ergibt sich für eine Kommunikationstheorie allein aus diesem Grunde noch kein neues Problem.
(1) Allopoietische Systeme können sich nicht selbst reparieren. Sie dazu: Brock, Ditmar; Junge, Ditmar; Villányi, Dirk: Soziologische Systemtheorie. In: Soziologische Paradigmen nach Talcott Parsons: Eine Einführung. Hg. von Ditmar Brock u.a. Wiesbaden 2009, S. 356.
Das Problem ist nicht der Unterschied von autopoietischen und allopoietischen Systemen; das Problem ist der wenig zielführende Unterschied zwischen Interaktionssystemen und Interaktionssystemen, den Du hier – offenbar vollkommen implizit – machst.
Es geht um die Unterscheidung von sozialer und parasozialer Beobachtung, auf die ich noch zu sprechen kommen werde. Das ist das interessantere Problem, nämlich die Frage: kann zwischen Abwesenden soziale Interaktion stattfinden? Damit ist nicht zugleich gefragt, ob Kommunikation zwischen Abwesenden möglich ist, sondern ob Interkation auch dann stattfindet, wenn die Kontingenz der Unterscheidung von Anwesenheit und Abwesenheit für die Interaktion relevant wird.
Immer wieder die Abwesenden … Um mit denen weiterzukommen braucht es in jedem Fall einen sauberen Interaktionsbegriff. Der weiter oben ist nicht sauber im Sinne von trennscharf, schlicht weil zwei allzu unterschiedliche Fliegen mit einer Klatsche erschlagen werden sollen.
„Ob Interkation auch dann stattfindet, wenn die Kontigenz der Unterscheidung von Anwesenheit und Abwesenheit für die Interaktion relevant wird“?
Die Kontingenz dieser Unterscheidung lässt sich in Interaktion problemlos als anwesend beobachten.
Zudem wäre es eben wichtig zu wissen ob Du wirklich Interaktion von Abwesenden beobachten willst, oder Kommunikation, oder Organisation …
„schlicht weil zwei allzu unterschiedliche Fliegen mit einer Klatsche erschlagen werden sollen.“
Genau. Es kann sein, dass dieses Problem bei der Beurteilung parasozialer Beobachtungszusammenhänge wiederkehrt.
Das „kehrt wieder“ nur dann, wenn Du Interaktion nicht im Medium der Interaktion beobachtest, sondern in irgendeinem anderen.
Um weiterzukommen müsstest Du also angeben, in welches Medium Du Deine Form der Interaktion/Kommunikation/Sensation von Abwesenden tauchen möchtest.